Aktenzeichen W 6 K 19.1557
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, denn der angefochtene Bescheid des Landratsamtes S2. vom 29. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Der Bescheid vom 29. Oktober 2019 ist formell rechtmäßig, insbesondere wurde die Klägerin zuvor gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört. Ausweislich des Schreibens des Landratsamts vom 27. September 2019 wurde gegenüber der Klägerin ausgeführt, dass aufgrund der bestehenden Steuerschulden ihre Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben sei und unter Anwendung von § 35 Abs. 1 GewO beabsichtigt sei, ihr die Ausübung jeglicher selbstständiger Tätigkeit zu untersagen. Eine Anhörung hinsichtlich der angedrohten Zwangsmittel ist gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG entbehrlich. Eine Stellungnahme der Klägerin hierauf erfolgte nicht. Darüber hinaus wurde auch der zuständigen Industrie- und Handelskammer Gelegenheit zur Äußerung gegeben (§ 35 Abs. 4 Satz 1 GewO).
2. Der angefochtene Bescheid ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch materiell rechtmäßig.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheiderlasses (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80).
2.1. Das Landratsamt hat die Untersagung des ausgeübten Gewerbes „Kabelnetzleitungsbau“ rechtmäßig auf § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gestützt. Danach kann die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise untersagt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder der mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Die Klägerin, eine GmbH, ist als juristische Person des privaten Rechts selbst Gewerbetreibende, nicht etwa deren Gesellschafter und Geschäftsführer (allgemeine Meinung, z.B. BVerwG, U.v. 30.9.1976, GewA 1977, 14 und B.v. 16.12.1992, GewA 1993, 156 = NJW 1993, 1346; Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 94). Bei der Beurteilung der Unzuverlässigkeit einer juristischen Person ist auf das Verhalten (Tun, Dulden, Unterlassen) der gesetzlich vertretungsberechtigten Personen abzustellen (Heß in Friauf, § 35 Rn. 110), d. h. bei einer GmbH auf den Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Die Unzuverlässigkeit ist dann aber der juristischen Person als eigene zuzurechnen (Ennuschat, a.a.O., Rn. 95), sodass die juristische Person verantwortlich für unzuverlässiges Handeln ihrer Vertretungsberechtigten ist.
Von einer Unzuverlässigkeit im oben genannten Sinne ist auszugehen, wenn der Vertretungsberechtigte nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er seine Tätigkeit künftig ordnungsgemäß ausführen wird (ständige Rechtsprechung, z. B. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80). Nicht ordnungsgemäß ist die Gewerbeausübung durch eine Person, die nicht willens oder nicht in der Lage ist, die im öffentlichen Interesse zu fordernde einwandfreie Führung ihres Gewerbes zu gewährleisten (Marcks in Landmann/Rohmer GewO, 84. EL Februar 2020, GewO § 35 Rn. 29 m.w.N.). Bei der Unzuverlässigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der final- und zweckorientiert ist. Die Unzuverlässigkeit muss sich, wie in § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausdrücklich erwähnt, aus feststehenden Tatsachen ergeben. Die – in der Vergangenheit eingetretenen – Tatsachen hat die Behörde daraufhin zu beurteilen, ob sie auf eine Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in der Zukunft schließen lassen, d.h., ob sie die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun (Marcks, a.a.O., Rn. 31). Es ist annerkannt, dass Steuerschulden auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden schließen lassen. Bei Steuerschulden handelt es sich um Schulden gegenüber der öffentlichen Hand und auch deren Vermögen unterliegt dem Schutz des § 35 GewO, sodass nicht unerhebliche Steuerrückstände die Unzuverlässigkeit begründen können (Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, 9. Aufl. 2020, GewO, § 35 Rn. 51). Welcher Art die Steuerschulden sind, ist belanglos, sie müssen nur gewerbebezogen sein. Aber auch wenn Steuerschulden bestehen, berechtigt die Verletzung steuerlicher Pflichten als solche nicht in jedem Fall die Annahme der Unzuverlässigkeit. Es müssen auch in Zukunft gleiche Verstöße des Gewerbetreibenden zu befürchten und es muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Das Verhalten des Gewerbetreibenden muss auf einen eingewurzelten Hang zur Missachtung der ihm obliegenden steuerlichen Verpflichtungen schließen lassen, es muss sich um nachhaltige, dauernde Verletzungen handeln (Marcks in Landmann/Rohmer GewO, 84. EL Februar 2020, GewO § 35 Rn. 52a).
Hier bestanden im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses unstrittig gewerbebezogene Steuerschulden in erheblicher Höhe. Nach der Mitteilung des Finanzamts S2. vom 22. August 2019 schuldete die Klägerin Lohn- und Umsatzsteuer (inkl. Säumnis- und Verspätungszuschläge) i.H.v. 20.780,84 EUR. Ausweislich dieser Mitteilung bestehen die Zahlungsprobleme seit September 2018, da die Klägerin nie ihre Steuerschulden bezahlt und diese stets im Wege von Vollstreckungsmaßnahmen (z.B. Bankpfändungen) beglichen werden müssen. Darüber hinaus bestanden bei der Gemeinde …, wo die Klägerin ihren Betriebssitz hat, Gewerbesteuerschulden (inkl. Mahnungs- und Säumniszuschläge) i.H.v. 44.880,96 EUR. Diese Schulden sind seit Gründung der Klägerin im Jahr 2016 aufgelaufen. Steuerrückstände fallen umso mehr ins Gewicht, je länger sich der Gewerbetreibende als nicht fähig oder nicht willens erweist, seine steuerlichen Pflichten zu erfüllen (Marcks in Landmann/Rohmer GewO, 84. EL Februar 2020, GewO § 35 Rn. 52a). Das Verhalten der Klägerin bzw. deren alleinvertretungsberechtigtem Geschäftsführer lässt hinsichtlich der festgestellten gewerbebezogenen Steuerschulden, welche im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses mit einer Höhe von insgesamt 65.6361,80 EUR von besonderem Gewicht sind, auf eine hartnäckige Verweigerungshaltung bezüglich der Begleichung von Steuerschulden erkennen. Bei der vorliegenden Nichtbegleichung handelt es sich gerade nicht um einen kurzzeitigen Ausnahmezustand, sondern um den Regelfall. Die Klägerin bezahlt seit September 2018 ihre Schulden gegenüber dem Finanzamt S2. nicht, sondern lässt es stets auf Vollstreckungsmaßnahmen ankommen, sodass ein Zahlungswille seit geraumer Zeit offenkundig nicht besteht. Bei der Gemeinde … hat die Klägerin seit ihrer Gründung zu keinem Zeitpunkt ihre Gewerbesteuer entrichtet.
Dass zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses zutreffend von einer negativen Prognose ausgegangen wurde, wird durch die Mitteilung des Finanzamts S2. vom 5. März 2020 bestätigt. Danach sind die Schulden i.H.v. 20.780,84 EUR zwischenzeitlich zwar getilgt, was jedoch ausschließlich durch Bankpfändungen geschah; zudem hat sich seitdem erneut ein weiterer Schuldenstand i.H.v. 8.791,82 EUR aufgebaut. Es mangelt aus Sicht des Finanzamts am Zahlungswillen der Klägerin, bis auf einen Antrag auf Ratenzahlung vom 13. September 2018 wurde keinerlei Kontakt zum Finanzamt bezüglich der Tilgung der Rückstände aufgenommen und es ist keinerlei Bemühen ersichtlich, die Steuern pünktlich zur Fälligkeit zu zahlen. Die Steuerrückstände gegenüber der Gemeinde … sind bis zum 1. Quartal 2020 während des laufenden Gerichtsverfahrens ausweislich deren Forderungsaufstellung auf 56.027,87 EUR angewachsen. Die negative Prognose wird damit bestätigt.
An der festgestellten Unzuverlässigkeit vermögen die Einwände des Bevollmächtigten der Klägerin nichts zu ändern. Die Klägerin begleicht weiterhin ihre Steuerschulden nicht und unternimmt offenkundig nichts, um ein Nichtentstehen neuer Steuerschulden nicht erwarten zu lassen.
Soweit angeführt wird, dass die Steuerbescheide der Klägerin mangels Zustellung nicht bekannt gegeben worden und die Steuerschulden damit schon nicht entstanden seien, verfängt dies nicht. Die Gewerbesteuerbescheide der Gemeinde … wurden ordnungsgemäß an den mit umfassender Empfangsvollmacht legitimierten Steuerberater der Klägerin übersandt. Einen Widerruf der Empfangsvollmacht gegenüber der Gemeinde hat die Klägerin zwar im gerichtlichen Verfahren behauptet, aber nicht dargelegt. Nachdem die Vollmacht des beauftragten Steuerberaters vom 1. Juli 2016, welche der Gemeinde … vorliegt, ausdrücklich vorsieht, dass dem Steuerberater Mitteilungen jedweder Art bis zum ausdrücklichen Widerruf der Vollmacht zu übersenden sind, wäre ein solcher Widerruf vorzulegen gewesen. Die Gewerbesteuer wurde damit ordnungsgemäß bekannt gemacht.
Insoweit gegenüber dem Finanzamt S2. am 8. November 2018 ein Teilwiderruf der Empfangsvollmacht erklärt wurde („… Zustellungsmitteilung zur Zahlung der Steuern…“), erfasst dies ausschließlich die Empfangsvollmacht für den Erhebungsbereich, nicht aber den Festsetzungsbereich der Steuern. Damit hat der beauftragte Steuerberater der Klägerin gegenüber dem Finanzamt weiterhin das Mandat für den Festsetzungsbereich, sodass ihm ordnungsgemäß (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO) alle Steuerfestsetzungen zugesandt wurden und werden, was deren Bekanntgabe bewirkt (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 2 AO). Lediglich die Zahlungsaufforderungen, Mitteilung des Schuldenstands u.Ä. werden direkt an die GmbH versandt. Daher ist auch die Einlassung des Geschäftsführers der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, er bekomme nicht mit, dass Schulden der Klägerin zwangsweise beigetrieben werden sollen, nicht nachvollziehbar. Gegen diese nunmehr zweijährige Praxis haben im Übrigen bis zum heutigen Tag weder die Klägerin noch ihr Steuerberater Einwände erhoben, sodass ein Missverständnis hinsichtlich der Festsetzungsbescheide ausscheidet. Auch ist unerheblich, dass die Steuerfestsetzungen teilweise auf Schätzungen basieren, denn für die Annahme der Unzuverlässigkeit maßgebliche Steuerrückstände sind auch nicht gezahlte Steuern, die der Steuerschuldner von Rechts wegen bereits hätte zahlen müssen.
Ein milderes Mittel, wie z.B. eine Teiluntersagung mit dem Inhalt, dass die unzuverlässige Person von der Vertretung auszuschließen ist, ist vorliegend nicht zielführend, da die Klägerin von einem einzigen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer geleitet wird.
2.2. Darüber hinaus ist auch die in Nr. 1 des Bescheids angeordnete Untersagung jeglicher weiterer gewerblicher Tätigkeit der Klägerin, also die erweiterte Gewerbeuntersagung, rechtmäßig.
Die Voraussetzungen für eine erweiterte Gewerbeuntersagung sind gegeben, wenn von dem betreffenden Gewerbetreibenden ein Ausweichen in andere gewerbliche Tätigkeiten zu erwarten ist (vgl. BVerwG, U.v. 2.12.1982 – 1 C 94/78). Die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung folgt dabei schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festhält. Denn durch sein Festhalten an dem tatsächlich ausgeübten Gewerbe hat er regelmäßig seinen Willen bekundet, sich auf jeden Fall irgendwie gewerblich zu betätigen (vgl. BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 22 B 09.2785). Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist deshalb unter dem Gesichtspunkt einer wahrscheinlichen anderweitigen Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende ein anderes Gewerbe in Zukunft ausübt. Ist der Gewerbetreibende gewerbeübergreifend unzuverlässig und ist die Untersagung erforderlich, so steht der Ausschluss dieses Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 GG in Einklang (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1982 – 1 C 124/80).
Vorliegend gab es im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Zugangs des angefochtenen Bescheids (31.10.2019) keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Klägerin von ihrer trotz Unzuverlässigkeit weiter verfolgten Betätigung im Fall von deren Untersagung gerade nicht auf andere Betätigungen ausweichen würde. Die Klägerin ist seit Erlass des Untersagungsbescheids weiterhin aktiv und setzt ihre Praxis der nicht freiwilligen Begleichung ihrer Steuerschulden unverändert fort, es wurden sogar weitere Schulden angehäuft. Es mangelt offenkundig nicht an der Zahlungsfähigkeit, da die Steuerschulden stets erfolgreich über Bankpfändungen beigetrieben werden können und gegen die Klägerin ausweislich der Ermittlungen im Verwaltungsverfahren auch sonst keinerlei Eintragungen im Schuldnerregister (§ 915 ZPO) vorhanden sind.
Nachdem die Klägerin seit mehreren Jahren durch Nichtabführung ihrer fälligen Steuerschulden die öffentliche Hand schädigt und sich auch durch Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts nicht beeindrucken lässt (vgl. oben), fällt dies besonders stark ins Gewicht. Es liegt nahe, dass die Klägerin gewillt ist, an ihrer gewerblichen Tätigkeit trotz gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit festzuhalten und ggf. auch in ähnliche oder andere Tätigkeitsbereiche auszuweichen. Fehler in der Ermessensausübung durch das Landratsamt (§ 114 Satz 1 VwGO) sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Das Landratsamt hat die für die gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit der Klägerin sprechenden Gründe wie auch die Wahrscheinlichkeit eines Ausweichens der Klägerin auf andere Betätigungen im Rahmen seiner Ermessensentscheidung rechtsfehlerfrei gewürdigt.
2.3. Gegen die Nebenentscheidungen in Ziffer 2 und Ziffer 3 des Bescheids sind rechtliche Bedenken weder ersichtlich noch dargelegt. Insbesondere durfte das Landratsamt davon ausgehen, dass die Androhung von Zwangsgeld im Hinblick auf die Zahlungsmoral der Klägerin gegenüber der öffentlichen Hand keinen Erfolg verspricht (Art. 34 Satz 1 VwZVG).
3. Mangels Erfolgs war die Klage daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.