Arbeitsrecht

Progressionsvorbehalt für die Einkünfte aus der Schweiz

Aktenzeichen  15 K 1010/18

Datum:
12.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2019, 1658
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Dem Beklagten wird aufgegeben, den Einkommensteuerbescheid sowie die Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus der Schweiz nur dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Das Ergebnis der Neuberechnung ist den Klägern formlos mitzuteilen. Nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Bescheid mit geändertem Inhalt neu bekannt zu geben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben  Höhe leisten.

Gründe

I.
Die Klage ist begründet.
1. Der Kläger war nicht Grenzgänger i. S. v. Art. 15a DBA Schweiz und daher mit seinen in der Schweiz erzielten Einkünften nicht in Deutschland steuerpflichtig.
a) Nach Art. 15 Abs. 1 i.V. m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1d DBA Schweiz ist bei einem in Deutschland ansässigen Arbeitnehmer mit Arbeitsort in der Schweiz grundsätzlich die Schweiz zur Besteuerung der Arbeitseinkünfte berechtigt und Deutschland zur Freistellung dieser Einkünfte verpflichtet. Dies gilt gemäß Art. 15 Abs. 2 DBA Schweiz auch bei vorübergehenden Aufenthalt im Staat der Arbeitsausübung, wenn eine Kostentragung durch einen im Einsatzstaat ansässigem Arbeitgeber vorliegt (Besteuerung in dem Staat in dem sich die Lohnkosten gewinnmindernd auswirken, vgl. Brandis in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Band V, Schweiz, Art. 15 Rz. 5).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt für Grenzgänger i. S. v. Art. 15a DBA Schweiz. Deren Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen können nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sie ansässig sind. Nach Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA Schweiz ist Grenzgänger im Sinne des Abs. 1 jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt.
Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft gem. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA Schweiz, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Unter Arbeitstagen sind die vereinbarten Arbeitstage zu verstehen. Bei einer befristeten Beschäftigung ist die 60-Tage-Grenze zu kürzen (vgl. Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz, Art. 15a Anm. 25, 46). Eine Konkretisierung der Zumutbarkeit der Rückreise findet sich in der Verständigungsvereinbarung vom 24. Juni 1999. Danach ist die Zumutbarkeit zu verneinen, wenn die Straßenentfernung mehr als 110 km beträgt oder wenn die für die Wegstrecke von der Arbeitsstätte zum Wohnort benötigte Zeit (hin und zurück) mit dem in der Regel benutzten Transportmittel 3 Stunden (also 11/2 Stunden für einen Weg) übersteigt (vgl. auch Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz, Art. 15a Anm. 35).
b) Bei Würdigung des vorliegenden Sachverhalts ist der Kläger nur vorübergehend vom 24. August bis 4. November an zeitlich bestimmten Einsatztagen (24. August bis 14. September, 29. September bis 5. Oktober und vom 1. bis 4. November) für des Spital tätig geworden. Auch bei einem vorübergehenden Aufenthalt im Staat der Arbeitsausübung, ist nach Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz grundsätzlich die Schweiz zur Besteuerung der Arbeitseinkünfte berechtigt. Eine regelmäßige Rückkehr des Klägers vom Arbeitsort zum Wohnsitz war aufgrund der großen Entfernung von 207 km und wegen der Passstraße nicht zumutbar, da eine einfache Fahrt nach dem Vortrag des Klägers ca. 3-4 Stunden Fahrtzeit erforderte. Damit hat der Kläger nicht den Grenzgängerstatus i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA Schweiz erfüllt, der eine regelmäßige Rückkehr an den Wohnsitz im anderen Staat voraussetzt (vgl. Brandis in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Band V, Schweiz, Art. 15a Rz. 13, 45).
c) Da der Kläger keinen Grenzgängerstatus i.S. des Art. 15a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 DBA Schweiz hat, weil die regelmäßige Rückkehr vom Arbeitsort zum Wohnsitz unzumutbar ist, kommt es im Streitfall nicht darauf an, dass die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände z.B. Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst über mehrere Tage erstreckt (vgl. Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 Nr. II. 1. und Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung vom 20.12.2010, § 8 Abs. 2 Satz 2). Denn aus der Systematik und dem Wortlaut des Art. 15a DBA Schweiz folgt, dass nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 Satz 1 DBA Schweiz zunächst erforderlich ist, dass die Voraussetzungen eines Grenzgängers (regelmäßige Rückkehr vom Arbeitsort zum Wohnort) erfüllt sind.
Nur wenn diese Voraussetzungen grundsätzlich vorliegen, ist nach Art. 15 Abs. 2 Satz 2 DBA Schweiz zu prüfen, ob die Nichtrückkehr „zum Wegfall der Grenzgängereigenschaft führt“. In diesem Fall wäre dann zu prüfen, ob nach § 8 KonsVerfCHEV die 24-StundenDienste während der Arbeitseinsätze (schädliche) Nichtrückkehrtage ausschließen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KonsVerfCHEV).
Dagegen spricht aber, dass der Kläger darauf hinweist, dass während der Rufbereitschaft seine Ankunft im Spital innerhalb von ca. 45 Minuten zu gewährleisten gewesen sei. Damit war aber während der Rufbereitschaft die Anwesenheit im Spital nicht erforderlich und der Kläger hätte bei einer kürzeren Entfernung und kürzeren Dauer der einfachen Fahrt zwischen Wohnort und Arbeitsort auch während dieser Zeiten an den Wohnort zurückkehren können. Es würden deshalb auch insoweit Nichtrückkehrtage vorliegen, die gegen die Grenzgängereigenschaft i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA Schweiz sprechen.
Diese Besonderheiten des Streitfalles sowie der Umstand, dass der Kläger im Rahmen des befristeten Einsatzes von 31 Tagen im Spital Engadin, der einmalig nur im Streitjahr durchgeführt worden ist, sprechen dafür, dass der Kläger kein Grenzgänger i.S. der Regelung des Art. 15a DBA Schweiz gewesen ist.
2. Die Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit im Spital Engadin unterliegen deshalb als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Übertragung der Steuerberechnung ergibt sich aus § 100 Abs. 2 FGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung vorliegt.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Minusstunden im Sommerloch: Was ist erlaubt?

In vielen Branchen ist das Sommerloch sehr präsent. Doch wie ist das eigentlich bei einem flexiblen Arbeitszeitmodell, wenn durch weniger Arbeit Minusstunden entstehen? Wir erklären, was zulässig ist und was nicht erlaubt ist.
Mehr lesen

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen