Aktenzeichen AN 7 P 16.00296
Leitsatz
Ist eine Vielzahl gleicher personeller Maßnahmen Gegenstand des personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens (hier: Einstellung von 343 Beschäftigten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), kann der Gegenstandswert in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit festgesetzt werden. Die Festsetzung nur des Auffangwertes von 5.000 EUR wäre unbillig. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Gegenstandswert wird auf 194.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Festsetzung des Gegenstandswerts nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG für die anwaltliche Tätigkeit im zugrundeliegenden personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren gleichen Aktenzeichens. Die Antragsteller dieses personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens begehrten die Feststellung, dass die zu den Terminen 1. Februar 2016, 8. Februar 2016 und 15. Februar 2016 aufgrund von Einstellungsvorschlägen des Arbeitsgeber-Services der Bundesagentur für Arbeit erfolgten Einstellungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ohne vorherige Mitbestimmung des örtlichen Personalrats bzw. des Gesamtpersonalrats rechtswidrig waren (Ziffer 1 des Antrages) sowie ferner die Feststellung, dass die Einstellung und Beschäftigung der in Ziffer 1 genannten Mitarbeiter trotz verweigerter personalvertretungsrechtlicher Zustimmung ohne Einleitung eines Stufenverfahrens oder Einigungsstellenverfahrens rechtswidrig war bzw. ist (Ziffer 2 des Antrages).
Unmittelbar bei Einleitung des personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens wurde zunächst geltend gemacht, das Mitbestimmungsrecht der Personalvertretungen nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG sei in „rund 750“ Fällen von der Dienststellenleitung verletzt worden; genauere Angaben zur Anzahl der Fälle seien vorerst nicht möglich. In der Folgezeit wurden von Seiten des örtlichen Personalrats und des Gesamtpersonalrats Listen mit den Namen und vorgesehenen Standorten der von den Einstellungsmaßnahmen zu den Terminen 1. Februar 2016 und 8. Februar 2016 erfassten Personen vorgelegt, die insgesamt 264 Personen umfassten.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 6. April 2016 ließ der beteiligte Dienststellenleiter ausführen, es seien insgesamt 326 Personen zu den Terminen 1. Februar 2016, 8. Februar 2016 und 15. Februar 2016 eingestellt worden, von denen jedoch inzwischen nur noch 276 Personen in der Behörde beschäftigt würden.
Bei der mündlichen Verhandlung/Anhörung vor der Fachkammer am 21. Juni 2016 gingen die Verfahrensbeteiligten, ebenso wie die Fachkammer, übereinstimmend davon aus, Streitgegenstand sei die – ohne vorherige Mitbestimmung der Personalvertretungen erfolgte – Einstellung von 326 Personen (Tarifbeschäftigten). Nachdem die mündliche Verhandlung/Anhörung vom 21. Juni 2016 unterbrochen worden war, um den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur schriftsätzlichen Abgabe übereinstimmender Hauptsacheerledigungserklärungen zu geben, beantragten der örtliche Personalrat und der Gesamtpersonalrat die Fortsetzung des Verfahrens, eine gütliche Einigung komme nicht in Betracht.
Im Nachgang ließen die Personalvertretungen eine Liste mit den Namen und vorgesehenen Standorten der von den Einstellungsmaßnahmen zum Termin 15. Februar 2016 erfassten 79 Personen vorlegen. In ihrer vom 4. August 2016 datierenden Entscheidung im zugrundeliegenden personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren geht die Fachkammer von insgesamt 343 ohne vorherige Zustimmung der Personalvertretung eingestellten Personen (Tarifbeschäftigten) aus.
Mit Schriftsatz vom 4. August 2016 (unter Bezugnahme auf einen vorangegangenen Schriftsatz vom 22. Juli 2016) beantragte der anwaltliche Bevollmächtigte des örtlichen Personalrats und des Gesamtpersonalrats, ohne einen konkreten Festsetzungsbetrag zu benennen, die Festsetzung des Gegenstandswertes für das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren in Anlehnung an Abschnitt II Nr. 13.7 des Streitwertkataloges für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 5. April 2016.
Der anwaltliche Bevollmächtigte des örtlichen Personalrats und des Gesamtpersonalrats vertritt die Auffassung, die dortigen Empfehlungen für die Gegenstandswertfestsetzung in sogenannten Massenverfahren seien auf die hier zu treffende Gegenstandswertfestsetzung übertragbar. Bei der Einschätzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit i. S.v. § 32 Abs. 1 RVG sei auch das Prinzip der Waffengleichheit zu beachten. Wie der Personalratsvorsitzende in der mündlichen Verhandlung vor der Fachkammer am 21. Juni 2016 deutlich gemacht habe, sei es kaum möglich, qualifizierte Anwälte zu gewinnen, wenn komplizierte Sachverhalte personalvertretungsrechtlicher Natur in mehreren hundert Fällen zu entscheiden seien, wenn sich die Vergütung nur nach dem Regelstreitwert richten sollte. Dies gelte umso mehr, als offenbar das Prinzip der sparsamen Mittelverwendung bei der Vertretung des beteiligten Dienststellenleiters, die ohne weiteres durch hauseigene Juristen hätte abgedeckt werden können, vom Dienststellenleiter nicht zur Anwendung gebracht worden sei und eine bundesweit bekannte und höchst qualifizierte Anwaltskanzlei beauftragt worden sei. Es sei nicht vorstellbar, dass die anwaltlichen Vertreter des beteiligten Dienststellenleiters ihre Vergütung aus einem Gegenstandswert von 5.000,00 EUR beziehen würden. Im Übrigen ordne § 83 Abs. 2 BPersVG die Anwendung der Vorschriften über das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren für das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren an. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren mit objektiver Klagehäufung wäre die Berechnung des Streitwertes nach dem Streitwertkatalog der Arbeitsgerichtsbarkeit erfolgt. Der Verweis auf den Regelstreitwert müsse von Seiten der Personalvertretung als Ausdruck der fehlenden Waffengleichheit verstanden werden.
Der beteiligte Dienststellenleiter lässt durch seine anwaltlichen Bevollmächtigten vorbringen: Da hier ein verwaltungsgerichtliches Beschlussverfahren in Rede stehe, scheide eine Anwendung des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit aus. Dass das BPersVG hinsichtlich der Verfahrensregelungen teilweise auf das ArbGG Bezug nehme, ändere daran nichts. Die personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren seien den Verwaltungsgerichten und nicht den Arbeitsgerichten zugewiesen. Dementsprechend sei maßgeblich der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, der in der aktuellen Fassung für personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren den Auffangwert von 5.000,00 EUR vorsehe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren, für das gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG die Bestimmungen über das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG) entsprechend gelten, ist gerichtskostenfrei (§ 83 Abs. 2 BPersVG, § 80 Abs. 1 i. V. m. § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, § 2 Abs. 2 GKG), so dass kein Streitwert nach dem GKG, sondern – allein für die Berechnung der Anwaltsgebühren – gemäß § 23 Abs. 2 RVG ein Gegenstandswert festzusetzen ist. Dieser ist hier mangels einschlägiger spezieller Bewertungsvorschriften bzw. sonstiger Anhaltspunkte gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen. In Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Schätzung und, wie hier einschlägig, bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 RVG mit 5.000,00 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 EUR anzunehmen. Die Angabe eines bestimmten festzusetzenden Gegenstandswertes im Festsetzungsantrag ist nicht erforderlich (vgl. etwa Bischof, RVG-Kommentar, § 33, Rn. 23).
Mangels ersichtlicher anderweitiger Anhaltspunkte für eine angemessene Gegenstandswertfestsetzung für den Fall, dass im gleichen Verfahren nicht nur eine einzelne personelle Maßnahme in Streit steht, sondern eine Vielzahl gleichgelagerter personeller Maßnahmen, greift das Gericht hier auf Abschnitt II Nr. 13.7 des Streitwertkataloges für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 5. April 2016 zurück (vgl. auch Schwab/Weth ArbGG, 4. Auflage 2015, § 12 ArbGG, Rn. 278). Das Gericht geht davon aus, dass jedenfalls für Zwecke der Gegenstandswertfestsetzung die hier streitgegenständlichen mitbestimmungspflichtigen Einstellungsmaßnahmen den von Abschnitt II Nr. 13 des genannten Streitwertkataloges erfassten „personellen Einzelmaßnahmen nach §§ 99, 100, 101 BetrVG“ hinreichend vergleichbar sind. Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof – unter Bezugnahme auf vom Bundesverwaltungsgericht beschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze zum personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren – bereits mehrfach (vgl. z. B. Beschlüsse vom 24.11.2014, Az. 17 C 14.2275 und Az. 17 C 14.2403, beide juris, beide m.w.N; vgl. auch Sächsisches OVG, Beschlüsse vom 27.12.2012, Az. PL 9 E 61/10 und Az. PL 9 E 63/10, beide juris) entschieden hat, dass in Fällen, wenn, wie auch hier, mehrere gänzlich gleichartige Mitbestimmungsfälle Gegenstand ein- und desselben personalvertretungsrechtlichen Verfahrens seien, der regelmäßig anzunehmende Wert von 5.000,00 EUR nur einmal angesetzt werden könne, weil die Rechtsfrage, deren Klärung die Personalvertretung anstrebe, in allen Fällen gleich, d. h. nur einmal zu klären sei. Die beiden vorgenannten Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs betreffen jedoch lediglich gleichgelagerte Fälle von 6 bzw. 9 Mitarbeitern, die beiden vorgenannten Beschlüsse des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts betreffen 8 bzw. 12 Mitarbeiter. Soweit ersichtlich, ist obergerichtlich in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bisher nicht über die Frage der Gegenstandswertfestsetzung entschieden, wenn von den gleichgelagerten personellen Maßnahmen, wie jedoch hier, Hunderte von Fällen betroffen sind. Der dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2014, Az. 18 LP 1/12, juris, zugrundeliegende Sachverhalt (Privatisierung eines Krankenhauses, 630 Arbeitnehmer betroffen, jedoch keine Planungen zu einem konkreten Arbeitsplatzabbau) erscheint mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht ausreichend vergleichbar. Jedenfalls für solche Fallgestaltungen, wenn, wie hier, 343 gleichgelagerte Fälle konkret betroffen sind, erscheint dem erkennenden Gericht die Beschränkung auf den Auffangwert von 5.000,00 EUR unbillig. Dabei lässt das erkennende Gericht sogar offen, ob insoweit der von Antragstellerseite herangezogene Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ durchgreift. Entsprechendes gilt auch für die erhebliche mediale Öffentlichkeitswirkung, die der streitgegenständliche Vorgang ausgelöst hat.
Der Umstand, dass dem vorliegenden Gegenstandswertfestsetzungsantrag nicht ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren im eigentlichen Sinn zugrunde liegt, sondern ein personalvertretungsrechtliches Beschlussverfahren, in dem die Bestimmungen für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren (§§ 83 ff. ArbGG) nicht unmittelbar, sondern gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG nur entsprechend gelten, hindert nicht, sich in einem besonderen Fall, wie vorliegend („Massenverfahren“), – nicht zuletzt aus Gründen der Vorhersehbarkeit der richterlichen Entscheidung im Gegenstandswertfestsetzungsverfahren – auch im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren, für das kein eigener Streitwertkatalog existiert, an den für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren geltenden – unverbindlichen – Streitwertkatalog anzulehnen. Soweit der – ebenfalls unverbindliche – Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit unter Nr. 31 für Personalvertretungsrecht pauschal – ohne Differenzierung von Fallgruppen – den Auffangwert von 5.000,00 EUR vorsieht, folgt das erkennende Gericht dieser Empfehlung für den vorliegenden Sonderfall aus den o. g. Gründen nicht.
Demnach ergibt sich, unter Zugrundelegung der zuletzt im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren streitgegenständlichen Anzahl von insgesamt 343 personellen Einzelmaßnahmen, folgende Berechnung des Gegenstandswerts:
1. Fall: 5.000,00 EUR
2. bis 20. Fall: 19 x 1.250,00 EUR = 23.750,00 EUR
21. bis 50. Fall: 30 x 625,00 EUR = 18.750,00 EUR
51. bis 343. Fall: 293 x 500,00 EUR = 146.500,00 EUR
Gesamt: 194.000,00 EUR
Würde der Gegenstandswert unter Zugrundelegung der in der mündlichen Verhandlung/Anhörung vom 21. Juni 2015 genannten Anzahl von insgesamt 326 personellen Einzelmaßnahmen auf dann 185.500,00 EUR festgesetzt, ergäbe sich jedenfalls kein Gebührensprung im Sinne der Tabelle gemäß Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG in der seit 1. August 2013 geltenden Fassung.
Eine Erhöhung des Gegenstandswerts im Hinblick darauf, dass im hier zugrundeliegenden personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren insgesamt zwei Anträge gestellt worden sind (siehe oben), ist nicht veranlasst, weil ausweislich der Gründe des Beschlusses der Fachkammer vom 4. August 2016 letztlich nur eine einzige, einheitliche rechtliche Überprüfung für Antrag 1 und Antrag 2 erfolgt ist (vgl. etwa Rehak in Lorenzen/Etzel/Gerhold u. a., BPersVG, § 83 Rn. 91 m. w. N.; BayVGH, B.v. 4.6.2013, Az. 17 P 13.364, juris; VG Ansbach, B.v. 19.1.2016, Az. AN 7 PE 15.02503).
Nach alledem war der Gegenstandswert hier auf 194.000,00 EUR festzusetzen.
Die Zuständigkeit des Vorsitzenden der Fachkammer als Einzelrichter für die Festsetzung des Gegenstandswerts ergibt sich aus § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG. Die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter ist gemäß § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG ausdrücklich ausgeschlossen.