Aktenzeichen 5 Sa 211/21
AGG § 15 Abs. 2, § 22
Leitsatz
Der Kläger begehrt einen Entschädigungsanspruch nach AGG, da die Schwerbehindertenvertretung vor Abschluss des Bewerbungsverfahrens nicht durch die Beklagte beteiligt wurde. Bei der vorliegenden Konstellation war die Schwerbehindertenvertretung jedoch nicht zu beteiligen, da der Kläger lediglich einen GdB von 40 hat und über seinen Gleichstellungsantrag im Zeitpunkt des Abschlusses des Bewerbungsverfahrens noch nicht entschieden war.
Verfahrensgang
13 Ca 4560/20 2021-04-28 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 28.04.2021, Aktenzeichen: 13 Ca 4560/20, wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, 2b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist unbegründet. Im Einzelnen war Folgendes zu berücksichtigen:
1. Die rechtliche Bewertung des Arbeitsgerichts, demnach der Kläger keinen ausreichenden Sachvortrag dahingehend geleistet habe, dass der persönliche Anwendungsreich des AGG eröffnet sei teilt die erkennende Kammer des Landesarbeitsgerichts nicht. Zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte selbst nicht ein Studium anbietet, sondern lediglich ein Förderprogramm aufgelegt hat, demnach im Rahmen eines Fördervertrages eine monatliche Praktikumsvergütung gewährt wird und die bei der Beklagten zu leistenden Praktikumszeiten keine Pflichtpraktika des vom Kläger verfolgten Hochschulstudiums sind. Soweit weder eine zusätzliche Qualifikation vermittelt wird, noch eine fachlich betreute Ausbildung stattfindet, sondern lediglich der Erwerb von Berufserfahrung ermöglicht werden soll, handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis mit entsprechender Verpflichtung zur Entgeltleistung (ErfK zum Arbeitsrecht 21. Aufl., § 26 BBiG Rn. 3 ff. mit weiteren Nachweisen). Aufgrund der durch die Beklagte übergebene Ausschreibung zum Förderprogramm (Anlage B1, Blatt 72 f. der Akten) und den dort beschriebenen Aufgaben und Tätigkeiten im Rahmen des Förderprogramms und den damit verbundenen Leistungen der Beklagten ist es näherliegender davon auszugehen, dass es sich bei dem Förderprogramm um ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 26 BBiG handelt. Eine rechtliche Bewertung kann jedoch erst dann erfolgen wenn von den Parteien der abzuschließende Fördervertrag zu den Prozessakten gereicht wurde. Dies wäre von der Beklagten zu verlangen, da der Kläger als Bewerber regelmäßig nicht über die entsprechende Unterlage verfügen wird. Sollten Zweifel daran bestehen, dass bei der vorliegenden Konstellation der persönliche Anwendungsbereich des § 6 AGG eröffnet ist, wäre zumindest ein Hinweis an den Kläger erforderlich gewesen. Letztlich kann die Frage des persönlichen Anwendungsbereichs entsprechen § 6 AGG dahingestellt bleiben, da die Klage aus anderem Grund abzuweisen war.
2. Der Kläger begründet seinen Anspruch damit, dass er wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren bei der Beklagten benachteiligt worden sei (§ 15 Abs. 2 AGG in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 3 Abs. 1, 1 AGG).
Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat jedoch schon keine Umstände vorgebracht, aus denen sich Indizien im Sinne des § 22 AGG dafür ergeben, dass die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle im Rahmen des Förderprogramms wegen seiner Schwerbehinderung erfolgt ist.
Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Gegenstand der Unterrichtung und Anhörung sind alle Angelegenheiten bzw. Entscheidungen, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berührt (BAG vom 19.12.2018 – 7 ABR 80/16). Bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ergibt sich eine notwendige Beteiligung aus § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Die Schwerbehindertenvertretung ist unmittelbar nach Eingang der Bewerbung zu unterrichten und im folgenden Bewerbungsverfahren zu beteiligen.
Die Beteiligungspflicht setzt nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 178 Abs. 2, 151 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX jedoch voraus, dass es einen anerkannten Schwerbehinderten oder einen bereits gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer/Bewerber betrifft. Für behinderte Arbeitnehmer/Bewerber mit einem GdB unter 50 Prozent finden die §§ 164 in Verbindung mit § 178 Abs. 2 SGB IX nur Anwendung, wenn diese mindestens einen GdB von 30 haben und über einen von Ihnen gestellten Antrag auf Gleichstellung bei der Bundesagentur für Arbeit im Zeitpunkt der Bewerbungsentscheidung positiv entschieden wurde. Ist das wie hier nicht der Fall, sind die Voraussetzungen für eine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht der Schwerbehindertenvertretung nicht gegeben. Der Betroffene unterfällt zu diesem Zeitpunkt nicht dem Anwendungsbereich des dritten Teils des Sozialgesetzbuches IX. Eine vorsorgliche Beteiligungspflicht regelt § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht. Gegenteiliges folgt auch nicht aus § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, wonach die Gleichstellung mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam wird. Diese Rückwirkung wird erst durch den stattgebenden Gleichstellungsbescheid begründet, weshalb sie im Zeitpunkt des vor dem Bescheid erfolgten abgeschlossenen Bewerbungsverfahrens jedoch noch nicht eingetreten ist (siehe hierzu ausdrücklich zum Fall der Umsetzung BAG vom 22.01.2020, 7 ABR 18/18 mit ausführlicher Begründung). Die Schwerbehindertenvertretung war somit im Zeitpunkt der Bewerbung und Abschluss des Bewerbungsverfahrens nicht zu beteiligen. Auch ein Anspruch auf Aussetzung des Bewerbungsverfahrens liegt in diesem Fall nicht vor. Aus diesem Grund ist in der Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung auch kein Indiz für eine Benachteiligung des Klägers als Schwerbehinderter zu sehen und die Klage abzuweisen.
III.
Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass (§ 72 Abs. 1 und 2 ArbGG).