Arbeitsrecht

Schicht- und Einmannfahrerzulagen für Omnibusfahrer – arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge – Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen – Tarifauslegung

Aktenzeichen  10 AZR 31/20

Datum:
16.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:160621.U.10AZR31.20.0
Normen:
§ 305 Abs 1 S 1 BGB
§ 305c Abs 2 BGB
§ 307 Abs 1 S 2 BGB
§ 3 Abs 1 TVG
§ 4 Abs 1 TVG
§ 42 PBefG
§ 1 TVG
§ 305c Abs 1 BGB
Spruchkörper:
10. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Rosenheim, 27. Februar 2019, Az: 4 Ca 134/17, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München, 13. November 2019, Az: 11 Sa 375/19, Urteil

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 13. November 2019 – 11 Sa 375/19 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger als Busfahrer Anspruch auf Schicht- und Einmannfahrerzulagen hat.
2
Die Beklagte betreibt ein Busunternehmen, das im öffentlichen Personennahverkehr verschiedene Linienbusverbindungen bedient. Der Kläger ist seit dem 2. März 1992 als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Er war nicht Mitglied der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (Transnet). In Nr. 6 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags vom 25. Februar 1992 wird für die Vergütung auf die Anlage 2 zum Arbeitsvertrag verwiesen. Die Anlage 2 zum Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:
        
„6.     
Tätigkeitsvergütung
        
6.1.   
Linienverkehr, Berufsverkehr, Schülerverkehr
19,31 DM/Stunde
        
        
(Grundstundenlohn zuzügl. 10 % Schicht- und 10 % Einmannfahrerzulage; siehe Ziffer 6.4.)
        
        
…       
        
        
        
6.4.   
Die Schicht- und Einmannfahrerzulage werden – soweit die tariflichen Voraussetzungen nicht vorliegen – übertariflich gezahlt. Die übertariflichen Leistungen werden freiwillig, jederzeit nach freiem Ermessen widerruflich gewährt. Auf tarifliche Lohnerhöhungen können sie durch Erklärung des Arbeitgebers auch rückwirkend zum Zeitpunkt der Tariferhöhung ganz oder teilweise angerechnet werden.“
3
Zu den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträgen ist in Nr. 10 des Arbeitsvertrags bestimmt:
        
„10.   
Kollektivregelungen
        
        
Das Arbeitsverhältnis unterliegt im Übrigen den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer im Omnibusverkehr in ihrer jeweils letzten Fassung. Die Tarifverträge können im Büro eingesehen werden.“
4
Die Beklagte wandte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags im Jahr 1992 einen Lohntarifvertrag aus dem Jahr 1991 an, den zwischen dem Landesverband bayerischer Omnibusunternehmer e. V. und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Bezirksverwaltung Bayern, geschlossenen Lohntarifvertrag Nr. 14 für alle arbeiterrentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes in Bayern vom 6. Juni 1991 (LTV LBO 1991). In § 3 LTV LBO 1991 war ua. geregelt:
        
„§ 3   
        
Zulagen und Zuschläge
        
1.    
Omnibusfahrer im Einmannfahrdienst des Orts- und Stadtverkehrs nach § 42 PBefG bzw. Omnibusfahrer im Fahrdienst mit Gelenkomnibussen erhalten je Einsatzstunde für die zusätzlichen Tätigkeiten, die sich durch den Fahrscheinverkauf, Fahrscheinkontrollen, Schülerwochen- und -monatskarten ergeben, eine Einmannfahrerzulage zu ihrem tariflichen Monatsgrundlohn in Höhe von 10 % des tariflichen Grundstundenlohnes, derzeit DM 1,61.
        
2.    
Omnibusfahrer erhalten je Einsatzstunde, wenn die Voraussetzungen gemäß § 6 Absatz II Ziffer 2 Buchstabe a) oder b) des Manteltarifvertrages erfüllt sind, eine Schichtzulage zu ihrem tariflichen Monatsgrundlohn in Höhe von 10 % des tariflichen Grundstundenlohnes, derzeit DM 1,61.“
5
Bei Abschluss des Arbeitsvertrags galt im privaten Omnibusgewerbe in Bayern zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ein Manteltarifvertrag aus dem Jahr 1991. Es handelte sich um den zwischen dem Landesverband bayerischer Omnibusunternehmer e. V. und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Bezirksverwaltung Bayern, geschlossenen Manteltarifvertrag Nr. 5 für alle arbeiterrentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes in Bayern vom 6. Juni 1991 (MTV LBO 1991). In § 6 Abs. II Nr. 2 MTV LBO 1991 war auszugsweise geregelt:
        
„II.   
Schichtarbeit
        
…       
        
2.    
Schichtarbeit liegt vor:
        
        
a)    
wenn im Fahrdienst oder im Werkstättenbereich mindestens zwei Arbeitsschichten notwendig werden und sich mindestens zwei Arbeitnehmer gemäß Dienstplan abwechselnd in aufeinanderfolgenden Schichten ablösen;
        
        
b)    
wenn ein Arbeitnehmer nach einem täglichen Schichtplan arbeiten muss, der eine Teilung der Arbeitszeit vorsieht (2 Teilschichten). …“
6
Am 8. Februar 2000 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft Transnet Haustarifverträge. Dazu gehören der Manteltarifvertrag (MTV RVO 2000) und der Tarifvertrag über Löhne und Gehälter (LTV RVO 2000), die beide im Jahr 2000 in Kraft traten.
7
Der LTV RVO 2000 sieht eine Einmannfahrer- und eine Schichtzulage in Höhe von jeweils 10 % nicht mehr vor. Nach der Lohntabelle des LTV RVO 2000 für den Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember 2000 stieg der dem Kläger gezahlte Stundenlohn nach Lohngruppe V bei einer Beschäftigungszeit von über sechs Jahren auf 23,34 DM. Er erhöhte sich damit gegenüber dem nach dem LTV LBO 1991 und seinen Nachfolgetarifverträgen bis März 2000 gezahlten Stundenlohn von 19,45 DM um 20 %.
8
Die Beklagte rechnete spätestens ab dem 1. Juni 2000 neben dem erhöhten Stundenlohn keine Schicht- und Einmannfahrerzulagen zugunsten des Klägers ab. Der Kläger machte nach dem Inkrafttreten der Haustarifverträge bis zum Jahr 2017 keine Schicht- und Einmannfahrerzulagen geltend.
9
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf die begehrten Zulagen. Der Anspruch auf Schicht- und Einmannfahrerzulagen sei nicht durch die höhere Stundenvergütung im LTV RVO 2000 und den nachfolgenden Entgelttarifverträgen „abgelöst“ worden. Die Zulagen seien in den Entgelttarifverträgen ab dem Jahr 2000 nicht verstetigt worden. In den Haustarifverträgen sei gerade nicht geregelt, dass der Anspruch auf Zulagen durch ein höheres tarifliches Grundentgelt ersetzt werde. Nach dem Günstigkeitsprinzip könne ihm durch die Haustarifverträge ein übertariflicher arbeitsvertraglicher Anspruch auf Zulagen nicht entzogen werden. Die Verweisungsklausel in Nr. 10 des Arbeitsvertrags auf die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge sei unwirksam, weil sich aus der Bestimmung nicht ergebe, auf welche Tarifverträge der Arbeitsvertrag Bezug nehme.
10
Der Kläger hat beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.985,96 Euro brutto Vergütung für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2016 zu zahlen;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.206,80 Euro brutto Vergütung für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. August 2018 zu zahlen.
11
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seit dem Inkrafttreten der Haustarifverträge im Jahr 2000 keinen Anspruch mehr auf Schicht- und Einmannfahrerzulagen. Der arbeitsvertragliche Anspruch auf die früheren übertariflichen Zulagen sei mit Inkrafttreten der Haustarifverträge in die tarifvertragliche Grundvergütung einbezogen worden. Das ergebe sich daraus, dass das neue Tarifwerk die streitigen Zulagen nicht enthalte und stattdessen die Grundvergütung um 20 % gestiegen sei.
12
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Zahlungsanträge weiter.


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