Aktenzeichen 11 Sa 871/17
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern vom 27.11.1992 idF des Änderungsvertrages vom 8.12.2014 (MTV) § 24
Leitsatz
Erfolglose Berufung des Klägers (Paketzusteller), der durch Herausgabe eines Paketes ohne Unterschrift des Kunden, seine Pflichten verletzt hat, nach Ansicht der Kammer grob fahrlässig. Der Geltendmachung des Schadens per Aufrechnung steht der 2. Stufe der Ausschlussfrist nicht entgegen.
1 Eine Anweisung in einem Arbeitshandbuch für Paketzustellkräfte, nach welcher der Arbeitnehmer nachzuweisende Sendungen erst ausliefern darf, nachdem ein Empfangsberechtigter den Empfang auf dem Unterschriftsdisplay des INCA-Terminals oder gegebenenfalls in der Paketzustellliste durch seine Unterschrift bestätigt hat, unterliegt als Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers allenfalls einer Überprüfung auf Intransparenz gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, nicht hingegen einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine derartige Regelung hält einer Inhaltskontrolle stand. (Rn. 34 – 37) (red. LS Alke Kayser)
2 Der Arbeitnehmer verletzt eine derartige Pflicht grob fahrlässig, wenn auf dem Unterschriftsdisplay des INCA-Terminals nur zwei minimale Striche auftauchen und es dem Paketzusteller daher ohne Weiteres möglich gewesen wäre, mit einem einzigen Blick auf das Display festzustellen, dass der Empfänger keine Unterschrift geleistet hat und daher später nicht mehr feststellbar ist, ob die Auslieferung tatsächlich an den Empfänger erfolgt ist oder nicht. (Rn. 39 – 40) (red. LS Alke Kayser)
3 Die Regelung zur Ausschlussfrist in § 24 MTV beinhaltet kein Aufrechnungsverbot; vielmehr ist eine Aufrechnung des Arbeitgebers mit Schadensersatzansprüchen gegen Lohn- oder Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers auch während laufender Ausschlussfristen möglich. Auch eine zweistufige Ausschlussfrist führt nicht dazu, dass etwa noch nach erklärter Aufrechnung ein gerichtliches Verfahren eingeleitet werden müsste, da aufgrund des Erlöschens des Anspruchs jegliche gerichtliche Geltendmachung sinnlos wäre (Anschluss an LAG Köln BeckRS 2005, 40657). (Rn. 45 – 57) (red. LS Alke Kayser)
Verfahrensgang
25 Ca 5629/17 2017-11-23 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München (Az.: 25 Ca 5629/17) vom 23.11.2017 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
i. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Sie ist daher zulässig.
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Insoweit wird zunächst auf die zutreffende Begründung des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Zum weiteren Vorbringen in der Berufungsinstanz sind folgende Ausführungen veranlasst:
1. Der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des abgerechneten Nettolohns i.H.v. € 55,00, insoweit die Beklagte diesen abgerechneten Lohn einbehalten hat, ist durch zulässige und wirksame Aufrechnung mit dem der Beklagten zustehenden Schadensersatzanspruch gem. § 389 BGB erloschen. Der Kläger hat daher keinen Anspruch mehr auf Auszahlung des einbehaltenen Betrages i.H.v. € 55,00. Der vorgenommenen Aufrechnung durch Einbehalt des Lohns steht auch nicht § 24 MTV, insbesondere die zweite Stufe der Ausschlussfrist, entgegen.
a) Der Kläger hat durch Verstoß gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen, nämlich gegen die Pflicht zur Einholung einer Unterschrift bei Auslieferung eines Pakets, diese in erheblichem Maße verletzt. Der Kläger ist daher gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. seinen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet, den hieraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
aa) Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Kläger tatsächlich gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen verstoßen. Die hier maßgebliche Verpflichtung des Klägers bestand darin, bei Auslieferung eines Paketes durch den Empfänger eine Empfangsbestätigung in Form einer Unterschrift, bestehend aus dem Familiennamen, einzuholen.
Der Kläger hat sich insoweit darauf berufen, dass diese Verpflichtung zunächst aufgrund unterschiedlicher bestehender Arbeitshandbücher und Vorgaben unklar gewesen sei, insoweit keine wirksame Verpflichtung dahingehend bestanden habe. Dem folgt die Kammer nicht. Die maßgebliche Verpflichtung bestand ausweislich der von Seiten der Beklagten vorgetragenen ausdrücklichen Anweisung und Schulung, welche der Kläger nicht bestritten hat. Die Beklagte hatte insoweit vorgetragen, dass der Kläger entsprechend angewiesen und geschult wurde in regelmäßigen, nämlich halbjährlichen Abständen. Des Weiteren ergibt sich die Verpflichtung schon aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Arbeitshandbuch. Die Arbeitshandbücher weisen zwar unterschiedlichen Stand auf, sind aber in der maßgeblichen Verpflichtung und Anweisung identisch. Daher bestehen auch keine unterschiedlichen oder etwa unklaren Anweisungen, da das gerade von Seiten des Klägers selbst vorgelegte Arbeitshandbuch eine entsprechende Verpflichtung zur Einholung einer Unterschrift vorsieht. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass eine entsprechende Verpflichtung in anderen ihm vorliegenden Vorschriften nicht enthalten gewesen wäre und insoweit eine Unklarheit bestanden hätte.
bb) Des Weiteren ergibt sich auch nicht etwa aus den generellen Anweisungen des Arbeitshandbuchs, im Sinne etwa der Menge der vorliegenden Anweisungen, eine Unwirksamkeit oder Unklarheit. Gerade bezüglich der Empfangsbestätigung oder Unterschrift sind die Anweisungen eindeutig. Selbst wenn bezüglich der Anweisung auf Vorlage eines Ausweises eine Unklarheit bestanden hätte im Sinne unterschiedlicher Regelungen, so war jedenfalls die vorliegende Pflicht, die von Seiten der Beklagten reklamiert wird, auf Einholung einer Unterschrift bei Auslieferung des Paketes, eindeutig und klar. Zudem wäre auch die erstinstanzlich von Seiten der Beklagten reklamierte und nachgewiesene Pflicht im Arbeitshandbuch, sich in jedem Fall ein Ausweispapier vorlegen zu lassen, auch insoweit klar.
cc) Die fehlende Klarheit der entsprechenden Anweisung ergibt sich auch nicht etwa dahingehend, dass die Beklagte Verstöße nicht geahndet und insoweit akzeptiert hätte. Selbst wenn im Einzelfall nicht jeder Verstoß geahndet wurde, so beruht dies doch darauf, dass, soweit ein Problemfall nicht auftritt, also die Auslieferung problemlos vonstatten gegangen ist und das Paket beim Empfänger angekommen ist, gar kein Anlass der Beklagten besteht, die entsprechende Unterschriftsleistung zu überprüfen oder eine entsprechende Feststellung zu treffen. Lediglich im Problemfall, nämlich dann, wenn eine Zustellung nicht nachweisbar ist und entsprechender Schaden für die Beklagte entsteht, wird der Vertragsverstoß festgestellt. In diesen Fällen wird er auch geahndet, wie von Seiten des Klägers selbst dargelegt wurde, der sich gerade darauf berufen hat, dass im Schadensfall jeweils eine Reaktion erfolgt, ansonsten hingegen nicht. Insofern musste es dem Kläger klar sein, dass ein entsprechender Verstoß von Seiten der Beklagten nicht geduldet wird und letztlich der Kläger auf eigenes Risiko agiert, wenn er die entsprechende Unterschrift nicht einholt und hierdurch die Gefahr in Kauf nimmt, dass für die Beklagte ein Schaden entsteht.
dd) Eine entsprechende Anweisung scheitert auch nicht an den Vorschriften des § 307 ff. BGB. Es handelt sich nicht um eine unangemessene Benachteiligung des Klägers, da die Regelungen des Arbeitshandbuches, soweit es sich hierbei überhaupt um AGBs handeln sollte und nicht ohnehin bereits durch Anweisung im Rahmen von Schulungen entsprechende Verpflichtungen entstanden seien sollten, jedenfalls Hauptleistungspflichten des Klägers darstellen, welche er verletzt hat, welche einer Überprüfung lediglich auf Intransparenz unterliegen.
Abreden zu den Hauptleistungspflichten sind aus Gründen der Vertragsfreiheit gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgenommen (vgl. BAG, Urteil v. 24.02.2016 – 5 AZR 258/14; Urteil v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03). Denn der eingeschränkten Kontrolle lediglich auf ein Verstoß gegen das Transparenzgebot, § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, unterliegen Klauseln, die den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistungen festlegen. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt (vgl. BAG, Urteil v. 14.03.2007 – 5 AZR 630/06; Urteil v. 31.08.2005 – 5 AZR 545/04). Die vertragliche Arbeitsleistung des Klägers besteht aber als Paketzusteller primär daraus, dass dieser das Paket befördert und beim Empfänger abliefert. Maßgeblicher Teil dieser Hauptleistung, die der Kläger zu verrichten hat, ist dabei aber auch, dass er beim Empfang eine entsprechende Empfangsbestätigung einholt, weil nur diese für die Beklagte den maßgeblichen Nachweis dafür liefert, dass das Paket tatsächlich zugestellt wurde.
Selbst wenn man in dieser Verpflichtung keine Hauptleistungspflicht sehen würde, sondern eine Nebenpflicht, die gegebenenfalls der vollen Überprüfung unterliegen würde, so ist schon nicht zu ersehen, inwieweit diese Regelung den Kläger unangemessen benachteiligen würde, d.h. inwieweit von gesetzlichen Vorgaben abgewichen würde. Weder sind im Sinne des Klägers hierdurch maßgebliche Risiken auf den Kläger verlagert. Denn der Kläger ist lediglich verpflichtet, eine Unterschrift einzuholen. Die Lesbarkeit hingegen ist nicht Voraussetzung. Dies zeigt die entsprechende Anweisung im Arbeitshandbuch. Soweit nur eine Unterschrift vorliegt, hat der Kläger bereits seiner Verpflichtung Genüge getan. Auch wird dann bei Verstoß nicht mittelbar etwa eine Vertragsstrafe dem Kläger auferlegt. Denn weder wird hier ein pauschaler Schadensersatzanspruch zu Gunsten der Beklagten geschaffen, noch in irgendeiner Form die Beweislast zu Lasten des Klägers verschoben. Die Beklagte ist weiterhin verpflichtet, die Verletzung der Arbeitspflicht durch den Kläger und die Kausalität für den Schaden nachzuweisen. Soweit etwa auch Unklarheit bestehen sollte, dahingehend, ob eine entsprechende Unterschrift ausreichend ist oder nicht, ginge dies zu Lasten der Beklagten, da sie letzten Endes die Beweislast dafür trägt, dass der Kläger gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat. Soweit eine Unterschrift irgendwie noch als solche zu kategorisieren ist, hat der Kläger seine Verpflichtung erfüllt. Daher legt dem Kläger die Verpflichtung zur Einholung einer Unterschrift keine unangemessene Pflicht auf. Er wird nicht unangemessen hierdurch benachteiligt.
Schließlich ist die Regelung auch eindeutig transparent. Der Kläger wird lediglich verpflichtet, eine Unterschrift einzuholen, die aus einem Familiennamen besteht. Der Kläger ist nicht verpflichtet etwa dahingehend zu überprüfen, ob die Unterschrift lesbar ist. es genügt ein Blick auf das Display dahingehend festzustellen, dass etwas geleistet wurde, das als Unterschriftsleistung eingeordnet werden könnte. Diese Regelung ist auch eindeutig und transparent im Arbeitshandbuch vorhanden.
Somit liegt eine wirksame Arbeitspflicht vor, die gegenüber dem Kläger im Rahmen seine vertraglichen Verpflichtungen aufgestellt wurde.
b) Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger grob fahrlässig verstoßen. Soweit kann auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts verwiesen werden.
Grobe Fahrlässigkeit ist dann anzunehmen, wenn gegen jegliche, eindeutig auf der Hand liegende und einleuchtende Sorgfaltspflicht verstoßen wird. Im vorliegenden Fall lagen lediglich zwei minimale Striche vor, die auf dem Display auftauchen. Da nach Angabe des Klägers die Auslieferung an den Empfänger erfolgte, wäre es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, hier mit einem einzigen Blick auf das Display festzustellen, ob der Empfänger eine Unterschrift geleistet hat. Diese lag jedenfalls aufgrund dieser zwei Striche nicht vor. Daher hätte es dem Kläger in jedem Fall einleuchten müssen, dass hierdurch keine Unterschrift geleistet wurde und insoweit nachher nicht mehr feststellbar gewesen wäre, ob die Auslieferung tatsächlich an den Empfänger erfolgt ist oder nicht.
c) Durch das Handeln des Klägers ist der Beklagten ein Schaden entstanden, da diese nach Reklamation des Empfängers, das Paket nicht erhalten zu haben, keine Möglichkeit hatte, einen Nachweis zu führen, dass die Zustellung erfolgt ist. Durch das Unterlassen der Einholung einer ordnungsgemäßen Unterschrift ist daher der Beklagten, die unstreitig Schadensersatz leisten musste gegenüber dem Empfänger, ein entsprechender Schaden entstanden.
d) Zu Recht hat das Arbeitsgericht dem Kläger auch den vollen Schadensersatz auferlegt.
aa) Zunächst ist für die Haftung maßgeblich, die Art des Verschuldens, d.h. die Frage, ob etwa leichteste, einfache oder normale oder grobe Fahrlässigkeit vorliegen. Das Verschulden des Schädigers muss sich dabei sowohl auf die pflichtverletzende Handlung als auch auf den Eintritt des Schadens beziehen (vgl. BAG, Urteil v. 28.10.2007 – 8 AZR 418/09; Urteil v. 18.01.2007 – 8 AZR 250/06). Im vorliegenden Fall und aufgrund der bereits oben geschilderten Umstände, wonach die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den Gesamtumständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet gelassen wurde, was nach der konkreten Situation auch für Jedermann auch erkennbar gewesen ist, ist der Kläger grob fahrlässig auch im Hinblick auf den entstandenen Schaden vorgegangen. Nicht nur, dass es ihm einleuchten musste, dass in jedem Fall zwei Striche keine Unterschriftsleistung darstellen, musste es ihm als erfahrenen Zusteller auch klar sein, dass dann die Beklagten im Falle, dass der Empfänger den Empfang der Leistung leugnen würde, keine Möglichkeit haben würde, einen entsprechenden Nachweis zu führen. Daher hat der Kläger auch grob fahrlässig in kauf genommen, dass ein entsprechender Schaden bei der Beklagten entsteht.
bb) Nach den vom großen Senat des Bundesarbeitsgerichts (v. 27.09.1994-GS 1/89(A)) entwickelten Grundsätzen hat ein Arbeitnehmer vorsätzlich verursachte Schäden in vollem Umfang zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht. Bei normaler Fahrlässigkeit ist der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen, bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen. Darüber hinaus sind aber auch Haftungserleichterungen im Rahmen einer Gesamtabwägung mit einzubeziehen. Insoweit ist nach Abwägung zu entscheiden, ob der Schaden voll auferlegt werden soll, wobei insbesondere die Höhe des Arbeitsentgelts, die weiteren mit der Leistungsfähigkeit zusammenhängenden Umstände und der Grad des Verschuldens in die Abwägung einbezogen werden können. Auf Seiten des Arbeitgebers wären auch ein besonders hoher Vermögensverlust und eine Versicherbarkeit einzubeziehen. Des Weiteren sind auch persönliche Umstände wie Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen, gleichermaßen etwa auch eine Gefahrgeneigtheit der Tätigkeit (vgl. BAG Urt. v. 28.10.2010 – 8 AZR 418/19). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien erscheint es zumutbar, dass der Kläger den vollen Schadensbetrag ersetzen muss. Unter Berücksichtigung des o.g. Verschuldensgrades, der Tatsache, dass der Kläger als erfahrener Paketzusteller aufgrund der Unterweisungen sich darüber klar sein musste, dass die nicht eingeholte Unterschrift im Konfliktfalle mit dem Kunden jedenfalls einen entsprechenden Nachweis, schon auch aufgrund des zeitlichen Abstandes zum tatsächlichen Zustellvorgang, verhindern würde, und angesichts der Tatsache auch, dass eine Versicherung nicht ersichtlich ist und auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit, welche verhältnismäßig kurz ist, auch sein Lebensalter und seine Familienverhältnisse, angesichts der Höhe des Schadens auch im Verhältnis zur Vergütung des Klägers es durchaus als tolerabel erscheinen lassen, hat der Kläger die entsprechende Schadenssumme voll-ständig zu ersetzen. Auch eine Gefahrgeneigtheit, wie von Seiten des Klägers dargelegt, kann die Kammer nicht erkennen. Gerade in Bezug auf die Unterschriftsleistung hat sich nicht etwa eine typische Gefahr, die mit der Tätigkeit des Klägers verbunden ist, realisiert, sondern die Unterschriftsleistung kann von Seiten des Klägers in jedem Fall kontrolliert und eingeholt werden. Wenn der Kläger aber entweder eine Kontrolle durch kurzes Anblicken des Displays oder aber eine Aufforderung des Kunden, zu unterschreiben, unter-lässt, dann realisiert sich nicht eine besonders typische Gefahr der Tätigkeit des Klägers, zumal dieser ja auch nicht vorgetragen hat, dass der Kunde sich etwa geweigert hätte, eine Unterschrift zu leisten, vielmehr liegt schlicht eine Verletzung der Pflichten vor. Auch die Menge der zuzustellenden Pakete verhindert jedenfalls nicht in dieser Form die kurze Unterschriftsleistung. Anders als etwa eine länger dauernde Ausweiskontrolle, kann eine Unterschrift binnen weniger Sekunden eingefordert, durchgeführt und kontrolliert werden. Eine wesentliche Verzögerung des Zustellvorgangs tritt hierdurch nicht ein. Insofern sprechen keine besonderen Umstände dafür, von der üblichen Regelung der Auferlegung des vollen Schadens bei grober Fahrlässigkeit abzuweichen.
e) Die von Seiten der Beklagten durchgeführte Realisierung des Schadens durch Einbehalt vom Lohn des Klägers im Wege der Aufrechnung wird auch nicht durch § 24
MTV gehindert. Dieser beinhaltet kein Aufrechnungsverbot. Vielmehr ist die Aufrechnung auch während laufender Ausschlussfristen möglich (vgl. ebenso Preis in ErfKomm § 218 BGB, Rz. 67; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. Rz. 2050).
aa) Der Vorschrift des § 24 MTV Ziff. 2 ist auch nicht etwa ein Aufrechnungsverbot zu entnehmen.
Dies ergibt auch etwa die Auslegung des Tarifvertrages.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt nach st. Rspr. den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. BAG, Urteil v. 19.09.2007 – 4 AZR 670/06).
bb) Nach diesen Auslegungsgrundsätzen ist zunächst festzustellen, dass der Tarifwortlaut an sich eine Aufrechnung nicht ausschließt. Die Aufrechnung wird im § 24 MTV überhaupt nicht angesprochen. Dort ist lediglich die Rede davon, dass nach Ziffer 1. eine Geltendmachung zu erfolgen hat. Nach Ablehnung bzw. Schweigen auf die Geltendmachung wäre ein Anspruch innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend zu machen, um den Verfall des Anspruchs zu verhindern.
Hieraus lässt sich aber schließen, dass der Anspruch zwar verfällt, wenn er nicht innerhalb des Zweimonatszeitraums gerichtlich geltend gemacht wird, dass aber andererseits der Verfall eines Anspruchs dann nicht möglich ist, wenn der Anspruch ohnehin nicht mehr besteht. Soweit also die Aufrechnung durchgeführt wird, welche letzten Endes zum Erlöschen des Anspruchs durch Erfüllung führt, § 389 BGB, ist ein Verfall des Anspruchs schon aus diesem Grund nicht möglich. Insoweit spricht der Wortlaut von § 24 MTV eher dafür, dass die Aufrechnung möglich bleibt. Denn die zweite Stufe der Ausschlussfrist setzt lediglich voraus, dass der Anspruch noch existiert. Nur ein noch vorhandener, also nicht bereits anderweitig erloschener, Anspruch verfällt, wenn er nicht entsprechend geltend gemacht wird. Ein Verbot andererseits, das Erlöschen des Anspruchs anderweitig herbeizuführen, kann § 24 Ziff. 2 MTV nicht entnommen werden.
Insoweit hat das Gericht es auch nicht für erforderlich gesehen, eine Tarifauskunft einzuholen, da schon nicht erkennbar ist, wie etwa ein anderweitiger Wille der Tarifvertragsparteien in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hätte.
Auch nach dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen ergibt sich keine anderweitige Auslegung. Aus der Zweistufigkeit der Ausschlussfrist, mit der ersten Stufe der Geltendmachung und einer etwaigen anschließenden Pflicht zur gerichtlichen Geltendmachung um das Verfallen eines Anspruchs zu verhindern, ergibt sich nicht zwingend, dass eine anderweitige Beilegung des Streits etwa durch anderweitige Realisierung des Anspruchs dadurch verhindert werden soll. Im Gegenteil sprechen gerade Sinn und Zweck der Ausschlussfristen, möglichst schnell eine Regelung, Befriedung und Klarheit herbeizuführen, dafür, dass die Verschaffung der Klarheit etwa durch Aufrechnung bestehen bleiben soll. Die beiden Ebenen einer zweistufigen Verfallsklausel bezwecken den Sinn, auf der ersten Ebene dahingehend, dass der Schuldner in Kenntnis gesetzt werden soll, dass noch etwaige Ansprüche offen sind, wohingegen mit der zweiten Stufe Druck auf den Gläubiger ausgeübt werden soll, endgültig Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen zu schaffen. Wenn eine Ausschlussfrist noch nicht abgelaufen ist und der Anspruch daher noch nicht verfallen ist, kann der Gläubiger den Anspruch auch durch Aufrechnung zum Erlöschen bringen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aufrechnung im Unterschied zur Geltendmachung, bei der lediglich der Anspruch noch als solcher gegenüber dem Schuldner als bestehend behauptet wird, bereits zum Erlöschen der Forderung durch Erfüllung führt. Die Aufrechnung ist daher auf eine gänzlich andere Rechtsfolge gerichtet. Sie vernichtet den Anspruch zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch nicht verfallen ist. Ob später die Ausschlussfrist abläuft, ist daher ohne Bedeutung. Mit dem Sinn und Zweck der Ausschlussfrist, möglichst schnell Klarheit zu erlangen, wäre ein Aufrechnungsverbot nicht zu vereinbaren, da dies letztlich dazu führen würde, dass jede Auseinandersetzung über Ansprüche in ein Gerichtsverfahren münden würde (vgl. entsprechend auch zu arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen: Matthiessen, Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen, Seite 322 f.; Weyand Ausschlussfristen im Tarifrecht, Kap. 6 Rn. 7). Denn der Sinn und Zweck der Ausschlussfristen besteht letztlich darin, innerhalb relativ kurzer Zeit Klarheit darüber herbeizuführen, ob der Gläubiger einen entsprechenden Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend machen wird. Wie die Entscheidung des LAG Düsseldorf (10 Sa 430/14) vom 15.08.2014, auf die die klägerische Seite Bezug genommen hat, darlegt, sollen die zweistufigen Ausschlussfristen gerade dazu führen, dass der Schuldner zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem gerichtlich geltend gemachten Anspruch gezwungen werden soll, er soll dabei gerade auch seine Einwendungen und Gegenrechte überdenken und somit seine prozessuale und materiell-rechtliche Verteidigung prüfen (vgl. BAG, Urteil v. 10.05.1995 – 10 AZR 590/94). Durch die Frist soll der Schuldner, möglicherweise auch der Gläubiger, zu einer eindeutigen Positionierung gezwungen werden. Dieser Zweck wird aber auch durch die Aufrechnung erreicht, weil der Gläubiger hierdurch letzten Endes zu erkennen gibt, dass er von der Berechtigung seines Anspruchs ausgeht, andererseits aufgrund der durchgeführten Aufrechnung letztlich der Schuldner gezwungen wird, zu überlegen, ob er seinerseits den Anspruch, der durch die Aufrechnung erloschen ist, nunmehr geltend machen will, oder nicht. Insofern führt die Aufrechnung sogar zu einem schnelleren Vorgehen, gerade weil auch hierdurch die Forderung erfüllt werden kann, als die gerichtliche Geltendmachung, die unter Umständen zu einem langjährigen Rechtsstreit und Auseinandersetzungen führt.
Schließlich stünde auch dem Arbeitnehmer bei Bestehen entsprechender Ansprüche die Möglichkeit einer Aufrechnung gegen den Arbeitgeber zu.
Da somit ein Aufrechnungsausschluss auch aus der Auslegung und der Sinnhaftigkeit einer solcher Regelung nicht zu erkennen ist, war die erfolgte Aufrechnung wirksam.
Wie zu Recht auch das LAG Köln (Urteil v. 03.09.2004 – 4 (9) Sa 1338/03) entschieden hat, kann auch die zweistufige Ausschlussfrist nicht dazu führen, dass etwa noch nach erklärter Aufrechnung ein gerichtliches Verfahren eingeleitet werden müsste, da aufgrund des Erlöschens des Anspruchs jegliche gerichtliche Geltendmachung sinnlos wäre.
Da somit auch § 24 Ziffer 2. MTV der Aufrechnung nicht entgegensteht, diese wirksam bleibt, konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
3. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Frage des Entgegenstehens einer zweistufigen Ausschlussfrist in Bezug auf eine erklärte Aufrechnung bei laufenden Ausschlussfristen war die Revision zuzulassen. Insoweit wird auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung verwiesen.