Zivil- und Zivilprozessrecht

Gewährleistungsansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Pferdes

Aktenzeichen  3 U 3421/16

Datum:
26.1.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 616
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 476, § 477

 

Leitsatz

1 Die in § 476 BGB aF geregelte Beweislastumkehr (nunmehr § 477 BGB) ist auch auf den Verkauf von Tieren anwendbar. Die darin enthaltene Vermutung, muss vom Verkäufer nicht nur erschüttert, sondern im Sinne von § 292 ZPO widerlegt werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Vermutung des § 476 BGB aF greift schon dann, wenn der mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Der Käufer muss insbesondere weder darlegen noch beweisen, auf welcher Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt. Der Käufer muss auch nicht nachweisen, dass ein nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel eine Ursache in einem latenten Mangel hat (ebenso BGH BeckRS 2016, 19359). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 O 4566/12 2016-07-22 Grund- und Teil-Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Grund- und Teilendurteil des Landgerichts Traunstein vom 22.07.2016 wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Klägerin ihrerseits Sicherheit leistet in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages. Das in Ziffer 1 genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 25.562,18 € festgesetzt.

Gründe

(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO)
Die zulässige Berufung erweist sich im Ergebnis als unbegründet.
Der Senat macht sich die Entscheidungsgründe des Erstgerichts nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen zu eigen.
Die Berufung enthält der Sache nach zwei Rügen. Zum einen wird die Voreingenommenheit des erkennenden Einzelrichters am Landgericht unter Hinweis auf die Tatsache, dass die Klägerin bis Dezember 2012 als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft in Traunstein tätig war, geltend gemacht (Dazu unter A). Zum andern wird die Einholung eines Obergutachtens gefordert, weil die Annahme des Erstgerichts, das Pferd habe bei Gefahrübergang bereits einen Mangel in Form einer Fissur aufgewiesen, unzutreffend sei (Dazu unter B).
A. Zur Frage der Voreingenommenheit
In formaler Hinsicht stellt der Senat zum Hinweis des Beklagten darauf, dass ein kollegiales Verhältnis zwischen der Klägerin und dem erkennenden Richter bestanden hat, das eine sonderbare Verfahrensgestaltung durch das Erstgericht erkläre, folgendes fest: Ein gesetzlicher Ausschlussgrund im Sinne von § 41 ZPO liegt nicht vor und wäre nicht einmal dann gegeben, wenn die Klägerin am Landgericht Traunstein als Richterin tätig gewesen wäre. Letzteres ist rechtspolitisch durchaus kritikwürdig, da zumal in den überschaubaren Verhältnissen, wie sie am Landgericht Traunstein bestehen, kaum vorstellbar ist, dass ein solches kollegiales Näheverhältnis nicht die Besorgnis der Voreingenommenheit begründen könnte. Der Gesetzgeber vertraut insoweit auf die Bestimmungen in § 42 ZPO und § 48 ZPO. Der Beklagte wusste um das hier von ihm monierte, aufgrund der organisatorischen Trennung von Staatsanwaltschaft und Gericht (entgegen der Formulierung in der Berufungsbegründung gibt es eine Staatsanwaltschaft beim Landgericht schon geraume Zeit in Bayern nicht mehr) ohnehin nicht so deutlich ausgeprägte Näheverhältnis. Dies ergibt sich schon aus dem Vorbringen der Berufungsbegründung, wonach er sich in einem Schreiben an den Präsidenten des Landgerichts gewandt haben will, um dieses Näheverhältnis zu monieren. Vor dem Hintergrund, dass der zunächst zuständige Einzelrichter von der Möglichkeit des § 48 ZPO Gebrauch gemacht hat und dessen Selbstablehnung vom Landgericht mit Beschluss vom 30.01.2013 (Bl. 28/30) für begründet erachtet wurde, geht der Senat davon aus, dass der Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte, Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit des erkennenden Einzelrichters in erster Instanz verfahrensordnungskonform im Wege eines Ablehnungsgesuchs nach § 44 ZPO vorzubringen. Das ist nach Aktenlage nicht geschehen. Das Schreiben an den Präsidenten des Landgerichts, das sich nicht bei der Akte befindet, lässt sich vom Senat nicht darauf hin prüfen, ob es den Anforderungen des § 44 ZPO genügt hätte. Namentlich ergibt sich aus der Berufungsbegründung nicht, dass dieses Schreiben als Ablehnungsgesuch auszulegen und damit vom Landgerichtspräsidenten zuständigkeitshalber dem zuständigen Richter zuzuleiten gewesen wäre. Auch der in der Berufungsbegründung angesprochene Schriftsatz des Beklagten vom 07.11.2014 (Bl. 200/205 lässt sich nicht als Ablehnungsgesuch im Sinne von§ 44 ZPO deuten, da dort zwar „die Frage, ob die zu Beginn des Verfahrens vermutete Befangenheit des Landgerichts Traunstein sich nicht doch möglicherweise manifestiert hat“, aufgeworfen wurde. Ein Antrag auf Ablehnung des erkennenden Einzelrichters war damit jedoch ersichtlich nicht verbunden, zumal nicht dieser, sondern das „Landgericht Traunstein“ als möglicherweise befangen apostrophiert wurde und es auch an der für ein Ablehnungsgesuch erforderlichen Glaubhaftmachung des Vorbringens fehlt. Bei einem Anwaltsschriftsatz kommt eine korrigierende Auslegung eines Vorbringens in einen in dieser Form ersichtlich unzulässigen Antrag auch nicht in Betracht. Im Hinblick darauf, dass der anwaltlich vertretene Beklagte auch nicht moniert hat, dass der Schriftsatz vom 07.11.2014 nicht als Ablehnungsgesuch gewertet und auch nicht das sich darauf aufbauende Verfahren nach § 45 ZPO durchgeführt wurde, ist davon auszugehen, dass der Beklagte, der weiterhin die Verhandlungen führte und Anträge stellte, gemäß § 43 ZPO sein Ablehnungsrecht insoweit verloren hat.
B. Zur Frage des Mangels des Pferdes
Im Ergebnis zutreffend ging das Landgericht davon aus, dass der Klägerin kaufrechtliche Gewährleistungsrechte nach §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 Abs. 5 BGB i.V.m. § 476 a.F. BGB zustehen und sie damit wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten konnte.
1) Nach den vom Landgericht getroffenen und mit der Berufungsbegründung nicht angegriffenen Feststellungen hat der Tierarzt Dr. A. bei einer Untersuchung des Pferdes am 05.06.2.2012 und damit weniger als sechs Monate nach Gefahrübergang eine gering- bis mittelgradige Lahmheit des rechten Vorderlaufs des Pferdes festgestellt. Auch gegen die Annahme des Landgerichts, es liege ein Verbrauchsgüterkauf im Sinne von § 476 a.F. BGB vor, werden von der Berufung in tatsächlicher Hinsicht keine Einwendungen erhoben. Allgemein anerkannt ist mittlerweile auch, dass die Bestimmung des § 476 a.F. BGB auch auf den Verkauf von Tieren anwendbar ist (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 29.03.2006, VIII ZR 173/05, NJW 2006, 2250ff., hier Rz. 23, S. 2252 unter Verweis auf § 90 a Satz 3 BGB). Ebenfalls allgemein anerkannt ist mittlerweile, dass die Vermutung nach § 476 a.F. BGB vom Verkäufer nicht nur erschüttert, sondern im Sinne von § 292 ZPO widerlegt werden muss, wenn er die Rechtsfolgen des § 476 a.F. BGB abwenden will (wiederum grundlegend BGH aaO. Rz 31, S. 2253). Anderes würde nur dann gelten, wenn die Vermutung des § 476 a.F. BGB mit dem Mangel seiner Art nach unvereinbar wäre. Das ist aber, insoweit besteht zwischen den drei veterinärmedizinischen Sachverständigen kein Dissens, nicht anzunehmen, weil es möglich ist, dass bei einem Pferd eine Lahmheit auftritt, deren Ursache bereits sechs Monate zuvor gesetzt wurde.
2) Der Senat ist zwar mit der Berufungsbegründung der Auffassung, dass die landgerichtlichen Feststellungen zur Frage, ob im konkreten Fall die bei dem Pferd aufgetretene Lahmheit ihre Ursache in krankhaften Prozessen hatte, die bereits bei Gefahrübergang vorgelegen haben, vor dem Hintergrund der divergierenden Äußerungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen einerseits und des Privatgutachters andererseits einer weiteren Überprüfung durch einen Obergutachter bedurft hätten. Dieses Obergutachten hat der Senat deshalb erholt, wobei bereits zuvor klar gestellt worden war, dass dem Beklagten die Beweislast dafür obliegt, dass zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs die organische Ursache für die später aufgetretene Lahmheit noch nicht vorgelegen hat.
3) Der Bundesgerichtshof hat zwar in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, der Käufer, der die Rechtsfolge des § 476 a.F. BGB in Anspruch nehmen will, müsse nicht nur dartun, dass innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein Mangel aufgetreten ist, sondern auch, dass dieser Mangel latent schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat (z.B. BGHZ 159, 215, 218; BGH, NJW 2005, 3490, BGH, NJW 2006, 434ff.), die Vermutung des § 476 a.F. BGB erstrecke sich nicht auf die Ursachen für einen später auftretenden Mangel und sei dann unanwendbar, wenn mehrere Ursachen, von denen eine auch erst später gesetzt sein kann, für den später auftretenden Mangel in Betracht kommen.
Mit seiner Entscheidung vom 12.10.2016 (VIII ZR 103/15; BGHZ 212, 224ff.) hat er diese den Anwendungsbereich des § 476 BGB einschränkende Auslegung aber, einer Entscheidung des EuGH (Urteil vom 04.06.2015, C-497/13 – Faber) folgend, aufgegeben und klargestellt, dass die Vermutung des § 476 BGB schon dann greift, wenn der mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Der Käufer muss insbesondere weder darlegen noch beweisen, auf welcher Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt (BGH, aaO. bei JURIS Rz. 36).Der Käufer muss auch nicht nachweisen, dass ein nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangels eine Ursache in einem latenten Mangel hat (BGH aaO. bei JURIS Rz.46).
4) Daraus folgt, dass der Beklagte als Verkäufer im vorliegenden Fall darlegen und beweisen müsste, dass die beim streitgegenständlichen Pferd innerhalb von sechs Monaten aufgetretene Lahmheit ihre Ursache nicht in einem Zustand hat, der schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat.
Diesen Beweis konnte der Beklagte nicht führen.
Der vom Senat bestellte Sachverständige hat zwar in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise dargestellt und erläutert, warum die Feststellungen des vom Erstgericht beauftragten Sachverständigen L. einer kritischen Beurteilung nicht standhalten. Er kam aber seinerseits lediglich zu der Aussage, dass mit überwiegender bis hoher Wahrscheinlichkeit die hochgradigen Veränderungen proximal dorsomedial am Fesselgelenk des rechten Vordergliedmaßes einschließlich der hochgradigen Arthrose des Fesselgelenks vorne rechts nicht bereits auf die bei der Ankaufsuntersuchung am 29.11.2011 erhobenen Befunde zurückzuführen sind. Die von ihm verwendete Formulierung „mit überwiegender bis hoher Wahrscheinlichkeit erläuterte der Sachverständige im Rahmen seiner mündlichen Anhörung durch den Senat dahingehend, dass er sich der in der Rechtsmedizin als Spezialgebiet der Humanmedizin entwickelten und auf Ponsolt zurückgehenden Terminologie bedient habe, wonach unter überwiegender Wahrscheinlichkeit eine solche von über 70% und unter hoher Wahrscheinlichkeit eine solche von über 80% zu verstehen sei. Er verwies im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung auch mit den Äußerungen des vom Beklagten hinzugezogenen Privatgutachters darauf, dass dieser zunächst von einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ dafür, dass die Ursachen der Lahmheit nicht schon bei der Ankaufsuntersuchung vorgelegen haben, gesprochen habe, an anderer Stelle aber zum Ausdruck gebracht habe, dass andere Ursachen sehr viel wahrscheinlicher die dorsalen Veränderungen erklären würden.
Der Senat verkennt nicht, dass es ihm im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung obliegt, zu beurteilen, ob dem Beklagten der Beweis für die Nichtursächlichkeit eines Zustandes des Pferdes bei Gefahrübergang für die später aufgetretene Lahmheit gelungen ist oder nicht. Dabei sind von den Sachverständigen angegebene Prozentsätze zur Erläuterung ihrer Einschätzung nicht mathematisch aufzufassen und gleichsam eins zu eins zu übernehmen, sondern liefern nur eine Orientierung für die richterlich zu verantwortende Beweiswürdigung. Gleichwohl gelangt der Senat zum Ergebnis, dass der Beklagte hier den ihm obliegenden Beweis nicht führen konnte. Dass bei Tieren als lebenden Organismen eine retrospektive Feststellung organischer Zustände mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ – was terminologisch einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99% entsprechen würde – nicht möglich ist, besagt daher noch nicht, dass einem Tierverkäufer ein solcher Nachweis grundsätzlich nicht möglich ist. Aber bei der vom Sachverständigen hier vorgenommenen Beurteilung, die eindeutig zum Ausdruck bringt, dass er nicht ausschließen kann, dass der Mangel nicht seine Ursache in Umständen bzw. Zuständen findet, die schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben und die dafür sprechende Wahrscheinlichkeit bei über 20% ansiedelt, müssten weitere belastbare und wesentliche Indizien hinzukommen, um eine richterliche Überzeugungsbildung im Sinne des Beklagten zu ermöglichen. Solche sieht der Senat nicht. Dass zwischen der Ankaufuntersuchung und dem Gefahrübergang nochmals mehr als zwei Wochen vergingen, spielt danach keine Rolle. Die mit Schriftsatz vom 28.10.216 vom Beklagten angebotenen Zeugen, die bekunden sollten, dass sich das Pferd in der Zeit zwischen Ankaufuntersuchung und Übergabe keine Verletzungen zugezogen hat, waren daher nicht zu vernehmen, weil deren Bekundungen analog § 244 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. StPO für die Entscheidungsfindung ohne Bedeutung sind.
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenz dieser Sichtweise sein dürfte, dass der Aussagegehalt von tierärztlichen Ankaufsuntersuchungen, die sich namentlich im Bereich des Pferdehandels etabliert haben, gemindert wird und die gewerbliche Veräußerung von lebenden Tieren an Verbraucher mit zusätzlichen Risiken belastet wird. Untermauert wird dies auch dadurch, dass die Kommentierung zu § 476 a.F. BGB, jetzt § 477 BGB eine Vielzahl obergerichtlicher Entscheidungen zu Tierkäufen abhandelt. Aber abgesehen davon, dass die rechtspolitische Grundentscheidung, die diesbezüglich mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie getroffen wurde, von den Zivilgerichten hinzunehmen ist, darf die Beweiswürdigung von solchen Erwägungen nicht beeinflusst werden.
C. Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
D. Vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO i.V.m. § 711 ZPO.
E. Revisionszulassung
Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen ist, liegen im Hinblick auf die vom Senat seiner Entscheidung zugrunde gelegte Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2016 (VIII ZR 103/15 = BGHZ212, 224ff.) nicht vor.
F. Streitwert
Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO bestimmt, wobei die vorgerichtlichen Anwaltskosten als Nebenforderung gemäß § 4 ZPO nicht streitwerterhöhend berücksichtigt wurden.

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