Verwaltungsrecht

Der Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat – Offensichtlich unbegründeter Antrag

Aktenzeichen  M 4 S 15.31587

Datum:
14.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

Der Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat. Bei Gefahr für Leib und Leben durch nichtstaatliche Dritte kann auf die Hilfe der zuständigen Behörden im Kosovo verwiesen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der 1991 geborene Antragsteller ist Albaner und kosovarischer Staatsangehöriger. Er stellte am 23. März 2015 einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … 2015 brachte er im Wesentlichen Folgendes vor: Er sei Fußballer in einem Verein gewesen und habe Schwierigkeiten mit drei Männern aus einem anderen Verein gehabt. Im Juli 2013 sei er in einer Disco von diesen drei Personen mit einem Messer und einem Pfefferspray angegriffen und verletzt worden. Er sei nicht zur Polizei gegangen. In der Folgezeit sei er per SMS bedroht worden, u. a. mit dem Tode. Bei einem weiteren Vorfall, der der letzte Vorfall gewesen sein soll und sich im August 2014 abgespielt haben soll, sei er von diesen Leuten, während er mit Cousin und Bruder im Auto gewesen sei, mit einem Auto angefahren worden. Die Polizei im Kosovo sei machtlos. Er könne im Kosovo gut von seinem Gehalt (Arbeit in Straßenbau Firma des Vaters) leben. Probleme mit Polizei oder staatlichen Stellen habe er nicht gehabt.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 ergänzte der Antragsteller seinen Asylantrag. Dabei wies er u. a. darauf hin, dass einer der Angreife der Sohn eines hohen Polizeioffiziers gewesen sei. Er habe selbst nach den zwei Vorfällen versucht, im Kosovo weiterzuleben. Deswegen sei er auch erst vier Monate nach dem letzten Vorfall ausgereist.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Antrag auf Asylanerkennung sowie den Antrag auf subsidiären Schutz jeweils als offensichtlich unbegründet ab und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die Antragsteller wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Bescheid im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller habe im Fall seiner Rückkehr keine staatlichen oder relevanten nichtstaatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. Soweit der Antragsteller vorgetragen habe, er sei aus individuellen Gründen Opfer von Bedrohungen, könne dieses Vorbringen nicht zu Flüchtlingsschutz oder Asyl führen. Gegen rechtswidrige Übergriffe nichtstaatlicher Akteure stehe hinreichender staatlicher Schutz zur Verfügung. Auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz seien nicht gegeben. Nationale Abschiebungsverbote seien geprüft worden, aber zu verneinen.
Der Bescheid, am 21. Oktober 2015 zur Post aufgegeben, wurde mit Postzustellungsurkunde an den Antragsteller versendet. Nach der in den Akten befindlichen Urkunde konnte der Bescheid am 23. Oktober 2015 jedoch nicht zugestellt werden, da der Adressat unter der – von der Regierung von Oberbayern am 15. September 2015 und vom Antragsteller mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 – angegebenen Adresse nicht zu ermitteln sei.
Am 27. November 2015 erhob der Antragsteller „Widerspruch“ zum Verwaltungsgericht München, der als Klage unter dem Aktenzeichen M 4 K 15.31586 rechtshängig ist, und beantragte am 29. November 2015,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung führte er an, dass er keine Post des Bundesamtes erhalten hätte und ihm die Chance genommen worden wäre, vor Inkrafttreten der Rechtskraft Widerspruch einzulegen.
Die Antragsgegnerin übersandte die Behördenakten, ohne einen Antrag zu stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- anzuordnen, ist jedenfalls unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16 a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Zwar konnte der streitgegenständliche Bescheid ausweislich der Postzustellungsurkunde am 23. Oktober 2015 nicht dem Antragsteller zugstellt werden, weil der Antragsteller unter der angegebenen Adresse nicht ermittelbar war. Jedoch hat der Antragssteller die Zustellung des Bescheids gegen sich gelten lassen, da diese am 21. Oktober 2015, dem Tag der Aufgabe zur Post (vgl. Datum des Begleitschreibens zum streitgegenständlichen Bescheid), als bewirkt gilt (§ 10 Abs. 2 Satz 4 und Satz 1 bzw. Satz 2 AsylG). Der Antragsgegnerin war von der Regierung von Oberbayern mit Schreiben vom 15. September 2015, bei der Antragsgegnerin am 17. September 2015 eingegangen, mitgeteilt worden, dass der Antragsteller unter der Adresse, an die auch der streitgegenständliche Bescheid versandt wurde, leben würde. An diese Adresse konnte auch, wie der Postzustellungsurkunde vom 2. Oktober 2015 zu entnehmen ist, die Aufforderung zur Stellungnahme zur beabsichtigten Befristung (§ 11 Abs. 2 AufenthG) erfolgreich zugestellt werden. Auch hat der Antragsteller die Adresse, an die auch der streitgegenständliche Bescheid versandt wurde, selbst in seiner Stellungnahem vom 9. Oktober 2015 angegeben. Ob hier ein wirksamer und begründeter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) vorliegt, kann im Eilverfahren offen bleiben; die hierzu notwendigen Ermittlungen bleiben dem Klageverfahren vorbehalten.
2. Der Antrag ist nicht begründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16 a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
2.1. Entsprechend der Gesetzeslage des Art. 16 a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – DVBl 84, 673 ff. – juris Rn. 40). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16 a GG) und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196).
Bei der Berufung auf eine Individualverfolgung kann das Offensichtlichkeitsurteil unter anderem dann gerechtfertigt sein, wenn die im Einzelfall behauptete Gefährdung offensichtlich nicht asylrelevant ist, den erforderlichen Grad der Verfolgungsintensität nicht erreicht oder sich das Vorbringen des Asylbewerbers insgesamt als eindeutig unglaubhaft erweist.
2.2. Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen.
Für das Gericht ist offensichtlich, dass der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter dem Antragsteller nicht zusteht.
Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Asylberechtigte oder als Flüchtling rechtfertigen würde, hat er nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat in seinem Antrag keine inhaltlichen Einwände gegen den streitgegenständlichen Bescheid vorgetragen. Daher wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 20. Oktober 2015 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:
Es bestehen schon Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner fluchtauslösenden Umstände. So hat der Kläger vorgetragen, dass die beiden Angriffe/Bedrohungen im Sommer 2013 und 2014 stattgefunden hätten. Jedoch hat er erst im März 2015 im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt. Für das Gericht ist nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller den ersten Vorfall 2013 und den Eingang der anschließenden Droh-SMS nicht bei der Polizei angezeigt hat. Er kannte offensichtlich die Personen, die in einem anderen Fußballverein gewesen seien und ihn bedroht und angegriffen haben sollen. Gegen die Glaubwürdigkeit spricht zudem, dass der Antragsteller seinen Vortrag nachträglich gesteigert hat. So hat er im Schreiben vom 9. Oktober 2015 vorgetragen, dass einer der Angreifer der Sohn eines hohen Polizeioffiziers sei. In seiner Anhörung hatte er diese jedoch nicht erwähnt.
Unabhängig davon weist der hier vorgetragene Konflikt mit privaten Personen keinen Bezug zu den sog. asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmalen im Sinn des § 3b AsylG, § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf.
Darüber hinaus liegt auch kein asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgungsakteur vor: Die Verfolgung durch die – hier geltend gemachten – nichtstaatlichen Akteure ist gemäß § 3c Nr. 3 AsylG alleine nur dann relevant, wenn der Staat (§ 3c Nr. 1 AslyG) oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AslyG), einschließlich internationaler Organisationen erwiesenerma-ßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Dies ist nicht der Fall. Beim Kosovo handelt es sich um einen sicheren Herkunftsstaat (vgl. Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10. 2015, BGBl. 2015 I, 1722, Nr. 35). Schutz vor kriminellen Bedrohungen bzw. Angriffen durch private Personen ist durch die staatlichen Institutionen zu suchen. Insoweit wird auf die ausführlichen Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 20. Oktober 2015 verwiesen (dort Seite 3 f.). Ergänzend wird auf den Länderreport Kosovo (Stand Mai 2015) des Bundesamts (dort Seite 24) verwiesen; dort heißt es u. a.: Die Polizei (Kosovo-Police-KP) hat derzeit eine Stärke von ca. 9.000 Personen und ist im ganzen Land vertreten. EULEX-Polizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im gesamten Land. Nach einer Studie des „United Nations Office on Drugs and Crime“ (UNODC) ist die Kriminalität, mit Ausnahme der Organisierten Kriminalität und der Korruption, rückläufig und niedriger als im gesamteuropäischen Vergleich. Es gibt Polizeistationen im ganzen Land, wo man Anzeigen erstatten kann. Es können auch Anzeigen beim Büro der Staatsanwaltschaften, bei der EULEX Staatsanwaltschaft und beim Ombudsmann eingereicht werden. Laut Auswärtigem Amt hat sich die Polizei als gute Stütze der demokratischen Strukturen etabliert. Sie wird bei der Bevölkerung als die am vertrauenswürdigste rechtsstaatliche Institution angesehen.
Ernstliche Zweifel bestehen ebenfalls nicht hinsichtlich der Versagung subsidiären Schutzes. Ferner bestehen keine Anhaltspunkte für Abschiebungsverbot i. S. des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben durch einen Konflikt mit privaten Personen wurde, wie bereits erwähnt, nicht glaubhaft gemacht; auch bieten die staatlichen Organisationen, wie oben dargelegt, grundsätzlich ausreichend Schutz.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG abzulehnen.


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