Arbeitsrecht

Berichtigung Wahlausschreiben – Abbruch eingeleiteter Betriebsratswahl

Aktenzeichen  7 BVGa 2/21

Datum:
26.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
ArbG Erfurt 7. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:ARBGERF:2021:1126.7BVGA2.21.00
Normen:
§ 9 S 1 BetrVG
§ 19 BetrVG
§ 3 Abs 1 S 1 BetrVGDV1WO
Spruchkörper:
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Tenor

Die Anträge der Beteiligten zu 1. werden zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Berichtigung eines vom Beteiligten zu 2. erlassenen Wahlausschreibens und hilfsweise den Abbruch der von ihm eingeleiteten Betriebsratswahl.
Die Beteiligte ist am Standort in … tätig. Unterteilt in die Geschäftsbereiche Prototypen- und Formenbau realisiert sie Kundenwünsche. Im Prototypenbau fertigt sie Einzelteile oder komplette Baugruppen. Im Formenbau fertigt sie Spritzgusswerkzeuge aus Aluminium oder Stahl. Ihr Kundenkreis reicht von der Automobilindustrie, der Elektroindustrie, der Medizintechnik, der Konsumgüterindustrie bis hin zur Luft- und Raumfahrt.
Im Betrieb der Beteiligten zu 1. soll erstmalig ein Betriebsrat gewählt werden. Im Zeitraum von 2016 bis zum Jahr 2020 beschäftigte die Beteiligte zu 1. immer mehr als 200 Arbeitnehmer.
Der Beteiligte zu 2. ist der zur Durchführung dieser Betriebsratswahl gebildete Wahlvorstand.
Unter dem 18. Oktober 2021 erließ der Beteiligte zu 2. das aus Bl. 16 d. A. ersichtliche Wahlausschreiben, nach dem die Betriebsratswahl am 1. Dezember 2021 stattfindet und der zu wählende Betriebsrat aus 9 Mitgliedern zu bestehen hat.
Vor Erlass dieses Wahlausschreibens wurden dem Beteiligten zu 2. von der Beteiligten zu 1. die aus Bl. 10 – 15 d. A. ersichtliche Mitarbeiterliste, auf die inhaltlich Bezug genommen wird. Aus der Liste ergeben sich 192 volljährige Beschäftigte, von denen 2 Prokuristen der Beteiligten zu 1. sind und neben dem Geschäftsführer als leitende Angestellte bezeichnet werden. Zudem sind insgesamt 5 nicht volljährige Auszubildende aufgeführt. Von den in der Mitarbeiterliste aufgeführten Arbeitnehmern sind nach den Angaben der Beteiligten zu 1. insgesamt 26 Mitarbeiter befristet beschäftigt, wobei das Datum der jeweiligen Befristung angegeben ist. Drei weitere Arbeitnehmer sind mit dem Vermerk Renteneintritt in 2022 aufgeführt.
Nicht auf der Liste vermerkt sind wohl im Betrieb der Beteiligten zu 1. eingesetzte Leiharbeitnehmer. Diese konnte der Beteiligte zu 2. nach seinen Bekundungen im Anhörungstermin einer Exceltabelle entnehmen, in die er Einsicht hatte. Hierin war konkret ausgewiesen, ob die Leiharbeitnehmer übernommen werden sollten. Einer dieser Leiharbeitnehmer war bei der Beklagten seit dem 25. August 2021 im Einsatz.
Nachdem der Beteiligte zu 2. mit Beschluss vom 18.10.2021 das Wahlausschreiben erlassen hatte, das am 19. Oktober 2021 im Betrieb der Beteiligten zu 1. ausgehängt wurde, legte der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1. mit an den Wahlvorstand gerichtetem Schreiben vom 29. Oktober 2021 (Bl. 17 d. A.) Einspruch gegen das Wahlausschreiben ein und verwies darauf, dass der zuvor genannte Leiharbeitnehmer am Tag des Wahlausschreibens weniger als 3 Monate eingesetzt gewesen und damit nicht wahlberechtigt sei. Die korrekte Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer betrage damit 197. Bei dieser Anzahl von wahlberechtigten Arbeitnehmern seien lediglich 7 Betriebsratsmitglieder zu wählen. Es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass künftig mehr als 200 beschäftigte Mitarbeiter bei der Beteiligten zur 1. tätig sein würden.
Der Beteiligte zu 2. verwies in seiner Antwort darauf, dass der genannte Leiharbeitnehmer zum Tag der Wahl 3 Monate beschäftigt sein werde und damit wahlberechtigt sei. Darüber hinaus gehe der Beteiligte 2. davon aus, dass künftig weiterhin ein Mitarbeiterbestand von mehr als 200 Personen gegeben sein werde. Dieses begründe sich aus dem mitgeteilten Personalbestand unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens noch offenen Stellenausschreibungen.
Zu diesem Zeitpunkt waren auf der Homepage der Beteiligten zu 1. 9 verschiedene Stellen ausgeschrieben mit dem Text „Wir suchen Sie, um auch in Zukunft weiter zu wachsen!“. Verschiedene Berufsausbildungen angeboten.
Nachdem der Beteiligte 2. sich weigerte, das Wahlausschreiben zu korrigieren, reichte die Beteiligte zu 1. unter dem 16. November 2021 den bzw. die streitgegenständlichen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Arbeitsgericht ein.
Die Beteiligte zu 1. verweist darauf, dass derzeit am Standort in … 198 angestellte Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen (m/w/d) beschäftigt seien und die aktuelle Personalplanung der Beteiligten zu 1. vorsehe, dass sich dieser Personalbestand bis zum 31. Dezember 2022 auf lediglich 172 Mitarbeiter reduzieren werde. Dieses werde durch den Auslauf von befristeten Arbeitsverhältnissen einerseits sowie durch bevorstehende Renteneintritte und die Nichtübernahme ausgelernter Azubis geschehen. Im ersten Halbjahr 2020 liefen 11 Befristungen aus und im zweiten Halbjahr 2022 7. Diese frei werdenden Positionen würden künftig nicht mehr besetzt. Zudem würden 3 weitere Zeitarbeitnehmer abgebaut und nicht ersetzt. Auch die Arbeitsplätze der 3 im Jahr 2022 in den Ruhestand tretenden Arbeitsplätze würden nicht wieder besetzt. Auch wenn die Stellenausschreibungen zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens veröffentlicht gewesen seien, würden die ausgeschriebenen Stellen aufgrund der negativen wirtschaftlichen Entwicklung von der Beteiligten zu 1. nicht mehr besetzt. Zwischenzeitlich seien diese Stellenausschreibungen zurückgenommen worden und nicht mehr gültig. Selbst wenn die Stellenausschreibungen Berücksichtigung fänden, würde die prägende Betriebsgröße die Zahl von 200 Mitarbeitern nicht überschreiten.
Der Beteiligte zur 1. behauptet, die Personalplanung sei dem Beteiligten zu 1. bekannt gewesen.
Die Beteiligte zu 1. ist der Rechtsauffassung, der Beteiligte zu 2. verstoße durch seine Weigerung, die Zahl der zu wählenden Betriebsräte zutreffend gemäß § 9 Satz 1 BetrVG mit der Zahl 7 zu berechnen, gegen grundlegende Vorschriften des betriebsverfassungsrechtlichen Wahlrechts. Im Wege einer korrigierenden einstweiligen Verfügung müsse dem Beteiligten zu 2. daher aufgegeben werden, die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder korrekt mit sieben zu bezeichnen und entsprechend den Wahlvorgang durchzuführen. Die vom Beteiligten zu 2. eingeleitete Betriebsratswahl weise einen massiven Fehler auf, der außerhalb des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens nur über eine Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG zu korrigieren wäre. Dieses sei der Beteiligten zu 1. aufgrund der Dauer der gerichtlichen Wahlanfechtung und des Umstandes, dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung der falsch gewählte Betriebsrat mit einer deutlich zu hohen Zahl von Betriebsratsmitgliedern im Amt wäre, was für die Beteiligte zu 1. mit höheren Kosten verbunden sei. Der Beteiligte zu 2. überschreite mit dem erlassenen Wahlausschreiben deutlich seine betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzen.
Ein Verfügungsgrund bestehe, da die Betriebsratswahl am 1. Dezember 2021 stattfinden solle. Ohne Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung könne dem Anspruch der Beteiligten zu 1. auf Durchführung eines den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Wahlverfahrens nicht Rechnung getragen werden. Ein Verweis auf die Wahlanfechtung sei unverhältnismäßig.
Der Beteiligte zur 1. stellt folgende Anträge:
I. Dem Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, das am 18.10.2021 erlassene Wahlausschreiben zeitlich vor dem 01.12.2021 zu berichtigen, so dass statt insgesamt 9 Betriebsratsmitgliedern lediglich insgesamt 7 Betriebsratsmitglieder gewählt werden.
Hilfsweise:
II. Die mit Wahlausschreiben des vom Beteiligten zu 2. am 18.10.2021 im Unternehmen des Beteiligten zu 1. eingeleitete Betriebsratswahl wird mit sofortiger Wirkung abgebrochen.
III. Dem Beteiligten zu 2. wird für den Fall des Zuwiderhandelns ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Ordnungsgeld bis zu 25.000,00 € angedroht, ersatzweise Ordnungshaft.
Der Beteiligte zu 2. beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 2. behauptet, die Personalplanung der Beteiligten zu 1. sei dem Beteiligten zu 2. nicht bekannt gewesen und werde mit Nichtwissen bestritten. Ferner werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Beteiligte zu 1. keine Neueinstellungen plane.
Der Beteiligte zu 2. habe, nachdem eine gültige Vorschlagsliste eingereicht worden sei, bereits Stimmzettel für einen 9-köpfigen Betriebsrat erstellt. Es gingen bereits die ersten Briefwahl- unterlagen beim Wahlvorstand ein, was insoweit nicht bestritten wird.
Der Beteiligte zu 2. ist der Rechtsansicht, dass der Antrag unbegründet ist. Das Wahlausschreiben sei ordnungsgemäß erlassen worden und die Größe des Betriebsrates mit 9 Mitgliedern richtig angegeben, da zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens nach der überlassenen Mitarbeiterliste und den zu diesem Zeitpunkt offenen Stellenausschreibungen von einer prägenden Betriebsgröße von über 200 Arbeitnehmern ausgegangen werden musste. Durch Tatsachen begründete Umstände, die zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, seien dem Wahlvorstand nicht bekannt gewesen.
Es bestehe zudem kein Verfügungsgrund. Eine Veränderung der Betriebsgröße nach Ablauf der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge sei nicht mehr möglich, da für die Aufstellung von Wahlvorschlagslisten die Größe des Betriebsrates einen wesentlichen Umstand darstelle. Durch die Einleitung der Briefwahl und den Versand der Briefwahlunterlagen lasse sich die Größe des Betriebsrates nicht mehr verändern.
Soweit die Beteiligte zu 1. mit dem Hilfsantrag den Abbruch der eingeleiteten Betriebsratswahl begehre, sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein solcher Abbruch der Wahl im Wege einer einstweiligen Verfügung nur im Falle der Nichtigkeit der Wahl zulässig. Ein solcher Nichtigkeitsgrund liege jedoch hier nicht vor.
II.
Der Beteiligte zu 1. verfolgt sein Begehren zu Recht im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, da sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Ordnungsgemäßheit einer Betriebsratswahl eine Angelegenheit aus dem BetrVG gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1a GG darstellen.
Ebenso ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren statthaft, § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
Die Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1. folgt aus ihrem Recht, nach durchgeführter Wahl das Wahlanfechtungsverfahren i. S. d. § 19 BetrVG zu betreiben; die Beteiligtenfähigkeit des Beteiligten zu 2. beruht auf seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung.
Sowohl der Hauptantrag zu I. als auch der Hilfsantrag zu II. sind unbegründet.
Der Hauptantrag zu I. ist bereits unbegründet, da die von der Beteiligten zu 1. begehrte Ergänzung beziehungsweise Berichtigung des Wahlausschreibens unzulässig ist, da sie nicht mehr rechtzeitig vor dem Wahltag am 01. Dezember 2021 erfolgen kann. Dieses beruht bereits darauf, dass die vorliegend erforderliche Einhaltung der 6-wöchigen Aushangfrist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Wahlordnung nicht mehr möglich wäre. Da die Beteiligte zu 1. mit dem Hilfsantrag den Abbruch der bereits eingeleiteten Betriebsratswahl begehrt, besteht im vorliegenden Fall solcher Anspruch nicht. Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Beschluss vom 27. Juli 2011, 7 ABR 61/10, juris). Danach kann im Wege einer einstweiligen Verfügung der Abbruch einer laufenden Betriebsratswahl nur angeordnet werden, wenn die eingeleitete Wahlzeit als nichtig anzusehen ist. Voraussetzung dafür ist, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen wird, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Dieses ist vorliegend nicht der Fall. Hierauf beruft sich die Beteiligte zu 1. auch nicht.
Das Betriebsverfassungsgesetz regelt nicht ausdrücklich, ob und unter welchen Voraussetzungen eine eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen ist und wer hierfür anspruchsberechtigt ist. Ausdrücklich geregelt ist in § 19 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG nur die Anfechtung einer durchgeführten Wahl.Die voraussichtliche Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl genügt für einen Anspruch auf Abbruch der Wahl nicht. Andernfalls könnte der Arbeitgeber mit dem gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen Unterlassungsantrag mehr erreichen als mit der gesetzlich vorgesehenen Wahlanfechtung. Eine erfolgreiche Wahlanfechtung hat nach § 19 Abs. 1 BetrVG keine rückwirkende Kraft, sondern wirkt nur für die Zukunft. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens bleibt auch ein nicht ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt.
Vorliegend – im Falle einer erstmaligen Betriebsratswahl – würde die Anerkennung eines Anspruchs auf Abbruch der Betriebsratswahl verhindern, dass zumindest vorläufig ein Betriebsrat zustande kommt, es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht. Damit würde ein betriebsratsloser Zustand aufrechterhalten, der nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes lediglich bei einer nichtigen Wahl eintreten darf. Das Betriebsverfassungsgesetz will betriebsratslose Zustände möglichst vermeiden. Die Kammer geht mit dem Bundesarbeitsgericht davon aus, dass die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes den Willen des Gesetzgebers erkennen lassen, dass möglichst in jedem betriebsratsfähigen Betrieb ein Betriebsrat besteht. Die Vorschriften, die die Betriebsratswahl regeln, sind demgemäß so auszulegen, dass der Gesetzeszweck, Betriebsräte zu bilden, möglichst erreicht wird (Bundesarbeitsgericht, a.a.O.).


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