Arbeitsrecht

Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Bewerber, Wartezeit, Berufung, Behinderung, Auswahlentscheidung, Revision, Personalrat, Prozesskostenhilfe, Bewerbung, Bewilligung, ausgeschriebene Stelle, Sinn und Zweck, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Aktenzeichen  5 Sa 418/20

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 26120
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 165 S. 3
AGG § 15 Abs. 2
AGG § 7 Abs. 1
AGG § 22

 

Leitsatz

Steht fest, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer persönlich für eine neu ausgeschriebene Stelle nicht geeignet ist, muss ihn der öffentliche Arbeitgeber nicht zu einem Vorstellungsgespräch nach § 165 S. 3 SGB IX einladen. Darauf, ob der Arbeitnehmer offensichtlich fachlich ungeeignet ist oder nicht, kommt es dann nicht an. Die aus Sicht des Arbeitgebers persönliche Ungeeignetheit kann sich etwa daraus ergeben, dass der Arbeitnehmer bis kurz vor der neuen Bewerbung bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war und noch in der Wartezeit aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt wurde.

Verfahrensgang

2 Ca 554/19 2020-08-05 Endurteil ARBGBAMBERG ArbG Bamberg

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 05.08.2020, Aktenzeichen: 2 Ca 554/19, wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I. Die statthafte Berufung (§ 64 Abs. 1, 2 b ArbGG) ist zulässig. Der Zulässigkeit der Berufung steht eine Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist nach § 66 Abs. 1 ArbGG nicht entgegen, da dem Kläger gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Das durch die Bedürftigkeit begründete Unvermögen einer Partei, einen Rechtsanwalt mit der notwendigen Vertretung zur Vornahme der fristwahrenden Prozesshandlungen zu beauftragen, begründet eine unverschuldete Versäumung von Rechtsmittelfristen, wenn die Partei alles in ihren Kräften Stehende und ihr Zumutbare getan hat, um die Frist zu wahren. Demgemäß besteht ein Wiedereinsetzungsgrund nur dann, wenn die Partei ein vollständiges Gesuch um Prozesskostenhilfe innerhalb der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht anbringt (Zöller-Greger, ZPO, 33 Aufl., § 233 Rn. 23 ff). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Wiedereinsetzungsantrag und Berufungseinlegung erfolgten mit Schriftsatz vom 09.12.2020. Die Berufungsbegründung erfolgte innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 11.01.2021. Nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat der Kläger damit die notwendigen Prozesshandlungen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 ZPO) nachgeholt.
II. Die Berufung ist sachlich nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen. Es kann insoweit vollumfänglich auf die sehr ausführlichen und sorgfältigen Ausführungen im Ersturteil verwiesen werden und von einer rein wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind nur noch folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
1. Unzutreffend rügt der Berufungskläger, dass das Erstgericht die Vorschrift des § 165 S. 3 SGB IX contra legem angewendet habe, da § 165 S. 4 SGB IX unzweifelhaft eine Ausnahme zur Einladungsverpflichtung nur für den Fall der offensichtlichen fachlichen Nichteignung vorsehe.
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen schwerbehinderte Bewerber/innen durch das in § 82 Satz 2 SGB IX a.F. und § 165 S. 3 SGB IX genannte Vorstellungsgespräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbessern. Sie sollen dadurch die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung zu überzeugen (siehe BAG, 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 Rn. 48, juris). Dabei ist der Begriff der „Eignung“ als umfassendes Qualifikationsmerkmal zu verstehen, das die ganze Persönlichkeit des Bewerbers über rein fachliche Gesichtspunkte hinaus erfasst (zur Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, 6. Februar 1975 – II C 68.73). Der Begriff „Eignung“ verweist ganz allgemein auf die Eigenschaften, welche die zu besetzende Stelle von dem Bewerber fordert. Hierzu gehören über die fachliche Eignung hinaus insbesondere die oftmals als „charakterliche Eignung“ bezeichnete Eignung und die gesundheitliche Eignung (Bundesverwaltungsgericht, 30.10.2018 – 1 WDS-VR 5.18 zitiert nach juris), aber auch sonstige körperliche und psychische Voraussetzungen, die Dienstfähigkeit sowie Umgangsform und sonstige Fähigkeiten im Umgang mit Menschen, z.B. mit Publikumsverkehr, sowie Führungskompetenzen, können – je nach dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle – dazu gehören. Stellen charakterliche Mängel eines Bewerbers ein offensichtliches Einstellungs- bzw. Besetzungshindernis dar, kann der vom Gesetzgeber mit § 82 S. 2 SGB IX a.F. bzw. § 165 S. 3 SGB IX n.F. verfolgte Zweck, dem schwerbehinderten Bewerber die Chance zu geben, den Arbeitgeber von seiner Eignung im weiteren Sinne zu überzeugen, von vornherein nicht erreicht werden. Die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch würde sich in einem solchen Fall als bloße Förmelei erweisen (so auch BAG vom 27.08.2020, 8 AZR 45/19 zitiert nach juris). § 165 S. 4 SGB IX ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Gesetzgeber weiterhin davon ausgeht, dass im Hinblick auf die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG lediglich dann, wenn die fachliche Eignung eines schwerbehinderten Bewerbers als Einstellungshemmnis in Betracht kommt, eine Einladung nur dann entbehrlich ist, wenn der Bewerber offensichtlich fachlich ungeeignet ist. An den weiteren Einstellungsvoraussetzungen, insbesondere einer persönlichen Eignung als Einstellungskriterium sollte durch § 165 S. 3 und 4 SGB IX nichts geändert werden, so dass der öffentliche Arbeitgeber auch dann nicht zu der Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers verpflichtet ist, wenn dessen persönliche Eignung nicht gegeben ist, so wie im vorliegenden streitgegenständlichen Fall. Aufgrund des gesamten Sachverhalts war die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger anlässlich seiner Bewerbung zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen, denn eine solche Einladung wäre lediglich eine Förmelei gewesen. Zwischen beiden Parteien hatte schon bereits ein Arbeitsverhältnis bestanden, das noch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG innerhalb von 6 Monaten durch die Beklagte gekündigt wurde. In dem Kündigungsrechtsstreit beim Arbeitsgericht Bamberg mit dem Aktenzeichen 2 Ca 575/18 hatte die Beklagte auch lediglich verhaltensbedingte Gründe vorgetragen und geltend gemacht, dass der Kläger mehrfach den Betriebsfrieden bei der Beklagten gestört habe (siehe hierzu u.a. Schriftsatz der Beklagten vom 04.10.2018, S. 14 ff. in dem Verfahren 2 Ca 575/18 beim Arbeitsgericht Bamberg, dort Bl. 165 ff. d.A.). Soweit der Kläger in seiner Berufung vorbringt, dass eine objektivierbare nachweisbare Ungeeignetheit seinerseits nicht vorläge, kann dem Kläger zwar zugestanden werden, dass ein Vorstellungsgespräch durchaus dem Bewerber auch die Möglichkeit geben soll, den Arbeitgeber auch von seiner persönlichen Eignung zu überzeugen und damit auch die Möglichkeit geben soll, eventuelle Fehleindrücke des Arbeitgebers zu entkräften. Der Arbeitgeber kann jedoch nicht nur bei Vorliegen objektivierter nachweisbarer persönlicher Ungeeignetheit des Bewerbers von einer Einladung zum Bewerbungsgespräch absehen, sondern auch, wenn sich seine subjektiven Vorstellungen so manifestiert haben, dass es ausgeschlossen ist, dass der Bewerber noch den Arbeitgeber von seiner persönlichen Geeignetheit überzeugen kann. Genauso liegt jedoch der Sachverhalt im streitgegenständlichen Fall, dies hat die Beklagte plausibel und nachvollziehbar vorgetragen. Die Beklagte hat sich in dem Kündigungsrechtsstreit beim Arbeitsgericht Bamberg mit dem Aktenzeichen 2 Ca 575/18 stets auf das zu beanstandende Verhalten des Klägers berufen und vorgetragen, dass der Kläger wiederholt den Betriebsfrieden massiv gestört habe (so unter anderem im Schriftsatz vom 04.10.2018, S. 14 ff. in den Verfahrensakten des Arbeitsgerichts Bamberg Bl. 165 ff. d.A.). Die persönliche Ungeeignetheit des Klägers wurde von der Beklagten auch mehrfach zum Ausdruck gebracht, so dass auch im Hinblick auf die zeitliche Nähe des gekündigten Arbeitsverhältnisses nach Auffassung der erkennenden Kammer es ausgeschlossen war, dass der Kläger die Beklagte in einem Vorstellungsgespräch auch von seiner persönlichen Eignung hätte überzeugen können. In diesem Fall war die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Aufgrund des feststellbaren bereits manifestierten Eindrucks der persönlichen Ungeeignetheit des Klägers wäre die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch reine Förmelei. Diesen Eindruck teilt offensichtlich auch der Kläger, da er in dem Verfahren 5 Sa 417/20 (Bewerbung des Klägers auf eine durch die Beklagte ausgeschriebene Stelle im Bauamt) geltend gemacht hat, die in dem dortigen durch die Beklagte erfolgten Einladungen zum Vorstellungsgespräch (Anlage B10 und B 12 der Verfahrensakte 5 Sa 417/20 Bl.110 u.113 d.A) seien nur pro forma durch die Beklagte erfolgt (u. a. in der E-Mail des Klägers 08.01.2019 Anlage B 13 der Verfahrensakte 5 Sa 417/20 und im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 11.01.2021 dort S. 4 ebenfalls in der Verfahrensakte 5 Sa 417/20 Bl. 360 d.A.).
Soweit der Kläger vorträgt, er sei von Anfang an in Bezug auf seine Schwerbehinderung benachteiligt worden, da er bei der erstmaligen Einstellung lediglich als Übergangslösung eingestellt wurde um Eingliederungshilfen zu nutzen, bleibt der Kläger hierzu nachvollziehbaren Sachvortrag schuldig und stellt lediglich eine solche Behauptung in den Raum. Im Übrigen scheidet eine Benachteiligung aus, da der Kläger eingestellt wurde. Eine Kausalität zwischen der vom Kläger behaupteten Benachteiligung einer „Einstellung als Übergangslösung“ und dem hier streitgegenständlichen Bewerbungsverfahren ist nicht feststellbar.
Die Berufung des Klägers war als unbegründet zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die erkennende Kammer misst der Frage, ob der Arbeitgeber sich in Bezug auf §§ 165 S. 4 SGB IX darauf berufen kann, dass er nicht verpflichtet gewesen ist, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, grundsätzliche Bedeutung zu.


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