Arbeitsrecht

Kostentragung im sozialgerichtlichen Verfahren

Aktenzeichen  L 20 KR 50/18

Datum:
22.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22413
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 193 Abs. 1 Satz 3

 

Leitsatz

1. Maßgeblich für die Kostentragung ist grundsätzlich das Erfolgsprinzip. Ausnahmsweise ist eine Korrektur durch das Veranlassungsprinzip möglich.
2. Auch bei einer letztlich erfolglosen Klage kann eine teilweise Kostentragung des Beklagten angezeigt sein, wenn dieser durch rechtlich unzutreffende Hinweise beim Kläger die Erwartung geweckt hat, ihm stehe ein Anspruch auf die begehrte Leistung zu und ihn dadurch zur Klageerhebung veranlasst hat.

Verfahrensgang

S 21 KR 613/16 2017-10-20 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig in der Hauptsache war die (dauerhafte) Versorgung der mehrfachbehinderten Klägerin mit dem Steh- und Bewegungstrainer Innowalk.
Gegen das erstinstanzliche, eine Versorgung zusprechende Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.10.2017 legte die Beklagte Berufung ein. In der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2019 wurde das Berufungsverfahren vergleichsweise dahingehend erledigt, dass die Beklagte die Klägerin zusätzlich zu einem am 02.07.2019 bewilligten Stehtrainer mit einem Bewegungstrainer versorge, wie dies bereits erstinstanzlich angeboten worden war.
Im Rahmen des (zunächst widerruflich geschlossenen, dann aber nicht widerrufenen – Mitteilung des Bevollmächtigten der Klägerin vom 17.09.2019) Vergleichs haben die Beteiligten eine Kostenentscheidung des Gerichts beantragt.
II.
Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss über die Kostenerstattung, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Eine Kostenentscheidung durch das Gericht ist vorliegend nicht wegen § 195 SGG entbehrlich, da die Beteiligten die Kostenfrage ausdrücklich vom Vergleich ausgenommen und eine Entscheidung des Gerichts beantragt haben. Im Sinne der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung und mangels Anhaltspunkten, wonach die Beteiligten eine Kostenentscheidung nur für das Berufungsverfahren beantragt hätten, entscheidet der Senat über die gesamten außergerichtlichen Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz.
Die Kostenentscheidung trifft das Gericht nach sachgerechtem Ermessen. Dabei sind der Ausgang des Verfahrens sowie sonstige kostenrechtlich erhebliche Umstände des Verfahrens zu berücksichtigen.
In der Regel ist die Kostenentscheidung nach den Grundsätzen des sogenannten Erfolgsprinzips zu treffen. Zu begründen ist dies damit, dass es grundsätzlich der Billigkeit entspricht, wenn die Kostentragung durch den Ausgang des Verfahrens bestimmt wird. Dies bedeutet, dass die in der Sache voll unterliegende Partei grundsätzlich auch die Kosten voll zu tragen hat. Bei nur teilweisem Erfolg der Klage bzw. Berufung ist nur ein Teil der Kosten zu erstatten. Die Quote der Kostenerstattung ist unter Berücksichtigung des Klage-/Berufungsantrags bzw. des Klage-/Berufungsbegehrens sowie des Zeitpunkts und des Umfangs des Erreichten zu ermitteln. In Ausnahmefällen kann das Veranlassungsprinzip als Korrektiv des grundsätzlich maßgeblichen Erfolgsprinzips herangezogen werden (vgl. zu allem Bayer. Landessozialgericht – LSG -, Beschlüsse vom 02.07.2012, L 15 SB 36/09, und vom 29.11.2017, L 20 VG 21/17 – jeweils m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze hält der Senat eine Kostentragung der Beklagten zu einem Drittel für angemessen.
Mit dem Vergleich hat die Klägerin ihr Ziel einer Versorgung mit dem Hilfsmittel Innowalk nicht, auch nicht teilweise, erreicht. Die im Vergleich zugesprochene Versorgung beinhaltet auch keinen teilweisen Erfolg in der Sache, weil die Klägerin gerade die Versorgung mit dem Innowalk als einziges Trainingsgerät anstatt zweier getrennter Geräte in Form eines Stehtrainers einerseits und eines Bewegungstrainers andererseits begehrt hat; die Notwendigkeit einer Hilfsmittelversorgung an sich war unstreitig. Das Erfolgsprinzip würde daher dafür sprechen, dass die Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten vollständig selbst zu tragen hat.
Vorliegend ist aber eine Ausnahme vom Erfolgsprinzip zu machen, da das Veranlassungsprinzip eine Korrektur des aus dem Erfolgsprinzip resultierenden Ergebnisses geboten erscheinen lässt. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Beklagte durch ihr eigenes Verhalten der Klägerin Anlass für berechtigte Erwartungen auf eine Versorgung mit dem Innowalk gemacht hat, zum anderen, dass die Beklagte den maßgeblichen Gesichtspunkt, der einer Versorgung der Klägerin mit dem Innowalk entgegensteht, erstmals im Berufungsverfahren vorgebracht und so die Erwartungen der Klägerin auf eine Versorgung mit dem Innowalk weiterhin aufrechterhalten hat.
Im Einzelnen stützt sich der Senat auf folgende Gesichtspunkte:
– Die Beklagte weckte bei der Klägerin – wie sich erst später herausgestellt hat, unberechtigte – Erwartungen auf eine Versorgung mit dem Innowalk durch die Beklagte für den Fall, dass sich ein Einsatz dieses Steh- und Bewegungstrainers im Rahmen einer Erprobung als erfolgreich erweisen werde.
Auf Antrag der Klägerin war ihr mit Bescheid 11.08.2015 eine Probeversorgung mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel Innowalk für die Dauer von 6 Monaten (Kosten über 3.000,- €) bewilligt worden, nachdem der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) „bei wohl erfolgreicher Erprobung“ die Erforderlichkeit zur Sicherung der Krankenbehandlung und zum Ausgleich einer Behinderung bejaht hatte (Kurzgutachten vom 20.07.2015). Nachdem die behandelnden Ärzte der Klägerin in der Folge den erfolgreichen Einsatz des Innowalk bestätigt hatten, durfte die Klägerin die zum damaligen Kenntnisstand berechtigte Hoffnung darauf haben, dass ihr von der Beklagten auch eine dauerhafte Versorgung mit dem Innowalk bewilligt werde.
– Die Klägerin durfte diese Erwartung auch noch nach dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16.03.2016 haben. Zwar war mit diesem Bescheid – offensichtlich unter dem Zeitdruck des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V – eine Dauerversorgung mit dem Innowalk abgelehnt worden, dies aber nicht damit begründet worden, dass das Hilfsmittel Innowalk grundsätzlich nicht verordnungsfähig sei. Begründung für die Ablehnung war vielmehr, dass die Notwendigkeit der Dauerversorgung wegen einer Geeignetheit dieses Hilfsmittels (noch) nicht beurteilt werden könne. Aus diesem Grund wurde die Klägerin auch gebeten, mit dem verordnenden Arzt Kontakt aufzunehmen und einen medizinischen Erprobungsbericht zu übersenden.
Der Begründung des Bescheids vom 16.03.2016 war daher für die Klägerin klar zu entnehmen, dass die Ablehnung einer Versorgung von der Beklagten nur wegen des Fehlens aktueller ärztlicher Unterlagen erfolgt sei, bei Vorlage entsprechender Unterlagen aber durchaus mit einer dauerhaften Verordnung mit dem Innowalk zu rechnen sei.
– Im Widerspruchsverfahren und in dem dort eingeholten Gutachten des MDK vom 25.05.2016 wurde von der Beklagten die Ablehnung einer Versorgung mit dem Innowalk dann – neu gegenüber den zuvor von Seiten der Beklagten getätigten Äußerungen – damit begründet, dass anstelle einer Versorgung mit dem Innowalk eine Alternativversorgung mit einem fremdkraftbetriebenen Beintrainer ausreichend sei, ohne dass näher auf das zuvor von der Beklagten allein geltend gemachte Kriterium einer erfolgreichen Erprobung des Innowalk eingegangen wurde. Insofern durfte die Klägerin nach wie vor Hoffnung darauf haben, dass ihr im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens eine Versorgung mit dem Innowalk zugesprochen werde, zumal zum damaligen Zeitpunkt von der Beklagten die Versorgung mit einem Stehtrainer ergänzend zum Bewegungstrainer – der Innowalk vereint beide Funktionen – nicht in den Raum gestellt worden war.
– Im sozialgerichtlichen Verfahren erster Instanz wurde von der Beklagten die Ablehnung einer Versorgung mit dem Innowalk alleine damit begründet, dass zur Erreichung der beabsichtigten medizinischen Rehabilitationsziele wirtschaftlichere und gleichermaßen geeignete Alternativen zur Verfügung stünden. Ein Hinweis von der Beklagten darauf, dass eine Versorgung mit dem Innowalk aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist (vgl. dazu auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20.08.2018, L 5 KR 127/18 B ER, Sächsisches LSG, Beschluss vom 09.05.2019, L 9 KR 351/18 B ER, und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2019, L 9 KR 410/18 B ER), ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht erfolgt.
– Dazu, dass es zu einer positiven erstinstanzlichen Entscheidung und anschließend zum Berufungsverfahren kam, leistete die Beklagte dadurch einen Beitrag, dass sie erstmals erst im Rahmen der Berufungsbegründung – und nicht schon zuvor im Laufe des Verfahrens vor dem Sozialgericht – darauf hinwies, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Hilfsmittel, die in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer neuen Behandlungsmethode eingesetzt würden, erst nach positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen seien und es sich bei dem Innowalk um ein Hilfsmittel handle, das im Rahmen einer solchen neuen Behandlungsmethode eingesetzt werde, eine Empfehlung des GBA aber fehle. Der Gesichtspunkt einer neuen Behandlungsmethode war auch der maßgebliche Grund dafür, dass der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20.08.2019 die fehlenden Erfolgsaussichten für eine Versorgung der Klägerin mit dem Innowalk unter Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung (vgl. oben) darlegte.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Beklagte mit der Bewilligung einer Probeversorgung des Innowalk, ihren Hinweisen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, nach denen eine Versorgung im Wesentlichen davon abhängen werde, ob sich der Innowalk bei der Klägerin bewähre, bei der Klägerin Hoffnungen auf eine Versorgung mit dem Innowalk geweckt hat, die sie bei rechtlich richtiger Bewertung und Bearbeitung des Antrags auf Versorgung mit dem Innowalk, auch schon des Antrags auf probeweise Versorgung, hätte verhindern können und dadurch die Klägerin veranlasst hat, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass es dann zu einer positiven Entscheidung im erstinstanzlichen Verfahren und damit letztlich auch zum Berufungsverfahren gekommen ist, ist insofern in gewissem Umfang auch der Beklagten zuzuschreiben, weil sie den rechtlich entscheidenden Hinweis darauf, dass die Versorgung mit dem Innowalk nicht infrage komme, weil es sich bei der Behandlung mit diesem Hilfsmittel um eine bisher noch nicht vom GBA bewertete neue Behandlungsmethode handle, erst im Berufungsverfahren gegeben hat.
Den unter dem Gesichtspunkt des Veranlassungsprinzips aufgezeigten Umständen wird dadurch angemessen Rechnung getragen, dass die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu einem Drittel zu erstatten hat. Lediglich informationshalber weist der Senat darauf hin, dass auch für den Fall, dass der Senat über die Berufung durch Urteil zu entscheiden gehabt und dabei das erstinstanzliche Urteil aufgehoben sowie die Klage abgewiesen hätte, die Kostenentscheidung identisch wie im jetzt gefällten Kostenbeschluss zu treffen gewesen wäre.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§§ 183, 177 SGG).
Die Entscheidung ist durch den Senat als Kollegium und nicht gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, Abs. 4 SGG durch den für das Verfahren zuständigen Berichterstatter/Vorsitzenden zu treffen, da der Vergleich im Rahmen der mündlichen Verhandlung und damit nicht im vorbereitenden Verfahren, das mit Beginn des Termins zur mündlichen Verhandlung beendet ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt., SGG, 12. Aufl. 2017, § 155, Rdnr. 8), geschlossen worden ist.


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