Arbeitsrecht

Behinderung, Gesellschafterversammlung, Betreuung, Gesellschafterliste, Gesellschaft, Berichtigung, Stammkapital, Zeitpunkt, Handelsregister, Notar, Betreuer, Tod, Klage, Mutter, notarielle Urkunde, Beschluss der Gesellschafterversammlung

Aktenzeichen  14 HK O 9211/20

Datum:
5.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 50143
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte zu 1) ist verpflichtet, eine Gesellschafterliste zum Handelsregister des Amtsgerichts München für die unter HRB 158468 eingetragene Peter Reiß GmbH mit dem Sitz in München einzureichen, mit welcher nach wie vor der Kläger und nicht die Beklagte zu 2) als Inhaber der Geschäftsanteile der Gesellschaft mit laufender Nummer 3 und 4 zu je nominal EUR 6.250,- ausgewiesen ist.
2. Gegenüber der Beklagten zu 1) wird festgestellt, dass der Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 17.01.2020, mit dem der Übertragung der Geschäftsanteile der Gesellschaft mit laufender Nummer 3 und 4 der Gesellschafterliste zu je nominal EUR 6.250,- von dem Kläger auf die Beklagte zu 2) zugestimmt wurde, nichtig ist.
3. Gegenüber der Beklagten zu 2) wird festgestellt, dass nach wie vor der Kläger und nicht die Beklagte zu 2) mit den in der Gesellschafterliste mit laufender Nummer 3 und 4 bezeichneten Geschäftsanteilen zu je nominal EUR 6.250,- an dem Stammkapital der Beklagten zu 1) im Nennwert von insgesamt EUR 25.000,- beteiligt ist.
4. Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 15.000,- vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hatte umfassend Erfolg.
Die Geschäftsanteilsveräußerung vom 17. Januar 2020 ist bereits unwirksam gemäß § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
1. Zwar liegt der über § 1908 i Abs. 1 BGB auch im Betreuungsrecht anwendbare § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB vom direkt benannten Tatbestand nicht vor, da der Betreuer … den Kläger nicht vertrat in einem Rechtsgeschäft mit einem Verwandten in gerader Linie (wie es der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) als Stiefbruder des Klägers wäre).
2. Jedoch wird § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch bei Umgehungstatbeständen angewandt (vgl. Beck-Online Großkommentar, Zell/Krüger/Lorenz/Reimann-Sonnenfeld, Rn. 34 zu § 1795 BGB; Münchener Kommentar-Spickhoff, Rn. 16, 17).
Ein solcher Umgehungstatbestand lag hier vor aufgrund der Gesamtschau der Umstände des Abschlusses des Vertrages.
a) Die von den Eltern des Klägers vorgenommene Teilung der Gesellschaftsanteile und damit auch der gegenseitigen Kontrolle auf den Kläger einerseits, den Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auf der anderen Seite, wurde vollständig aufgehoben dadurch, dass nunmehr nur der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) alleine zusammen mit seiner mit ihm im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehefrau die Kontrolle über die Beklagte zu 1) (und damit mittelbar auch über die …. Grundstücks KG) erhielt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist bereits, dass der anwaltliche Vertreter der Beklagten nicht einmal zur beruflichen Erfahrung oder Tätigkeiten der Ehefrau des Geschäftsführers der Beklagten zu 1) in der mündlichen Verhandlung Stellung nehmen konnte oder wollte. In dieses Bild passt auch, daß einerseits die Beklagte zu 1, vertreten durch den Ehemann der Beklagten zu 2), und andererseits die Beklagte zu 2) sich durch den gleichen Rechtsanwalt vertreten ließen und damit ebenfalls dokumentierten, daß Ziel der gesamten Aktion nur war, die alleinige Kontrolle über die Beklagte zu 1 deren Geschäftsführer, dem Stiefbruder des Klägers zu verschaffen.
b) Auch die Abläufe der „Gesellschafterversammlung“ vom 17. Januar 2020, 2 Tage vor dem Tod des verfügenden …, beweisen den Umgehungswillen aller der an dieser Geschäftsanteilsveräußerung beteiligten Personen.
Auffällig ist bereits, dass die Niederschrift des beurkundenden Notars … (vgl. Anl. K 17) entgegen der gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 2 Beurkundungsgesetz keinerlei Feststellungen über die Geschäftsfähigkeit des 2 Tage später versterbenden … getroffen hat, obwohl er in einer weiteren Urkunde auch noch erbrechtliche Verfügungen des später Versterbenden aufgenommen hat. Aus der vom Notar Dr. … gefertigten Urkunde, Anlage K 17, ergibt sich ferner, dass er „auf Ansuchen“ sich in das Klinikum Neuperlach begeben hat, wobei er darüber sich ausschweigt, auf wessen Ansuchen er dort eintraf. Eine Schreibkraft hatte der Notar nicht dabei, weshalb davon auszugehen ist, dass die Urkunde Anl. K 17 bereits im Notariat vorbereitet worden war, ohne daß seitens der Beklagten erklärt werden konnte, wie der etwaige Vertretungs-(!)Wille des Betreuers überhaupt erkundet worden wäre Auch ist fragwürdig, dass nach der Beurkundung des Notars im Krankenhaus die Betreuungsakte des Amtsgerichts München, Aktenzeichen 709 XVII 981/98 zur Einsichtnahme vorgelegt worden sei.
Der Notar gab auch nicht an, in welchem Zimmer des Klinikums Neuperlach er den Beurkundungsvorgang vorgenommen hat. Nach Angaben des Beklagtenvertreters soll dies das Patientenzimmer gewesen sein, einen weiteren Patienten habe man während der Beurkundung zum Verlassen des Zimmers bewegen können. Die Beklagtenseite konnte auch nach telefonischer Rücksprache – zu deren Möglichkeit die Sitzung unterbrochen war – nicht näher dartun, wer den Notartermin genau vereinbart habe, wer den Notar in das „unbenannte Zimmer“ (so die notarielle Urkunde) gebracht hatte, wer den Vertragstext vorgegeben hatte. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Herr … an Blasenkrebs erkrankt gewesen sei und ihm eine Woche vor dem Tod noch ein Röhrchen in den Gallengang gelegt worden sei, ferner er starke Schmerzmittel bekam. Daß die Geschäftsfähigkeit des Betreuers trotz des psychiatrischen Konsils vom 14.1.20 (also 5 Tage vor dem Tod des Betreuers), welches dem Betreuer kognitive Defizite im Kurzzeitgedächtnis sowie beeinträchtigte Kritik- und Urteilsfähigkeit bescheinigte (vgl. K 40), nicht mehr überprüft wurde, ist ebenfalls ein starkes Indiz für den Umgehungswillen aller Beteiligten.
Die Gesamtschau dieser Umstände des Beurkundungsvorgangs zeigt, dass sie von vornherein nur darauf angelegt waren, dem Geschäftsführer der Beklagten zu 1) die faktische Kontrolle über alle Geschäftsanteile zu verschaffen, was ihm durch Übertragung an sich selbst gemäß § 1795 Abs. 2 Nr. 1 BGB verwehrt worden ist. Insoweit liegt ein Umgehungstatbestand vor, weshalb die Übertragung unwirksam war. Schon aus diesem Grund braucht die Frage der Geschäftsfähigkeit des Betreuers im Hinblick auf § 166 BGB nicht endgültig geklärt werden.
3. Auf die Frage, ob und inwieweit die weitere Betreuerin als zum Zeitpunkt der Beurkundung noch im Handelsregister eingetragenen Gesellschafterin hätte zur Gesellschafterversammlung geladen werden müssen, kam es daher nicht mehr an.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 91, 709 ZPO.
Verkündet am 05.08.2021


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