Arbeitsrecht

Anwendbarkeit von Tarifverträgen auf ein Arbeitsverhältnis: Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel

Aktenzeichen  3 Sa 690/17

Datum:
19.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10462
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 133, § 157, § 305c Abs. 2, § 613a Abs. 1

 

Leitsatz

Eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel “Für Ihr Arbeitsverhältnis kommt der jeweils gültige Tarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie [zur Anwendung], solange unser Unternehmen Mitglied mit Tarifbindung im Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie ist. Nach einer Beendigung dieser Mitgliedschaft, welche die Tarifbindung auflöst, gelten die gesetzlichen und arbeitsvertraglichen Regelungen.” ist dahin auszulegen, dass die Tarifgebundenheit des jeweiligen Arbeitgebers Bedingung für die Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge für die Arbeitnehmer/innen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie und sich hieraus ableitender Vergütungsansprüche ist (sog. bedingte zeitdynamische Verweisung). Geht in einem solchen Fall das Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf einen nicht tarifgebundenen Betriebsinhaber über, endet die Anwendbarkeit des Tarifvertrags. (Rn. 20 – 31) (red. LS Alke Kayser)

Verfahrensgang

2 Ca 709/17 2017-09-13 Urt ARBGREGENSBURG ArbG Regensburg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 13.09.2017 – 2 Ca 709/17 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit ausführlichen, zutreffenden Erwägungen sowohl den Zahlungs- als auch den Feststellungsantrag als unbegründet abgewiesen. Hierauf wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Die Angriffe der Berufung geben Anlass zu folgenden Ausführungen:
1. Die Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel ergibt, dass die Tarifgebundenheit des jeweiligen Arbeitgebers des Klägers Bedingung für die Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge für die Arbeitnehmer/innen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie und sich hieraus ableitender Vergütungsansprüche ist.
a) Unstreitig handelt es sich bei der Änderungsvereinbarung vom 11.11.2008 um einen Formularvertrag. Als Formularvertrag ist er nach den Regeln über Allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen (vgl. BAG, Urteil vom 05.07.2017 – 4 AZR 867/16 – Rn. 21).
b) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierenden Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gem. § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305 c BGB setzt allerdings voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht (st. Rspr., z.B. BAG, Urteil vom 25.10.2017 – 7 AZR 632/15 – Rn. 22; vom 21.01.2015 – 10 AZR 64/14 – Rn. 26 m.w.N.; vom 19.03.2014 – 10 AZR 622/13 –, Rn. 29 jeweils m.w.N.).
Eine Bezugnahmeklausel im Sinne einer nur bedingten zeitdynamischen Verweisung auf Tarifverträge setzt nach der Rechtsprechung des BAG voraus, dass die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers in einer für den Arbeitnehmer erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung gemacht worden ist. Dies ist – auch bei nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 abgeschlossenen Neuverträgen – jedenfalls dann anzunehmen, wenn bereits im Wortlaut der Klausel mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, dass die Anwendung der Tarifverträge von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig ist (vgl. BAG, Urteil vom 05.07.2017 – 4 AZR 867/16 – Rn. 22 m.w.N.).
c) Danach ist im vorliegenden Fall von einer bedingten zeitdynamischen Verweisung auf die Tarifverträge für die Arbeitnehmer/innen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie auszugehen.
aa) Das Wort „solange“ schränkt die in dem vorangegangenen Satzteil aufgestellte Aussage, dass für das Arbeitsverhältnis des Klägers der jeweils gültige Tarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie zur Anwendung kommt, ausdrücklich ein. Erkennbar soll die Geltung der jeweils gültigen Tarifverträge unter eine Bedingung gestellt werden. Sind die Voraussetzungen der Bedingung nicht erfüllt, sollen die Tarifverträge nicht zur Anwendung kommen. Im nachfolgenden Satz der Klausel sind auch die Folgen der Regelung zum Ausdruck gebracht, nämlich dass nach einer Beendigung der Mitgliedschaft, die die Tarifbindung auflöst, die gesetzlichen und arbeitsvertraglichen Regelungen gelten.
Im Fall des Betriebsübergangs tritt nach der gesetzlichen Regelung des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB der neue Inhaber „in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses ein.“ Für die arbeitsvertraglichen Regelungen der Parteien bedeutet dies, dass anstelle der früheren Arbeitgeberin MR die Beklagte zu lesen ist. Der Begriff „unser Unternehmen“ in der streitgegenständlichen Klausel bezieht sich deshalb nach dem zum 01.09.2009 stattgefundenen Betriebsübergang auf die Beklagte allein auf diese. Weitere Wertungen des § 613 a BGB sind für die Auslegung der streitgegenständlichen Klausel im Anschluss an die dargestellten Auslegungsgrundsätze nicht zu berücksichtigen. Für den hier vorliegenden Formulararbeitsvertrag kommt es vorrangig auf den Vertragswortlaut an, der gerade nicht auf § 613 a BGB Bezug nimmt. Auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung, die Anwendung der streitgegenständlichen Tarifverträge an die Mitgliedschaft mit Tarifbindung auf Seiten der Arbeitgeberin zu binden, gebietet keine Einbeziehung des Schutzzwecks des § 613 a BGB. Eine solche Auslegung wäre aber auch nicht geboten. Der Inhalt des Arbeitnehmerschutzes im Fall des Betriebsübergangs wird durch § 613 a BGB selbst zwingend geregelt. Die Regelungen des § 613 a BGB müssen deshalb nicht gesondert in arbeitsvertragliche Vereinbarungen aufgenommen werden. Im Übrigen würden die Tarifverträge für die Arbeitnehmer/innen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB nur statisch weitergelten (vgl. ErfK/Preis, 18. Aufl. 2018, § 613 a BGB, Rn. 112) und dem Kläger gerade keine Ansprüche auf zukünftige tarifliche Entgelterhöhungen vermitteln. Es ist zudem rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die MR die Ausgründung des Bereichs Hochleistungskunststoffe-Produktion vorgenommen hat, um hierdurch durch eine Tochtergesellschaft ohne Tarifbindung zu betreiben.
bb) Zu Gunsten der Auslegung des Klägers spricht auch nicht die weitere Regelung in der Bezugnahmeklausel, dass nach einer Beendigung der Mitgliedschaft, die die Tarifbindung auflöst, die gesetzlichen und arbeitsvertraglichen Regelungen gelten. Zwar kann diese Regelung nur auf die MR zutreffen, weil die Beklagte niemals Mitglied im betreffenden Arbeitgeberverband war und folglich ihre Mitgliedschaft auch nicht beenden konnte. Im Falle des Betriebsübergangs, bei dem die Person des Arbeitgebers ausgetauscht wird, sind arbeitsvertragliche Regelungen jedoch sinngemäß auszulegen. Statt „nach einer Beendigung dieser Mitgliedschaft“ wäre deshalb beispielsweise zu lesen „besteht keine Mitgliedschaft“. Eine Vorwegnahme aller tatsächlichen und rechtlichen Veränderungen eines möglicherweise jahrzehntelang bestehenden Arbeitsverhältnisses ist nicht möglich und wegen einer stets vorzunehmenden Vertragsauslegung auch nicht erforderlich.
cc) Für die hier vertretene Auffassung spricht schließlich, dass auch der Betriebsrat die streitgegenständliche Klausel so verstanden hat. In Ziff. 4 der Überleitungsvereinbarung vom 21.07.2009 ist allen Mitarbeitern, „unabhängig davon, ob in den geltenden Arbeitsverträgen eine Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag enthalten ist“, die dynamische Entgeltentwicklung abgesichert worden. Als Beispiel eines typischen und redlichen Geschäftspartners hätte der Betriebsrat die Bezugnahmeklausel in dem Sinne verstanden, dass sie nach dem Betriebsübergang die Anwendung der streitgegenständlichen Tarifverträge nicht mehr vermittelt.
dd) Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung des BAG vom 23.11.2017 – 6 AZR 683/16 – stützt, ist ihm nicht zuzustimmen. Die Entscheidung betrifft einen gänzlich anderen Sachverhalt. Es besteht auch kein Widerspruch zur Entscheidung des BAG vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 –. In der streitgegenständlichen Bezugnahmeklausel ist ausdrücklich die Bedingung „Mitglied mit Tarifbindung“ getroffen worden.
d) Im Hinblick auf das gefundene Auslegungsergebnis ist für die Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB kein Raum. § 305 c Abs. 2 BGB setzt voraus, dass die Auslegung nach den einschlägigen Auslegungsregeln zu nicht behebbaren Zweifeln führt. Im vorliegenden Fall fehlt es im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen an einer ernsthaft in Betracht kommenden anderen Bedeutung der Klausel.
e) Da die hinsichtlich der Dynamik der Verweisung vereinbarte auflösende Bedingung – Mitglied mit Tarifbindung im Arbeitgeberverband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie e.V. – unstreitig auf die Beklagte nicht zutrifft, kommt der jeweils gültige Tarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie für das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht zur Anwendung.
2. Die Zahlungsansprüche und die Anwendung der betreffenden Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie ergeben sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Beklagte zwischen 2009 und 2014 tarifliche Gehaltserhöhungen an den Kläger weitergegeben hat. Hierin liegt nicht das konkludente Angebot, abweichend von der Regelung in der Änderungsvereinbarung vom 11.11.2008 zukünftig alle Tariflohnerhöhungen weiterzugeben (vgl. BAG, Urteil vom 05.07.2017 – 4 AZR 867/16 – Rn. 32 m.w.N.). Die diesbezügliche Behauptung des Klägers bleibt ohne Begründung. Aus der Zahlung von Tariferhöhungen lässt sich darüber hinaus nicht auf die Anwendung der betreffenden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis überhaupt schließen.
III.
Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG.
IV.
Es bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG kein Grund, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

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