Arbeitsrecht

Kindergeldanspruch nach Aufnahme eines berufsbegleitenden Masterstudiums im Anschluss an einen Bachelorabschluss

Aktenzeichen  7 K 2947/19

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32242
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung zu Recht ab Oktober 2019 aufgehoben.
1. Der Sohn M des Klägers hat mit seinem Bachelorstudium eine erstmalige Berufsausbildung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) abgeschlossen; infolge seiner in Vollzeit ausgeübten Erwerbstätigkeit ist der Kindergeldanspruch ab diesem Zeitpunkt ausgeschlossen.
a) Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG). Hinsichtlich der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale „erstmalige Berufsausbildung“ und „Erststudium“ hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass das Erststudium nur einen Unterfall des Oberbegriffes erstmalige Berufsausbildung darstellt (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2015, 152, Rz 19 ff.) und der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger auszulegen ist als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal „Kind, das … für einen Beruf ausgebildet wird“ (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 22 ff.).
b) Die den Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bestimmenden Kriterien hat der BFH dabei vor allem in folgenden Punkten gesehen:
Es muss sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 24). Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 24). Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbesondere eine Abgrenzung gegenüber dem Besuch einer allgemein bildenden Schule erfolgen soll (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 24). Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 27). In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 30). Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinanderstehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 30).
An einer Ausbildungseinheit fehlt es dagegen, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts eine berufspraktische Tätigkeit voraussetzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum nächstmöglichen Beginn des weiteren Ausbildungsabschnitts dient (BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615, Rz 15).
c) An einer einheitlichen Erstausbildung kann es auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2018 III R 26/18, BStBl II 2019, 765). Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden, für die vor allem die nachfolgenden Kriterien von Bedeutung sind (BFH-Urteil vom 22. Mai 2019 III R 69/18, BFH/NV 2019, 1231):
aa) Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Ist das Beschäftigungsverhältnis dagegen bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnitts befristet oder überschreitet die regelmäßige Wochenarbeitszeit die 20-Stundengrenze allenfalls geringfügig, kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinanderstehen. Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht selten über 40 Wochenstunden liegen wird, kann allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht den Ausschlag geben. Betreibt das Kind etwa neben einer 22 Wochenstunden umfassenden Arbeitstätigkeit ein Vollzeitstudium an einer Universität, kann auch weiter der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen (vgl. BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15 BStBl II 2016, 166).
bb) Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Wird z.B. ein Geselle oder ein Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies Indiz dafür sein, dass die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Denn ein solcher Sachverhalt spricht dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit, kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.
cc) Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild „neben der Ausbildung“ durchgeführt wird. Wird etwa eine Teilzeittätigkeit von regelmäßig 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist das ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung. Gleiches gilt, wenn das Kind etwa während des Semesters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, durch eine während der Semesterferien erhöhte Wochenstundenzahl aber auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt. Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur „neben der Berufstätigkeit“ durchgeführt werden. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind.
d) Soweit sich aus den BFH-Urteilen vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, vom 8. September 2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 287 und vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166 gegenüber den vorgenannten Grundsätzen etwas anderes ergibt, hat der BFH zwischenzeitlich entschieden, an der früheren Rechtsprechung nicht weiter festzuhalten (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 2019 III R 69/18, BFH/NV 2019, 1231). In den nunmehr insoweit überholten Entscheidungen hatte der BFH bei der Frage, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsganges darstellt, noch allein darauf abgestellt, ob die Ausbildungsabschnitte für ein vom Kind angestrebtes Berufsziel erforderlich sind und in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.
e) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, denen sich der Senat anschließt, stellt das von M aufgenommene Masterstudium eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung im Sinne einer Zweitausbildung dar. Bachelor- und Masterstudium sind nicht als Teile einer mehrtaktigen einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren.
aa) Seit Oktober 2019 stand die Berufstätigkeit gegenüber dem Masterstudium im Vordergrund. Hierfür spricht, dass M sich längerfristig an seinen Arbeitgeber band. Hiervon ist entgegen dem Klägervortrag nicht nur bei einem zeitlich unbefristeten Arbeitsverhältnis auszugehen. Auch durch ein befristetes Beschäftigungsverhältnis über eine Dauer von mehr als 26 Wochen kann eine längerfristige Bindung an einen Arbeitgeber bestehen, sofern der Bedienstete sich zur Erbringung einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit verpflichtet. Im vorliegenden Fall war der Arbeitsvertrag zwar befristet, er belief sich jedoch auf die Dauer eines Jahres, also deutlich länger als 26 Wochen. Der Umstand, dass sich M im Rahmen dieses Vertrages zur Erbringung der vollen tariflichen Arbeitszeit in Höhe von 35 Wochenstunden verpflichtete, also sein Zeitpensum nicht etwa aufgrund des daneben wahrgenommenen Studiums reduzierte, ist als ein Indiz dafür zu werten, dass die Berufstätigkeit die Hauptsache und das Masterstudium eine Weiterbildung in dem bereits ausgeübten Beruf darstellt.
bb) Darüber hinaus ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass M für seine Berufstätigkeit bei der X AG seine durch den ersten Abschluss erlangte Qualifikation nutzte. Ausweislich des Arbeitsvertrages wurde er als Bachelor of Engineering eingestellt. Er erhielt hierfür nicht lediglich ein Ausbildungsgehalt. Allein sein monatliches Grundgehalt lag mit 4.163 € brutto deutlich über der zuvor im Rahmen der Bachelorausbildung gezahlten Vergütung. Ferner wurde der zugrundeliegende Vertrag als „Arbeitsvertrag“ bezeichnet, wohingegen die Grundlage für die vorherige duale Ausbildung ein „Studien- und Ausbildungsvertrag“ war. Auch soweit sich der Kläger auf die Gleitzeitmöglichkeit beruft, gilt diese der Betriebsvereinbarung zufolge nur für „normale“ Angestellte, nicht hingegen für Auszubildende. All dies spricht dafür, dass die Vertragsparteien des Arbeitsvertrags gerade nicht davon ausgingen, dass sich M weiterhin in einer Ausbildung befindet und das Masterstudium nur seiner beruflichen Höherqualifizierung in einem bereits von ihm aufgenommenen und ausgeübten Beruf dient.
cc) Für eine Weiterbildung spricht ferner, dass M sich hinsichtlich des Masterstudiums für eine Organisationsform entschieden hat, die seine Arbeitstätigkeit weitestgehend unberührt ließ. Er arbeitete in Vollzeit und die Unterrichtseinheiten fanden berufsbegleitend freitags ab dem Nachmittag und samstags statt.
Die Möglichkeit, Überstunden aufzubauen und im Rahmen der Gleitzeitregelung während der Studienzeiten vermehrt in Einsatz zu bringen, lässt den äußeren Eindruck, dass das Masterstudium neben der Berufstätigkeit durchgeführt wurde, nicht entfallen. Die Regelungen zum Gleitzeitkonto fußen auf einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2001, die gleichermaßen für alle Beschäftigten des Betriebes (außer Auszubildende) galt. Sie wurden nicht getroffen, um M das Masterstudium zu ermöglichen. Dass er sie hierzu nutzen konnte, vermag hieran nichts zu ändern.
Gleiches gilt für den Vortrag des Klägers, dass M seine Arbeitszeit aufgrund einer Zusage der Personalabteilung flexibel und dauerhaft hätte ändern können, um sie so den Bedürfnissen des Studiums anzupassen. Zum einen bestehen Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Nebenabrede, da sie den vertraglichen Bestimmungen zufolge schriftlich hätte getroffen werden müssen. Im Übrigen wäre eine bis zum Abschluss des Arbeitsvertrags abgeschlossene Vereinbarung mit Abschluss des Arbeitsvertrages außer Kraft getreten. Ungeachtet dessen kann allein die Zusage einer Arbeitszeitreduzierung keinen Einfluss auf die Frage haben, ob die Erwerbstätigkeit im Verhältnis zu den Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist. Allein die theoretische Möglichkeit, die Arbeitszeit zur besseren Vereinbarkeit der beruflichen Tätigkeit mit dem Studium zu reduzieren, genügt nicht für die Annahme, dass das wesentliche Augenmerk auf das Studium gelegt wurde.
dd) Der Umstand, dass die von M durchgeführten Bachelor- und Masterstudiengänge zueinander in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang standen, ist vor diesem Hintergrund allein nicht ausreichend.
2. Die Kostenfolge beruht auf § 135 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).


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