Verwaltungsrecht

Interne Fluchtalternative in den größeren Städten Pakistans

Aktenzeichen  M 1 K 17.43137

Datum:
8.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26481
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 31 Abs. 1 S. 4
VwGO § 58, § 60
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. Auch Verfolgte finden in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit iSv § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann kann in den Großstädten und in anderen Landesteilen ein ausreichendes Einkommen finden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist wegen Verfristung unzulässig.
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG war die Asylklage innerhalb zweier Woche nach Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids zu erheben.
Ausweislich der in den Bundesamtsakten enthaltenen Postzustellungsurkunde wurde dem Kläger der Bescheid am 12. Mai 2017 zugestellt (Bl. 104 der Bundesamtsakte). Die gesetzliche Klageerhebungsfrist endete deshalb am Freitag, den 26. Mai 2017. Die Frist wurde in Lauf gesetzt, da der Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt (§ 58 VwGO); dem zugestellten Bescheid war gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG auch eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung:in der vom Kläger gesprochenen Sprache beigefügt (siehe Bl. 70 ff. der Bundesamtsakte).
Die vom Kläger erst am … Juni 2017 erhobene Klage ist deshalb verfristet.
Wiedereinsetzungsgründe nach § 60 VwGO liegen nicht vor. Der Einwand des Klägers, er habe den Bescheid nicht lesen können und man habe ihm gesagt, die Klagefrist betrage einen Monat, führt nicht zu einer Wiedereinsetzung. Ausweislich der Bundesamtsakte hat der Kläger mehrfach mit seiner Unterschrift den Erhalt amtlicher Schreiben bestätigt und im keinen Fall moniert, er könne die Schreiben nicht lesen. Eine Erklärung dafür, warum er im Gegensatz dazu die in seiner Sprache verfassten Bescheidsteile nach § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG nicht habe lesen könne, bleibt der Kläger schuldig. Auf die ihm angeblich erteilte falsche Auskunft zur Klagefrist kann sich der Kläger nicht berufen. Maßgeblich ist allein die vom Bundesamt zum Bescheid – zutreffend – erteilte schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung:. Für eine davon abweichende Klagefristauskunft des Bundesamtes ist nichts ersichtlich.
Im Übrigen bliebe die Klage auch in der Sache ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG, noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.
Im Klageverfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte gegenüber dem Verfahren vor dem Bundesamt ergeben. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Der Vortrag des Klägers, so er glaubwürdig sein sollte, betrifft private Probleme und hat nichts mit politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG und des § 3 AsylG zu tun. Der behaupteten Verfolgung fehlt die Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal. Es handelt sich nach dem Vortrag des Klägers der Sache nach um kriminelles Unrecht, was ihm angetan worden ist, aber nicht um politische Verfolgung. Die Banditengruppe kann auch nicht als nichtstaatlicher Akteur im Sinne des § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 3 AsylG aufgefasst werden; der Kläger hat nicht deren landesweite Bedrohensmächtigkeit erwiesen. Ebenso begründet der Vortrag keinen Anspruch auf subsidiären Schutz wegen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG.
Im Übrigen kann der Kläger den von ihm befürchteten Gefahren in seinem Heimatstaat ausweichen, § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative). Ihm wäre ein Ausweichen auf andere Landesteile Pakistans möglich, was einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG einer Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegensteht.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, das er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff.).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG finden kann.
In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht -, Stand Mai 2016, S. 21). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.254 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es nach den Erkenntnissen grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014; vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative in Pakistan VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Der Kläger kann in den Großstädten und in anderen Landesteilen als erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt, wo ihm die behaupteten Gefahren nicht drohen.
Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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