Aktenzeichen 2 BvR 2435/10
Verfahrensgang
vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 27. September 2010, Az: 1 B 1132/10, Beschlussvorgehend VG Darmstadt, 29. April 2010, Az: 1 L 111/10.DA, Beschluss
Gründe
A.
I.
1
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes in einem Konkurrentenstreit um die Besetzung
der Stelle des Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts in Hessen (R4); er ist insbesondere der Auffassung, das Anforderungsprofil
für die ausgeschriebene Beförderungsstelle sei im Vergleich zum Anforderungsprofil für das Amt eines Vorsitzenden Richters
an einem oberen Landesgericht unzutreffend festgelegt worden.
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Ausweislich der im Justizministerialblatt für Hessen (JMBl 2005, S. 50 ff.) niedergelegten Anforderungsprofile für die Eingangs-
und Beförderungsämter im richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst erfordert das Amt eines Vorsitzenden Richters (Nr. 2.3.)
in der Kategorie “Ausgeprägte Fachkompetenz” (Nr. 2.3.2.) insbesondere die “Fähigkeit, auf die Güte und Stetigkeit der Rechtsprechung
des Spruchkörpers hinzuwirken” und “Erfahrung in der Verhandlungsführung”. Auf die in Nr. 2.3.2. genannten Erfordernisse nimmt
das Anforderungsprofil für das Amt eines Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts (Nr. 2.5.) keinen Bezug; dort wird in
der Kategorie “Ausgeprägte Fachkompetenz” (Nr. 2.5.2.) auf die Anforderungen des Basisprofils (= Profil eines Richters oder
Staatsanwaltes der Besoldungsgruppe R1, Nr. 1.2.) verwiesen, die ab einem Amt der Besoldungsgruppe R3 in besonders ausgeprägter
Form vorzuliegen haben.
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1. Das vom Beschwerdeführer nach der Ablehnung seiner Bewerbung angerufene Verwaltungsgericht entsprach seinem Antrag auf
Gewährung von Eilrechtsschutz nicht. Der vom Beschwerdeführer gezogene Schluss, es ergebe sich aus der Natur der Sache, dass
an das Amt eines Vizepräsidenten, der fraglos auch die Leitung eines Senats zu übernehmen habe, in Bezug auf die Fachkompetenz
keine geringeren Anforderungen zu stellen seien als an einen Vorsitzenden Richter, sei keineswegs zwingend. Dem Dienstherrn
stehe hinsichtlich der Ausgestaltung des Anforderungsprofils ein weiter Organisationsspielraum zur Verfügung. Es sei nicht
zu beanstanden, wenn der Dienstherr in Ausübung dieses Spielraums seinen personalplanerischen und justizpolitischen Vorstellungen
dadurch Ausdruck verleihe, dass er in Bezug auf die Besetzung eines richterlichen Spitzenamtes einschlägige Vorerfahrungen
in der Fachgerichtsbarkeit ebenso wenig als unverzichtbares Merkmal des Anforderungsprofils ansehe wie Erfahrungen in der
Leitung eines richterlichen Kollegialorgans, um damit “Quereinsteigern” den Zugang zu Spitzenämtern der verschiedenen Gerichtsbarkeiten
zur ermöglichen.
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2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. September
2010 zurück.
II.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines durch Art. 33 Abs. 2 GG verbürgten Bewerbungsverfahrensrechts
und beantragt zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
6
Er ist der Ansicht, der Aufgabenbereich des Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts umfasse zu gleichen Teilen Aufgaben
in der Rechtsprechung als Senatsvorsitzender und Aufgaben in der Gerichtsverwaltung und sei primär ein Richteramt; der Justizverwaltung
stehe insoweit kein Organisationsermessen zu. Die im Anforderungsprofil für einen Vorsitzenden Richter genannten Anforderungen
seien auch für das Amt eines Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts objektiv erforderlich. Angesichts dessen sei das
Anforderungsprofil für das Amt eines Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts wegen Beeinträchtigung des Grundsatzes der
Bestenauslese fehlerhaft. Darüber hinaus habe der Dienstherr sein Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt.
B.
7
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG
nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung
der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg,
weil sie jedenfalls unbegründet ist.
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Die angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht aus Art. 33 Abs.
2 GG.
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1. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem
öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Bestenauslesegrundsatzes zu besetzen.
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a) Die Geltung dieses Grundsatzes wird nach Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet. Die Vorschrift
dient zum einen dem öffentlichen Interesse der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes; dessen fachliches Niveau
und rechtliche Integrität sollen gerade durch die ungeschmälerte Anwendung des Bestenauslesegrundsatzes gewährleistet werden.
Zum anderen trägt Art. 33 Abs. 2 GG dem berechtigten Interesse der Beamten oder Richter an einem angemessenen beruflichen
Fortkommen dadurch Rechnung, dass er grundrechtsgleiche Rechte auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in
die Bewerberauswahl begründet. Art. 33 Abs. 2 GG gibt somit die entscheidenden Beurteilungsgesichtspunkte für die Bewerberauswahl
zur Besetzung von öffentlichen Ämtern abschließend vor. Die von Art. 33 Abs. 2 GG erfassten Auswahlentscheidungen können grundsätzlich
nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen.
Anderen Gesichtspunkten darf nur Bedeutung beigemessen werden, wenn sich aus dem Vergleich anhand von unmittelbar leistungsbezogenen
Gesichtspunkten kein Vorsprung von Bewerbern ergibt. Belange, die nicht im Leistungsgrundsatz verankert sind, können bei der
Besetzung öffentlicher Ämter nur Berücksichtigung finden, wenn ihnen ebenfalls Verfassungsrang eingeräumt ist (vgl. BVerfGK
12, 184 ; 12, 265 ; 12, 284 ).
11
Wird das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt, folgt
daraus zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Beförderung oder Vergabe des begehrten Dienstpostens; der unterlegene Bewerber
kann aber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Auswahl möglich erscheint (vgl. BVerfGK
12, 184 ; 12, 265 ; 12, 284 ).
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b) Die Ermittlung des gemessen an den Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung am besten geeigneten Bewerbers
hat stets in Bezug auf das konkret angestrebte Amt zu erfolgen (vgl. BVerfGE 96, 205 ). Maßgeblich ist insoweit der Aufgabenbereich
des Amtes, auf den bezogen die einzelnen Bewerber untereinander zu vergleichen sind und anhand dessen die Auswahlentscheidung
vorzunehmen ist. Die Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung können vom Dienstherrn in Bezug auf den Aufgabenbereich
eines konkreten Amtes durch die Festlegung eines Anforderungsprofils bereits im Vorfeld der Auswahlentscheidung konkretisiert
werden.
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Inwieweit dem Dienstherrn im Rahmen seiner Organisationsgewalt bei der Festlegung des Aufgabenbereichs eines bestimmten Amtes
oder eines hierauf bezogenen Anforderungsprofils ein mehr oder weniger großer Einschätzungsspielraum zuzugestehen ist, lässt
sich nicht abstrakt formulieren, sondern ist bereichsspezifisch anhand des jeweiligen Fachrechts unter Berücksichtigung grundgesetzlicher
Vorgaben näher zu bestimmen. Die Einengung des Kreises der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden
Bewerber um ein öffentliches Amt durch die Festlegung eines Anforderungsprofils kann wegen der damit verbundenen teilweisen
Vorwegnahme der Auswahlentscheidung jedenfalls nur aufgrund sachlicher, dem Grundsatz der Bestenauslese entsprechender Erwägungen
erfolgen; die Einhaltung der der Organisationsgewalt des Dienstherrn gezogenen Schranken unterliegt der gerichtlichen Kontrolle
(vgl. BVerfGK 12, 184 ; 12, 265 ; 12, 284 ). Fehler im Anforderungsprofil führen grundsätzlich auch zur Fehlerhaftigkeit
des Auswahlverfahrens, weil die Auswahlerwägungen dann auch auf sachfremden, nicht am Leistungsgrundsatz orientierten Gesichtspunkten
beruhen (BVerfGK 12, 184 ; 12, 265 ; 12, 284 ). Im Übrigen unterliegt es nur eingeschränkter gerichtlicher
Kontrolle, welchen der zur Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zu rechnenden Umständen der Dienstherr im Rahmen seines
Auswahlermessens das größere Gewicht beimisst (vgl. BVerfGK 12, 106 ).
14
2. Gemessen hieran kann eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.
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a) Das Amt eines Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts umfasst sowohl richterliche Aufgaben als Senatsvorsitzender als
auch – in erster Linie als Vertreter des Präsidenten – Aufgaben im Rahmen der Gerichtsverwaltung; insoweit ist die Definition
des Aufgabenbereichs dieses Amtes der Organisationsgewalt des Dienstherrn entzogen. In welchem Umfang dem Vizepräsidenten
neben seinen richterlichen Aufgaben auch Aufgaben der Verwaltung obliegen, bemisst sich – im Rahmen der verfassungsrechtlichen
Grenzen (vgl. hierzu etwa BVerfGE 38, 139 ; 76, 100 ) – nach dem einfachen Recht sowie der gerichtsinternen
Geschäftsverteilung und Organisation. So bestimmt beispielsweise § 1 Abs. 2 Nr. 2 a) der Hessischen Verordnung zur Regelung
der Dienstaufsicht und der Gerichtsverwaltung in der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Sozialgerichtsbarkeit
und der Finanzgerichtsbarkeit sowie sonstiger Zuständigkeiten in der Sozialgerichtsbarkeit vom 24. September 2007 (GVBl I
S. 667), dass die Präsidentin oder der Präsident des Landessozialgerichts die Dienstaufsicht über dieses Gericht und die Sozialgerichte
des Landes ausübt. Im Übrigen sind keine verfassungs- oder einfachrechtlichen Vorgaben ersichtlich, die von vornherein das
Verhältnis von Richter- und Verwaltungsaufgaben eines Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts für den Dienstherrn verbindlich
vorgeben würden.
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Die Fachgerichte sind angesichts dessen in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass es weitgehend
dem Einschätzungsspielraum des Dienstherrn obliegt, ob und wenn ja welchem der beiden Aufgabenkreise eines Vizepräsidenten
eines oberen Landesgerichts er bei der Formulierung des Anforderungsprofils sowie im Rahmen der anschließenden Auswahl des
am besten geeigneten Bewerbers besonderes Gewicht beimisst. Danach begegnet auch die Auffassung der Verwaltungsgerichte keinen
Bedenken, das Justizministerium habe – unabhängig von der Frage der erst im Rahmen der Geschäftsverteilung zu entscheidenden
zeitlichen Gewichtung der beiden Aufgabenkreise – die Verwaltungsaufgaben eines Vizepräsidenten für bedeutsamer als die rechtsprechenden
Aufgaben ansehen dürfen.
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Unbedenklich ist danach die Annahme der Verwaltungsgerichte, das Justizministerium habe sich in den im Runderlass formulierten
Anforderungsprofilen dafür entscheiden können, nur den Kreis der Bewerber um die Stelle eines Vorsitzenden Richters insoweit
einzuengen, als hierfür allein Bewerber mit Erfahrungen in der Verhandlungsführung in Betracht kommen, während für das Amt
des Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts solche Vorerfahrungen nicht für erforderlich angesehen wurden.
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Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestenauslese liegt schließlich auch insofern nicht vor, als im Anforderungsprofil eines
Vizepräsidenten eines oberen Landesgerichts nicht ausdrücklich – wie im Anforderungsprofil eines Vorsitzenden Richters – die
Fähigkeit verlangt wird, auf die Güte und Stetigkeit der Rechtsprechung des Spruchkörpers hinzuwirken. Es begegnet keinen
durchgreifenden Bedenken, dass die Verwaltungsgerichte es als sachgerecht und damit gerichtlich nicht zu beanstanden angesehen
haben, dass das Justizministerium sich dafür entschieden hat, die von einem Bewerber um das Amt eines Vizepräsidenten eines
oberen Landesgerichts zu fordernden fachlichen Fähigkeiten anders als die für das Amt eines Vorsitzenden Richters zu beschreiben
und insofern das Vorliegen der (allgemeinen) juristischen Fähigkeiten eines R1-Richters in besonders ausgeprägter Form für
ausreichend zu halten. Es ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nichts dafür ersichtlich, dass das Justizministerium
damit den “objektiv für das Amt eines Vizepräsidenten erforderlichen Anforderungen” nicht gerecht geworden wäre.
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b) Auch soweit die Verwaltungsgerichte die Auswahlentscheidung des Justizministeriums für ermessensfehlerfrei gehalten haben,
kann kein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG festgestellt werden.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
21
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.