Arbeitsrecht

EU-Fahrerlaubnis (polnisch), Wohnsitzerfordernis, unbestreitbare Informationen, befristeter Aufenthalt, kein substantiierter Vortrag

Aktenzeichen  W 6 K 21.618

Datum:
26.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12062
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7 Abs. 1 S. 2
FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2
FeV § 30 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 11. Dezember 2020 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 16. April 2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
1. In den genannten Bescheiden wurde zu Recht festgestellt, dass der Kläger infolge eines Wohnsitzverstoßes weder einen Anspruch auf Umschreibung seines polnischen Führerscheins nach § 30 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat, noch darauf gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 FeV von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.
1.1 Für die Ausstellung eines deutschen Führerscheins auf der Grundlage einer EU-Fahrerlaubnis ist nach § 30 Abs. 1 Satz 1 FeV erforderlich, dass der Antragsteller Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten EU-Fahrerlaubnis ist, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat. Eine solche Umschreibung setzt also u.a. voraus, dass die umzuschreibende ausländische EU-Fahrerlaubnis des Klägers inlandsgültig ist, was sich im vorliegenden Fall nach den Voraussetzungen des § 28 FeV bestimmt (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 – 3 B 26/19 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 25.9.2012 – 11 B 10.2427 – juris Rn. 21 m.w.N.). Demnach dürfen die Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen, sofern keiner der in § 28 Abs. 2 – 4 FeV normierten Ausnahmetatbestände vorliegt. Gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV gilt diese Berechtigung nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten.
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Bewerber zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18) in Einklang. Insbesondere achten nach Art. 7 Abs. 5 Unterabsatz 2 der Richtlinie die Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf, dass eine Person die Anforderungen des Absatzes 1 – und somit auch die Wohnsitzvoraussetzung – erfüllt.
Die Prüfung und Bewertung, ob Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10 – juris Rn. 73 f.). Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012, a.a.O., Rn. 75).
1.2 Der Beklagte ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die aus dem Ausstellermitgliedsstaat Polen stammenden Informationen auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Erteilung der Fahrerlaubnis hinweisen und die Zusammenschau mit den übrigen in Zusammenhang mit dem Kläger bekannten Tatsachen, auf einen Wohnsitzverstoß schließen lassen.
Der Kläger hat nur die Kopie eines polnischen Führerscheins vorgelegt.
Die daraufhin auf rechtmäßige Aufforderung des Landratsamts vorgelegten Bescheinigungen der polnischen Behörden enthalten ausdrückliche Hinweise, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. So ist in den polnischen Dokumenten von vornherein von einer dokumentierten befristeten Meldebescheinigung in S. bzw. von einem befristeten Aufenthalt bzw. einem zeitweisen Wohnsitz in der Stadt S. die Rede. Die übersandte Meldebescheinigung für einen vorübergehenden Aufenthalt (poswiadczenie zameldowania na pobyt czasowy) vom 23. Juni 2014 attestiert dem Kläger einen vorübergehenden Aufenthalt (pobyt czasowy) für den Zeitraum vom 23. Juni 2014 bis 22. Januar 2015 und gibt aber zugleich ausdrücklich an, dass der Kläger weiterhin seinen ständigen Wohnsitz (pobyt staly) in Deutschland hat. Schließlich ist im Anschreiben der polnischen Behörden vom 11. August 2020 zu den Grundlagen für den Erwerb des Führerscheins u.a. angemerkt: dokumentierter vorübergehender Aufenthalt in der Stadt S. sowie unter Strafandrohung bei Falschaussagen (vom Kläger) abgegebene Erklärung über einen Aufenthalt auf dem Territorium der Republik Polen von mehr als 185 Tagen. Zudem wird auf eine Bescheinigung über die Abmeldung in Deutschland verwiesen.
Da es sich bei diesen Informationen um originäre Auskünfte der polnischen Behörden handelt, stellen sie unbestreitbare Informationen dar, die – auch und gerade in ihrer Zusammenschau – deutlich darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung möglicherweise nicht gegeben war. Es ist jedoch, wie bereits dargestellt, Sache der Gerichte, die Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat zu prüfen und zu bewerten Demnach ergeben sich nach der hier vorzunehmenden freien Beweiswürdigung gemäß § 108 VwGO aus den vorgelegten polnischen Unterlagen Zweifel und damit Hinweise auf die fehlende Begründung eines tatsächlichen ordentlichen Wohnsitzes des Klägers im Ausstellermitgliedstaat. Hinsichtlich des Beweiswertes der vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen für das Nichtbestehen eines dortigen ordentlichen Wohnsitzes im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung genügt die bloße Möglichkeit einer entsprechenden Sachverhaltsgestaltung. Es ist ausreichend, wenn diese Informationen eine Missachtung des unionsrechtlichen Wohnsitzerfordernisses als möglich erscheinen lassen; ein Indizcharakter ist insoweit ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2012 – 11 CS 11.2795 – juris Rn. 28 ff., B.v. 20.10.2014 – 11 CS 14.1688 – juris Rn. 12 ff.; OVG RhPf, B.v. 15.1.2016 – 10 B 11099/15.OVG – juris Rn. 4). Wenn in einer Meldebestätigung des Ausstellungsmitgliedstaats zwar ein nach eigenen Angaben des Antragstellers längerer Aufenthalt von mehr als 185 Tagen im Ausstellungsmitgliedstaat, aber zugleich ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland bescheinigt und der Aufenthalt in Polen demgegenüber als vorübergehend bezeichnet wird, ergeben sich daraus erhebliche Zweifel daran, dass der Wohnsitz im Ausstellungsmitgliedstaat die Voraussetzungen des Art. 12 der RL 2006/126/EG erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 18 m.w.N.) Die alleinige melderechtliche Information ohne Kenntnis der tatsächlichen Umstände des polnischen Wohnsitzes ist bei gleichzeitig beibehaltenem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ein ausreichender Hinweis darauf, dass sich der Kläger nur vorübergehend in Polen aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, die Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins in Deutschland zu umgehen (vgl. BayVGH, B.v. 15.9.2015 – 11 ZB 15.1077 – juris Rn. 16 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 29.3.2016 – 12 ME 32/16 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Da unbestreitbare Informationen vorliegen, aus denen sich nicht nur die Möglichkeit, sondern bereits ernstliche Zweifel dahingehend ergeben, dass der Kläger nur einen Scheinwohnsitz im Ausstellungsmitgliedsstaat Polen hatte, sind zur endgültigen Beurteilung der Frage die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend auch die „inländischen Umstände“ (stRspr, vgl. nur BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 11 CS 16.2562 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Folglich durfte der Beklagte zulässigerweise die Angaben der deutschen Einwohnermeldeämter berücksichtigen, welche bestätigen, dass der Kläger bis zum 16. Juli 2015 seinen Hauptwohnsitz in B. gehabt und sich zwar anschließend nach Polen abgemeldet, jedoch wieder ab 22. Juli 2015 mit Hauptwohnsitz in B.l angemeldet hat, sodass er auch im Zeitpunkt der Erteilung des polnischen Führerscheins am 29. Juli 2015 mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war. Die pauschale Behauptung, der Kläger könne nicht nachvollziehen, wie es zu der Wiederanmeldung in Deutschland gekommen sei, obwohl der Beklagte zutreffend ausführt, dass dies eine Unterschrift des Klägers erfordert, wertet das Gericht insoweit als bloße Schutzbehauptung.
1.3 Aus der Zusammenschau der ausländischen und inländischen Umstände folgen erhebliche Zweifel am Vorliegen eines polnischen Wohnsitzes, sodass die durch den Führerschein des Ausstellermitgliedstaats begründete Annahme, das Wohnsitzerfordernis sei zum Ausstellungsdatum erfüllt, erschüttert ist. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Fahrerlaubnisinhaber substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden, machen muss, wenn er trotz der das Gegenteil ausweisenden Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat und der inländischen Umstände darauf beharrt, das Wohnsitzerfordernis eingehalten zu haben (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2015 – 3 B 48.14 – juris Rn. 6; B.v. 22.10.2014 – 3 B 21.14 – juris Rn. 3; U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 22.8.2016 – 11 CS 16.1230 – juris Rn. 20; B.v. 20.5.2015 – 11 CS 15.685 – juris Rn. 15; OVG NW, U.v. 16.5.2014 – 16 A 2255/10 – juris Rn. 30). Dies gilt umso mehr, als für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger seinen Lebensmittelpunkt tatsächlich nach Polen verlagert hatte, die tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnisse maßgeblich sind, nicht aber Eintragungen in behördliche Register (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2012 – 11 CS 11.2795 – juris Rn. 35).
Der Kläger vermochte jedoch weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren nachvollziehbar und substantiiert Umstände darlegen, aus denen sich eine persönliche oder berufliche Bindung dergestalt ergeben hätte, die die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Polen tragen könnten.
Insbesondere hat der Kläger keinerlei substantiierte weitere Angaben zum Grund und den Umständen seines Aufenthalts in Polen gemacht, sondern lediglich zwei Quittungen der Fahrschule … B. in S. vom 29. Mai 2014 für „1. Anreise B“ und vom 13. Juli 2015 für „Nachprüfung Kl. B“ vorgelegt, die eher darauf hindeuten, dass der Kläger nur anlässlich der Anmeldung zur Führerscheinprüfung bzw. deren Durchführung nach Polen gereist ist und daher keinerlei weitere Belege – wie beispielsweise einen Mietvertrag oder entsprechende Rechnungen – über seinen Aufenthalt in Polen vorlegen kann. Auch die vom Kläger vorgelegte weitere Meldebescheinigung vom 14. Juli 2015 über einen vorübergehenden Aufenthalt für den Zeitraum vom 14. Juli 2015 bis 13. Februar 2016, gibt zwar an, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Ausstellung des polnischen Führerscheins seinen vorübergehenden Aufenthalt in Polen hatte, attestiert zugleich aber seinen dauerhaften Wohnsitz in Deutschland. Zwar setzt die Rechtsprechung nicht voraus, dass für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes die 185-Tage-Frist bereits bei Ausstellung des Führerscheins verstrichen sein muss, allerdings müssen Anhaltspunkte gegeben sein, dass sich der Betroffene an diesem Ort, an dem er über persönliche und ggfs. berufliche Bindungen verfügt, auf eine Weise niederlässt, die es als gesichert erscheinen lassen, dass er dort an 185 Tagen wohnen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 17; B.v. 19.3.2013 – 11 CS 13.407 – juris Rn. 41; B.v. 22.2.2010 – 11 CS 09.1934 – juris Rn. 29-3). Solche Beziehungen nach S. hat der Kläger, wie bereits ausgeführt, jedoch in keiner Weise dargetan.
2. Nach alledem begegnen auch die übrigen im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zu überprüfenden Folgeregelungen – Abgabe einer Eidesstattlichen Versicherung (§ 5 Satz 1 StVG) bzw. Vorlage des polnischen Führerscheins zum Eintragen eines Sperrvermerks (§ 47 Abs. 2 Satz 1 FeV), Zwangsgeldandrohung und Kostenentscheidung – keinen rechtlichen Bedenken.
3. Folglich war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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