Steuerrecht

Steuerpflicht in Deutschland wegen Aufgabe des Wohnsitzes im Inland

Aktenzeichen  5 K 526/15

Datum:
7.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 122462
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 1 Abs. 1 S. 1, § 10f, § 62, § 63

 

Leitsatz

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Kläger im Streitzeitraum unbeschränkt steuerpflichtig sind.

Gründe

Die Kläger waren in den Streitjahren aufgrund ihres Wohnsitzes in 1 mit ihren Einkünften in der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
1. Über diese für die Streitsache maßgebliche Frage konnte das Gericht durch Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO vorab entscheiden. Die Beteiligten haben der Entscheidung durch Zwischenurteil ausdrücklich zugestimmt.
Nach § 99 Abs. 2 FGO kann das Gericht über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage durch Zwischenurteil vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist und nicht der Kläger oder der Beklagte widerspricht. Durch Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 FGO darf nur über solche Vorfragen entschieden werden, über die mit Sicherheit auch in einem Endurteil zu entscheiden wäre. Entscheidungserheblich sind danach nur solche Vorfragen, ohne deren Beantwortung ein Urteil über die geltend gemachte Rechtsbeeinträchtigung nicht möglich ist. Sachdienlich ist ein Zwischenurteil jedenfalls dann, wenn die Beteiligten über die betreffende Vorfrage streiten und nach deren Klärung von einer einvernehmlichen Klärung des Rechtsstreits im Übrigen auszugehen ist (BFH-Urteil vom 02.06.2016 IV R 23/13, BFH/NV 2016, 1433 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Frage der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht der Kläger ist für den ganzen Rechtsstreit entscheidungserheblich. Über die tatsächlichen Voraussetzungen zur Beantwortung dieser Rechtsfrage kann der Senat bereits jetzt durch ein Zwischenurteil abschließend entscheiden. Hierzu haben die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt und es ist zu erwarten, dass sich nach endgültiger Klärung der Vorfrage der Rechtsstreit einvernehmlich abschließen lässt.
2. Unter Berücksichtigung aller für die Frage der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht im Streitfall maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände und nach Abwägung der einzelnen Gesichtspunkte kommt der Senat aufgrund des vorliegenden Akteninhalts und aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung zu der Erkenntnis, dass sowohl der Kläger als auch die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum 2009 und 2010 noch einen Wohnsitz i.S.v. § 8 AO in 1 inne hatten und damit in Deutschland der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unterlagen.
a) Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er eine Wohnung beibehalten und benutzen wird. Hat eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz, so ist sie nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Der im Einkommensteuergesetz verwendete Begriff des Wohnsitzes (§ 1 EStG; §§ 62, 63 EStG) entspricht dem Wohnsitzbegriff des § 8 AO und kann nur einheitlich ausgelegt werden.
b) Zur Auslegung des Wohnsitz-Begriffs hat die BFH-Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:
Hiernach setzt ein Wohnsitz eine Wohnung, d.h. eine stationäre Räumlichkeit voraus, die auf Dauer zum Bewohnen geeignet ist. Dies wiederum erfordert eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Inhabers entsprechende Bleibe. Eine nur vorübergehende oder notdürftige Unterbringungsmöglichkeit reicht nicht aus, ebenso nicht eine bloße Schlafstelle z.B. in Betriebsräumen. Innehaben der Wohnung bedeutet, dass der Inhaber tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit, ​wenn auch in größeren Zeitabständen, aufsucht. Die Nutzung muss zu Wohnzwecken erfolgen; eine Nutzung zu ausschließlich beruflichen oder geschäftlichen Zwecken reicht nicht aus, ebenso nicht ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken. Schließlich muss das Innehaben der Wohnung unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten wird (BFH-Urteil vom 08.05.2014 III R 21/12, BFHE 246, 389, BStBl. II 2015, 135 m.w.N.).
Beibehalten und benutzt wird eine Wohnung von demjenigen, der sich in ihr ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit tatsächlich aufhält. Dies gilt auch für eine Person, die vom Inland ins Ausland versetzt wird und eine Wohnung im Inland beibehält, deren Benutzung ihr jederzeit möglich ist und die dergestalt ausgestattet ist, dass sie jederzeit als Bleibe dienen kann (vgl. BFH-Urteil vom 17.05.1995 I R 8/94, BFHE 178, 294, BStBl. II 1996,2 m.w.N.).
Entscheidend ist allein, ob objektiv erkennbare Umstände dafür sprechen, dass die Person die Wohnung für Zwecke des eigenen Wohnens beibehält. Für die Beurteilung dieser Frage können alle Umstände des Einzelfalles herangezogen werden. Sie müssen nur nach der Lebenserfahrung den Schluss erlauben, dass die Person die Wohnung hält, um sie als solche zu nutzen. Der Wohnsitzbegriff setzt nicht voraus, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet. Zwar mag ein feststellbarer Mittelpunkt der Lebensinteressen den Rückschluss erlauben, dass sich dort auch ein Wohnsitz des Steuerpflichtigen befindet. Der gleiche Schluss kann aber schon dann gezogen werden, wenn jemand eine Wohnung an einem Ort innehat, zu dem er intensive persönliche Beziehungen wie z.B. Verwandte, Freunde, Herkunft, Grundvermögen u.a.m. unterhält. Ferner gilt, dass jede Person mehrere Wohnungen und mehrere Wohnsitze i.S. des § 8 AO haben kann. Diese können im In- und/oder im Ausland gelegen sein (BFH-Urteil vom 19.03.1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl. II 1997, 447 m.w.N.). Es kann ein inländischer Wohnsitz auch dann zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht führen, wenn eine Person mehrere Wohnsitze hat und sich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nicht in Deutschland, sondern im Ausland befindet (BFH-Beschluss vom 25.05.2016 I B 139/11, BFH/NV 2016, 815). Auch besteht kein allgemeiner Grundsatz des internationalen Steuerrechts, nach dem jede Person nur von demjenigen Staat als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden dürfe, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befindet (BFH-Urteil vom 24.01.2002 I R 100/99, BFH/NV 2002, 1402).
Schließlich ist es nicht erforderlich, dass die Person sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr in der Wohnung aufhält (BFH-Urteil vom 19.03.1997 I R 69/96, a.a.O.).
Diesen Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat sich die Finanzverwaltung im Wesentlichen in den Verwaltungsanweisungen angeschlossen (vgl. AEAO zu § 8 – Wohnsitz).
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 AO ist nach den objektiv erkennbaren Umständen zu beurteilen (BFH-Urteil vom 22.08.2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351, m.w.N.). Im Finanzgerichtsverfahren obliegt die Würdigung derjenigen tatsächlichen Umstände, die im Einzelfall für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Wohnsitzes sprechen, dem Finanzgericht (vgl. BFH-Beschluss vom 17.12.2010 III B 141/10, BFH/NV 2011, 576). Dies gilt namentlich für die Abwägung der Faktoren, die für und gegen ein Innehaben der Wohnung und die Absicht der weiteren Benutzung sprechen. Das Finanzgericht als Tatsacheninstanz hat gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 08.05.2014 III R 21/12, a.a.O.).
3. Bei seiner Entscheidungsfindung ist der Senat von folgenden Überlegungen und Wertungen der einzelnen Umstände ausgegangen:
a) Beide Kläger hatten in den Jahren vor 2009 gemeinsam Wohnsitze in Deutschland begründet, innegehabt und beibehalten, zunächst nach der Pensionierung des Klägers im Jahre 1984 in 4 im Landkreis 5. Nach dem Verkauf ihres Hauses dort im Jahre 1999 hatten sie einen gemeinsamen Wohnsitz in einer angemieteten Wohnung in 6 in Oberbayern und nach dem Erwerb des Hausgrundstücks in 1 in der Str. 1 im Jahre 2002 begründeten sie dort einen Wohnsitz. In der Stadt 1 waren sie mit ihrem Hauptwohnsitz gemeldet, bei dem örtlich zuständigen Finanzamt, dem Beklagten, waren sie als unbeschränkt steuerpflichtig erfasst, reichten dort die Einkommensteuererklärungen ein und wurden zusammen veranlagt.
An dieser tatsächlichen Gegebenheit, nämlich der Begründung und Beibehaltung von Wohnsitzen in Deutschland, hat sich auch nichts geändert, als die Kläger in den Jahren ab 1995 ihr landwirtschaftliches Anwesen in Umbrien in Italien erwarben, erweiterten und ausbauten und nach und nach dorthin ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt verlagerten.
Der Senat schließt aus folgenden Umständen, dass die Kläger einen Wohnsitz in der Doppelhaushälfte in der Str. 1 in 1 begründen und für längere Zeit beibehalten wollten:
Das Gebäude befindet sich in einer guten Wohnlage in 1, die Kläger ließen es nach baudenkmalrechtlichen Vorgaben renovieren. Zwar ist dieses Objekt durchaus als Wertanlage geeignet, die Kläger haben aber deutlich zu erkennen gegeben, dass sie das Gebäude zu eigenen Wohnzwecken nutzen wollten. So haben sie dort einen Wohnsitz angemeldet, die Räume nach ihren eigenen Bedürfnissen eingerichtet und insbesondere gegenüber dem beklagten Finanzamt in den dort eingereichten Einkommensteuererklärungen angegeben, dass sie dieses Gebäude zu eigenen Wohnzwecken nutzen wollten und sie haben daher die Steuerbegünstigung nach § 10f EStG in Anspruch genommen. Diese Wohnräume wurden von den Klägern tatsächlich bis in das Jahr 2008 regelmäßig zu Wohnzwecken genutzt, sie waren ihren Bedürfnissen entsprechend möbliert und sie konnten von den Klägern jederzeit und uneingeschränkt bewohnt werden. Der Kläger hatte sich zur Ausübung seiner schriftstellerischen Tätigkeit dort ein Arbeitszimmer eingerichtet, die Kläger pflegten von der Wohnung aus gesellschaftliche Kontakte zu gemeinsamen Bekannten im Raum 1 und sie nahmen ärztliche Beratungen in Anspruch.
Diese Umstände sprechen dafür, dass die Kläger bis einschließlich dem Jahr 2008 in 1 einen Wohnsitz im Sinne von § 8 AO innehatten und somit in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG waren; dies ist unter den Beteiligten des Klageverfahrens auch nicht streitig.
b) Der Senat ist der Überzeugung, dass die Kläger auch in den Streitjahren 2009 und 2010 nach wie vor einen Wohnsitz i.S.v. § 8 AO in 1 in der Str. 1 beibehalten und innegehabt haben. Die Räume dort waren weiterhin und auf Dauer zum Wohnen geeignet, ausreichend möbliert und zu Wohnzwecken eingerichtet, etwa mit Telefon- und Fernsehanschluss, Wasser, Heizung und Stromversorgung. Die Kläger verfügten somit über eine Bleibe, die ihren wirtschaftlichen aber auch ihren persönlichen Verhältnissen und Bedürfnissen entsprach. Der eingeengte Zuschnitt der Altbauwohnung mit einem engen Treppenaufgang hinderte die Klägerin keinesfalls in der Nutzung, aber auch der Kläger war trotz seines Alters und der damit einhergehenden Einschränkung seiner Beweglichkeit und Sehfähigkeit zur Überzeugung des Senats durchaus noch in der Lage, sich in der Wohnung zu bewegen, insbesondere die Treppen zu steigen. Dies schließt der Senat einerseits aus dem persönlichen Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung über den körperlichen und geistigen Zustand des nach wie vor rüstigen Klägers gewinnen konnte, aber auch aus dem Umstand, dass der Kläger die Wohnräume auch in den Jahren 2009 und 2010 und später zu gelegentlichen Aufenthalten in 1 tatsächlich aufgesucht hat. Selbst wenn er auf die Begleitung seiner Ehefrau, der Klägerin, dabei wertgelegt haben mag um deren Hilfestellungen in Anspruch nehmen zu können, so waren keine Umstände erkennbar, aufgrund derer er an der Nutzung der Räume zu Wohnzwecken gänzlich gehindert gewesen wäre.
Die Räumlichkeiten in der Str. 1 standen den Klägern jederzeit zu ihren eigenen Wohnzwecken zur Verfügung. Sie hatten die Räume in den Jahren 2009 und 2010 nicht an Fremde vermietet, sie nicht „stillgelegt“, sie nicht zum Verkauf angeboten, sondern die Kläger hatten durch die Beauftragung von Bekannten dafür Sorge getragen, dass die Räume in bewohnbarem Zustand erhalten geblieben und gepflegt worden sind. Aufgrund dieser Maßnahmen war es den Klägern jederzeit möglich, die Wohnung in 1 auch kurzfristig aufzusuchen und sie zu bewohnen, wie sie es auch in den Streitjahren tatsächlich getan hatten. Zugegeben waren die Aufenthalte nur von kurzer Dauer, jedoch von geplanter Regelmäßigkeit. Die Kläger haben hierzu vorgetragen, die Kontakte zu ihren Bekannten im Raum 1 weiter gepflegt und auch ärztliche Vorsorgeleistungen in Anspruch genommen zu haben, da sie ärztliche Leistungen in Deutschland gegenüber solchen in Italien bevorzugten. Auch wenn die Kläger in den Streitjahren nur wenige Tage, etwa nur eine Woche in 1 gewesen sein mögen, so würde dies zur Überzeugung des Senats genügen, um einen begründeten Wohnsitz weiterhin als solchen beizubehalten und nutzen zu können. Eine Mindestverweildauer sehen weder die Gesetzeslage noch die Rechtsprechung vor. Es genügt das Vorhalten einer geeigneten Wohnung und die Möglichkeit, diese jederzeit nutzen zu können sowie deren tatsächliche Nutzung bei den geplanten und ebenso bei unvorhergesehenen Gelegenheiten.
Somit haben die Kläger ihre tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen zu 1 nicht aufgehoben, die „Brücken dorthin nicht völlig abgebrochen“ und wollten dies weder kurzfristig noch auf Dauer. Hierfür spricht auch, dass die Kläger ihren Hauptwohnsitz in 1 beibehalten hatten und damit auch weiterhin ihre staatsbürgerlichen Rechte, insbesondere ihre Gemeinderechte in 1 wahrnehmen konnten. Dem steht nicht die mögliche Auskunft der Meldebehörde entgegen, die Verlagerung eines Lebensmittelpunkts ins Ausland erfordere nicht die Abmeldung eines Hauptwohnsitzes im Inland.
Auch wenn der Kläger zum Ende des Jahres 2008 sein Arbeitszimmer in der Str. 1 aufgelöst hatte und damit seine schriftstellerische Tätigkeit ausschließlich von seinem Landsitz in Italien aus verrichtete, so waren die beruflichen Beziehungen nach Deutschland, insbesondere den Raum 1 nicht vollständig beendet worden; denn in 9 war der Verlag ansässig, für den der Kläger weiterhin arbeitete und zu dem er noch in späteren Jahren Kontakte pflegte. Somit bewirkten zur Überzeugung des Senats die Aufgabe des Arbeitszimmers und die Beendigung aktiver schriftstellerischer Betätigung des Klägers in 1 nicht, dass damit die Auflösung des in 1 vorhandenen Wohnsitzes notwendig zu folgern wäre. Denn zur Begründung und Aufrechterhaltung eines Wohnsitzes ist eine berufliche Betätigung oder Verpflichtung an diesem Ort nicht zwingend erforderlich, es genügen auch persönliche und gesellschaftliche Interessen, um die Begründung eines Wohnsitzes zu rechtfertigen. So liegt es gerade bei der Klägerin, die offensichtlich keine beruflichen Interessen von 1 aus verfolgte, sondern den Kläger bei seinen Aufenthalten in 1 begleitete und mit ihm bei den Aufenthalten in 1 gemeinsame gesellschaftliche Kontakte aufrecht erhielt.
c) In der Gesamtwürdigung aller die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten prägenden Umstände bezüglich der Nutzung der Wohnung in der Str. 1 in 1 durch die Kläger kommt der Senat zu der Erkenntnis, dass sowohl die Klägerin als auch der Kläger dort einen Wohnsitz i.S.v. § 8 AO innehatten, diesen auch beibehalten wollten und als solchen nutzten. Bei dieser Beurteilung wertet der Senat als entscheidend für ein Beibehalten des Wohnsitzes, dass die Kläger in 1 ihren Hauptwohnsitz aufrecht erhalten hatten und in ihren Steuererklärungen auch für die Streitjahre im Zusammenhang mit der beantragten Steuerbegünstigung nach § 10f EStG gegenüber dem Finanzamt zum Ausdruck gebracht haben, dass sie das Gebäude zu eigenen Wohnzwecken nutzten. Der Senat wertet die melderechtliche Entscheidung der Kläger ebenso als gewichtiges Indiz für die Beibehaltung des Wohnsitzes wie die Angaben in der Steuererklärung. Dagegen spricht jedenfalls nicht, dass die Steuerbegünstigung nach § 10f EStG unter bestimmten Umständen auch beschränkt Steuerpflichtige in Anspruch nehmen können (so wohl Pfirrmann in Kirchhof, EStG, 15. Aufl. 2016, § 10f Rz. 1; a.A. wohl Meyer in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 21. Aufl. 2006, 277. Lieferung 01.2017, § 10f EStG, Rn. 3); denn entscheidend ist die in den Steuererklärungen von den Klägern abgegebene Bestätigung, das Gebäude in den Streitjahren zu eigenen Wohnzecken genutzt zu haben. Für das Beibehalten eines Wohnsitzes in 1 sprechen weiter die Bemühungen der Kläger, die Wohnräume in einem jederzeit nutzbaren Zustand zu erhalten, wozu sie Bekannte beauftragt hatten. Schließlich spricht für das Beibehalten des Wohnsitzes, dass die Kläger die gesellschaftlichen Kontakte zu ihrem Bekanntenkreis weiter pflegten und aufrecht erhielten.
Der Senat hält dagegen unter den Umständen des Streitfalls für nicht so gewichtig, dass die Kläger seit langem und ebenso in den Streitjahren ihren Lebensmittelpunkt in Italien hatten und daher nur für einige Tage im Jahr die Wohnung in 1 aufsuchten und nutzten; denn für die Begründung eines Wohnsitzes i.S.v. § 8 AO ist weder erforderlich, dort den Schwerpunkt der Lebensinteressen zu setzten noch ist eine Mindestverweildauer zwingend einzuhalten. Der Senat hält die Entscheidungsgrundsätze des BFH im Urteil vom 06.03.1968 (Az. I 38/65, BStBl. II 1968, 439), auf die sich die Kläger berufen, für die hier zu treffende Entscheidung als nicht vorprägend an. Die damalige Entscheidung erging zu der Frage, ob dem Abzug der „Steuerpräferenz“ für Steuerpflichtige mit Wohnsitz in (West-) Berlin ein zugleich im Bundesgebiet bestehender Wohnsitz entgegensteht. Für die hier zu entscheidende Frage der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind jedoch mehrfach begründete Wohnsitze gerade nicht schädlich. Auch hatte der BFH-Senat damals seine Entscheidung damit begründet, dass ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinanderfolgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken in einem Haus es allein nicht rechtfertige, einen Wohnsitz anzunehmen (BFH-Urteil vom 06.03.1968 I 38/65, a.a.O., Rn. 16). Im hier zu entscheidenden Rechtsstreit sprechen jedoch bei der gebotenen Gesamtwürdigung mehrere gewichtige Aspekte für einen Wohnsitz der Kläger in 1. Schließlich kommt auch nur nachrangige Bedeutung dem Umstand zu, dass der Kläger seine berufliche Betätigung ab 2009 nicht mehr in 1 ausgeübt hat.
Nach alledem war festzustellen, dass die Kläger aufgrund ihres weiterhin beibehaltenen Wohnsitzes in 1 der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unterfielen.
Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Diese bleibt dem Schlussurteil vorbehalten (vgl. Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 147. Lieferung 01.2017, § 143 FGO, Rn. 5).

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