Arbeitsrecht

Betriebsübergang – Verwirkung des Widerspruchsrechts

Aktenzeichen  8 AZR 805/07

Datum:
22.4.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 613a Abs 1 BGB
§ 613a Abs 2 BGB
§ 613a Abs 5 BGB
§ 613a Abs 6 S 1 BGB
§ 242 BGB
§ 425 Abs 1 BGB
Spruchkörper:
8. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Solingen, 17. Januar 2007, Az: 3 Ca 2002/05 lev, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 1. August 2007, Az: 7 Sa 553/07, Teilurteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. August 2007 – 7 Sa 553/07 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 17. Januar 2007 – 3 Ca 2002/05 lev – wird – außer soweit sie sich gegen die teilweise Klageabweisung auf Bonuszahlung für das Jahr 2004 richtet – zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz darüber, ob zwischen ihnen über den 1. November 2004 hinaus ein Arbeitsverhältnis fortbesteht.
2
Der Kläger war seit 1974 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Personalreferent. Er war dem Geschäftsbereich C I(CI) zugeordnet.
3
Dieser Geschäftsbereich verzeichnete seit mehreren Jahren Umsatzrückgänge, welche die Beklagte zu Personalabbaumaßnahmen veranlassten. Am 14. Oktober 2004 vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich. Dieser regelte ua., dass Mitarbeiter, die von dem geplanten Personalabbau betroffen sein würden, Abfindungszahlungen erhalten sollten. Diesem Interessenausgleich sollte eine Namensliste der betroffenen Mitarbeiter beigefügt werden. Der Kläger war zur Aufnahme in diese Liste vorgesehen.
4
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 informierte die Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Übertragung des Geschäftsbereichs CI auf die A GmbH. In diesem Schreiben heißt es ua.:
        
„…
        
die A-G AG plant, den Geschäftsbereich C I (CI) mit Wirkung zum 1. November 2004 auf die A GmbH zu übertragen.
        
Für die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter, die dem Geschäftsbereich CI zugeordnet sind, führt diese Übertragung zu einem automatischen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse. Dies ist in § 613 a BGB geregelt, dessen Bestimmungen auf den Übergang zwingend anwendbar sind. § 613 a Absatz 5 BGB sieht eine schriftliche Information des von einem solchen Übergang betroffenen Arbeitnehmers vor, der nach § 613 a Absatz 6 BGB dem Übergang auch widersprechen kann.
        
Diese Bestimmungen lauten:
        
        
‚Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
        
        
1.   
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
        
        
2.   
den Grund für den Übergang,
        
        
3.   
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
        
        
4.   
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
        
Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.’
        
Ihr Arbeitsverhältnis ist dem Geschäftsbereich CI zugeordnet und würde deshalb mit dem 1. November 2004 auf A GmbH übergehen.
        

        
1.       
Zum geplanten Zeitpunkt des Übergangs:
        
        
Das Datum des geplanten Übergangs ist der 1. November 2004.
        
2.       
Zum Grund für den Übergang:
        
        
Grund des Übergangs ist die rechtliche Verselbständigung des Geschäftsbereichs CI in der A GmbH und deren anschließende Veräußerung an N GmbH.
        
        
A GmbH mit Sitz in L umfasst das gesamte bisherige CI-Geschäft der A-G AG, also die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte. A GmbH übernimmt das Vermögen von CI. Hierzu gehören insbesondere Produktionsanlagen, Markenzeichen, Patente und technologisches Know-how, Vorräte und Forderungen.
        
        

        
        
Das Unternehmen wird mit einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfügt über hohe Liquidität, um unerwartet auftretende Risiken bewältigen, in neue Geschäfte investieren und Marktchancen besser nutzen zu können.
        
3.       
Zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer:
        
        
Mit dem Übergang des Geschäftsbereichs CI tritt A GmbH in die bestehenden, unveränderten Arbeitsverhältnisse ein. Zur Klärung und Regelung der Einzelheiten haben A-G AG, A GmbH, Gesamtbetriebsrat der A-G AG sowie die örtlichen Betriebsräte am 24. September 2004 eine Überleitungsvereinbarung ‚zur Klärung der rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse betroffener Arbeitnehmer, auf die kollektiv-rechtlichen Regelungen sowie auf die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen’ abgeschlossen, die davon geprägt ist, so weit wie möglich Kontinuität zu wahren:
        
        
–       
Die bei der A-G AG verbrachten und/ oder von ihr anerkannten Dienstjahre werden als Dienstzeit bei A GmbH anerkannt.
        
        
–       
Die Zugehörigkeit zu den Arbeitgeberverbänden der Chemischen Industrie wird auch bei A GmbH bestehen, d.h. es bleibt bei den Chemie-Tarifen.
        
        

        
5.       
Zu Ihrer persönlichen Situation:
        
        
Ihr Arbeitsverhältnis wird nach unserer Planung von dem geplanten Personalabbau gemäß Ziffer 4 betroffen sein. Die Zustimmung des Betriebsrats zu Ihrer Aufnahme in die Namensliste liegt derzeit noch nicht vor. Insofern sind Verhandlungen mit dem Betriebsrat noch nicht abgeschlossen. Sie müssen jedoch damit rechnen, nach Abschluss dieser Verhandlungen mit oder ohne Ihre Aufnahme in die Namensliste der zur Kündigung vorgesehenen Mitarbeiter eine Kündigung zu erhalten.
        
        
Zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile stehen Ihnen dann die in unserem Sozialplan vorgesehenen Leistungen zu.
        
        
Die geplante Kündigung wirkt sich auf den Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses nicht aus.
        
        
Ihr Arbeitsverhältnis geht trotzdem über und Sie sind verpflichtet, Ihre Tätigkeit bei A GmbH fortzuführen. Die nachfolgend dargestellten Konsequenzen eines eventuellen Widerspruchs treffen auch in Ihrem Falle zu.
        
6.       
Zum Widerspruchsrecht:
        
        
Sie haben das Recht, dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH binnen einer Frist von einem Monat ab Zugang dieses Schreibens schriftlich zu widersprechen. Die Erklärung kann nicht einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden. Sie kann auch nicht an eventuelle Bedingungen geknüpft werden.
        
        
Sollten Sie dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen wollen, müsste das schriftlich mit einer von Ihnen unterschriebenen Erklärung innerhalb dieser Frist erfolgen. Eventuelle Widerspruchsschreiben richten Sie bitte ausschließlich an:
        
        

        
7.       
Zu den Folgen eines Widerspruchs:
        
        
Im Falle eines fristgerechten Widerspruchs bleibt Ihr Arbeitsverhältnis bei der A-G AG und geht nicht auf die A GmbH über.
        
        
Da nach dem Übergang des vollständigen Geschäftsbereichs CI auf A GmbH Ihr bisheriger Arbeitsplatz bei A-G AG nicht mehr vorhanden sein wird und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht, müssen Sie daher im Falle der Ausübung Ihres Widerspruchsrechts mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses durch A-G AG rechnen.
        
        
Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass nach der eindeutigen Regelung in der mit dem Gesamtbetriebsrat der A-G AG und den örtlichen Betriebsräten vereinbarten Überleitungsvereinbarung in diesem Fall kein Anspruch auf eine Abfindung besteht, weder gegenüber der A-G AG, noch gegenüber A GmbH. Im Falle eines Widerspruchs müssen Sie deshalb damit rechnen, Ihren Arbeitsplatz ohne jede finanzielle Leistung zu verlieren. Außerdem sind bei einer eventuellen Arbeitslosigkeit nach einem Widerspruch Ihre Ansprüche auf Leistungen der Agentur für Arbeit in Frage gestellt.
        
        
Wir empfehlen Ihnen daher dringend, von einem Widerspruch abzusehen.
        
        
…“
5
Mit Wirkung zum 1. November 2004 wurde der Geschäftsbereich CI ausgegliedert und auf die neu gegründete A GmbH übertragen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zunächst nicht und erbrachte seine Arbeitsleistung bei der A GmbH.
6
Die A GmbH kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 17. November 2004 „aus dringend betrieblichen Erfordernissen“ zum 30. Juni 2005. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger keine Kündigungsschutzklage.
7
Mit Schreiben vom 29. November 2004 teilte die A GmbH dem Kläger ua. mit:
        
„…   
        
gemäß Kündigung endet Ihr Arbeitsverhältnis mit der A GmbH aus dringenden betrieblichen Gründen am 30.06.2005. In diesem Zusammenhang halten wir folgendes fest:
        
…       
        
        
2.   
Zum Ausgleich der durch die von uns ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Nachteile erhalten Sie eine Abfindung.
        
        
…       
        
        
von brutto insgesamt 194.550,74 €.
        
…       
        
        
7.   
Mit Erfüllung dieses Vertrages sind sämtliche Ansprüche des Mitarbeiters aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten (Ausnahmen: LEK/VUEK/Bonus, evtl. gewährtes Arbeitgeberdarlehn, evtl. Entgeltüberzahlung aus der Entgeltabrechnung).
        
…       
        
        
Bitte bestätigen Sie auf beigefügter Zweitschrift, dass Sie den Inhalt des Schreibens zur Kenntnis genommen haben.
        
…“   
8
Im Mai 2005 stellte die A GmbH Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welches am 1. August 2005 eröffnet wurde.
9
Mit Schreiben vom 14. Juni 2005 widersprach der Kläger gegenüber der Beklagten dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH wegen der Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung über den Betriebsübergang.
10
Nachdem die A GmbH dem Kläger mit Schreiben vom 24. Juni 2005 mitgeteilt hatte, dass sie aufgrund des erklärten Widerspruchs das Arbeitsverhältnis mit ihr zum 15. Juni 2005 als beendet ansehe, bot der Kläger mit Schreiben vom 25. Juni 2005 der Beklagten seine Arbeitskraft an. Mit Anwaltsschreiben vom 29. Juli 2005 ließ der Kläger dann gegenüber der Beklagten Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend machen.
11
Der Kläger meint, er habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH noch im Juni 2005 wirksam widersprechen können, weil er bis dahin nicht ordnungsgemäß iSd. § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebsübergang unterrichtet worden sei. So rügt er insbesondere eine falsche Information über die wirtschaftliche Situation der Betriebserwerberin und über die Haftungsverteilung zwischen der Beklagten und der A GmbH.
12
Der Kläger hat zuletzt beantragt
        
festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsverhältnis besteht.
13
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
14
Sie beruft sich darauf, ihr Informationsschreiben vom 22. Oktober 2004 habe den Erfordernissen des § 613a Abs. 5 BGB genügt. Der Widerspruch des Klägers sei verspätet, da er nicht innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist nach Zugang des Unterrichtungsschreibens(§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) erhoben worden sei. Zumindest sei das Widerspruchsrecht des Klägers jedoch verwirkt.
15
Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage und die auf Zahlung von Vergütung gerichtete Leistungsklage bis auf einen Teilbetrag in Höhe von 1.867,33 Euro brutto nebst Zinsen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auf Feststellung des Bestehens des Anstellungsverhältnisses zwischen den Parteien und auf Zahlung von Arbeitsentgelt für den Zeitraum 1. Juli 2005 bis 30. November 2006 sowie auf Zahlung der Sondervergütung für 2005 durch Teilurteil stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger nach Rücknahme seiner Zahlungsklage die Zurückweisung der Revision beantragt.


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