Arbeitsrecht

Schadensersatz – Aufrechnungsverbot – Widerklage wegen Nichtablieferung von Packmitteln

Aktenzeichen  5 Sa 105/21

Datum:
31.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 5. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LAGRLP:2022:0331.5SA105.21.00
Normen:
§ 1 BUrlG
§ 11 Abs 1 BUrlG
§ 611a Abs 2 BGB
§ 3 Abs 1 EntgFG
§ 4 Abs 1 EntgFG
§ 388 BGB
§ 389 BGB
§ 394 S 1 BGB
§ 850 Abs 1 ZPO
§ 850a Nr 3 ZPO
§ 850c Abs 1 ZPO
§ 850c Abs 2 ZPO
§ 280 Abs 1 BGB
§ 823 Abs 1 BGB
§ 823 Abs 2 BGB
§ 246 StGB
§ 619a BGB
Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend ArbG Koblenz, 24. Februar 2021, 7 Ca 1419/20, Urteil

Tenor

1.) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24. Februar 2021, Az. 7 Ca 1419/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2.) Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger und Widerbeklagte (im Folgenden Kläger) der Beklagten und Widerklägerin (im Folgenden Beklagte) wegen eines Fehlbestandes an Paletten und Gitterboxen zum Schadensersatz verpflichtet ist.
Die Beklagte betreibt ein Transportunternehmen; sie wird als Subunternehmerin von der Spedition Z. beauftragt. Der 1989 geborene Kläger (verheiratet, zwei Kinder) war vom 2. Mai 2019 bis zum 31. Januar 2020 bei der Beklagten als Lkw-Fahrer zu einem Monatsentgelt von zuletzt € 1.750,00 brutto zuzüglich Spesen beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers.
Der Kläger nahm vom 1. bis zum 5. Januar 2020 Urlaub, vom 6. bis 14. Januar 2020 erbrachte er seine Arbeitsleistung, vom 15. bis 31. Januar 2020 war er arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte zahlte ihm für Januar 2020 kein Entgelt, sondern rechnete mit vermeintlichen Gegenansprüchen „auf null“ auf. Mit seiner am 4. Mai 2020 erhobenen Klage verlangt der Kläger für Januar 2020 die Erteilung einer ordnungsgemäßen Lohnabrechnung und die Zahlung von € 1.571,05 netto (Nettobetrag aus € 1.750,00 brutto zuzüglich Spesen von € 168,00 für 7 Arbeitstage x € 24,00) nebst Zinsen. Die Beklagte erhob am 8. Juni 2020 eine Hilfswiderklage auf Schadensersatz iHv. € 5.925,00, weil der Kläger laut Packmittelabrechnungen der Spedition Z. im Zeitraum von Mai bis Dezember 2019 insgesamt 202 übernommene Paletten (€ 12,50 pro Stück) und 40 Gitterboxen (€ 85,00 pro Stück) nicht abgeliefert haben soll.
Weil im ersten Kammertermin für die Beklagte niemand erschienen ist, hat das Arbeitsgericht Koblenz mit Versäumnisurteil vom 14. Oktober 2020 der Klage stattgegeben und die Hilfswiderklage abgewiesen. Nach Einspruch der Beklagten hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil mit Urteil vom 24. Februar 2021 aufrechterhalten.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 24. Februar 2021 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – zusammengefasst – ausgeführt, die Klage sei begründet, die Hilfswiderklage unbegründet. Die Beklagte könne der Klageforderung keinen Schadensersatzanspruch entgegenhalten, weil sie bereits keine Aufrechnungserklärung abgegeben habe. Im Übrigen habe sie ihre vermeintliche Gegenforderung nicht hinreichend bestimmt. Die Hilfswiderklage sei unschlüssig. Den vorgelegten Packmittel-Kontoblättern der Spedition Z. lasse sich nicht entnehmen, dass der Kläger 202 Paletten und 40 Gitterboxen nicht abgeliefert habe. In den Kontoblättern von Mai bis Dezember 2019 seien zwar 40 fehlende Gitterboxen aufgeführt, allerdings nur 152 Paletten. Die Ursache für diese Diskrepanz sei weder ersichtlich noch von der Beklagten erläutert worden. Die vorgelegte Rechnung der Spedition Z. vom 31. Juli 2019 über eine Schadensersatzforderung von € 5.440,00 könne den Hilfswiderklageanspruch von € 5.925,00 ebenfalls nicht stützen. Zum einen bestehe eine Darlegungslücke von knapp € 500,00, zum anderen habe Z. die Rechnung ausgestellt für 64 Gitterboxen (€ 85,00 pro Stück), was nicht zum Vortrag der Beklagten passe, wonach 40 Gitterboxen und 202 Paletten fehlen sollen. Zum anderen heiße es in der Rechnung ausdrücklich “Kontoausgleich 2018”. Im Jahr 2018 sei der Kläger noch nicht bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Schließlich datiere die Rechnung vom 31. Juli 2019, so dass sie sich nicht auf fehlende Packmittel bis einschließlich Dezember 2019 beziehen könne. Die Hilfswiderklage sei auch unbegründet. Der Kläger habe nach seinem Vortrag regelmäßig die Anweisung der Beklagten befolgt, auf den Lieferscheinen Vermerke über den Packmittelstand anbringen zu lassen; sämtliche Lieferscheine lägen der Spedition Z. vor. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass derartige Vermerke fehlen oder der Kläger auf andere Weise für den Verlust von Paletten und Gitterboxen verantwortlich sei. Die von der Beklagten benannte Zeugin G., die bei der Spedition Z. die Buchhaltung führe, sei als Beweismittel untauglich. Da sie bei den Auslieferungen nicht zugegen gewesen sei, könne sie keine Entwendung bekunden. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 24. Februar 2021 Bezug genommen.
Gegen das am 8. März 2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 6. April 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 11. Juni 2021 verlängerten Begründungsfrist mit einem am 11. Juni 2021 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie macht geltend, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine erneute Abrechnung für den Monat Januar 2020. Sein Nettolohnanspruch iHv. € 1.403,05 sowie der Anspruch auf Spesen iHv. € 168,00 seien durch Aufrechnung erloschen. Der Inhalt der Abrechnung sei streitig, weil über die von ihr zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung noch nicht rechtskräftig entschieden sei. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts habe sie eine Aufrechnung erklärt, die sie hiermit zur Klarstellung wiederhole. Ihre Gegenforderung sei hinreichend bestimmt. Spätestens mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2020 habe sie zur Schadenshöhe vorgetragen, außerdem habe sie eine Rechnung der Spedition Z. wegen 64 fehlender Gitterboxen (€ 85,00 pro Stück) über € 5.440,00 vorgelegt. Ihr Vortrag sei nicht unschlüssig. Die vom Arbeitsgericht angeführte Diskrepanz zwischen ihrem Vortrag zur Höhe und Zusammensetzung der Schadensersatzforderung und den vorgelegten Kontoblättern der Spedition Z. führe allenfalls zur teilweisen Unbegründetheit. Sie sei davon überzeugt, dass der Kläger für das Abhandenkommen von insgesamt 40 Gitterboxen und 202 Paletten verantwortlich sei, so dass er ihr den daraus resultierenden Schaden zu ersetzen habe. Allerdings könne sie wohl nur nachweisen, dass unter der Aufsicht des Klägers 40 Gitterboxen und 152 Paletten abhandengekommen seien. Diese Anzahl habe das Arbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung zu Recht aus den Packmittel-Kontoblättern als Fehlbestand herausgearbeitet. Diese Feststellung greife sie nicht an und mache sie sich zu eigen. Schon deswegen sei ihre Schadensersatzforderung iHv. € 5.300,00 begründet. Die Zeugin G., die zuständige Mitarbeiterin der Spedition Z., könne bestätigen, dass der Fehlbestand nunmehr ihr gegenüber weiterverfolgt werde. Z. habe bereits einen Schadensersatzanspruch in der oben genannten Höhe geltend gemacht. Ihr liege zwar keine Rechnung der Spedition Z. über € 5.300,00 vor, man habe allerdings Teilbeträge aus späteren Leistungen einbehalten. Zum Beweis dafür benenne sie ihren Betriebsleiter Ö. als Zeugen.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24. Februar 2021 sowie das Versäumnisurteil vom 14. Oktober 2020, Az. 7 Ca 1419/20, teilweise abzuändern und
1. die Klage abzuweisen,
2. den Kläger zu verurteilen, an sie Beklagte € 5.300,00 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.
II.
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für den Monat Januar 2020 Arbeitsvergütung iHv. € 1.403,05 netto und Spesen iHv. € 168,00 zu zahlen sowie eine Lohnabrechnung zu erteilen. Das Arbeitsgericht hat weiterhin zutreffend angenommen, dass die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gegen den Kläger hat, weil Paletten und Gitterboxen abhandengekommen sein sollen. Die erklärte Aufrechnung ist unwirksam, die im Berufungsverfahren auf € 5.300,00 reduzierte Hilfswiderklage ist unbegründet.
1. Die Klage ist begründet.
a) Der Kläger hat für den Monat Januar 2020 Anspruch auf Urlaubsentgelt (vom 1. bis 5. Januar), Arbeitsentgelt (vom 6. bis 14. Januar) und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vom 15. bis 31. Januar) aus §§ 1, 11 Abs. 1 BUrlG, § 611a Abs. 2 BGB, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG in einer Gesamthöhe von € 1.750,00 brutto. Daraus ergibt sich bei Steuerklasse 3 und 1,5 Kinderfreibeträgen ein Nettoanspruch auf Arbeitseinkommen von € 1.403,05. Der Kläger hat außerdem für sieben Arbeitstage einen Spesenanspruch iHv. € 168,00. Darüber herrscht zwischen den Parteien kein Streit. Da die Beklagte ausweislich ihrer Berufungsbegründung das für den Monat Januar 2020 zu zahlende Entgelt abgerechnet hat, ist sie nach § 108 GewO verpflichtet, dem Kläger eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Die Beklagte ist ihrer Pflicht zur Erteilung einer Lohnabrechnung nicht etwa deshalb enthoben, weil sie gegen den Netto-Entgeltanspruch des Klägers vollständig mit vermeintlichen Gegenansprüchen auf Schadensersatz aufrechnet.
b) Die von der Beklagten jedenfalls im Berufungsrechtszug erklärte Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen iSd. § 388 BGB hat die Forderung des Klägers auf Arbeitsentgelt für den Monat Januar 2020 nicht nach § 389 BGB zum Erlöschen gebracht. § 394 Satz 1 BGB schließt die Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese der Pfändung nicht unterworfen ist. Die gesetzlichen Pfändungsbeschränkungen sind im Prozess auch ohne eine Rüge des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 18.11.2020 – 5 AZR 57/20 – Rn. 38 mwN). Die Beklagte hat – trotz richterlichen Hinweises auf das gesetzliche Aufrechnungsverbot – an der unwirksamen Aufrechnung festgehalten.
Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Spesen sind als Aufwandsentschädigung nicht pfändbar, § 850a Nr. 3 ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Er ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, greifen die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850c Abs. 2 ZPO. Die Darlegungslast für die Voraussetzungen der Pfändungsfreiheit liegt beim Arbeitgeber (vgl. BAG 17.02.2009 – 9 AZR 676/07 – Rn. 25). Das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB soll verhindern, dass dem Gläubiger der unpfändbaren Forderung die Geldmittel entzogen werden, die er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts benötigt. Es dient mithin dem Schutz des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen. Die Sicherung ihrer Lebensgrundlage liegt zugleich im öffentlichen Interesse. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe soll vermieden werden.
Der Kläger ist verheiratet und hatte im Januar 2020 zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Ab 1. Januar 2020 lag die Pfändungsfreigrenze bei Personen mit Unterhaltspflichten für drei Personen bei € 2.119,99 (netto). Das Nettoeinkommen des Klägers für Januar 2020 von € 1.571,05, einschließlich Spesen, war mithin unpfändbar. Selbst wenn der Kläger Schadensersatz wegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung zu leisten hätte, müsste ihm ein menschenwürdiges Existenzminimum verbleiben (vgl. BAG 18.03.1997 – 3 AZR 756/95 – zu III 2 der Gründe). Die Pfändungsfreigrenzen sind vorgesehen, um auch im Gläubiger-Schuldner-Verhältnis dieses Existenzminimum zu sichern (vgl. BAG 29.01.2014 – 6 AZR 345/12 – Rn. 20 ff.).
2. Die zur Entscheidung angefallene Hilfswiderklage der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte hat keinen Schadensersatzanspruch gegen den Kläger in Höhe von € 5.300,00, weil er nach ihrem zweitinstanzlichen Vortrag 40 Gitterboxen (€ 85,00 pro Stück) und 152 Paletten (€ 12,50 pro Stück) nicht abgeliefert haben soll. Ein solcher Anspruch folgt weder aus § 280 Abs. 1 BGB noch aus § 823 Abs. 1 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 246 StGB.
a) Nach § 619a BGB liegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger vorwerfbar seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat und nach § 280 Abs. 1 BGB der Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet ist, bei der Beklagten. Dies gilt sowohl für die Pflichtverletzung als auch für das Vertretenmüssen des Klägers (vgl. BAG 21.05.2015 – 8 AZR 116/14 – Rn. 25 mwN). Auch für eine Haftung aus unerlaubter Handlung trägt die Beklagte die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen.
b) Die Voraussetzungen einer vertraglichen oder deliktischen Haftung des Klägers sind auch zweitinstanzlich nicht darlegt.
Die Beklagte hat schon keine objektive Pflichtverletzung des Klägers behauptet. Selbst wenn der zuletzt angeführte Fehlbestand von 40 Gitterboxen und 152 Paletten zutreffen sollte, ist völlig offen geblieben, ob dieser Fehlbestand durch ein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) des Klägers entstanden ist. Die Beklagte hat nicht aufgezeigt, welches konkrete Verhalten des Klägers im Zeitraum von Mai bis Dezember 2019 zu dem behaupteten Fehlbestand geführt haben soll. Ein Schadensersatzanspruch lässt sich nicht auf den mehr oder weniger dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung stützen. Der Vorwurf der Beklagten, die Packmittel seien „unter der Aufsicht“ des Klägers abhandengekommen, begründet keine Haftung unabhängig von einer Pflichtverletzung und unabhängig von einem Verschulden des Klägers. Die Voraussetzungen für eine sog. Mankohaftung sind hier nicht gegeben. Den Kläger traf als Lkw-Fahrer zwar auch die arbeitsvertragliche Pflicht, nach Ablieferung der Ware beim Empfänger auf den Lieferscheinen ordnungsgemäß zu dokumentieren, wieviele Paletten und Gitterboxen er abgeladen und wieviele ihm (leer) zurückgegeben worden sind. Deshalb haftet er aber nicht verschuldensunabhängig für eine Fehlmenge auf dem von der Spedition Z. geführten Packmittelkonto. Objektive Tatsachen dafür, dass der Kläger Packmittel unterschlagen habe, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Insbesondere ergibt sich aus den Packmittel-Kontoblättern der Spedition Z. nicht der zwingende Schluss, dass der Kläger die verbuchten Fehlbestände schuldhaft verursacht hat. Es fehlt die Darlegung konkreter Pflichtverletzungen.
c) Ferner hat die Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht ansatzweise plausibel dargetan, dass ihr tatsächlich ein Schaden in Höhe von (zweitinstanzlich noch) € 5.300,00 entstanden ist. Die vorgelegte Rechnung der Spedition Z. vom 31. Juli 2019 bezieht sich ausdrücklich auf den Rechnungsgegenstand „Kontoausgleich 2018“ für 64 Gitterboxen. Im Jahr 2018 war der Kläger noch nicht bei der Beklagten beschäftigt, so dass er für diesen Fehlbestand nicht verantwortlich sein kann. Hierauf hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen. Dem hat die Berufungskammer nichts hinzuzufügen. Die Beklagte hat auch zweitinstanzlich nicht substantiiert vorgetragen, ob und wann die Spedition Z. von ihr einen Packmittel-Kontoausgleich für das Jahr 2019 verlangt und welcher Betrag ihr für welche Fehlmenge konkret in Rechnung gestellt worden ist. Darüber hinaus ist völlig offen, ob und wann die Beklagte welchen Betrag an Z. gezahlt hat, um den behaupteten negativen Packmittelsaldo aus der Zeit von Mai bis Dezember 2019 auszugleichen. Dem Beweisantritt der Beklagten auf Vernehmung der Zeugen G. und Ö. ist nicht nachzugehen, da es sich um einen Ausforschungsbeweis handelt. Obwohl die Beklagte darauf hingewiesen wurde, dass ein ersatzfähiger Schaden – wenn überhaupt – nur vorliegen könnte, wenn sie von der Spedition Z. in Höhe von € 5.300,00 auf Schadensersatz wegen fehlender Paletten und Gitterboxen in Anspruch genommen worden wäre und sie den Schadensersatz tatsächlich geleistet hätte, fehlt dazu jeder konkrete Vortrag. Der unsubstantiierte Vortrag in der mündlichen Berufungsverhandlung, die Spedition Z. habe ihr zwar keine Rechnung über € 5.300,00 vorgelegt, aber „Teilbeträge aus späteren Leistungen einbehalten“, genügt nicht, um den Eintritt eines Schadens darzulegen, den der Kläger im Sinne adäquater Kausalität verursacht haben soll.
3. Der Kläger hat Anspruch auf Verzugszinsen nach §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Arbeitsentgelt für Januar 2020 war nach § 614 BGB am Monatsende fällig; es bedurfte keiner Mahnung des Klägers. Nach § 308 Abs. 1 ZPO sind ihm Zinsen ab dem 10. März 2020 zuzusprechen.
III.
Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen


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