Arbeitsrecht

Keine Anerkennung von Kann-Vordienstzeiten bei Überschreiten der Versorgungshöchstgrenze

Aktenzeichen  Au 2 K 16.149

Datum:
1.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG BayBeamtVG Art. 22 Satz 4
BayBeamtVG BayBeamtVG Art. 24 Abs. 4
BayBeamtVG Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG a.F.

 

Leitsatz

Die Nichtigerklärung des Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG in der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 11. Februar 2015 – Vf. 1-VII-13 – (BayVBl 2015, 558-564) steht der Anwendung des Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 22 Satz 4 BayBeamtVG für Kann-Vordienstzeiten (wissenschaftliche Qualifikationszeiten), in denen Leistungen aus privaten Betriebsrenten erworben wurden, nicht entgegen. (Rn. 25 und 26)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte die Entscheidung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte über die Anerkennung seiner Beschäftigungszeiten bei der … vom 17. März 1975 bis 31. August 1975, 1. November 1975 bis 31. August 1976, 1. Juli 1981 bis 30. Juni 1991 und 1. Juli 1991 bis 28. Februar 1995 als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Beklagte hat sein Ermessen im Bescheid vom 31. August 2015 ordnungsgemäß ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO).
Gemäß Art. 22 Satz 4 Halbs. 1 Bayerisches Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG) kann die nach erfolgreichem Abschluss eines Hochschulstudiums vor der Ernennung zum Professor oder zur Professorin liegende Zeit einer hauptberuflichen Tätigkeit nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des Bayerischen Hochschulpersonalgesetzes (BayHSchPG) als ruhegehaltsfähig berücksichtigt werden, soweit sie als Mindestvoraussetzung für die Einstellung gefordert wird.
Nach Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG ist im Rahmen der Ermessensausübung nach Art. 19, 20 und 22 Sätze 3 bis 5 BayBeamtVG zu berücksichtigen, dass die Gesamtversorgung aus den dort genannten Tätigkeiten hervorgehenden Versorgungsleistungen und den nach diesem Gesetz zu leistenden Versorgungsbezügen die Höchstgrenze nach Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG nicht übersteigen soll.
Im Falle einer Ermessensentscheidung ist das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Das Gericht kann aber nicht die Zweckmäßigkeit der Entscheidung überprüfen oder eigene Ermessenserwägungen anstellen. Liegen bei einer Regelung aufgrund einer Soll-Vorschrift – wie hier nach Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG – keine Gründe vor, die ein Abweichen von dieser Soll-Vorschrift rechtfertigen, genügt für die Ermessensentscheidung die Erklärung, dass die Sachlage derjenigen entspricht, die Grundlage der Soll-Vorschrift ist. Abgesehen von atypischen Ausnahmen ist grundsätzlich nach der Soll-Vorschrift zu verfahren (BVerwG, U.v. 4.3.1993 – 5 C 27.91 – BVerwGE 92,169; B.v. 27.7.2006 – 1 WB 15.06 – Buchholz 449 § 3 SG Nr. 37).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Beklagte ermessensfehlerfrei entschieden, dass die vom Kläger bei der … zurückgelegten Beschäftigungszeiten vom 17. März 1975 bis 31. August 1975, 1. November 1975 bis 31. August 1976, 1. Juli 1981 bis 30. Juni 1991 und 1. Juli 1991 bis 28. Februar 1995 nicht nach Art. 22 Satz 4 Halbs. 1 i.V.m. 24 Abs. 4 BayBeamtVG anerkannt werden. Bei den Vordienstzeiten handelt es sich um nach erfolgreichem Abschluss eines Hochschulstudiums vor der Ernennung zum Professor liegende hauptberufliche Tätigkeiten nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des BayHSchPG, die als Mindestvoraussetzung für die Einstellung gefordert werden (Art. 22 Satz 4 Halbs. 1 BayBeamtVG). Der Beklagte hat sich bei seiner Entscheidung von der Maßgabe leiten lassen, dass die Vordienstzeit dem Grunde nach berücksichtigt wird, allerdings die Höchstgrenze der Versorgungsleistungen nach Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG, die sich aus der vollen Altersversorgung eines „Nur-Beamten“ ergibt, nicht überschritten werden soll (Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG). Diese Einschränkung greift hier, denn die Gesamtversorgung des Klägers aus dem ermittelten Versorgungsbezug (3.478,25 EUR), der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (1.006,37 EUR) und der Betriebsrente (482,87 EUR) in Höhe von 4.967,49 EUR würde die Höchstgrenze aus Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG (4.743,67 EUR) übersteigen. Auch lagen keine Gründe vor, welche die Behörde zu einem Abweichen von der Soll-Vorschrift des Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG bewegen hätten müssen.
So stellt das vom Beklagten im Rahmen des Art. 22 Satz 4 i.V.m. Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG ausgeübte Ermessen im Hinblick auf Kann-Vordienstzeiten, in denen Leistungen aus privaten Betriebsrenten erworben wurden, keine unzulässige Umgehung der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 11. Februar 2015 – Vf. 1-VII-13 – (BayVBl 2015, 558-564) zur Nichtigkeit des Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG dar. Diese Entscheidung befasst sich nur generell mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Nichtanrechenbarkeit von privatwirtschaftlichen Einkünften, die der Versorgung dienen. Dies ist aber zu unterscheiden von der Frage des durch Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG konkretisierten Ermessens bei der Anerkennung von Vordienstzeiten im Rahmen des Art. 22 Satz 4 BayBeamtVG. Während im Rahmen des Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG a.F. auch Vorsorgeleistungen zu berücksichtigten waren, die außerhalb ruhegehaltsfähiger Vordienstzeiten erworben wurden, ist dies bei Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG gerade nicht der Fall. Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG bezieht sich allein auf Versorgungsleistungen, die zeitlich gesehen während Kann-Dienstzeiten erworben wurden (BayVV-Versorgung Nr. 24.4.2.1 Satz 3). Grund hierfür ist, dass Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG nach dessen Normzweck sicherstellen soll, dass Mischlaufbahnbeamte keine höheren Alterssicherungsleistungen erhalten, als sie „Nur-Beamte“ höchstens erreichen können (LT-Drs. 16/3200, S. 469). Daher werden in ständiger Verwaltungspraxis Vordienstzeiten im Rahmen der Kannvorschriften nur soweit berücksichtigt, als die Gesamtversorgung nach Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG nicht überschritten wird. Die Kodifizierung dieses ermessenslenkenden Grundsatzes in Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG soll daher die Gleichbehandlung aller Ruhestandsbeamten und Ruhestandsbeamtinnen sicherstellen (LT-Drs. 16/3200, S. 469). Dagegen ist der primäre Zweck des Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG, eine Doppelalimentation aus verschiedenen öffentlichen Kassen zu vermeiden bzw. die „Einheit der öffentlichen Kassen“ herzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 19.11.2015 – C 22.14 – juris Rn. 23). Aufgrund des unterschiedlichen Reglungsgehaltes von Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG stellt dessen Anwendung daher keine Umgehung der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 11. Februar 2015 – Vf. 1-VII-13 (BayVBl 2015, 558-564) dar.
Weiter enthält Art. 85 BayBeamtVG keine abschließende gesetzgeberische Wertung hinsichtlich der Berücksichtigung anderweitig erworbener Versorgungsleistungen, die auch im Rahmen des Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG beachtet werden müsste. Der Umstand, dass eine private Betriebsrente aufgrund des Urteils des Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 11. Februar 2015 – Vf. 1-VII-13 (BayVBl 2015, 558-564) nicht mehr der Anrechnungsvorschrift des Art. 85 Abs. 1 BayBeamtVG unterfällt, kann nicht dazu führen, dass die entsprechenden Vordienstzeiten des Klägers bei der … im Rahmen des Art. 22 Satz 4 BayBeamtVG berücksichtigt werden müssten, obwohl sie entgegen Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG eine über die Höchstversorgung nach Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG hinausgehende Gesamtversorgung bewirken würden. Andernfalls würde dies zwingend zu einer Besserstellung von Mischlaufbahnbeamten gegenüber den „Nur-Beamten“ führen. Die Ansprüche aus der privaten Betriebsrente blieben im Rahmen der Anwendung der Ruhensbestimmungen nach Art. 85 Abs. 1 BayBeamtVG außer Betracht, zugrunde liegende Vordienstzeiten müssten aber – ihre Förderlichkeit vorausgesetzt, die in den Fällen des Art. 22 Satz 4 BayBeamtVG regelmäßig zu bejahen ist – stets berücksichtigt werden, obwohl die Höchstgrenze des Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG überschritten wäre. Eine derartige Privilegierung von Mischlaufbahnbeamten durch die Kombination der Nichteinbeziehung von Versorgungsleistungen in die Ruhensregelung und eine gleichzeitige Berücksichtigung der entsprechenden Vordienstzeiten als ruhegehaltsfähig ist gesetzlich nicht vorgesehen und daher nicht rechtskonform (vgl. zu den entsprechenden Vorschriften des Bundesversorgungsrechts: BVerwG, U.v.19.11.2015 – C 22.14 – NVwZ-RR 2016, 425-428; B.v. 24.9.1991 – 2 B 111.91 – Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 5 S. 3f.; U.v. 6.7.1967 – 2 C 56.64 – BVerwGE 27, 275-279).
Da auch die weiteren vom Kläger angeführten Gesichtspunkte die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung des Beklagten nicht in Frage zu stellen vermögen, war die Klage abzuweisen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 und 4, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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