Aktenzeichen 2 C 39/17
Verfahrensgang
vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 25. April 2017, Az: 2 A 267/15, Urteilvorgehend VG Leipzig, 26. März 2015, Az: 3 K 1352/14, Urteil
Tatbestand
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Der Kläger ist Feuerwehrbeamter im Dienste der beklagten Stadt. Er begehrt die Gewährung von Freizeitausgleich, hilfsweise eine Entschädigung in Geld, für in den Jahren 2013 bis 2015 über 48 Stunden wöchentlich hinaus geleisteten Dienst in einem Gesamtvolumen von rund 250 Stunden.
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Im Mai 2013 erklärte der Kläger schriftlich gegenüber der Beklagten, dass er mit der Erhöhung der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf maximal 52 Stunden einverstanden sei. In der Erklärung heißt es, er sei darauf hingewiesen worden, dass die Abgabe der Erklärung freiwillig sei und ihm aus dem Widerruf der Erklärung keine Nachteile entstehen würden.
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Der Kläger leistete in der Folge wöchentlich 52 Stunden Dienst, ab Januar 2015 wöchentlich 50 Stunden und seit dem 15. Juni 2015 wöchentlich 48 Stunden.
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Den im November 2013 erhobenen Widerspruch des Klägers gegen die wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Art und Weise der Abrechnung und Abgeltung, soweit die Arbeitszeit die Grenze von 48 Stunden wöchentlich überschreite, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2014 zurück.
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Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.
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Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger Freizeitausgleich in Höhe von 236 Stunden und 15 Minuten für den Zeitraum vom 1. Dezember 2013 bis 14. Juni 2015 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der von dem Kläger über 48 Stunden wöchentlich hinaus geleistete Dienst keine Mehrarbeit darstelle. Der Kläger habe aber, soweit er über 48 Stunden wöchentlich hinaus Dienst geleistet habe, rechtswidrig Zuvielarbeit geleistet. Hierfür stehe ihm im Rahmen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs ein Ausgleichsanspruch zu. Diejenigen Beamten, die nicht bereit gewesen seien, eine Erklärung abzugeben, bis zu 52 Stunden wöchentlich zu arbeiten, seien in den allseitig als nachteilig empfundenen 12-Stunden-Dienstplan überführt worden, während die übrigen Beamten in den 24-Stunden-Dienst eingeteilt worden seien. Bei der Einteilung in den anderen Dienstplan handele es sich zwar förmlich nicht um eine Umsetzung, sie wirke sich aber gleichermaßen aus. Beamte, die im 12-Stunden-Schichtsystem Dienst leisteten, hätten spezifische Nachteile gehabt. Dies ergebe sich zum einen aus der mit der geänderten Diensteinteilung verbundenen finanziellen Mehrbelastung und zum anderen aus den damit einhergehenden Einschränkungen für die Lebensgestaltung. So verursachten die häufigeren Fahrten zur Dienststelle im 12-Stunden-Dienstplan erhöhte Kosten. Auch hätten die Beamten in diesem System nicht in gleichem Umfang Zulagen und Zusatzurlaub erhalten. Zudem schließe sich an eine 12-Stunden-Schicht lediglich eine kürzere Erholungszeit an; das “lange Wochenende” am Ende der dritten Woche entfalle. Der Ausgleichsanspruch sei auf den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2013 begrenzt. Nach dem Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung könne der Ausgleichsanspruch erst ab dem Monat bestehen, der auf die Geltendmachung gegenüber dem Dienstherrn folgt. Der Umfang des Zeitausgleichs errechne sich pauschal unter Abzug des sechswöchigen Urlaubsanspruchs sowie einer weiteren Woche für die Wochenfeiertage.
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Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten. Sie stellt in Abrede, dass die Einteilung in den 12-Stunden-Dienst nachteilig gewesen sei. Die unterschiedlichen Schichtdienste seien vielmehr eine organisatorische Notwendigkeit gewesen.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. April 2017 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 26. März 2015 insgesamt zurückzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision hat teilweise Erfolg. Betreffend den Zeitraum vom 1. Dezember 2013 bis zum 14. Juni 2015 ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Im Hinblick auf die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs und des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs sowie auf deren konkreten Umfang enthält das Berufungsurteil keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen, die eine abschließende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO oder nach § 144 Abs. 4 VwGO erlaubten.
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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Anspruch aus Mehrarbeit hat und dass der unionsrechtliche Haftungsanspruch wie auch der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch nach dem Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung erst ab dem Monat bestehen, der auf die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Dienstherrn folgt (BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 – 2 C 40.17 – Rn. 12 ff.; zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen).
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2. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bieten keine hinreichende Grundlage, um abschließend über das Bestehen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs wie auch des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs zu entscheiden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht Geschädigten bei Verstößen gegen das Unionsrecht (a) dann ein Entschädigungsanspruch zu, wenn die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, die Verleihung von Rechten an den Geschädigten bezweckt (b), der Verstoß gegen die Norm hinreichend qualifiziert ist (c) und zwischen diesem Verstoß und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (EuGH, Urteile vom 26. Januar 2010 – C-118/08, Transportes Urbanos y Servicios Generales – Slg. 2010, I-635 Rn. 30 und vom 25. November 2010 – C-429/09, Fuß II – Slg. 2010, I-12167 Rn. 47).
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a) Für die Beurteilung der Frage, ob bei dem Kläger die nach der RL 2003/88/EG zulässige Höchstarbeitszeit überschritten wurde, soweit er wöchentlich mehr als 48 und bis zu 52 Stunden Dienst geleistet hat, sind weitere Tatsachen durch das Oberverwaltungsgericht zu ermitteln.
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Art. 22 Abs. 1 RL 2003/88/EG verlangt für eine rechtmäßige Erweiterung der Arbeitszeit über 48 Stunden hinaus u. a., dass keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen, dass er nicht bereit ist, eine solche Arbeit zu leisten. Die RL 2003/88/EG verfolgt das Ziel, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer dadurch zu gewährleisten, dass diese hinreichende Ruhezeiten einhalten.
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Von einem Nachteil im Sinne des Art. 22 Abs. 1 RL 2003/88/EG ist demnach zuvörderst dann auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer die vorgeschriebenen Ruhezeiten vorenthalten werden. Daneben ist es auch möglich nachzuweisen, dass dem Arbeitnehmer ein anderer spezifischer Nachteil entstanden ist, der nicht allein in der Vorenthaltung der vorgeschriebenen Ruhezeiten besteht (EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – C-243/09, Fuß I – Slg. 2010, I-9849 Rn. 54 f.). Ein sonstiger Nachteil kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in einer Retorsionsmaßnahme, d.h. einer Gegenmaßnahme, bestehen, etwa in einer Umsetzung gegen den Willen des Beamten. Die Angst vor einer solchen negativen Sanktion könnte Arbeitnehmer, die einer Erhöhung der Arbeitszeit nicht freiwillig zustimmen möchten oder ihre frühere freiwillige Zustimmung widerrufen möchten, davon abschrecken, ihre Rechte geltend zu machen (EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – C-243/09, Fuß I – Slg. 2010, I-9849 Rn. 65 f.).
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Unter den Begriff des Nachteils fallen allerdings auch sonstige Umstände, die eine Folge der Entscheidung darstellen, die Erklärung, freiwillig über 48 Stunden wöchentlich hinaus Dienst zu leisten, nicht abgeben oder widerrufen zu wollen. Unerheblich ist es dabei einerseits, ob der Dienstherr diesen Umständen eine Art Strafcharakter für die von dem Beamten getroffene Wahl zumisst, nicht mehr als die an sich höchstens zulässigen 48 Stunden wöchentlich Dienst zu leisten. Ebenso kommt es bei der Beurteilung, ob solche Umstände nachteilig sind, nicht auf die subjektive Ansicht des Beamten an. Dann hätte es der Beamte in der Hand, gegenüber nahezu jeder der Organisationshoheit des Dienstherrn unterfallenden Maßnahme sich auf deren Nachteiligkeit zu berufen. Dies schränkte den Handlungsspielraum des Dienstherrn, die jedenfalls ausnahmsweise bestehende Möglichkeit, über 48 Stunden wöchentlich hinaus Dienst zu leisten, organisatorisch sinnvoll zu begleiten, unangemessen ein. Neben der eingangs beschriebenen Retorsionsmaßnahme kommt ein Nachteil im Sinne des Art. 22 Abs. 1 RL 2003/88/EG deswegen vor allem dann in Betracht, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Folgen der Verweigerung der Arbeitszeitverlängerung sich im Rahmen einer Gesamtschau bei objektiver Betrachtung als negativ darstellen. In die Gesamtschau sind sowohl die vorteilhaften als auch die nachteiligen Umstände mit einzubeziehen. Ungünstige Umstände, die der Dienstherr anderweitig – etwa durch Geld- oder Zeitausgleich – kompensiert, haben hingegen unberücksichtigt zu bleiben. Vor diesem Hintergrund kann auch eine negative Dienstplangestaltung einen Nachteil darstellen (BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2017 – 2 C 31.16 – Buchholz 237.21 § 76 BrbgLBG Nr. 1 Rn. 22, 24).
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Im konkreten Fall bieten die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine hinreichende Grundlage, um die gebotene Gesamtschau vorzunehmen. So fehlen ausreichende Angaben dazu, ob und welche Folgen des 12-Stunden-Schichtdienstes, der aus Sicht der Beklagten ein neutrales, organisatorisch bedingtes Aliud darstellt, gegenüber dem 24-Stunden-Schichtdienst objektiv negativ sind.
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Insoweit nicht eindeutig erscheint die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, Beamte, die nicht an der Arbeitszeitverlängerung teilnehmen, erhielten nicht in gleichem Umfang Zusatzurlaub. Gemäß § 10 Abs. 5 der Sächsischen Urlaubs-, Mutterschutz- und Elternzeitverordnung vom 16. Dezember 2013 (SächsGVBl. S. 901) – SächsUrlMuEltVO – sind Beamte der Feuerwehr, wenn sie nach einem Schichtplan eingesetzt sind, der für den Regelfall Schichten von 24 Stunden Dauer vorsieht, von den Leistungen u.a. des Absatzes 1 dieser Vorschrift, welcher Zusatzurlaub für Nachtdienststunden vorsieht, ausgenommen. Jedenfalls in diesem Zusammenhang dürfte der 12-Stunden-Schichtdienst eher einen Vorteil als einen Nachteil darstellen.
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Auch ist zu ermitteln, ob die zusätzlichen Fahrten zur Dienststelle, welche im 12-Stunden-Schichtdienst unweigerlich entstehen, in ihrem Umfang – abhängig von der Entfernung des Wohnorts zum Dienstort – und unter Berücksichtigung der steuerlichen Absetzbarkeit solcher Kosten überhaupt ein gewisses Maß an Erheblichkeit erlangen, um in die Gesamtschau eingestellt zu werden.
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Des Weiteren wird zu ermitteln sein, in welchem Umfang tatsächlich Unterschiede bei den Zulagen in beiden Schichtmodellen bestehen. Hierbei ist jeweils zu berücksichtigen, ob diese Zulagen einen echten Vorteil darstellen oder ob sie lediglich zur Kompensation eines Nachteils geleistet werden, der dann bei einer alle Umstände erfassenden Gesamtschau ebenfalls mit in die Waagschale zu legen ist. Denkbar ist es insoweit, dass ein finanzieller Vorteil eines im 24-Stunden-Dienst beschäftigten Beamten bereits durch einen tatsächlichen Nachteil, den dieser Beamte zu tragen hat und der den Grund für die jeweilige Zulage bildet, kompensiert ist.
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Schließlich sind Feststellungen darüber zu treffen, ob ein “langes Wochenende” bei objektiver Betrachtung für den Beamten vorteilhafter ist als mehrere kürzere Erholungsphasen, die bei dem 12-Stunden-Schichtdienst gegeben sind.
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b) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits entschieden, dass es sich bei den Arbeitszeitregelungen der RL 2003/88/EG um besonders wichtige Regelungen des Sozialrechts der Union handelt, die dem Einzelnen Rechte verleihen (EuGH, Urteil vom 25. November 2010 – C-429/09, Fuß II – Slg. 2010, I-12167 Rn. 33, 35).
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c) Sollte das Oberverwaltungsgericht bei der erneuten Entscheidung über die Sache einen Verstoß gegen das Unionsrecht bejahen, wäre ebenfalls der Frage nachzugehen, ob dieser Verstoß hinreichend qualifiziert ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert, wenn der Mitgliedstaat sein Ermessen offenkundig und erheblich überschritten hat. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig verkannt worden ist (EuGH, Urteil vom 25. November 2010 – C-429/09, Fuß II – Slg. 2010, I-12167 Rn. 51 f.). Insoweit ist der Senat der Auffassung, dass die unterschiedliche Dienstplangestaltung nicht ohne weiteres einer Umsetzung eines Beamten gleichzusetzen ist und somit die Qualifikation des Verstoßes nicht auf die eine Umsetzung betreffende Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – C-243/09, Fuß I – Slg. 2010, I-9849 Rn. 65 f.) zu stützen ist. Während bei der Umsetzung ein anderer konkreter Aufgabenbereich zugewiesen wird, bezieht sich die Zuordnung zu einem Schichtmodell in erster Linie auf die konkreten Arbeitszeiten.
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Von einem hinreichend qualifizierten Verstoß ist aber auch dann auszugehen, wenn der Verpflichtete bei der Anwendung des Unionsrechts über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Mai 1996 – C-5/94, Hedley Lomas – Slg. 1996, I-2553 Rn. 28). Abhängig vom Inhalt und Ergebnis der vorzunehmenden Gesamtschau (s.o. Rn. 16) muss sich das Oberverwaltungsgericht folglich auch mit der Frage auseinandersetzen, ob ein solcher verengter Gestaltungsspielraum für die Beklagte bestanden hat oder ob andere Umstände den Verstoß gegen Unionsrecht hinreichend qualifizieren.
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3. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bieten auch keine hinreichende Grundlage, den etwaig bestehenden unionsrechtlichen Haftungsanspruch und den beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch seinem Umfang nach zu bestimmen. Diesbezüglich hat der Senat in seinem Urteil vom 20. Juli 2017 – 2 C 31.16 – (Buchholz 237.21 § 76 BrbgLBG Nr. 1 Rn. 57 ff.), das dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung noch nicht bekannt sein konnte, Folgendes entschieden:
“Die Berechnung der vom Kläger für die Zeit ab dem Folgemonat der erstmaligen Geltendmachung – hier: Geltendmachung im Januar 2012 – der im Einzelnen erbrachten unionsrechtswidrigen Zuvielarbeit ist konkret und nicht – wie vom Oberverwaltungsgericht angenommen – pauschal zu ermitteln. Die konkrete Ermittlung der vom Kläger für den Zeitraum von Februar 2012 bis Dezember 2012 tatsächlich geleisteten Zuvielarbeit ist die weitere Aufgabe des erneut durchzuführenden Berufungsverfahrens. Dabei folgt schon aus dem Unionsrecht gemäß Art. 16 Buchst. b) Satz 2 RL 2003/88/EG, dass die nach Art. 7 RL 2003/88/EG gewährten Zeiten des bezahlten Jahresurlaubs sowie die Krankheitszeiten bei der Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Höchstarbeitszeit unberücksichtigt bleiben oder neutral sind. Diese Vorgabe des Unionsrechts verlangt, dass ungeachtet der Frage der Umsetzung in innerstaatliches Recht durch eine Rechtsnorm die betreffenden Tage bei der Berechnung mit der jeweiligen Soll-Arbeitszeit anzusetzen sind.
Die Arbeitszeitrichtlinie nimmt zwar lediglich auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub von vier Wochen Bezug (Art. 7 RL 2003/88/EG). Auch der darüber hinausgehende, im nationalen Recht begründete Mehrurlaub ist indes mit der Soll-Arbeitszeit anzusetzen. Denn Art. 15 RL 2003/88/EG lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen. Dies umfasst auch die Einräumung eines über den unionsrechtlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruchs. Da der Kläger am Urlaubstag von der Pflicht zur Dienstleistung befreit ist und auch der Mehrurlaub der Erholung des Klägers dient, können diese Tage nicht als Ausgleich für eine Überschreitung der Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Siebentageszeitraum herangezogen werden (vgl. ebenso schon BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 – 2 C 26.14 – Buchholz 232.0 § 87 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 66).
Auch Feiertage, die auf Wochentage fallen, sind mit der jeweiligen Soll-Arbeitszeit einzubeziehen und damit grundsätzlich zu neutralisieren. Soweit der Kläger an diesen Tagen nicht zur Dienstleistung verpflichtet war, können solche Tage nicht zum Ausgleich einer etwaigen Überschreitung der Höchstarbeitszeit herangezogen werden. Demgegenüber sind Zeiten, in denen dem Kläger auf Grundlage des Dienstzeitausgleichserlasses ein zeitlicher Ausgleich gewährt wurde, keine Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG.
Zur Arbeitszeit zählen unionsrechtlich sämtliche Zeiten, die vom betreffenden Feuerwehrbeamten im Rahmen von Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit in der Dienststelle abgeleistet worden sind, unabhängig davon, welche Arbeitsleistung er während dieses Dienstes tatsächlich erbracht hat (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2000 – C-303/98, Simap – Slg. 2000, I-7997 Rn. 52). Deshalb wird auch die genaue Bestimmung der Zahl der auszugleichenden Stunden Aufgabe des erneut durchzuführenden Berufungsverfahrens sein. Nach dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz muss danach vorliegend jede Stunde, die der Kläger innerhalb eines Siebentageszeitraumes über 48 Stunden hinaus gearbeitet hat, ausgeglichen werden, weil die Voraussetzungen für das von der Beklagten geltend gemachte “Opt-out” nach Art. 22 Abs. 1 RL 2003/88/EG – wie gezeigt – nicht vorlagen. Auch dies spricht nur für einen Ausgleich von tatsächlich und konkret erbrachter Zuvielarbeit.
Der Geldausgleich für die vom Kläger unionsrechtswidrig geleistete Zuvielarbeit orientiert sich an den jeweils geltenden Stundensätzen der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 1998 (- MVergV -, BGBl. I S. 3494). Auch dies macht deutlich, dass es um die konkret stundenbezogene Abrechnung der Zuvielarbeit geht und nicht um deren pauschale Zugrundelegung. Zwar unterscheiden sich rechtmäßige Mehrarbeit und unionsrechtswidrige Zuvielarbeit tatbestandlich. Rechtmäßige Mehrarbeit bedarf nach § 76 Abs. 2 LBG BB vom 3. April 2009 (GVBl. I S. 26) der Anordnung oder Genehmigung, die nur verfügt oder erteilt werden darf, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Des Weiteren darf angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit die unionsrechtliche Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden im Siebentageszeitraum (Art. 6 Buchst. b) RL 2003/88/EG) – außerhalb der vom Unionsrecht vorgesehenen Verfahren nach Art. 16 bis Art. 19 RL 2003/88/EG und Art. 22 RL 2003/88/EG – nicht überschreiten (BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 – 2 C 32.10 – BVerwGE 140, 351 Rn. 14). Nur unter diesen Voraussetzungen liegt Mehrarbeit im dienstrechtlichen Sinn vor, die zeitausgleichs- oder vergütungsfähig ist. Dagegen handelt es sich bei rechtswidrig geleisteter Zuvielarbeit im öffentlichen Dienstrecht um die Dienstzeit, die der Beamte über die unionsrechtlich nach Maßgabe der Arbeitszeitrichtlinie und ihrer Ausnahmebestimmungen höchstens zulässige wöchentliche Arbeitszeit hinaus erbringt. Sie ist ihm stets voll auszugleichen, primär durch Freizeitausgleich, sofern dies nicht mehr möglich ist, sekundär durch Geldausgleich. Dennoch geht es in beiden Fällen um den Ausgleich für eine überobligationsmäßige Heranziehung des Beamten (BVerwG, Urteile vom 26. Juli 2012 – 2 C 29.11 – BVerwGE 143, 381 Rn. 35 und vom 17. September 2015 – 2 C 26.14 – Buchholz 232.0 § 87 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 67), sodass für den Geldausgleich auch in Fällen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit in der Rechtsfolge die Stundensätze der Mehrarbeitsvergütungsverordnung herangezogen werden können.
Auf die Vorschriften über die Besoldung kann hingegen nicht zurückgegriffen werden (BVerwG, Urteil vom 26. Juli 2012 – 2 C 29.11 – BVerwGE 143, 381 Rn. 39). Denn die Besoldung ist kein Entgelt im Sinne einer Entlohnung für konkrete Dienste (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. März 1977 – 2 BvR 1039/75 u.a. – BVerfGE 44, 249 , vom 15. Oktober 1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39 und vom 20. März 2007 – 2 BvL 11/04 – BVerfGE 117, 372 ), sondern die Gegenleistung des Dienstherrn dafür, dass sich der Beamte mit vollem persönlichen Einsatz der Erfüllung seiner Dienstpflichten widmet (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. April 1967 – 2 BvL 3/62 – BVerfGE 21, 329 , vom 15. Oktober 1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39 und vom 20. März 2007 – 2 BvL 11/04 – BVerfGE 117, 372 ). Sie ist nicht auf die Entlohnung von Arbeitsstunden, sondern auf die Sicherstellung einer amtsangemessenen Lebensführung gerichtet.”
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Hieran hält der Senat fest. Das Berufungsgericht wird auch hier – gegebenenfalls – konkret zu ermitteln haben, in welchem Umfang der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum Zuvielarbeit geleistet hat.
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4. Für den ebenfalls im Raume stehenden beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch gelten dieselben Voraussetzungen und Rechtsfolgen wie für den unionsrechtlichen Haftungsanspruch (BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2017 – 2 C 31.16 – Buchholz 237.21 § 76 BrbgLBG Nr. 1 Rn. 49 m.w.N.). Die vom Berufungsgericht anzustellenden Ermittlungen beziehen sich gleichermaßen auf diesen Anspruch.
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5. Nach alledem hat für den Senat keine Veranlassung bestanden, das Verfahren auszusetzen, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV einzuholen. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich des Nachteilsbegriffs zunächst weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen.