Aktenzeichen 12 C 16.1571
Leitsatz
Ein volljähriger Hilfeempfänger hat keinen Anspruch darauf, nach Ablauf einer bestimmten Ausbildung von vornherein bis zu Vollendung des 21. Lebensjahres in einer sozialpädagogischen Wohnform untergebracht zu werden. Eine abschnittsweise, am Hilfebedarf orientierte Herangehensweise, um den jungen Menschen an ein Leben außerhalb der Jugendhilfe vorzubereiten, ist nicht ermessensfehlerhaft. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
MN 18 K 16.2142 2016-06-30 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Gründe
Mit seiner zulässigen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für seine zum Verwaltungsgericht München erhobene Klage, mit der er unter Aufhebung des zunächst bis 31. Juli 2016, nunmehr bis 26. Februar 2017 befristeten Bewilligungsbescheids die Gewährung von Unterkunft in einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform nach § 13 Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs erstrebt.
1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, da das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss vom 30. Juni 2016 zutreffend von fehlenden Erfolgsaussichten der Klage ausgegangen ist. Auf die Gründe des Beschlusses wird nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
2. Auch das Vorbringen im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Bewertung der Erfolgsaussichten der Klage. Diese wendet sich mit dem Ziel der Verpflichtung des Beklagten zur Fortführung der aktuell bestehenden Unterbringung des Klägers in einer sozialpädagogisch betreuten Wohnform bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs gegen die bislang jeweils befristet ergangenen Bewilligungsbescheide. Ein Anspruch auf Ausdehnung der Maßnahme bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs kommt dem Kläger jedoch weder auf der Grundlage von § 13 Abs. 3 SGB VIII, auf den der Beklagte die bisherige Unterbringung des Klägers stützt (2.1), noch von § 41 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 34 SGB VIII (Hilfe für junge Volljährige, Unterbringung in einer sonstigen betreuten Wohnform, 2.2) zu. Ferner erweist sich die befristete Maßnahmebewilligung des Antragsgegners – zunächst bis 31. Juli 2016, nunmehr aufgrund des Bescheids vom 2. August 2016 bis einschließlich 26. Februar 2017 – nicht als ermessensfehlerhaft, so dass auch eine Aufhebung der Bewilligungsbescheide und Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (als Minus zum gestellten Klageantrag) nicht in Betracht zu ziehen ist.
2.1 § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII, wonach im Rahmen der sog. Jugendsozialarbeit jungen Menschen während der Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen oder bei der beruflichen Eingliederung Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen geboten werden kann, vermittelt dem Kläger im vorliegenden Fall keinen Anspruch auf Bewilligung der Fortsetzung der bestehenden Unterbringung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs. Zwar sind Adressaten dieser Jugendhilfemaßnahme „junge Menschen“ und damit nach der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII auch volljährige Hilfeempfänger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs. Für diesen Kreis der jungen Volljährigen bietet daneben auch § 41 SGB VIII Hilfen an. Für den Kläger käme im vorliegenden Fall insoweit die Unterbringung in einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 41 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i. V. m. § 34 SGB VIII in Betracht. Gleichwohl handelt es sich hierbei um jeweils eigenständige, voneinander abzugrenzende Jugendhilfemaßnahmen (vgl. Schmidt-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 41 Rn. 56). Ferner wird die Unterbringung in einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform vom Spektrum der Hilfen nach § 41 Abs. 2 SGB VIII nicht erfasst (vgl. Kunkel/Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 41 Rn. 29). Eine Übertragung der für Hilfsmaßnahmen nach § 41 SGB VIII geltenden Grundsätze auf Maßnahmen nach § 13 Abs. 3 SGB VIII, wie sie der Klägerbevollmächtigte fordert, kommt daher im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Vielmehr sind beide Anspruchsgrundlagen eigenständig in den Blick zu nehmen.
Bei der streitbefangenen Unterbringung in einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform nach § 13 Abs. 3 SGB VIII handelt es sich ihrem Wesen nach um eine sog. Kann-Leistung des Jugendhilfeträgers, über deren Gewähr nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird. Demgemäß beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Leistungsbewilligung nach § 114 Satz 1 VwGO auf das Vorliegen von Ermessensfehlern. Ebenso wie bei sonstigen Entscheidungen eines Jugendhilfeträgers über Notwendigkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist daher vom Gericht nur überprüfbar, ob deren Bewilligung bzw. Ablehnung unter Beachtung allgemein gültiger fachlicher Maßstäbe, ohne sachfremde Erwägungen und unter Beteiligung des Leistungsadressaten nachvollziehbar erfolgt ist. Beansprucht daher ein junger Mensch die Unterbringung in einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform für einen zeitlich genau bemessenen Zeitraum – hier bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs -, müsste sich das Ermessen des Jugendhilfeträgers folglich genau auf diese Leistungspflicht reduzieren. Hierfür bestehen indes keine Anhaltspunkte.
Vielmehr sind Maßnahmen nach § 13 Abs. 3 SGB VIII, die explizit an die Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen anknüpfen, auf eine Befristung zum Ende eines bestimmten Ausbildungsabschnitts aufgrund der zeitlich begrenzten Dauer bzw. des abschnittweisen Verlaufs der schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahme angelegt (vgl. Struck in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 13 Rn. 35). Nachdem im vorliegenden Fall der Kläger seine Schulausbildung zum 30. Juli 2016 beendet hat, um ab September 2016 eine Lehrstelle anzutreten, ist es daher seitens des Beklagten nicht ermessensfehlerhaft, die Maßnahme zunächst in Anknüpfung an das Ende der Schulzeit zu befristen. Dies gilt in gleicher Weise für die aktuelle Befristung bis 26. Februar 2017, die ausdrücklich auf die Absolvierung eines Schulhalbjahrs abstellt. Einen Anspruch darauf, ungeachtet des Ablaufs einer bestimmten Ausbildung eine sozialpädagogisch begleitete Unterbringung von vornherein bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs bewilligt zu erhalten, besitzt der Kläger folglich nicht.
Auch im Übrigen sind Ermessensfehler bei der Befristung der Unterbringung nicht erkennbar. Denn ausweislich des Bewilligungsbescheids vom 5. April 2016 hat der Beklagte die Unterbringung des Klägers in einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform nicht dergestalt befristet, dass die Maßnahme zum 31. Juli 2016 automatisch enden sollte. Vielmehr sah der Bescheid vor Fristablauf nach einer Überprüfung des Jugendhilfebedarfs des Klägers im Rahmen eines Hilfeplangesprächs eine erneute Entscheidung über eine mögliche Weiterbewilligung vor. Eine solche abschnittweise, am Hilfebedarf orientierte Herangehensweise des Beklagten, ist nicht zu beanstanden, zumal sie, wie die tatsächliche Weitergewähr der Hilfe bis zum 26. Februar 2017 zeigt, auch die speziell durch die Befristung hervorgerufene psychische Situation des Hilfeempfängers berücksichtigt. Die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, eine Befristung einer Maßnahme dürfe nur erfolgen, wenn absehbar sei, dass der Erfolg der Maßnahme bis zum Fristende erreicht werde, findet in der Systematik des Jugendhilferechts, das die Hilfegewähr stets an das Vorliegen eines konkreten Hilfebedarfs knüpft, keine Grundlage. In einer zeitabschnittweisen Hilfegewähr, bei der der Fortbestand des Hilfebedarfs periodisch überprüft wird, liegt folglich weder ein Ermessensfehler noch ein Verstoß gegen die sozialpädagogische Fachlichkeit.
Auch hinsichtlich der nunmehr bis zum 26. Februar 2017 erfolgten Befristung sind Ermessensfehler im Bescheid vom 2. August 2016 nicht erkennbar. Wie sich aus dem Hilfeplan vom 21. Juli 2016 (Bl. 36 ff. d. A.), auf den der Bewilligungsbescheid verweist, ergibt, ist die Verselbstständigung des Klägers mit Ausnahme von „offiziellen Angelegenheiten, Behördengängen und allgemeinen Erledigungen außerhalb der Wohngruppe“, bei der er sich aufgrund seiner „Unsicherheit in Bezug auf fremde Menschen“ noch schwertue, weit fortgeschritten. Darüber hinaus weist der Kläger Stimmungsschwankungen, gerade mit Blick auf seine zukünftige Unterbringung auf. Wenn der Hilfeplan angesichts dessen zum Ergebnis kommt, einerseits die aktuelle bestehende Unterbringung für ein weiteres Schulhalbjahr zu verlängern, andererseits dieses halbe Jahr zu nutzen, um den Kläger „durch gezielte Arbeit an seiner emotionalen und psychischen Stabilität seitens der Betreuer sowie eines Facharztes auf ein eigenständiges Leben außerhalb der Jugendhilfe vorzubereiten“, ist dies unter dem Gesichtspunkt sozialpädagogischer Fachlichkeit ebenfalls nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger weiter vortragen lässt, es bestehe bei der Beklagten eine verwaltungsinterne Anordnung, Hilfen für junge Volljährige schnellstmöglich zu beenden, fehlt es an einem entsprechenden Beleg.
2.2 Auch mit Blick auf – im vorliegenden Fall nicht in Rede stehende – Hilfen für junge Volljährige nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII begegnet die Befristung einer entsprechenden Jugendhilfemaßnahme keinen rechtlichen Bedenken. Zwar sind Hilfen für junge Volljährige als Soll-Leistung ausgestaltet und bezeichnet § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII das Ende des 21. Lebensjahrs als regelmäßige zeitliche Obergrenze der Hilfegewährung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine mit Eintritt der Volljährigkeit beantragte Jugendhilfemaßnahme nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII stets von vornherein bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs zu bewilligen ist. Der Anspruch auf Hilfegewähr knüpft vielmehr an einen entsprechenden Hilfebedarf des jungen Volljährigen an („wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist“; vgl. hierzu auch die vom Klägerbevollmächtigten zitierte Entscheidung des VG Greifswald vom 17.1.2014 – 2 B 1179/13 – juris, die vom Fortbestand der Hilfebedürftigkeit bei Abbruch der Jugendhilfemaßnahme ausgeht). Insoweit wäre es nach dem Maßstab der sozialpädagogischen Fachlichkeit ebenso wenig zu beanstanden, wenn nach einem bestimmten Zeitraum – etwa im Rahmen der Erstellung eines Hilfeplans – das Fortbestehen des jugendhilferechtlichen Bedarfs überprüft und die Maßnahme entsprechend befristet wird. Fehl geht demzufolge die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, eine Jugendhilfemaßnahme nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dürfe nur dann auf einen bestimmten Zeitpunkt befristet werden, wenn sicher sei, dass deren Zielsetzung zu diesem Zeitpunkt auch erreicht werde. Auch hier gilt, dass die Befristung einer Maßnahme mit der Maßgabe, das Weiterbestehen des Bedarfs vor Fristablauf zu überprüfen, nicht mit der Beendigung der Maßnahme gleichzusetzen ist. Vielmehr konkretisiert eine derartige Befristung allein die Bedarfsabhängigkeit der Gewährung von Jugendhilfe.
Aus alledem ergibt sich, dass ein Anspruch des Klägers auf Bewilligung der sozialpädagogisch begleiteten Unterbringung nach § 13 Abs. 3 SGB VIII bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs, wie er klageweise geltend gemacht wird, nicht besteht. Das Verwaltungsgericht hat daher den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht abgelehnt.
3. Die vom Bevollmächtigten des Klägers im Übrigen beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts scheidet aus Rechtsgründen aus. Das Prozesskostenhilfeverfahren selbst bildet keinen tauglichen Gegenstand der Prozesskostenhilfe (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014 § 166 Rn. 9 unter Verweis auf BGHZ 91, 311).
4. Einer Kostenentscheidung bedarf es vorliegend nicht, da Gerichtskosten in Angelegenheiten der Jugendhilfe nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben und Kosten im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.