Arbeitsrecht

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis aufgrund Neuerteilung einer Duldung – Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  10 C 15.849, M 10 K 15.619

Datum:
10.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 1, § 123 Abs. 1, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Entscheidungsreife für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe setzt auch die Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist voraus. Prozesskostenhilfe kann mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht gewährt werden, wenn die Behörde die begehrte Duldung vor diesem Zeitpunkt erteilt hat, so dass kein Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 15.619/M 2015-03-23 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragsteller und Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der die Antragsteller und Kläger (im Folgenden: Kläger) ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für die Verpflichtungsklage auf Erteilung von Duldungen sowie für das diesbezügliche Eilverfahren weiterverfolgen, ist zulässig, aber unbegründet. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, weil die Rechtsverfolgung nach der Sach- und Rechtslage zum für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat.
Der Gewährung von Prozesskostenhilfe, die grundsätzlich für die Zukunft bewilligt wird, steht zwar nicht entgegen, dass sowohl das Klage- als auch das Eilverfahren nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien in der Hauptsache erledigt und durch das Verwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 23. November 2015 (10 E 15.620) und 22. Januar 2016 (10 K 15.619) eingestellt worden sind, also eine weitere Rechtsverfolgung gerade nicht mehr beabsichtigt ist. Denn ein Kläger kann seinen Anspruch auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe in einem solchen Fall ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, wenn der Prozesskostenhilfeantrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B.v. 7.1.2015 – 10 C 14.895 – juris Rn. 10).
Die Rechtsverfolgung der Kläger bot aber zum für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Maßgeblich für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (st. Rspr.; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m. w. N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u. a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14). Danach ist die Entscheidungsreife sowohl im Klage- wie auch im Eilverfahren der Kläger nicht bereits mit Einreichung der Klage und des Eilantrags beim Verwaltungsgericht oder nach der Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 24. Februar 2015, sondern erst mit der Stellungnahme des Beklagten zu den beiden Verfahren mit Schriftsatz vom 11. März 2015, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 13. März 2015, eingetreten.
Zu diesem Zeitpunkt bot jedoch die von den Klägern mit ihrer Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO) und dem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil der Beklagte den Klägern die begehrten Duldungen bereits am 2. März 2015 jeweils neu ausgestellt hatte und somit das für die Klage und den Eilantrag erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu Rennert in Eyermann, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2014, vor §§ 40-53, Rn. 11 ff.) fehlte.
Unerheblich ist insoweit, ob die Neuausstellung der Duldungen durch den Beklagten aufgrund der von den Klägern eingereichten Rechtsbehelfe erfolgt ist, ob – wie das Verwaltungsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung ausführt – es den Klägern im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht (§ 82 AufenthG) oblegen hätte, „den Fortbestand der Duldungssituation offenzulegen“ und ob durch die Kläger ein neuer (förmlicher) Duldungsantrag vor Einlegung ihrer Rechtsmittel gestellt worden ist bzw. überhaupt erforderlich war. Diese Fragen mögen bei der hier nicht zu überprüfenden Billigkeitsentscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 161 Abs. 2 VwGO Bedeutung haben (vgl. dazu Schmidt in Eyermann, a. a. O., § 161 Rn. 14 ff.), für die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife zu beurteilenden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung kommt ihnen jedenfalls keine Entscheidungsrelevanz (mehr) zu.
Liegen damit die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vor, so kann den Klägern auch nicht ihr Prozessbevollmächtigter nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO beigeordnet werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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