Steuerrecht

Änderung von Antrags- und Wahlrechten

Aktenzeichen  III R 12/17

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2018:U.260418.IIIR12.17.0
Normen:
§ 157 Abs 2 AO
§ 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO
§ 351 Abs 1 AO
§ 24 Nr 2 EStG 2002
§ 15 EStG 2002
§ 16 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2002
§ 34 Abs 3 EStG 2002
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. NV: Wird ein Mitunternehmeranteil gegen eine Leibrente veräußert, so hat der Steuerpflichtige die Wahl zwischen der sofortigen Versteuerung eines Veräußerungsgewinns nach den §§ 16, 34 EStG und einer nicht tarifbegünstigten Besteuerung der nachträglichen Betriebseinnahmen im Jahr des Zuflusses.
2. NV: Das Wahlrecht besteht auch dann, wenn der Mitunternehmeranteil gegen wiederkehrende Bezüge und ein festes Entgelt veräußert wird. Es gilt auch für wiederkehrende Leistungen, die von dritter Seite im Zusammenhang mit der Veräußerung erbracht werden (z.B. Versicherungsgesellschaft) .
3. NV: Das Wahlrecht kann auch noch im Einspruchsverfahren gegen einen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten steuererhöhenden Bescheid ausgeübt werden .
4. NV: Die durch die Änderung des Wahlrechts bewirkte Anpassung muss sich im Änderungsrahmen des § 351 AO halten, setzt aber nicht voraus, dass der Steuerpflichtige die zusätzlich durch die Änderung eingetretene Beschwer nur angreifen kann, wenn die Änderung auf einem erstmals erfassten neuen Sachverhalt beruht .

Verfahrensgang

vorgehend FG München, 16. März 2017, Az: 10 K 2391/16, Urteil

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 16. März 2017  10 K 2391/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist, ob im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen einen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid das Wahlrecht zur laufenden Besteuerung von Veräußerungsrenten neu ausgeübt werden kann.
2
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) veräußerte mit Vertrag vom 8. April 2002 zum 1. Januar 2002 seinen Kommanditanteil an der W-KG. Als vorläufiger Kaufpreis war ein Betrag von 536.800 € vereinbart; dieser Kaufpreis unterlag bestimmten Anpassungsregelungen. Der Erwerber sollte in Höhe des Kaufpreises in mehreren Tranchen Einmalbeiträge in Rentenversicherungen gemäß den dem Vertrag beigefügten Versicherungsangeboten zahlen. Die Parteien waren sich einig, dass ausschließlich in Höhe und im Umfang der aus diesen jeweiligen Rückdeckungsversicherungen dem Veräußerer als “versicherte Person” zufließenden Zahlungen (Rentenzahlungen/Einmalzahlungen im Todesfall etc.) seitens des Erwerbers eine Rentenzusage erteilt wurde. Der Erwerber durfte die Rentenversicherungen nur mit Zustimmung des Klägers kündigen (Zusatzvereinbarung zum Veräußerungsvertrag).
3
Nach dem Inhalt der vom Erwerber über Einmalbeiträge von insgesamt 161.000 € abgeschlossenen Rentenversicherungsverträge waren jeweils Versicherungsnehmer der Erwerber, versicherte Person der Kläger und bezugsberechtigt, solange die versicherte Person lebt, unwiderruflich der Kläger und bei Tod der versicherten Person die Klägerin (Ehefrau des Klägers) und Revisionsbeklagte (Klägerin).
4
Eine Änderung des Bezugsrechts war möglich, solange der Versicherungsfall noch nicht eingetreten war. Der Versicherungsnehmer konnte das Bezugsrecht im Erlebensfall außerdem nur mit Zustimmung des unwiderruflich Begünstigten ändern.
5
Als Leistungen waren jeweils vorgesehen:
1.  
Beitragsrückzahlung bei Tod vor dem 1. Mai 2010;
2.  
Monatliche Garantierente bei Erleben des 1. Mai 2010;
3.  
Todesfallleistung ab Rentenbeginn bis 30. April 2028: 18fache jährliche ab Rentenbeginn garantierte Rente abzüglich bereits gezahlter, ab Rentenbeginn garantierter Renten.
6
Mit Vergleichsvertrag vom 25. Mai 2007 wurde der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis für den Kommanditanteil vorbehaltlich weiterer Anpassungen auf 943.816 € erhöht. Über die vom Erwerber geleistete Tranche von 161.000 € hinaus sollten keine weiteren Zahlungen in eine Rückdeckungsversicherung erfolgen; weitere Kaufpreiszahlungen oder Kaufpreisanpassungszahlungen sollten unmittelbar an den Veräußerer in Geld geleistet werden. Endgültig wurde die Kaufpreisabrechnung erst nach einem Schiedsgutachten vom 12. September 2013 geregelt.
7
Der Beginn der Rentenzahlungen erfolgte abweichend von den Versicherungsscheinen erstmals im Kalenderjahr 2015.
8
In ihrer Einkommensteuererklärung für 2002 vom 27. Mai 2004 erklärten die Kläger u.a. Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 348.149 €. Sie machten dabei von dem Wahlrecht auf eine Besteuerung nach Zufluss keinen Gebrauch. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) setzte mit Bescheid vom 2. Juli 2004 die Einkommensteuer 2002 auf 1.810 € fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
9
Mit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändertem Bescheid vom 4. März 2010 wurde die Einkommensteuer 2002 auf 0 € herabgesetzt. Dabei legte das FA –aufgrund einer Mitteilung über den geänderten Feststellungsbescheid– einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 237.627 € zugrunde.
10
Mit weiterem gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid vom 23. Dezember 2015 erhöhte das FA die Einkommensteuer 2002 auf 95.448 €. Dabei legte das FA –aufgrund einer Mitteilung über den geänderten Feststellungsbescheid– Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 660.100 € zugrunde. Auf das zu versteuernde Einkommen wandte das FA den ermäßigten Tarif nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) an. In dem festgestellten Veräußerungsgewinn (660.100 €) war der auf die Rentenversicherungen entfallende Kaufpreisanteil in Höhe eines Betrags von 161.000 € enthalten.
11
Dagegen legten die Kläger Einspruch ein und beantragten u.a. für den Teil des Veräußerungsentgelts in Höhe von 161.000 €, der auf die abgeschlossenen Rentenversicherungen entfiel, die Besteuerung im jeweiligen Jahr des Zuflusses.
12
Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 11. August 2016). Das FA vertrat die Auffassung, der Steuerpflichtige könne das Wahlrecht grundsätzlich nur bis zur formellen Bestandskraft der Veranlagung ausüben oder widerrufen.
13
Die anschließende Klage hatte mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 997 veröffentlichten Gründen Erfolg.
14
Mit seiner Revision macht das FA die Verletzung der §§ 15, 16 und § 24 Nr. 2 EStG geltend. Es fehle schon an einer Veräußerung des Kommanditanteils gegen wiederkehrende Bezüge. Nicht der Erwerber, sondern allein der Versicherer sei zur Zahlung einer lebenslangen monatlichen Garantierente verpflichtet. Der Erwerber habe seine vertragliche Rentenverpflichtung unmittelbar durch Einzahlung eines Einmalbetrages zu Gunsten des Klägers abschließend erfüllt. Letztlich stelle sich der Fall so dar, als wenn der Kläger den Kaufpreis unmittelbar erhalten und davon einen Teilbetrag als Einmalzahlung für eine von ihm abgeschlossene Rentenversicherung verwendet hätte (Hinweis auf Finanzgericht –FG– Köln, Urteil vom 22. Oktober 2012  7 K 2576/08, EFG 2013, 616). Darüber hinaus solle das Wahlrecht des Veräußerers nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verhindern, dass Gewinne versteuert würden, die der Veräußerer tatsächlich nicht erzielt habe. Diese Interessenlage sei im Streitfall nicht gegeben. Auch sei im Änderungsbescheid nicht erstmalig ein weiterer steuererheblicher Sachverhalt erfasst worden. Denn nach den Feststellungen des FG waren die Höhe und die Zusammensetzung des Veräußerungspreises von Anfang an zwischen dem Kläger und dem Erwerber umstritten und seien erst durch ein Schiedsgutachten geregelt worden.
15
Das FA beantragt,das Urteil des FG München vom 16. März 2017  10 K 2391/16 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
16
Die Kläger beantragen,die Revision zurückzuweisen.
17
Sie sind der Ansicht, dass ein dem Urteil des FG Köln in EFG 2013, 616 vergleichbarer Sachverhalt nicht vorliege. Im Unterschied zu dem dort entschiedenen Fall sei im Streitfall schon im Kaufvertrag vom 8. April 2002 der Erwerber des Kommanditanteils zu einer Rentenzahlung als Gegenleistung verpflichtet worden. Entgegen der Auffassung des FA liege auch ein klassischer Fall einer Versorgungsrente vor. Bei Versorgungswerken sei es auch üblich, der Witwe einen Anspruch einzuräumen. Es verbleibe aber das Risiko des Vorversterbens oder gleichzeitigen Versterbens der Ehefrau. Zudem liege nach Auffassung der Kläger ein “weiterer” steuererheblicher Sachverhalt im geänderten Steuerbescheid in Höhe des deutlich erhöhten Veräußerungsgewinns vor, der es erstmals notwendig mache, sich mit der Ausübung des Wahlrechts zu befassen.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen