Verwaltungsrecht

Abschiebungshaftverfahren: Anforderungen an einen zulässigen Haftantrag

Aktenzeichen  XIII ZB 93/19

Datum:
15.12.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:151220BXIIIZB93.19.0
Normen:
§ 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG
Spruchkörper:
13. Zivilsenat

Leitsatz

Ergibt sich die vollziehbare Ausreisepflicht aus einem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, genügt der Haftantrag den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG, wenn dieser wegen der Zustellung des Bescheids auf die Abschlussmitteilung des Bundesamts Bezug nimmt, soweit keine Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Abschlussmitteilung vorliegen.

Verfahrensgang

vorgehend LG Landshut, 11. April 2019, Az: 63 T 676/19vorgehend AG Erding, 12. Februar 2019, Az: 6 XIV 27/19 (B)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Landshut – 6. Zivilkammer – vom 11. April 2019 wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Dolmetscherkosten nicht erhoben werden.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

1
I. Der Betroffene, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste 2015 in das Bundesgebiet ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 22. August 2017 als offensichtlich unbegründet ab und drohte seine Abschiebung nach Ghana an. Ein Abschiebungsversuch scheiterte am Widerstand des Betroffenen.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. Februar 2019 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum 29. März 2019 an. Die nach der am 21. März 2019 erfolgten Abschiebung auf Feststellung seiner Rechtsverletzung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
3
II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
4
1. Das Beschwerdegericht meint, die Haft sei zu Recht angeordnet worden. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen; dies sei im Haftantrag auch ausreichend dargelegt worden. Das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren sei nicht verletzt.
5
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
6
a) Der Haftanordnung liegt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ein zulässiger Haftantrag zugrunde.
7
aa) Ein zulässiger Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG Ausführungen dazu enthalten, dass und auf welcher Grundlage der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist. Ergibt sich die Ausreisepflicht des Betroffenen aus einem vollziehbaren Bescheid, muss dieser Bescheid im Antrag nicht nur ausdrücklich benannt, sondern auch dargelegt werden, auf Grund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion ausgegangen wird. Hierfür genügt, wenn der Haftantrag auf die Abschlussmitteilung des Bundesamts Bezug nimmt, soweit keine Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Abschlussmitteilung vorliegen.
8
(1) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Anforderungen an die Darlegung der vollziehbaren Ausreisepflicht im Haftantrag der beteiligten Behörde ist nicht einheitlich. Während in einigen Entscheidungen verlangt wird, dass die Behörde ohne konkreten Anlass Angaben zu den Einzelheiten der Zustellung des die Ausreisepflicht begründenden Bescheids macht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2020 – XIII ZB 87/19, juris Rn. 10 f.) und die Gerichte der Wirksamkeit der Zustellung auch ohne konkrete Zweifel nachgehen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – V ZB 10/19, InfAuslR 2019, 453 Rn. 7 bis 9), werden nähere Darlegungen zur Wirksamkeit der Zustellung in anderen Entscheidungen nur verlangt, wenn Veranlassung besteht, der Frage der Zustellung nachzugehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 – V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511 Rn. 10; vom 20. Januar 2011 – V ZB 226/10, InfAuslR 2011, 202 Rn. 8, und vom 24. August 2020 – XIII ZB 83/19, juris Rn. 23).
9
(2) Die Rechtsprechung ist im Sinne der zuletzt genannten Entscheidungen zusammenzuführen.
10
Auszugehen ist davon, dass der Haftantrag den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genügt, wenn die beteiligte Behörde zu den anzusprechenden Gesichtspunkten nachvollziehbar so vorträgt, dass der Haftrichter konkrete Nachfragen stellen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2020 – XIII ZB 43/19, juris Rn. 17). Zur Darlegung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen auf Grund eines Bescheids ist es deshalb erforderlich, aber auch ausreichend, wenn die beteiligte Behörde den – richtigen – Bescheid in dem Haftantrag benennt und auf seinen Inhalt Bezug nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511 Rn. 10).
11
Entsprechendes gilt für die Darlegung zur Zustellung des Bescheids. Insoweit genügt die Bezugnahme auf die Abschlussmitteilung des Bundesamts (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 2020 – XIII ZB 83/19, juris Rn. 23). Die beteiligte Behörde kann von der Richtigkeit der Mitteilung des Bundesamts ausgehen. Sie muss auch nicht ohne Anlass der – in der Abschlussmitteilung regelmäßig offen gelassenen – Frage nachgehen, ob der Bescheid förmlich zugestellt worden ist oder nach § 10 AsylG als zugestellt gilt. Denn sie darf annehmen, dass der Betroffene nach § 10 Abs. 7 AsylG über die Auswirkungen eines nicht mitgeteilten Aufenthaltswechsels auf die Zustellung belehrt worden ist (zu den Anforderungen vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – V ZB 10/19, InfAuslR 2019, 453 Rn. 8) und deshalb entsprechend der Abschlussmitteilung des Bundesamts jedenfalls die Zustellungsfiktion nach § 10 AsylG greift. In dem Abschnitt “Belehrungen” der “Dienstanweisung Asylverfahrenssekretariat” des Bundesamts sind nämlich die Außenstellen des Bundesamts angewiesen, dem Antragsteller unter anderem eine Belehrung nach § 10 Abs. 7 AsylG in deutscher und in einer diesem verständlichen Sprache auszuhändigen.
12
Bestehen auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts hingegen Zweifel an der Zustellung oder am Eingreifen der Zustellungsfiktion, muss die beteiligte Behörde zur Zustellung bereits in ihrem Haftantrag nähere Ausführungen machen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511 Rn. 10 f.; BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2012 – 2 BvR 1064/10, juris Rn. 11 [insoweit in InfAuslR 2012, 186 nicht abgedruckt]). Es genügt dann nicht, sich auf eine Abschlussmitteilung des Bundesamts zu berufen, in der offen bleibt, ob der maßgebliche Bescheid förmlich zugestellt worden ist oder als zugestellt gilt (vgl. BVerfG, InfAuslR 2012, 186 Rn. 24).
13
bb) Gemessen daran waren die Angaben in dem Haftantrag ausreichend. Die beteiligte Behörde hat dort ausgeführt, der Bescheid sei bestandskräftig, weil er am 9. September 2017 zugestellt worden sei bzw. als zugestellt gelte. Sie hat damit auf die Ausführungen des Bundesamts in der mit dem Haftantrag vorgelegten Abschlussmitteilung Bezug genommen. Zweifel an der Richtigkeit dieser Mitteilung ergaben sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt nicht.
14
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt auch kein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) vor.
15
aa) Die an die Verpflichtung der Haftgerichte zu stellenden Anforderungen, von Amts wegen die Ausreisepflicht und, wenn sie auf einem Bescheid beruht, die Zustellung dieses Bescheids zu überprüfen, entsprechen den Darlegungsanforderungen der beteiligten Behörde. Die Haftgerichte dürfen grundsätzlich ebenfalls davon ausgehen, dass der Bescheid des Bundesamts, auf den sich die beteiligte Behörde in ihrem Haftantrag bezieht, entsprechend der Abschlussmitteilung des Bundesamts zugestellt worden ist. Nur wenn sich aus den Darlegungen der Behörde in dem Antrag, aus konkreten Einwänden des Betroffenen gegen die Richtigkeit der Abschlussmitteilung oder sonst Zweifel an deren Richtigkeit und damit an der Durchführbarkeit der Abschiebung ergeben, muss diesen von Amts wegen gemäß § 26 FamFG nachgegangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 2020 – XIII ZB 83/19, juris Rn. 23).
16
bb) Hier bestand keine Veranlassung, Ermittlungen dazu anzustellen, ob der Bescheid des Bundesamts förmlich zugestellt worden war oder “nur” als zugestellt galt. Der Betroffene hatte in seiner Beschwerde nur das Fehlen von Feststellungen hierzu, aber nicht geltend gemacht, der Bescheid sei nicht zugestellt worden oder die Zustellungsfiktion greife nicht ein. Auch aus den Darlegungen der Behörde in dem Antrag oder aus sonstigen Gründen ergaben sich keine Zweifel an der Richtigkeit der Abschlussmitteilung des Bundesamts, wonach der Bescheid am 9. September 2017 zugestellt wurde bzw. als zugestellt galt.
17
c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor.
18
aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 – V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8, und vom 12. November 2019 – XIII ZB 34/19, juris Rn. 7). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 – V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, und vom 7. April 2020 – XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7, und vom 12. November 2019 – XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).
19
bb) Das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren wurde danach nicht verletzt.
20
(1) Das Amtsgericht hielt in dem Vermerk über die Anhörung vom 12. Februar 2019 fest, dass der von dem Betroffenen genannte Rechtsanwalt über den Termin telefonisch in Kenntnis gesetzt worden sei. Dieser habe angegeben, an dem Termin nicht teilnehmen zu wollen. Er habe lediglich um Übersendung einer Abschrift des Anhörungsvermerks gebeten. Auf Veranlassung des Beschwerdegerichts hat die Amtsrichterin nach Abschluss der Instanz in der Akte ergänzend vermerkt, der Verfahrensbevollmächtigte habe keinerlei Interesse an einer Teilnahme gehabt. Er habe gänzlich auf die Teilnahme an einer Anhörung in der gegen den Betroffenen anhängigen Freiheitsentziehungssache verzichtet und habe nicht um eine Terminsverlegung nachgesucht. Auch der Betroffene habe im Rahmen der Anhörung nach einer Belehrung auf eine Teilnahme seines Verfahrensbevollmächtigten verzichtet.
21
(2) Nach dem dokumentierten Verfahrensablauf hatte der Bevollmächtigte des Betroffenen also Kenntnis von dem Termin und wurde ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht. Eine Terminsverlegung war nicht veranlasst. Das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren wurde daher nicht verletzt. Das Beschwerdegericht hat keinen Anlass gesehen, an der Richtigkeit des Anhörungsvermerks und des nachträglich ergänzend dokumentierten Verfahrens-ablaufs zu zweifeln. Hierzu sieht auch der Senat keinen Anlass.
22
(3) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, konnte das Beschwerdegericht die nachträglich angefertigte Aktennotiz der Amtsrichterin seinen Feststellungen zugrunde legen. Denn ein Anhörungsvermerk kann – von dem Ausnahmefall der nachträglichen Dokumentation eines Rechtsmittelverzichts abgesehen – auch noch nach Abschluss der Instanz berichtigt oder – wie hier – ergänzt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2020 – XIII ZB 37/19, InfAuslR 2020, 279 Rn. 14 und 18 mwN).
23
d) Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
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