Arbeitsrecht

Betriebsübergang – Verwirkung des Widerspruchsrechts

Aktenzeichen  8 AZR 265/16

Datum:
24.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2017:240817.U.8AZR265.16.0
Normen:
§ 613a Abs 5 BGB
§ 613a Abs 6 BGB
§ 242 BGB
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Wurde der Arbeitnehmer zwar nicht ordnungsgemäß iSv. § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet, aber im Rahmen einer Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB von dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber über den mit dem Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses unter Mitteilung des Zeitpunkts oder des geplanten Zeitpunkts sowie des Gegenstands des Betriebsübergangs und des Betriebsübernehmers (grundlegende Informationen) in Textform in Kenntnis gesetzt und über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB belehrt, führt eine widerspruchslose Weiterarbeit bei dem neuen Inhaber über einen Zeitraum von sieben Jahren regelmäßig zur Verwirkung des Widerspruchsrechts.
2. Der für die Verwirkung maßgebliche Zeitraum der widerspruchslosen Weiterarbeit bei dem neuen Inhaber beginnt frühestens mit dem Betriebsübergang. Läuft die Frist des § 613a Abs. 6 BGB erst nach dem Betriebsübergang ab, ist der Zeitpunkt des Ablaufs dieser Frist maßgeblich.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Regensburg, 22. April 2015, Az: 6 Ca 2653/14, Teilurteilvorgehend Landesarbeitsgericht München, 25. November 2015, Az: 5 Sa 478/15, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 25. November 2015 – 5 Sa 478/15 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 22. April 2015 – 6 Ca 2653/14 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen nach einem Betriebsübergang noch ein Arbeitsverhältnis besteht.
2
Die Klägerin war seit dem 1. November 1995 bei der Beklagten als Mitarbeiterin der K in R beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 28. Dezember 1995 heißt es ua.:
        
„§ 1 Inhalt und Beginn des Arbeitsverhältnisses
        
I.    
…       
        
II.     
Für das Arbeitsverhältnis gelten die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung, soweit im folgenden nichts anderes vereinbart ist.
        
…“    
        
3
Der Betrieb „K“ der Beklagten ging am 1. September 2007 im Wege des Betriebsübergangs von der Beklagten auf die V C S GmbH (im Folgenden VCS) über. Hierüber war die Klägerin durch Unterrichtungsschreiben der VCS vom 26. Juli 2007 informiert worden. Der Senat hat später zu einem wortgleichen Unterrichtungsschreiben der VCS, ebenfalls vom 26. Juli 2007, aber ein anderes Arbeitsverhältnis betreffend, entschieden, dass die Unterrichtung fehlerhaft war, weil sie den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB nicht entsprach (BAG 26. Mai 2011 – 8 AZR 18/10 -). Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die VCS zunächst nicht und arbeitete nach dem Betriebsübergang für die VCS.
4
Mit Schreiben vom 30. Juli 2014 widersprach die Klägerin gegenüber der Beklagten dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die VCS und bot ihre Arbeitsleistung an. Mit Schreiben vom 2. September 2014 wiederholte sie ihr Arbeitsangebot und machte Annahmeverzugslohnansprüche geltend.
5
Mit ihrer am 11. November 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin ua. die Feststellung begehrt, dass zwischen den Parteien über den 1. September 2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht. Sie hat die Ansicht vertreten, die Frist für den Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die VCS habe aufgrund der fehlerhaften Unterrichtung über den Betriebsübergang nicht zu laufen begonnen. Ihr Widerspruchsrecht sei auch nicht verwirkt. Ihre widerspruchslose Weiterarbeit für die VCS allein verwirkliche das hierfür erforderliche Umstandsmoment nicht.
6
Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – zuletzt beantragt
        
festzustellen, dass zwischen den Parteien über den 1. September 2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.
7
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, das Widerspruchsrecht der Klägerin sei verwirkt. Nach der rund siebenjährigen widerspruchslosen Tätigkeit der Klägerin für die VCS habe sie, die Beklagte, darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die VCS akzeptiert habe. Aufgrund dieses langen Zeitraums seien an das Umstandsmoment geringere Anforderungen zu stellen, die durch die widerspruchslose Weiterarbeit erfüllt seien. Zudem wirke sich aus, dass die Klägerin auch nach Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Unterrichtungsschreibens vom 26. Juli 2007 durch das Bundesarbeitsgericht im Mai 2011 weitere drei Jahre weitergearbeitet habe, ohne dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die VCS zu widersprechen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sich die Arbeitsbedingungen der Klägerin mit dem Betriebsübergang aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel und der bei der VCS angewandten Tarifverträge erheblich geändert hätten, insbesondere sei – was zwischen den Parteien unstreitig ist – das Vergütungssystem geändert und die wöchentliche Arbeitszeit ohne Lohnausgleich von 34 auf 38 Stunden erhöht worden. Die Klägerin habe überdies an allen Seminaren und Schulungen teilgenommen, die für die tägliche Arbeit in den Projekten am Standort R der VCS erforderlich gewesen seien. Im Übrigen fehle es an der Kausalität der fehlerhaften Unterrichtung für die Nichtausübung des Widerspruchsrechts. Die Nachhaftung des Veräußerers sei im Schreiben der VCS vom 26. Juli 2007 sogar nachteiliger beschrieben worden als es der gesetzlichen Regelung in § 613a Abs. 2 BGB entspreche. Schließlich dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, dass im Fall der Zulässigkeit des Widerspruchs außer der Klägerin eine Vielzahl anderer Arbeitnehmer nach mehr als sieben Jahren zu ihr zurückkehren könnte. Ein solcher „Lawineneffekt“ würde das Gesamtkonzept der Beschäftigungssicherung im Unternehmen und im Konzern gefährden.
8
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag der Klägerin durch Teilurteil stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Teilurteil abgeändert und die Klage – soweit vom Teilurteil betroffen – abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.


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