Arbeitsrecht

8 O 450/21

Aktenzeichen  8 O 450/21

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Erfurt 8. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
Spruchkörper:
undefined

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe

Der zulässige Antrag des Klägers vom 29. April 2021 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Es fehlt an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage, § 114 ZPO. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Der Kläger wirft der Beklagten zu 1. mehrere Pflichtverletzungen – unterlassene Informationen und Hinweise – vor. Zum einen hält er die für die Jahre 2013 bis 2015 – zuletzt in 2016 – erstellten Jahresabschlüsse für fehlerhaft, da sie zu Fortführungswerten – going concern – und nicht Liquidationswerten erstellt wurden. Es habe an einer Fortführungsprognose gefehlt. Zum anderen lautet sein Vorwurf, es habe an ausdrücklichen Warnungen vor einer Insolvenz und Hinweisen auf Insolvenzgründe und eine Insolvenzantragspflicht gefehlt.
Der Kläger beruft sich für seine Vorwürfe auf eine Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 26. Januar 2017 (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – IX ZR 285/14, BGHZ 213, 374-394, juris).
Die mit dieser Rechtsprechungsänderung einhergehenden – substanziell erhöhten – Maßstäbe für und Pflichten des Steuerberaters sind allerdings außerhalb des entschiedenen Falles nicht rückwirkend anzuwenden. Vielmehr ist zumindest für bereits abgeschlossene Sachverhalte vor Januar 2017 weiterhin auf die bis dahin geltende höchstrichterliche Rechtsprechung abzustellen.
Für die Zeit vor Januar 2017 galt aber nach einer Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 7. März 2013 (BGH, Urteil vom 7. März 2013 – IX ZR 64/1, juris Leitsatz und Rn. 19):
„Das steuerberatende Dauermandat von einer GmbH begründet bei üblichem Zuschnitt keine Pflicht, die Mandantin bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überprüfung in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen, ob Insolvenzreife besteht.“
Nach den vor 2017 geltenden Maßstäben und Grundsätzen traf die Beklagte zu 1. mithin weder eine Pflicht zur Erstellung von Jahresabschlüssen nach Liquidationswerten noch zur Anforderung einer Fortführungsprognose noch eine allgemeine Warn- und Hinweispflicht hinsichtlich drohender Insolvenz.
Dies hat die Kammer bereits in einem vergleichbar gelagerten, rechtskräftig entschiedenen Fall im Juli 2021 ausgesprochen (LG Erfurt, Urteil vom 14. Juli 2021 – 8 O 1503/19, juris Rn. 60 – 65). Mit Blick auf den jeweiligen Pflichtenumfang folgt die Kammer einem überzeugenden Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz (OLG Koblenz, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 8 U 2071/19, juris Rn. 24; s. weiter OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 3 U 47/20, juris Rn. 20):
„Eine Pflichtverletzung des Beklagten folgt auch nicht aus einem unterlassenen Hinweis auf eine bestehende Insolvenzreife. Der Beklagte hatte sich zu Inhalt und Gegenstand des ihm erteilten Mandates an der zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit geltenden Gesetzeslage sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung zu orientieren. Ende März 2013 war die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom Januar 2017 zu den heute relevanten Pflichten des Steuerberaters bei Jahresabschlusserstellung nicht bekannt und auch nicht absehbar.“
Legte man nämlich die Maßstäbe der Anfang 2017 geänderten Rechtsprechung auf die bereits vorher – Jahresabschlüsse 2013, 2014 und 2015 – abgeschlossenen Sachverhalte an, das Mandat wurde offenbar 2016 beendet, so handelte es sich um eine echte Rückwirkung. Eine solche Rückwirkung ist aus rechtsstaatlichen Gründen – Rechtssicherheit und Vertrauensschutz – grundsätzlich unzulässig.
Eine Rechtsprechungsänderung darf jedenfalls nach allgemeiner Auffassung nicht dazu führen, einer Partei rückwirkend Handlungspflichten aufzuerlegen, die sie nachträglich nicht mehr erfüllen kann.
Selbst wenn man aber erhöhte Pflichten der Beklagten zu 1. annähme, der neuen Rechtsprechung folgend, und damit einhergehend eine Pflichtverletzung, fehlte es am weiter erforderlichen Verschulden. Schließlich musste die Beklagte die Rechtsprechungsänderung nicht vorhersehen. Es gab und gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsprechungsänderung aus 2017 sich schon vorher abzeichnete, ankündigte oder angekündigt wurde.
Es ist weiter nicht hinreichend vorgetragen, dass es bei anderweitigen Jahresabschlüssen oder ausdrücklichen Hinweisen auf die drohende Insolvenz zu einem hierauf beruhenden – früher als geschehen – Insolvenzantrag der Geschäftsführung gekommen wäre.
Mithin ermangelt es an der erforderlichen Kausalität zwischen etwaigen Verstößen der Beklagten zu 1. und einer Verspätung des Insolvenzantrages bzw. dem behaupteten Insolvenzverschleppungsschaden oder Insolvenzvertiefungsschaden.
Hier ist auch zu berücksichtigen, dass der von dritter Seite erstellte Jahresabschluss für 2016 seinerseits von einer positiven Fortführungsprognose ausging. Offenbar sah sich die Geschäftsführung auch da nicht veranlasst, Insolvenzantrag zu stellen.
Nach alledem ist es der Beklagten weder vorzuwerfen, dass sie zu Fortführungswerten bilanzierte, noch, dass sie nicht ausdrücklich auf eine etwaige Insolvenzreife und entsprechende Antragspflicht aufmerksam machte.
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass es etliche weitere Schlüssigkeitsbedenken gibt, die der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegenstehen. Dies gilt zum Beispiel für die Insolvenzreife, oder den Zeitraum, für den eine Insolvenzvertiefung angenommen wird, und somit die Schadensberechnung. Ein Schaden ist nicht schlüssig dargelegt. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Geschäftsführerin als versierter Geschäftsfrau nicht ihre Pflichten bekannt gewesen wären, zumal sie um die zu geringe Eigenkapitalausstattung und ausgewiesenen Fehlbeträge wusste.


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