Arbeitsrecht

Einzelstrafenfestsetzung durch Revisionsgericht nach fehlerhafter nachträglicher Gesamtstrafenbildung

Aktenzeichen  3 OLG 110 Ss 41/18

Datum:
25.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
wistra – 2018, 487
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 55 Abs. 1, § 266a
StPO § 244 Abs. 2, § 249 Abs. 2, § 274, § 354 Abs. 1, § 358 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt der Begehung der Tat i.S.d. § 55 I 1 StGB ist derjenige der Tatbeendigung (st.Rspr., u.a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 16.09.2014 – 3 StR 423/14, 16.02.2016 – 4 StR 476/15 und 08.12.2015 – 3 StR 430/15 [jeweils bei juris]; OLG Bamberg Beschl. v. 17.03.2016 – 3 OLG 8 Ss 18/16 = ZWH 2016, 208 = wistra 2016, 332 = StV 2017, 117 = OLGSt StGB § 263 Nr. 29). (Rn. 15)
2. Bei Taten nach § 266a I und II StGB tritt Tatbeendigung erst mit Erlöschen der Beitragspflicht ein (u.a. Anschluss BGH Beschl. v. 26.07.2017 – 1 StR 180/17 = wistra 2018, 206, 28.10.2008 – 5 StR 166/08 = BGHSt 53, 24 und 27.09.1991 – 2 StR 315/91 = wistra 1992, 23). (Rn. 16)
3. Hat das Tatgericht rechtsfehlerhaft die Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen, ist die neu festzusetzende Gesamtstrafe aufgrund des revisionsrechtlichen Verschlechterungsverbots (§ 358 II 1 StPO) in dem Rahmen zu halten, der sich aus der Differenz zwischen der aufgehobenen und der im früheren Verfahren gebildeten Gesamtstrafe ergibt; dies gilt auch, wenn die Einsatzstrafe höher ist als die neu festzusetzende Gesamtstrafe (Anschluss an BGH, Beschl. v. 20.09.2012 – 3 StR 220/12 = NStZ-RR 2013, 6 und 07.12.1990 – 2 StR 513/90 = NJW 1991, 1763 = NStZ 1991, 182 = StV 1993, 26 = MDR 1991, 359 = JR 1991, 513 = BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 4). (Rn. 21 und 22)

Gründe

I.
Die Revision des Angekl. hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet i.S.v. § 349 II StPO.
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revision hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. ergeben.
a) Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO dringt schon deshalb nicht durch, weil das Gericht ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, mit dessen Zuhilfenahme es zulässiger Weise im Schätzwege die nicht abgeführten Mindestsozialversicherungsbeiträge errechnet hat. [wird ausgeführt]
b) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs, mit der geltend gemacht wird, der Angekl. habe im Selbstleseverfahren eingeführte Unterlagen nicht selbst wahrnehmen und nicht separat hierzu Stellung nehmen können, ist unzulässig, weil der Tatsachenvortrag dem mit Beweiskraft (§ 274 StPO) versehenen Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls widerspricht. Hiernach hatte auch der Angekl. persönlich Gelegenheit, von den im Selbstleseverfahren nach § 249 II StPO in die Hauptverhandlung eingeführten Unterlagen Kenntnis zu nehmen.
c) Die Sachrüge zeigt ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. auf. Etwaigen Unwägbarkeiten bei der Aufteilung der vorenthaltenen Beiträge auf die einzelnen Kalendermonate hat das Gericht mit sachverständiger Hilfe zugunsten des Angekl. ausreichend Rechnung getragen.
2. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs hat die Revision des Angekl. einen Teilerfolg. Während die Festsetzung der Einzelstrafen keinen Rechtsfehler erkennen lässt, kann die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben. Nach den Feststellungen des LG hätte aus den Einzelstrafen eine Gesamtstrafe ohne die Einbeziehung der mit Urteil des LG V. vom 10.12.2015 festgesetzten Einzelstrafen gebildet werden müssen, weil die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB nicht vorlagen.
a) Eine nachträgliche Gesamtstrafe nach § 55 I 1 StGB ist zu bilden, wenn der Angekl. wegen einer Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat, wobei nach § 55 I 2 StGB auf das Datum der letzten tatrichterlichen Entscheidung, also das derjenigen des LG V. vom 10.12.2015, abzustellen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt, zu dem eine Tat i.S.d. § 55 I 1 StGB begangen wurde, ist indes nicht etwa die Tatvollendung, sondern vielmehr ihre Beendigung (vgl. BGH, Beschluss vom 16.09.2014 – 3 StR 423/14, 16.02.2016 – 4 StR 476/15 und 08.12.2015 – 3 StR 430/15 [jeweils bei juris]; OLG Bamberg, Beschluss vom 17.03.2016 – 3 OLG 8 Ss 18/16 = ZWH 2016, 208 = wistra 2016, 332 = StV 2017, 117 = OLGSt StGB § 263 Nr. 29; Fischer StGB 65. Aufl. § 55 Rn. 7 m.w.N.).
b) Da es sich beim Tatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, das die Nichtabführung der Beiträge unter Strafe stellt, ist Beendigung zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem die Beitragspflicht erloschen ist, sei es durch Beitragsentrichtung oder Wegfall des Beitragsschuldners (BGH, Beschluss vom 26.07.2017 – 1 StR 180/17 = wistra 2018, 206, 28.10.2008 – 5 StR 166/08 = BGHSt 53, 24 und 27.09.1991 – 2 StR 315/91 = wistra 1992, 23). Die verfahrensgegenständlichen Taten waren zum Zeitpunkt der Urteilsfällung des LG V. am 10.12.2015 noch nicht beendet, nachdem sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass der Angekl., der seine Beitragspflicht bestritten hatte, bislang keine Zahlungen an die zuständige Einzugsstelle entrichtet hat. Ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt das vom Angekl. im Jahre 2016 beantragte Privatinsolvenzverfahren die Beitragsschuld zum Erlöschen gebracht hatte (vgl. Loose wistra 2018, 207), muss an dieser Stelle nicht entschieden werden.
c) Durch die rechtsfehlerhaft gebildete Gesamtstrafe von 2 Jahren 6 Monaten ist der Angekl. auch beschwert, da die dem Urteil des LG V. vom 10.12.2015 zugrundeliegenden Strafen unter Wegfall der Bewährung einbezogen wurden.
3. Keinen Bestand haben kann auch der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit ein 106.857,71 Euro übersteigender Betrag eingezogen wurde. Das LG hat sich, wovon es selbst ausgeht, bei der Tenorierung zum Nachteil des Angekl. verrechnet, weshalb lediglich der tatsächlich vorenthaltene Betrag eingezogen werden kann, der sich aus den Arbeitnehmer- und Arbeitsgeberanteilen zur Sozialversicherung zusammensetzt.
II.
Während für die Höhe der zu verhängenden Gesamtstrafe nur noch eine bestimmte Strafe in Betracht kommt, bedarf die Frage, ob die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, der erneuten tatrichterlichen Prüfung.
1. Unter Berücksichtigung des revisionsrechtlichen Verschlechterungsverbots nach § 358 II 1 StPO kommt nur noch die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten in Betracht, die der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 I StPO selbst festgesetzt hat.
a) Da das Tatgericht rechtsfehlerhaft die Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen hat, führt das in § 358 II 1 StPO normierte revisionsrechtliche Verbot der Schlechterstellung dazu, dass die neu festzusetzende Gesamtstrafe in dem Rahmen zu halten ist, der sich aus der Differenz zwischen der aufgehobenen und der im früheren Verfahren gebildeten Gesamtstrafe ergibt (BGH, Beschluss vom 20.09.2012 – 3 StR 220/12 = NStZ-RR 2013, 6 und 07.12.1990 – 2 StR 513/90 = NJW 1991, 1763 = NStZ 1991, 182 = StV 1993, 26 = MDR 1991, 359 = JR 1991, 513 = BGHR StPO § 358 II Nachteil 4; KK/Gericke StPO 7. Aufl. § 358 Rn. 29).
b) Da das LG V. am 10.12.2015 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren ausgesprochen hatte, hat dies für das vorliegende Verfahren die Konsequenz, dass die gegen den Angekl. zu verhängende Gesamtfreiheitsstrafe 6 Monate, also die Differenz zwischen 2 Jahren 6 Monaten und 2 Jahren nicht überschreiten darf. Dagegen spricht nicht, dass die nunmehr gebildete Gesamtstrafe entgegen § 54 I 2 StGB niedriger als die Einsatzstrafe ist. Dies ist im Hinblick auf die der Vorschrift des § 358 II 1 StPO zugrundeliegende gesetzgeberische Wertentscheidung hinzunehmen.
2. Die Frage der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung bedarf tatrichterlicher Überprüfung. Die Sache wird insoweit an eine andere (kleine) Strafkammer des LG zurückverwiesen […]


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben