Verwaltungsrecht

Überschreitung einer Prozessvollmacht durch Klagerücknahme

Aktenzeichen  AN 5 S 15.02439

Datum:
18.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80Abs. 7, § 92

 

Leitsatz

1 Soweit die zum Privatrecht entwickelten Grundsätze zum Vertretungsmissbrauch auf die Prozessvertretung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren übertragbar sind, bedarf es jedenfalls einer massive Verdachtsmomente voraussetzenden objektiven Evidenz des Missbrauchs. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Rücknahme einer Klage nach Ablehnung eines zugehörigen einstweiligen Rechtsschutzbegehrens in zwei gerichtlichen Instanzen, so dass kein weiteres ordentliches Rechtmittel mehr gegeben ist, stellt keinen ungewöhnlichen Vorgang in der gerichtlichen Praxis dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, vertreten durch Rechtsanwalt E., einstweiligen Rechtsschutz gegen den Vollzug des Bescheides der Antragsgegnerin vom 9. April 2015, mit dem der Antrag des Antragstellers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt und ihm zugleich die Abschiebung unter Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise angedroht worden ist. Gegen diesen Bescheid der Antragsgegnerin sei unter dem Aktenzeichen AN 5 K 15.00768 Klage anhängig (Bevollmächtigter dort, nach Aktenlage, Rechtsanwalt H.).
Im vorangegangenen Eilverfahren AN 5 S 15.00767 habe die Kammer den Antrag des Klägers im Verfahren AN 5 K 15.00768 mit Beschluss vom 9. September 2015 als unbegründet abgelehnt, im Wesentlichen mit der Begründung, die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels seien nicht erfüllt, weil der Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Die hiergegen vom Antragsteller erhobene Beschwerde habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 20. Oktober 2015 als unzulässig verworfen. Das genannte Eilverfahren sei somit unanfechtbar abgeschlossen.
Nunmehr habe sich die Situation für den Antragsteller jedoch grundsätzlich geändert, da dieser inzwischen über einen unbefristeten Arbeitsvertrag verfüge, auf dessen Grundlage er ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1.700,00 EUR habe. Demgemäß sei nunmehr von einer Sicherung des Lebensunterhalts auszugehen, weshalb erneut Eilantrag gestellt werde.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 wies das Gericht Rechtsanwalt E. darauf hin, dass der Antragsteller seine bisher unter dem Aktenzeichen AN 5 K 15.00768 anhängig gewesene Klage zurücknehmen habe lassen, wodurch der Bescheid vom 9. April 2015 unanfechtbar geworden sei (Einstellungsbeschluss vom 15.12.2015).
Hierauf erwiderte Rechtsanwalt E. mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2015 im Wesentlichen Folgendes: Weder er, Rechtsanwalt E., noch der Antragsteller hätten von der Klagerücknahme Kenntnis gehabt, sie hätten davon erst durch die Mitteilung des Gerichts erfahren. Rechtsanwalt H. habe auf telefonische Anfrage erklärt, die Klagerücknahme sei von ihm veranlasst worden, ohne dass er mit dem Antragsteller zuvor Rücksprache genommen habe. Dies habe er für überflüssig gehalten, weil er davon ausgegangen sei, dass der Antragsteller sich nicht mehr in Deutschland aufhalte. Bei der Klagerücknahme handele es sich zwar um eine grundsätzlich nicht widerrufliche bzw. nicht anfechtbare Prozesshandlung, dies gelte jedoch dann nicht, wenn der Bevollmächtigte die Prozessvollmacht, so wie hier, offenbar missbräuchlich verwendet habe (Verweis auf BFH, NJW 1997, 1030; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 84 Rn. 3 m. w. N.). Der offenbare Missbrauch sei vorliegend darin zu sehen, dass ein Rechtsanwalt, der einen so entscheidenden Schritt für seinen Mandanten vornehmen wolle, wie es die Klagerücknahme darstelle, dies im Innenverhältnis zum Mandanten nur dann tun dürfe, wenn er dessen Zustimmung zu dieser Maßnahme eingeholt habe. Eine Klagerücknahme, bei der der Prozessbevollmächtigte nicht einmal den Versuch unternommen habe, mit der vertretenen Partei in Kontakt zu treten und deren Zustimmung zur beabsichtigten Klagerücknahme einzuholen, sei offenbar missbräuchlich. Dies habe zur Folge, dass diese Prozesshandlung für die vertretene Partei keine Wirkung entfaltet und diese so zu stellen sei, als sei die Klagerücknahme nicht erfolgt.
Der Antragsteller begehrt sinngemäß,
den Beschluss der Kammer vom 9. September 2015, AN 5 S 15.00767, nach § 80 Abs. 7 VwGO abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage, AN 5 K 15.00768, gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. September 2015 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin begehrt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte sie sinngemäß u. a. aus: Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO sei unzulässig, die von Rechtsanwalt H. erklärte Klagerücknahme sei wirksam. Der Antragsteller sei im Anschluss an den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Oktober 2015 mit Schreiben vom 9. November 2015 an seine vollziehbare Ausreiseverpflichtung erinnert worden, gleichzeitig sei dieser unter Fristsetzung bis spätestens 18. November 2015 zur Vorlage eines Flugtickets als Nachweis für die zeitnah bevorstehende Ausreise aufgefordert worden. Dieser Aufforderung sei der Antragsteller jedoch nicht nachgekommen. Stattdessen habe Rechtsanwalt H. nach Fristablauf, nämlich am 19. November 2015, versucht, telefonisch das Verhalten des Antragstellers zu entschuldigen. Gleichzeitig habe Rechtsanwalt H. ausgeführt, dass der Antragsteller einen Termin bei der Zentralen Rückkehrberatung wahrnehmen wolle. Ein solcher Termin sei dem Antragsteller sodann von der Zentralen Rückkehrberatung sogar kurzfristig eingeräumt worden, dennoch habe der Antragsteller diesen Termin unentschuldigt nicht wahrgenommen. Im Übrigen seien im Antragsschriftsatz auch keine neuen Gesichtspunkte im Sinne von § 80 Abs. 7 VwGO vorgetragen worden. Der Antragsteller sei insbesondere nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels, der ihn zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigte (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Sollte der Antragsteller dennoch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, sei ein entsprechendes Ermittlungsverfahren bzw. Strafverfahren einzuleiten. Der Antragsteller bestreite bereits seit langem seinen Lebensunterhalt mit Sozialleistungen nach dem SGB II. Von einer nachhaltigen Sicherung des Lebensunterhalts könne nicht ausgegangen werden, wenn der Antragsteller nun kurzfristig aufgrund einer unmittelbar bevorstehenden Aufenthaltsbeendigung ein Arbeitsangebot vorlege.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten (auch im Verfahren AN 5 K 15.00768) sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der sachdienliche Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO ist abzulehnen, weil er unzulässig ist und im Übrigen auch unbegründet wäre.
Der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO geht ins Leere, denn die Klage, bezüglich derer der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 7 VwGO begehrt, ist für den Antragsteller bzw. für den Kläger im dortigen Verfahren durch Rechtsanwalt H. wirksam zurückgenommen worden (Einstellungsbeschluss des Gerichts vom 15.12.2015).
Wie zwischen den Parteien zu Recht unstrittig ist, handelt es sich bei einer Klagerücknahmeerklärung um eine Prozesshandlung, die grundsätzlich nicht widerrufen oder angefochten werden kann. Der Einwand von Rechtsanwalt E., Bevollmächtigter des Antragstellers im vorliegenden Verfahren, Rechtsanwalt H. habe mit der Abgabe der Klagerücknahmeerklärung ohne vorherige Rücksprache mit seinem Mandanten die ihm erteilte Prozessvollmacht „offenbar rechtsmissbräuchlich“ verwendet, weswegen der Antragsteller an die Klagerücknahmeerklärung nicht gebunden sei, greift hier nicht durch.
Nach langjähriger ständiger Rechtsprechung des BGH zum Vertretungsmissbrauch im privatrechtlichen Rechtsverkehr ist der Vertretene gegen einen erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner (nur) unter besonderen Voraussetzungen geschützt. Voraussetzung ist nämlich, dass beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen mussten, ob nicht ein Treuverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig sei dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs (vgl. etwa BGH, U.v. 25.10.1994 – XI ZR 239/93 – juris, m. w. N.). Diese zum Privatrecht entwickelten Grundsätze mögen auf die Prozessvertretung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren übertragbar sein (vgl. für das finanzgerichtliche Verfahren: BFH, B.v. 13.6.1996 – III B 23/95 – juris). Ebenso wie eine Privatperson, die bei dem sich aufdrängenden Verdacht eines Vollmachtsmissbrauchs beim Vertretenen Rücksprache nehmen müsse, habe sich – so der BFH a. a. O. – im Prozess das Gericht in Verdachtsfällen über das Vertretungsverhältnis zu vergewissern und die Vorlage einer neuen, vom Kläger selbst auf das konkrete gerichtliche Verfahren bezogenen Vollmacht zu verlangen.
Evidente Indizien für einen Vollmachtsmissbrauch bzw. eine Vollmachtüberschreitung im vorgenannten Sinne durch Rechtsanwalt H. bei Abgabe der Klagerücknahmeerklärung bestanden für das Gericht jedoch nicht, es bestand auch im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts kein sich diesem aufdrängender Anlass, sich über das Fortstehen der Prozessvollmacht für Rechtsanwalt H. zu vergewissern.
Die Rücknahme einer Klage nach Ablehnung eines zugehörigen einstweiligen Rechtsschutzbegehrens in zwei gerichtlichen Instanzen, so dass kein weiteres ordentliches Rechtmittel mehr gegeben ist, stellt keineswegs einen ungewöhnlichen Vorgang in der gerichtlichen Praxis dar. Anhaltspunkte dafür, dass dies im vorliegenden Fall vom Gericht ausnahmsweise anders gesehen hätte werden müssen, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Von dem Verhalten des Antragstellers gegenüber der Ausländerbehörde, wie es im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 29. Dezember 2015 im vorliegenden Eilverfahren geschildert worden ist, hatte das Gericht im Klageverfahren keine Kenntnis, zumal der Einstellungsbeschluss dort bereits am 15. Dezember 2015 ergangen ist. Darüber hinaus würde auch dieser Vortrag, selbst wenn er dem Gericht im Zeitpunkt des Erlasses des Einstellungsbeschlusses vom 15. Dezember 2015 bekannt gewesen wäre, keinen Anlass für eine andere Betrachtungsweise bieten.
Lediglich ergänzend und ohne dass es für das hier gefundene Ergebnis noch darauf ankäme, sei noch angefügt, dass bei summarischer Überprüfung viel dafür spricht, dass der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auch in der Sache keinen Erfolg haben könnte. Auf die entsprechenden Ausführungen im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 29. Dezember 2015, Seite 3, wird verwiesen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwert: § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


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