Arbeitsrecht

Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke eines Studiums, Studienabschluss in angemessener Zeit, Prognose

Aktenzeichen  10 B 21.1290

Datum:
21.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6246
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 16b Abs. 2 S. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 24 K 19.3017 2020-12-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. In Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2020 wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zuglassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu verlängern. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Verlängerung sind nicht erfüllt, sodass die Klägerin keinen entsprechenden Anspruch hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Als Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis kommt lediglich § 16b Abs. 2 Satz 4 AufenthG in Betracht. Danach wird die für die Aufnahme eines Studiums erteilte Aufenthaltserlaubnis verlängert, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann.
Der angemessene Zeitraum im Sinne des § 16b Abs. 2 Satz 4 AufenthG bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck und den persönlichen Umständen sowie dem Bemühen des Ausländers, das Ziel seines Aufenthalts in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen. Anhaltspunkte für die zu treffende Prognoseentscheidung sind unter anderem die üblichen Studien- und Aufenthaltszeiten und das bisherige Studienverhalten des Ausländers, vor allem bisher erbrachte Zwischenprüfungen und Leistungsnachweise (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 10 CS 19.445 – juris Rn. 6; B.v. 6.12.2018 – 10 CS 18.2271 – juris Rn. 10; B.v. 20.8.2018 – 10 CS 18.789 – juris Rn. 10 m.w.N. zur wortgleichen Vorgängerregelung in § 16 Abs. 2 Satz 4 AufenthG a.F.). Spezifischen, vor allem sprachlichen Schwierigkeiten ausländischer Studierender ist dabei angemessen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.1994 – 1 B 10.94 – juris Rn. 4; U.v. 18.8.1981 – I C 88.76 – juris Rn. 30). Gleiches gilt für krankheitsbedingte Verzögerungen des Abschlusses des Studiums (BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 10 CS 19.445 – juris Rn. 8; B.v. 6.12.2018 – 10 CS 18.2271 – juris Rn. 10 m.w.N.). Auch wenn den gesetzlichen Regeln eine starre zeitliche Obergrenze nicht zu entnehmen ist, geht die Vollzugspraxis der Ausländerbehörden davon aus, dass ein angemessener Zeitraum in der Regel dann nicht mehr gegeben ist, wenn das Studium unter Berücksichtigung der bisherigen Studienleistungen und des dafür aufgewandten Zeitbedarfs nicht innerhalb einer Gesamtaufenthaltsdauer von 10 Jahren abgeschlossen werden kann (Nr. 16.2.5 Sätze 2 bis 3 AVV-AufenthG; vgl. auch BayVGH, U.v. 26.5.2011 – 19 BV 11.174 – juris Rn. 24).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihr Studium noch in einem angemessenen Zeitraum abschließen können wird. Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht unter Vernachlässigung der von der Beklagten aufgezeigten Bedenken gegen dessen entsprechende tatrichterliche Würdigung (vgl. zu Zweifeln an nachträglich ausgestellten Attesten BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 10 CS 19.445 – juris Rn. 8) annähme, dass die Klägerin von 2015 bis 2019 krankheitsbedingt nicht studierfähig gewesen wäre, rechtfertigt das Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 VwGO) keine positive Prognose im Sinne von § 16b Abs. 2 Satz 4 AufenthG.
Auf Anfrage des Senats hat die Universität mitgeteilt (Auskünfte vom 17.1.2022 und vom 14.2.2022), die Klägerin studiere seit dem Sommersemester 2011 Zahnmedizin, befinde sich derzeit im 22. Fachsemester und habe damit die Regelstudienzeit von elf Semestern bereits erheblich überschritten. Wenn im Frühjahr 2022 die naturwissenschaftliche Vorprüfung und im Herbst 2022 die zahnärztliche Vorprüfung bestanden werden, kann nach der abschließenden Mitteilung der Universität vom 14. Februar 2022 mit einem Studienabschluss frühestens zum Ende des Wintersemesters 2025/2026 gerechnet werden. Diese Angabe deckt sich im Wesentlichen mit der Berechnung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung (sechs Semester nach einer erfolgreichen Zwischenprüfung im Wintersemester 2022/2023). Zu diesem Zeitpunkt betrüge die Gesamtstudiendauer selbst unter Vernachlässigung der Jahre 2015 bis 2019, studienvorbereitender Kurse und eines Wartesemesters zehn Jahre.
Allerdings konnte der Senat nicht zu der richterlichen Überzeugung gelangen, dass die Klägerin zum nunmehr frühestmöglichen Zeitpunkt ihr Studium wird abschließen können. Die nach dem Wegfall der von ihr behaupteten Studierunfähigkeit 2019 erbrachten Leistungen sind nicht derart (sehr) gut, dass eine solche Prognose aufgrund einer erkennbaren Leistungssteigerung gerechtfertigt wäre (zur Bedeutung dieses Kriteriums BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 10 CS 19.445 – juris Rn. 7). An mehreren Prüfungen seit 2019 konnte die Klägerin krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin – abgesehen von einzelnen Scheinen – einen Leistungsstand erreicht, den andere Studierende nach Auskunft der Universität im Wesentlichen nach zwei Semestern erreichen. Bislang hat sie noch keine Vorprüfung absolviert. Die Klägerin hat keine konkreten Noten ihrer bisherigen Prüfungen vorlegt, schildert aber selbst, dass ihre Ergebnisse vor allem wegen ihrer praktischen Leistungen „gut“ gewesen seien. Dies alles lässt nicht prognostizieren, dass keine weiteren Studienverzögerungen – etwa durch krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit oder nicht bestandene Prüfungen – zu erwarten sind.
Hinzukommt, dass die Klägerin aktuell zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts darauf angewiesen ist, neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit im Umfang von durchschnittlich 20 Stunden pro Woche nachzugehen. Die damit einhergehende zusätzliche Belastung dürfte sich trotz der von der Klägerin vorgetragenen Besonderheiten (kurzer Arbeitsweg, teilweise flexible Arbeitszeiten, Möglichkeiten des Lernens während der Arbeit) ungünstig auf das universitäre Fortkommen auswirken.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch die Einschränkungen des Studienbetriebs durch die Corona-Pandemie zu Verzögerungen im Studium der Klägerin geführt haben. Ungeachtet dessen bietet der Studienerfolg seit 2011 keine hinreichende Basis für die Annahme, dass die Klägerin ohne diese Beschränkungen in der Lage gewesen wäre, ihr Studium in einer angemessenen Zeit zu beenden. Insbesondere konnte die Klägerin – wie in den Jahren 2012, 2013, 2014, 2016, 2017, 2018 und 2019 – auch in den Jahren 2020 und 2021 aus gesundheitlichen Gründen (unklarer fiebriger Infekt bzw. Durchfallerkrankung), die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem pandemischen Geschehen standen, nicht an allen Prüfungen teilnehmen.
Insgesamt und auch unter Würdigung des Eindrucks, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen hat, sind damit keine Umstände erkennbar, die trotz des Gesamtaufenthaltes von nunmehr 12 Jahren die Prognose rechtfertigen könnten, die Klägerin werde den Aufenthaltszweck noch in einem angemessenen Zeitraum erreichen können. Unter diesen Umständen sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin nach § 16b Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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