Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag einer albanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 2 S 17.48808

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3 ff., § 36 Abs. 3, Abs. 4
AufenthG AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Das Gericht ist unter Auswertung der vorhandenen einschlägigen Erkenntnismittel davon überzeugt, dass der albanische Staat grundsätzlich willens und in der Lage ist, vor Übergriffen im Rahmen von privaten Konflikten Schutz zu bieten bzw. hiergegen einzuschreiten oder solchen vorzubeugen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Lebensbedingungen sind in Albanien grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd Art. 3 EMRGK aufweisen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist albanische Staatsangehörige. Sie reiste nach Angaben ihrer Eltern als ihren gesetzlichen Vertretern mit diesen am 8. September 2017 aus Albanien aus und zwei Tage später über verschiedene europäische Länder auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.September 2017 einen Asylantrag.
Die Eltern der Antragstellerin wurden am 16. Oktober 2017 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zu dem Asylbegehren angehört. Zur Begründung des Asylantrags machten sie für die Antragstellerin keine individuellen Gründe geltend. Sie verwiesen auf die Asylgründe, die sie zur Begründung ihrer eigenen Asylanträge vorgebracht hatten, und gaben an, diese Gründe würden auch für die Antragstellerin gelten. Zur Begründung ihrer Asylanträge trugen die Eltern vor, aus Furcht vor Verfolgung aufgrund der politischen Aktivität des Bruders der Mutter der Antragstellerin nach Deutschland eingereist zu sein.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18. Oktober 2017, bekanntgegeben am 23.10.2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihr die Abschiebung nach Albanien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 23. Oktober 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie beantragt, den Bescheid des Bundesamtes vom 22. September 2017 aufzuheben sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Diese Klage, über die noch nicht entschieden ist, wird unter dem Aktenzeichen M 2 K 17.48806 geführt. Zudem beantragt sie, hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung nimmt die Antragstellerin Bezug auf ihre Angaben gegenüber dem Bundesamt.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakten elektronisch vorgelegt; sie stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 2 K 17.48806 sowie auf die die Asylanträge der Eltern betreffenden Gerichtsakten in den Verfahren M 2 K 17.44803 und M 2 S. 17.44804 sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 75 Abs. 1 AsylG ist zulässigerweise in der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben worden, hat in der Sache allerdings keinen Erfolg. Er ist unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 Grundgesetz – GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
1. Nach Art. 16a GG, § 36 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.d. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG (und sodann auch § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG) vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 40). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist zudem vom Bundesamt in seiner Entscheidung über einen Asylantrag auch festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine offensichtliche Unbegründetheit einer Asylklage dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Bundesamts für die vorliegend allein noch streitige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzes und der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten. An der Richtigkeit der Feststellungen des Bundesamtes bestehen vernünftigerweise keine Zweifel. Bei dem zur Entscheidung gestellte Sachverhalt drängt sich dem erkennenden Gericht die Abweisung des Rechtsschutzbegehrens der Antragstellerin auf.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 18. Oktober 2017 verwiesen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes festzustellen:
2.1 Für das Gericht ist offensichtlich, dass der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung von internationalem Schutz nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG nicht zusteht.
Die insoweit allein noch streitgegenständliche Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der subsidiären Schutzberechtigung als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i.S.d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht. Das Heimatland der Antragstellerin, Albanien, ist ein sicherer Herkunftsstaat in diesem Sinne (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II). Die Einstufung Albaniens als sicherer Herkunftsstaat erfolgte aufgrund des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl I S. 1722) mit Wirkung vom 24. Oktober 2015. Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – Rn. 65). Gegen die Einstufung Albaniens als sicherer Herkunftsstaat bestehen weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken.
Die Antragstellerin hat die normative Nichtverfolgungsvermutung auch nicht ansatzweise durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Die von den Eltern angegebenen Tatsachen und Beweismittel begründen nicht die Annahme, dass ihr abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
Die Eltern der Antragstellerin haben bei der Anhörung beim Bundesamt vorgetragen, ihre Furcht vor Verfolgung beruhe darauf, dass der Bruder der Antragstellerin zu 2 wegen seiner politischen Aktivität von ehemaligen Parteikollegen und von staatlichen Organen bedroht worden sei. Die vorgebrachten Asylgründe würden auch für die Antragstellerin gelten. Eine individuelle Gefahr für die Antragstellerin haben sie nicht geltend gemacht.
Der Vortrag bezüglich der Bedrohung des Bruders der Antragstellerin zu 2, der sich im Wesentlichen in vagen Angaben erschöpft, ist nicht geeignet, den angestrebten Schutz zu begründen. Eine individuelle, gegen die Antragstellerin oder gegen ihre Eltern gerichtete Verfolgungshandlung wurde nicht geltend gemacht.
§ 3c Nr. 3 AsylG, der gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes entsprechend gilt, setzt zudem bei einer von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehenden Verfolgung voraus, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu gewähren. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der albanischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nicht auszugehen. Das Gericht ist unter Auswertung der vorhandenen einschlägigen Erkenntnismittel, insbesondere des aktuellen Berichts des Auswärtigen Amtes auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 16. August 2016, davon überzeugt, dass der albanische Staat grundsätzlich willens und in der Lage ist, vor Übergriffen im Rahmen von privaten Konflikten Schutz zu bieten bzw. hiergegen einzuschreiten oder solchen vorzubeugen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin bzw. ihre Eltern bei der albanischen Polizei keinen angemessenen Schutz gegen Bedrohungen, die angeblich von ehemaligen Kollegen des Bruders der Antragstellerin zu 2 zu befürchten sind, finden könnte.
Ferner ist auch davon auszugehen, dass ganz offensichtlich – selbst bei hier nicht vorliegender substantiierter Bedrohungs-/Verfolgungslage – eine inländische Fluchtalternative bestehen würde (§ 3e AsylG). Die Antragstellerin und ihre Eltern könnten jedenfalls durch Verlegung ihres Wohnsitzes in urbane Zentren anderer Landesteile Albaniens, wo ein Leben in gewisser Anonymität möglich ist und nichtstaatliche Dritte sie mit asylrechtlich hinreichender Sicherheit gegebenenfalls nicht ausfindig machen können, eine etwaige Gefahr für Leib oder Leben abwenden. Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (vgl. Auswärtiges Amt, aaO S. 11).
Nach alledem fehlt es offenkundig an den Voraussetzungen der internationalen Schutzgewährung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG.
2.2 Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass sich für die Antragstellerin in Albanien weder mit Blick auf die dortige allgemeine wirtschaftliche, soziale und humanitäre Situation noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine im Rahmen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Abschiebungsschutz relevante Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung ergeben wird.
Allein wegen der Lebensbedingungen in Albanien vermag sich die Antragstellerin weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse ist nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten, sodass auch nur dann die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sein können (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff.).
Das Gericht geht insbesondere im Lichte des vorgenannten aktuellen Berichts des Auswärtigen Amtes vom 16. August 2016, nicht davon aus, dass der Antragstellerin in Albanien eine Existenzgrundlage gänzlich fehlen wird und sie dort im Sinne eines außergewöhnlichen Einzelfalls eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erwarten müssen. Die Lebensbedingungen sind in Albanien grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRGK aufweisen (vgl. aktuell z.B. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375). Die asylrechtlich sehr hohen Voraussetzungen, unter denen eine wirtschaftlich schlechte Lage im besonderen Einzelfall ausnahmsweise zu einem nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot führen kann, sind im Fall der Antragstellerin zur Überzeugung des Gerichts offenkundig nicht erfüllt.
Nach alledem kann sich die Antragstellerin mit Erfolg weder auf die Gewährung internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG noch auf die Feststellung von nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG berufen. Vor diesem Hintergrund sind die nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung und die dazu gesetzte einwöchige Ausreisefrist nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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