Strafrecht

Bestimmtheitsgebot für bewährungsflankierende Arbeitsauflagen

Aktenzeichen  2 Ws 13/17

Datum:
7.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StV – 2018, 358
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 2 Abs. 2
StGB § 56b, § 56f, § 306 Abs. 1, § 311

 

Leitsatz

Aus Art. 2 Abs 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich, dass gerichtliche Bewährungsauflagen derart klar und bestimmt zu fassen sind, dass ihnen der Verurteilte unmissverständlich entnehmen kann, was von ihm erwartet wird und unter welchen Umständen er mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zu rechnen hat. Mit Blick auf die Festlegung einer Arbeitsauflage nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB bedeutet dies, dass das Gericht neben der Gesamtanzahl der abzuleistenden Stunden auch die Frist zur Auflagenerfüllung selbst zu bestimmen hat. Bei einer hohen Anzahl auferlegter Arbeitsstunden ist das Gericht überdies gehalten, Festlegungen über die in einem bestimmten Zeitintervall zu erbringende Mindeststundenzahl zu treffen. Darüber hinaus gehende notwendige Konkretisierungen, wie etwa organisatorische Festlegungen zum Ort und zur Institution der Arbeitsableistung dürfen dem Bewährungshelfer oder der Gerichtshilfe überlassen werden (Anschluss an BVerfG [2. Kammer des 2. Senats], Beschl. v. 02.09.2015 – 2 BvR 2343/14 = NJW 2016, 148 = StV 2016, 576; OLG Bamberg, Beschl. v. 18.12.2013 – 2 Ws 61/13 = StraFo 2014, 213 = NStZ-RR 2014, 205 = OLGSt StGB § 56b). (Rn. 4)

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Erstgericht hat die dem Verurteilten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung im Ergebnis zu Recht widerrufen, weil der Verurteilte jedenfalls in dem Zeitraum zwischen dem 16.07.2016 und seinem Haftantritt in anderer Sache am 15.09.2016 gemäß § 56f I 1 Nr. 3 StGB gröblich gegen die ihm erteilte Arbeitsauflage verstoßen hat.
1. Soweit allerdings die StVK ihre Widerrufsentscheidung ersichtlich auch auf einen gröblichen und beharrlichen Auflagenverstoß in der Zeit vor der mit Ergänzungsbeschluss des AG vom 04.04.2016 zeitlich näher konkretisierten Arbeitsverpflichtung, mithin auf Ziff. 5 des Bewährungsbeschlusses in der ursprünglichen Fassung vom 08.04.2014 gestützt hat, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insoweit hatte bereits das die Bewährungsaufsicht führende AG zutreffend erkannt, dass die Arbeitsauflage in Ziff. 5 des ursprünglichen Bewährungsbeschlusses vom 08.04.2014 mangels näherer zeitlicher Bestimmung für die Ableistung der festgesetzten 400 Arbeitsstunden nicht dem aus Art. 2 II GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügte und Verstöße gegen unzulässige Auflagen einen Bewährungswiderruf nicht rechtfertigen (vgl. nur Fischer StGB 64. Aufl. § 56f Rn. 10 a unter Hinweis auf OLG Frankfurt NStZ-RR 2003,199).
a) Nach einhelliger obergerichtlicher Rspr. müssen Bewährungsauflagen klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar sein. Der Verurteilte muss ihnen zweifelsfrei entnehmen können, was von ihm erwartet wird und unter welchen Umständen er mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zu rechnen hat. Insoweit hat grundsätzlich bereits das Gericht die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können, weil der Gesetzgeber in § 56b StGB nur dem Richter die Befugnis eingeräumt hat, dem Verurteilten besondere Pflichten aufzuerlegen. Gleichwohl verlangt der Bestimmtheitsgrundsatz nicht, dass Auflagen und Weisungen durch das Gericht bis ins Letzte präzisiert werden müssen. Vielmehr ist insoweit auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen, weshalb gewisse Konkretisierungen – beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Betroffenen bedingte Flexibilitätsinteressen – nicht vom Gericht getroffen werden müssen, ohne dass darin eine Übertragung des gesetzlich dem Gericht vorbehaltenen Weisungsrechts zu sehen wäre. Bei Verhängung einer Arbeitsauflage ist das Gericht jedenfalls verpflichtet, die Anzahl der abzuleistenden Stunden und die Frist zur Erfüllung der Auflage zu bestimmen. Bei einer hohen Anzahl auferlegter Arbeitsstunden sind über die Angabe des Erfüllungszeitraumes hinaus weitere zeitliche Einzelfestlegungen vorzunehmen, wie etwa die Angabe einer Mindeststundenanzahl, welche in einem bestimmten zeitlichen Rahmen (z.B. monatlich) zu erbringen ist. Anders als bei der Festlegung der konkreten Einsatzstelle sprechen auch keine Praktikabilitätserwägungen gegen die Festlegung derartiger zeitlicher Vorgaben bereits im Bewährungsbeschluss. Nicht zwingend bedarf es zur Einhaltung des Bestimmtheitserfordernisses auch der Angabe der konkreten Einsatzstelle, weil dies praktisch kaum durchführbar wäre und ggf. zur Blockade von Stellen führen würde (vgl. neben OLG Bamberg, Beschluss vom 18.12.2013 – 2 Ws 61/13 = StraFo 2014, 213 = NStZ-RR 2014, 205 = OLGSt StGB § 56b Nr 7 insbesondere BVerfG [2. Kammer des 2. Senats], Beschluss vom 02.09.2015 – 2 BvR 2343/14 = NJW 2016, 148 = StV 2016, 576 m.w.N.).
b) Mit Blick auf das Fehlen jeglicher zeitlicher Vorgaben genügte damit die unter Ziff. 5 des Bewährungsbeschlusses des AG vom 08.04.2014 in ihrer ursprünglichen Fassung verhängte Arbeitsauflage den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nicht, weil sie lediglich den Leistungsumfang von 400 Arbeitsstunden, nicht aber den Erfüllungszeitraum und auch keine weiteren zeitlichen Einzelfestlegungen enthielt. Damit lagen nicht nur die Auswahl der Art der zu erbringenden Arbeitsleistung sowie der konkreten Arbeitsstelle im Ermessen der AG e.V. als freiem Träger der Straffälligenhilfe, sondern es blieb auch ausschließlich der eigenen Entscheidung des Verurteilten oder einer entsprechenden Weisung der AG e.V. überlassen, in welchem zeitlichen Rahmen und wann im Einzelnen der Verurteilte wie viele Stunden gemeinnütziger Arbeit zu erbringen hatte. Da das Fristende zeitlich nicht exakt bestimmt war, musste davon ausgegangen werden, dass dem Verurteilten für die Erbringung seiner Arbeitsleistungen grundsätzlich die gesamte Bewährungszeit zur Verfügung steht, solange der Bewährungsbeschluss nicht neu gefasst wurde. Ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung konnte damit auf die Zuwiderhandlung gegen die Arbeitsauflage aus dem Bewährungsbeschluss in seiner ursprünglichen Fassung nicht gestützt werden.
2. Demgegenüber durfte der Bewährungswiderruf auf einen gröblichen Verstoß gegen die Arbeitsauflage in der Zeit nach Erlass des Ergänzungsbeschlusses des AG vom 04.04.2016 gestützt werden. Denn in diesem hatte das AG den zeitlichen Rahmen für die Ableistung der festgesetzten Arbeitsstunden nachträglich näher konkretisiert und insoweit hinreichend bestimmte zeitliche Vorgaben gemacht, deren gröbliche oder beharrliche Missachtung einen Bewährungswiderruf nach § 56f I 1 Nr. 3 StGB zu begründen vermochte.
a) Mit der Bestimmung einer Mindestanzahl von 25 Stunden für den Zeitraum eines Monats war der Verurteilte – für ihn selbst auch ohne weiteres erkennbar – spätestens mit Beginn des auf die tatsächliche Bekanntgabe des Ergänzungsbeschlusses vom 04.04.2016 folgenden Monats, hier also Mai 2016, verpflichtet, jeden Monat mindestens 25 Arbeitsstunden abzuleisten, wobei die Auswahl der konkreten Einsatzstelle – rechtlich unbedenklich – der AG e.V. vorbehalten war. Eine Konkretisierung der Auflage durch das Gericht hinsichtlich des Ortes oder der Institution, bei der die Arbeitsauflage zu erfüllen ist, ist nämlich aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, denn die Auswahl und Vermittlung der konkreten Arbeitsstelle begründet kein eigenständiges Weisungsrecht der Bewährungs- oder Gerichtshilfe bzw. eines freien Trägers (BVerfG und OLG Bamberg, jew. a.a.O.; ferner u.a. OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2015 – 20 Ws 110/15; KG, Beschluss vom 04.04.2014 – 3 Ws 165/14 [bei juris] sowie 18.03.2014 – 4 Ws 23/14 = StraFo 2014, 338 = StV 2014, 746 = StV 2014, 746; OLG Braunschweig, Urt. v. 13.06.2012 – Ss 19/12 = NStZ 2012, 575; vgl. auch Fischer § 56b Rn. 8; LK/Hubrach StGB 12. Aufl. § 56b Rn.19). Nachdem in dem Ergänzungsbeschluss vom 04.04.2016 auch nicht etwa zum Ausdruck gebracht ist, dass die Ableistung der 25 Arbeitsstunden „nach Aufforderung“ durch die AG e.V. zu erfolgen hat, wird aus der gewählten Formulierung hinreichend deutlich, dass es Sache des Verurteilten war, welcher die Ableistung gemeinnütziger Arbeit zu „erbringen“ hatte, sich umgehend nach Erhalt des gerichtlichen Beschlusses bei der AG e.V. zu melden, damit ihm dort jedenfalls für Mai 2016 sowie die Folgemonate jeweils eine konkrete Einsatzstelle zugewiesen werden konnte. Mit der Arbeitsauflage in der zeitlich konkretisierten Fassung wurde dem Verurteilten mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz damit unmissverständlich deutlich gemacht, durch welches Verhalten er die ihm auferlegten Verpflichtungen erfüllen und folglich einen Bewährungswiderruf vermeiden konnte.
b) Soweit die Verteidigung darüber hinaus die Nichtberücksichtigung der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Verurteilten durch das Erstgericht rügt, ist dies unzutreffend. Die StVK hat die entsprechenden Zeiträume in ihrem Beschluss vom 05.01.2017 ausdrücklich mitgeteilt und insoweit zutreffend ausgeführt, der Verurteilte sei aufgrund dessen keineswegs durchgehend an der Ableistung von Arbeitsstunden gehindert gewesen. Für die Zeit nach der Hinausgabe des konkretisierenden Beschlusses vom 04.04.2016 an den Verurteilten und seinen Verteidiger verblieb unter Zugrundelegung der belegten Arbeitsunfähigkeitszeiten jedenfalls mindestens der Zeitraum vom 16.07.2016 bis zu seiner Inhaftierung am 15.09.2016, in dem der Verurteilte trotz Arbeitsfähigkeit in vorwerfbarer Weise nicht zur Erfüllung der Arbeitsauflage tätig geworden ist.
c) Das Verhalten des Verurteilten stellt eine erhebliche schwerwiegende Zuwiderhandlung gegen die mit Ergänzungsbeschluss des AG vom 04.04.2016 hinreichend konkretisierte Arbeitsauflage dar, die auf einer ablehnenden Haltung des Verurteilten gegenüber der Bewährungsauflage und fehlendem Genugtuungswillen für das begangene Unrecht beruht (vgl. Satzger/Schmitt/Widmaier StGB 2009 § 56f Rn. 23). Der Umstand, dass der Verurteilte, der die Erfüllung der Arbeitsauflage nach der Erbringung von 47,25 Stunden am 20.01.2015 eingestellt hatte, diese auch nach Zugang des die Arbeitsauflage zeitlich konkretisierenden Beschlusses vom 04.04.2016 nicht wieder aufgenommen, geschweige denn zu irgendeinem Zeitpunkt Kontakt mit der AG e.V. aufgenommen hat, und zwar noch nicht einmal nach am 03.09.2016 erfolgter Mitteilung des auf den Auflagenverstoß gestützten erneuten Widerrufsantrages der StA, lässt keinen vernünftigen Zweifel daran aufkommen, dass der Verurteilte auch in der verbliebenen Zeit seiner Arbeitsfähigkeit vom 16.07.2016 bis zu seinem Haftantritt am 16.09.2016 grundsätzlich nicht willens war, der Arbeitsauflage nachzukommen.
d) Um die Vorwerfbarkeit des Auflagenverstoßes zu begründen, bedurfte es vorliegend auch insbesondere keiner weiteren Aufforderungen mehr seitens des Gerichtes oder der Bewährungshilfe. Zwar wird das Erfordernis eines „gröblichen oder beharrlichen“ Auflagenverstoßes in der Regel eine vorherige Mahnung zur Erbringung der auferlegten Leistungen voraussetzen (vgl. etwa Schönke/Schröder-Stree/Kinzig StGB 29. Aufl. § 56f Rn. 16 m.w.N.). Dem zuletzt durch die Bewährungshilfe am 29.06.2015 zur Arbeitserbringung angehaltenen Verurteilten war allerdings aufgrund der bereits zuvor erfolgten Ableistung von 47,25 Arbeitsstunden aufgrund Vermittlung der AG e.V. genau bekannt, auf welchem Wege er zur Ableistung weiterer Stunden die erneute Zuweisung einer konkreten Arbeitsstelle durch die AG e.V. herbeizuführen hatte. Ihm war auch bereits aufgrund des ersten Widerrufsantrages der StA vom 25.01.2016 bewusst, welche Konsequenzen die schuldhafte Nichterfüllung der Arbeitsauflage nach sich ziehen kann. Jedenfalls vor dem Hintergrund dieser – allen Verfahrensbeteiligten bekannten – Vorgeschichte bedurfte es vorliegend nach zeitlicher Konkretisierung der Arbeitsauflage mit Beschluss vom 04.04.2016, gegen die der Verurteilte sich im Übrigen nicht gewendet hatte, keiner weiteren Aufforderungen des Gerichts bzw. der Bewährungshilfe oder gar der AG e.V., sondern oblag es dem Verurteilten, sich umgehend nach Erhalt des gerichtlichen Beschlusses vom 04.04.2016 bei der AG e.V. zu melden, den Eintritt einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit entweder dort oder dem Gericht bzw. der Bewährungshelferin mitzuteilen sowie nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit wiederum unverzüglich Kontakt mit der AG e.V. aufzunehmen. Diesen Verpflichtungen ist der Verurteilte zu keinem Zeitpunkt nachgekommen; erst nach Mitteilung des erneuten Widerrufsantrages der StA am 03.09.2016 ließ der Verurteilte mit Schreiben vom 09.09.2016 wissen, dass er „damals“ seine Arbeitsstunden wegen Krankheit nicht habe ableisten können und erst mit Schreiben seiner Ehefrau vom 04.10.2016 wurde auf Betreiben der Bewährungshelferin eine Bescheinigung über die krankheitsbedingten Fehlzeiten beigebracht.
3. Da mildere Maßnahmen im Sinne von § 56f II StGB bei dieser Sachlage nicht mehr erfolgversprechend erscheinen, rechtfertigt bereits der damit vorliegende gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen die Arbeitsauflage aus dem Bewährungsbeschluss in der Fassung vom 04.04.2016 den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.
4. Auf die Frage, ob der Verurteilte sich darüber hinaus – wie die StVK meint – der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe beharrlich entzogen hat und damit auch die Voraussetzungen eines Bewährungswiderrufs nach § 56f I 1 Nr. 2 StGB erfüllt sind, kommt es im Ergebnis nicht mehr an. Lediglich ergänzend weist der Senat insoweit darauf hin, dass ein Bewährungswiderruf nach dieser Vorschrift stets konkreten Anlass zu der Besorgnis voraussetzt, der Verurteilte werde infolgedessen neue Straftaten begehen, wozu sich die StVK in der angefochtenen Entscheidung nicht verhalten hat.
5. Die von der StVK angeordnete Anrechnung der bereits erbrachten 47,25 Arbeitsstunden mit 5 Tagen auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe gemäß § 56f III 2 StGB beruht […] auf tragfähiger Grundlage und weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Verurteilten auf. […]

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