Arbeitsrecht

Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Wahl des zweiten (weiteren) Ergänzungsmitglieds von Vorstand

Aktenzeichen  17 P 17.778

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 856
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPVG Art. 25 Abs. 1, Art. 32 Abs. 2, Art. 33 S. 1 u. 3, Art. 34 Abs. 1 S. 3, Art. 46 Abs. 3 S. 3, Art. 81 Abs. 2 S. 1
ArbGG § 81 Abs. 2 S. 2, § 87 Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

Art. 33 Satz 3 BayPVG ist über seinen ausdrücklichen Anwendungsbereich hinaus auch auf die stärkste Liste anzuwenden, wenn die Personalratsmitglieder aus dieser Liste bei der Wahl der Vorstandsmitglieder weder nach Art. 32 Abs. 2 BayPVG noch nach Art. 33 Satz 1 BayPVG Berücksichtigung gefunden haben. Offen bleiben kann dabei, ob es sich um eine planwidrige Regelungslücke handelt, die im Wege der Analogie zu schließen ist, oder ob eine erweiternde Auslegung vorzunehmen ist. Jedenfalls handelt es sich nach Normzweck und -sinn um vergleichbare Interessenlagen, die eine dahingehende Auslegung gebieten (vgl. auch BVerwG, B.v. 17.3.2014 – 6 P 8.13 – BVerwGE 149, 188 zu § 33 Satz 2 BPersVG). (Rn. 24)

Verfahrensgang

M 20 P 16.3140 2016-12-20 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Verfahren wird hinsichtlich des Antragstellers zu 4 eingestellt. Insoweit ist der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Dezember 2016 wirkungslos geworden.
II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Wahl des weiteren Ergänzungsmitglieds in den Vorstand ein Personalratsmitglied aus der Wahlvorschlagsliste zu berücksichtigen ist, auf die die größte Anzahl der in der Dienststelle abgegebenen Stimmen entfallen ist.
Vom 21. bis 23. Juni 2016 fanden beim … die Wahlen für den örtlichen Personalrat statt. Zu wählen war ein 17 Mitglieder umfassender Personalrat, der nur aus der Gruppe der Arbeitnehmer besteht. Insgesamt wurden 29.551 gültige Stimmen abgegeben, die sich wie folgt auf die einzelnen Wahlvorschlagslisten verteilen:
Freie Liste 10.878 Stimmen
Die Neuen 9.406 Stimmen
BJV 1.476 Stimmen
ver.di 7.791 Stimmen
Daraus resultierte folgende Sitzverteilung im Personalrat:
Freie Liste – 6 Mitglieder; Die Neuen – 6 Mitglieder; BJV – kein Mitglied; ver.di – 5 Mitglieder.
In der konstituierenden Sitzung des Personalrats am 4. Juli 2016 wurde der Vorstand des Personalrats gebildet. Herr P. von der Liste „ver.di“ wurde mit elf zu sechs Stimmen zum Vorstand und gleichzeitig zum Vorsitzenden gewählt. Herr E. von der Liste „Die Neuen“ wurde mit zwölf Stimmen bei fünf Enthaltungen zum ersten Ergänzungsmitglied des Vorstands und zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Als weiteres Ergänzungsmitglied des Vorstands und zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden wurde Herr B., wiederum von der Liste „Die Neuen“, mit elf zu sechs Stimmen gewählt. Die Personalratsmitglieder von der „Freien Liste“ hatten dem entsprechenden Wahlvorschlag von der Liste „Die Neuen“ mit dem Argument widersprochen, dass das weitere Ergänzungsmitglied aus der „Freien Liste“ als der stärksten und bisher nicht im Vorstand vertretenen Wahlvorschlagsliste stammen müsse.
Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2016 wandten sich die Antragsteller, die sechs Personalratsmitglieder von der „Freien Liste“, an das Bayerische Verwaltungsgericht München und beantragten festzustellen, dass die in der konstituierenden Sitzung des örtlichen Personalrats beim … am 4. Juli 2016 erfolgte Wahl des Ergänzungsmitglieds für den Vorstand Herr B. von der Liste „Die Neuen“, des Beteiligten zu 2, unwirksam ist und dass eines der neu zu wählenden Ergänzungsmitglieder im Vorstand des örtlichen Personalrats beim … aus der Wahlvorschlagsliste „Freie Liste“ zu wählen ist. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 gab das Verwaltungsgericht dem Antrag statt.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1, des Personalrats des …s. Er beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt der Beteiligte zu 1 im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe die Wahl des Beteiligten zu 2 als Ergänzungsmitglied für den Vorstand zu Unrecht für unwirksam erklärt und zu Unrecht festgestellt, dass eines der neu zu wählenden Ergänzungsmitglieder aus der „Freien Liste“ zu wählen ist. Das Verwaltungsgericht orientiere sich an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2014 – 6 P 8.13 – (BVerwGE 149,188) zu § 33 Satz 2 BPersVG . Diese Rechtsprechung sei jedoch nicht auf die in Art. 33 Satz 3 BayPVG getroffene Regelung übertragbar. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seien diese Vorschriften nicht im Wesentlichen wortgleich. Art. 33 Satz 3 BayPVG weiche in einem wesentlichen Punkt von der in § 33 Satz 2 BPersVG getroffenen Regelung ab, wonach für den Minderheitenschutz der zweitstärksten Liste eine Stimmenanzahl von mindestens einem Drittel der abgegebenen Stimmen erforderlich sei. Dies mache deutlich, dass der Gesetzgeber eine den abgegebenen Stimmen entsprechende Repräsentanz habe sichern und „starke“ Wahlminderheiten habe schützen wollen. Art. 33 Satz 3 BayPVG bezwecke dies nicht. Er gewähre schon für die Liste mit der zweitgrößten Anzahl aller von den Angehörigen der Dienststelle abgegebenen Stimmen den Minderheitenschutz. Dies könne zu dem Ergebnis führen, dass auch eine Liste bei der Wahl des zweiten Ergänzungsmitglieds berücksichtigt werden müsse, der nur ein Bruchteil der abgegebenen Stimmen zukomme, die jedoch rechnerisch die zweitgrößte Anzahl an Stimmen erhalten habe. Art. 33 Satz 3 BayPVG wolle einen Machtmissbrauch dahingehend verhindern, dass im Falle der absoluten Mehrheit einer Liste der Vorstand nur aus Mitgliedern dieser Liste bestehe. Art. 33 Satz 3 BayPVG wolle im Gegensatz zu § 33 Satz 2 BPersVG keine spiegelbildliche Repräsentanz der abgegebenen Stimmenmehrheiten im Vorstand, sondern absichern, dass mindestens die zweitstärkste Liste im erweiterten Vorstand vertreten sei. Mit der Wahl des zweiten Ergänzungsmitglieds in den erweiterten Vorstand seien dort zwei der drei Listen mit insgesamt 17.197 der abgegebenen Wählerstimmen, also ca. 58% der abgegebenen Stimmen, vertreten. Es sei daher nicht richtig, wenn das Verwaltungsgericht ausführe, dass durch die Besetzung des Vorstands die Vertretung der Beschäftigten im Personalrat bzw. dessen Vorstand in keiner Weise zum Ausdruck komme. Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass Art. 33 Satz 3 BayPVG auch der stärksten Liste den dort normierten Minderheitenschutz gewähren wolle, wäre nach der Literatur erforderlich, dass eine förmliche Koalitionsbildung stattgefunden habe. Auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2014 – 6 P 8.13 – (BVerwGE 149,188) impliziere die Erforderlichkeit einer Koalitionsbildung, wenn dort der Minderheitenschutz damit begründet werde, dass sich ansonsten die stärkste Liste gegen den Willen der auf die anderen Listen entfallenen Mehrheit mit keinem ihrer Vorstandskandidaten durchsetzen könne. Diese Argumentation setze eine Willensbildung und die Bildung einer Mehrheit voraus, was durch Bildung einer förmlichen Koalition erreicht werden könne. „Die Neuen“ und „ver.di“ hätten keine förmliche Koalition für die Wahl des zweiten Ergänzungsmitglieds gebildet. Auch unter Berücksichtigung der persönlichen Differenzen sei es im Rahmen der freien und geheimen Wahl jedem Personalratsmitglied selbst überlassen gewesen, welchen der Vorstandskandidaten es habe wählen wollen. Insgesamt sei festzustellen, dass eine unmittelbare Anwendung des Art. 33 Satz 3 BayPVG bereits aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts ausscheide. Für die analoge Anwendung der Vorschrift fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe an anderer Stelle, nämlich bei den Regelungen zu Freistellungen in Art. 46 Abs. 3 Satz 3 BayPVG festgelegt, dass die im Personalrat vertretenen Vorschlagslisten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu berücksichtigen seien. Eine entsprechende Regelung fehle in Art. 33 Satz 3 BayPVG .
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie tragen im Wesentlichen vor, die Wahl des Beteiligten zu 2 von der Wahlvorschlagsliste „Die Neuen“ als zweites Ergänzungsmitglied des Vorstands verstoße gegen Art. 33 Satz 3 BayPVG. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2014 – 6 P 8.13 – (BVerwGE 149,188) zu Sinn und Zweck von § 33 Satz 2 BPersVG sei auf die im Wesentlichen wortgleiche bayerische Regelung in Art. 33 Satz 3 BayPVG übertragbar. Der Listenschutz greife nach Sinn und Zweck der Regelung in einem Erst-Recht-Schluss auch für die stärkste Wahlvorschlagsliste, wenn diese im Personalratsgremium in der Minderheit sei. Die Forderung nach einer förmlichen Koalitionsbildung als Voraussetzung für den Listenschutz aus Art. 33 Satz 3 BayPVG finde eine Stütze weder in der Literatur zum Landesrecht noch in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Abgesehen davon liege faktisch ein Zusammenschluss der Vertreter der Listen „Die Neuen“ und „ver.di“ vor. Diese hätten gemeinsam die Wahl der ihnen nicht genehmen Vorstandskandidatin der „Freien Liste“ verhindert.
Die Beteiligten zu 3, der Dienststellenleiter des …s, und zu 4, die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses, stellen keinen Antrag.
Die Bevollmächtigte der Antragsteller hat in der mündlichen Anhörung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erklärt, dass sie den Antrag für den Antragsteller zu 4, der sein Personalratsmandat niedergelegt habe, zurücknimmt. Die anderen Beteiligten waren damit einverstanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
A. Nach Rücknahme des Antrags des Antragstellers zu 4 mit Zustimmung der übrigen Beteiligten war das Verfahren insoweit einzustellen (Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayPVG, § 87 Abs. 2 Satz 3, § 81 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Dezember 2016 ist entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO insoweit wirkungslos geworden.
B. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist gemäß Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayPVG i.V.m. § 87 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG zulässig; sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragsteller auf Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl des Beteiligten zu 2 zum zweiten (weiteren) Ergänzungsmitglied für den Vorstand und auf Feststellung, dass das neu zu wählende (weitere) Ergänzungsmitglied im Vorstand aus den Personalratsmitgliedern der „Freien Liste“ zu wählen ist, zu Recht stattgegeben.
1. Rechtsgrundlage für das Begehren der Antragsteller auf Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl des zweiten (weiteren) Ergänzungsmitglieds des Vorstands ist Art. 34 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 BayPVG. Hiernach ist eine – hier zulässigerweise von Mitgliedern des Personalrats erhobene Wahlanfechtung – begründet, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. In diesem Fall ist eine durchgeführte Wahl für ungültig zu erklären.
a) Die Wahl des Beteiligten zu 2 aus der Liste „Die Neuen“ als weiteres Ergänzungsmitglied des Vorstands stellt einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über die Wählbarkeit dar. Nach Art. 33 Satz 1 BayPVG hat der aus 17 Mitgliedern bestehende Personalrat, in dem nur die Gruppe der Angestellten vertreten ist, nach der Wahl des Vorsitzenden nach Art. 32 Abs. 2 BayPVG ein weiteres Mitglied als stellvertretenden Vorsitzenden in den Vorstand zu wählen. Nach Art. 33 Satz 2 BayPVG ist ein zweites Ergänzungsmitglied aus der Mitte des Personalrats in den Vorstand zu wählen. Sind Mitglieder des Personalrats aus Wahlvorschlagslisten mit verschiedenen Bezeichnungen gewählt worden und sind im Vorstand Mitglieder aus derjenigen Liste nicht vertreten, die die zweitgrößte Anzahl aller von den Angehörigen der Dienststelle abgegebenen Stimmen erhalten hat, so ist nach Satz 3 dieser Vorschrift das weitere Vorstandsmitglied aus dieser Liste zu wählen. Bei richtiger Auslegung von § 33 Satz 3 BayPVG war das zweite bzw. weitere Ergänzungsmitglied aus der „Freien Liste“ zu wählen.
Die Mitglieder des Personalrats sind aus den Wahlvorschlagslisten mit verschiedenen Bezeichnungen – Freie Liste, Die Neuen und ver.di – gewählt worden. Der von Art. 33 Satz 3 BayPVG in diesem Fall vorgesehene Minderheitenschutz (vgl. auch BVerwG, B.v. 17.3.2014 – 6 P 8.13 – BVerwGE 149, 188 Rn. 13 zu § 33 Satz 2 BPersVG) bzw. Listenschutz (vgl. Ballerstedt/Schleicher/Faber, BayPVG, Stand Juni 2017, Art. 33 Rn. 16) gilt nach dem Wortlaut der Norm allerdings nur für diejenige Liste, die die „zweitgrößte Anzahl“ aller von den Angehörigen der Dienststelle abgegebenen Stimmen erhalten hat. Bei der „Freien Liste“ handelt es sich jedoch, gemessen an den für sie abgegebenen 10.878 Stimmen, um die stärkste Liste. Die zweitgrößte Anzahl der Stimmen (9.406) hat die Liste „Die Neuen“ erhalten, die bereits bei der Wahl des (ersten) Ergänzungsmitglieds nach Art. 33 Satz 1 BayPVG Berücksichtigung gefunden hat. Durch den Wortlaut von Art. 33 Satz 3 BayPVG ist aber nicht vornherein die Berücksichtigung der stärksten Liste, die im Personalrat in der Minderheit ist, ausgeschlossen (vgl. im Ergebnis ebenso BVerwG, B.v. 17.3.2014 a.a.O. Rn. 13; Ballerstedt/Schleicher/Faber, BayPVG, Art. 33 Rn. 16). Vielmehr ist die Vorschrift über ihren ausdrücklichen Anwendungsbereich hinaus auch auf die stärkste Liste anzuwenden, wenn die Personalratsmitglieder aus dieser Liste bei der Wahl der Vorstandsmitglieder weder nach Art. 32 Abs. 2 BayPVG noch nach Art. 33 Satz 1 BayPVG Berücksichtigung gefunden haben. Offen bleiben kann dabei, ob es sich um eine planwidrige Regelungslücke handelt, die im Wege der Analogie zu schließen ist, oder ob eine erweiternde Auslegung vorzunehmen ist. Jedenfalls handelt es sich nach Normzweck und -sinn um vergleichbare Interessenlagen, die eine dahingehende Auslegung gebieten. Der in Art. 33 Satz 3 BayPVG zum Ausdruck kommende Schutzgedanke für die Liste, die die zweitgrößte Anzahl der Stimmen erhalten hat (vgl. LT-Drs. 7/5312 S. 28), bezweckt, der zweitstärksten Liste, die zumindest im Verhältnis zur stärksten Liste eine Wahlminderheit darstellt, eine Vertretung im erweiterten Personalratsvorstand zu sichern. Mindestens ebenso schutzbedürftig ist jedoch die stärkste Liste, die keine absolute Mehrheit besitzt und die deshalb von den „vereinigten“ Personalratsmitgliedern aus anderen, einzeln betrachtet schwächeren Listen, bei der Wahl der Vorstandsmitglieder übergangen werden könnte. Ein Grund dafür, weshalb der Gesetzgeber den in Art. 33 Satz 3 BayPVG aufgenommenen Listenschutz lediglich der zweitstärksten Liste, nicht aber der stärksten Liste, zukommen lassen wollte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr soll den für die stärkste bzw. zweitstärkste Liste abgegebenen Wählerstimmen eine entsprechende Vertretung im Vorstand des Personalrats gesichert werden. Das Schutzbedürfnis der stärksten Liste ist vergleichbar mit dem Schutzbedürfnis der zweitstärksten Liste jeweils für den Fall, dass eine der beiden Listen nicht über die erforderliche (absolute) Mehrheit verfügt, um ihren Vorstandskandidaten gegen die Personalratsmitglieder aus den anderen Listen durchzusetzen.
Gemessen daran verstößt die Wahl des Beteiligten zu 2 aus der „Freien Liste“ als zweites Ergänzungsmitglied des Vorstands des Personalrats gegen den in Art. 33 Satz 3 BayPVG normierten Listenschutz (auch) für die stimmenstärkste Wahlvorschlagsliste. Die zweitstärkste Liste „Die Neuen“ war bereits durch Herrn E. im Vorstand vertreten. Der Verstoß gegen die Vorschriften zur Wählbarkeit durch die Wahl des Beteiligten zu 2 hat die Unwirksamkeit von dessen Wahl zur Folge.
b) Nicht durchdringen kann der Beteiligte zu 1 mit dem Vortrag, eine analoge Anwendung des Art. 33 Satz 3 BayPVG auf die stärkste Liste komme nicht in Betracht, weil sich die zu einer entsprechenden Fallkonstellation ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2014 – 6 P 8.13 – (BVerwGE 149,188) auf eine bundesrechtliche Norm, nämlich § 33 Satz 2 BPersVG beziehe und diese Norm in einem wesentlichen Punkt von Art. 33 Satz 3 BayPVG abweiche. Zwar ist es richtig, dass § 33 Satz 2 BPersVG einen Schutz für die Liste mit der zweitgrößten Stimmenanzahl nur dann vorsieht, wenn diese mindestens ein Drittel aller von den Angehörigen der Dienststelle abgegebenen Stimmen erhalten hat, und diese Einschränkung in Art. 33 Satz 3 BayPVG nicht enthalten ist. Die Interessenlage ist aber, wie oben ausgeführt, ansonsten mit der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fallkonstellation durchaus vergleichbar und rechtfertigt ungeachtet der im Bundesrecht verankerten Ein-Drittel-Klausel eine erweiternde bzw. analoge Anwendung des Art. 33 Satz 3 BayPVG auf den Schutz der stärksten Liste, wenn diese bis zur Wahl des zweiten bzw. weiteren Ergänzungsmitglieds nicht im Vorstand repräsentiert ist. Der Ansicht des Beteiligten zu 1, Art. 33 Satz 3 BayPVG solle lediglich einen Machtmissbrauch dergestalt verhindern, dass im Falle einer absoluten Mehrheit der Vorstand nur aus Mitgliedern der Mehrheitsliste bestünde, ist entgegenzuhalten, dass einen so verstandenen Machtmissbrauch auch die vereinigten Minderheitslisten ausüben können, indem sie sich gegen die relative Mehrheitsliste zusammenschließen. Für derartige Fallkonstellationen ist die stärkste Liste ebenso schutzbedürftig wie die zweitstärkste Liste. Nicht maßgeblich für die Schutzbedürftigkeit der stärksten Liste ist entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1, ob der Zusammenschluss von Personalratsmitgliedern verschiedener Listen bei der Wahl der Vorstands- bzw. Ergänzungsmitglieder im Wege einer förmlichen Koalition stattgefunden hat. Schwer vorstellbar ist schon, wie eine „förmliche Koalition“ bei einer Vorstandswahl für den Personalrat gestaltet sein könnte. Abgesehen davon impliziert die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2014 – 6 P 8.13 – (BVerwGE 149,188) diese Voraussetzung nicht, sondern sieht die Schutzbedürftigkeit (auch) der stärksten Gruppe darin begründet, dass sich diese „gegen den Willen“ der auf die anderen Listen entfallenden Mehrheit nicht durchsetzen könnte (vgl. BVerwG, B.v. 17.3.2014 a.a.O. Rn. 17).
Eine andere Sichtweise gebietet auch nicht das Argument des Beteiligten zu 1, der Gesetzgeber habe bei den Freistellungen nach Art. 46 Abs. 3 Satz 3 BayPVG eine Berücksichtigung der im Personalrat vertretenen Wahlvorschlagslisten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl vorgesehen; das Fehlen einer vergleichbaren Regelung bei Art. 33 Satz 3 BayPVG zeige, dass die stärkste Liste bewusst nicht geschützt werden solle. Art. 46 BayPVG bezieht sich auf die Rechtsstellung der Personalratsmitglieder, während Art. 32 und 33 BayPVG die Wahl und Zusammensetzung des Vorstands regeln. Aus der Gesetzessystematik sind daher keine Schlüsse hinsichtlich der Auslegung von Art. 33 Satz 3 BayPVG zu ziehen.
2. Aus der Feststellung, dass die Wahl des Beteiligten zu 2 aus der Wahlvorschlagsliste „Die Neuen“ gegen Art. 33 Satz 3 BayPVG verstößt, folgt zwingend die Feststellung, dass eine erneute Wahl für das zweite Ergänzungsmitglied nach Art. 33 Satz 2 BayPVG stattzufinden hat. Aufgrund der obigen Ausführungen hat der Personalrat dabei wegen des in Art. 33 Satz 3 BayPVG normierten Listenschutzes ein Personalratsmitglied aus der Wahlvorschlagsliste „Freie Liste“ zu wählen. Das Wahlrecht des Personalrats verdichtet sich zu einer Bestellungspflicht für den Fall, dass nur ein Kandidat aus der „Freien Liste“ für den erweiterten Vorstand zur Verfügung steht und damit eine Wahl faktisch nicht stattfinden kann. Die „Wahl“ beschränkt sich in diesem Fall auf die schlichte Aufnahme dieses einen Mitglieds in den erweiterten Vorstand (vgl. BVerwG, B.v. 28.2.1979 – 6 P 81.78 – Buchholz 238.3 A § 33 BPersVG Nr. 2).
Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich (Art. 81 Abs. 2 BayPVG i.V.m. § 80 Abs. 1, § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, § 2 Abs. 2 GKG).
Diese Entscheidung ist endgültig (Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayPVG).


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