Arbeitsrecht

Vertragsarztrecht: Verpflichtung zur Teilnahme am allgemeinen vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst

Aktenzeichen  L 12 KA 53/18

Datum:
16.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5766
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BDO-KVB § 2 Abs. 1 Nr. 1
BDO-KVB § 14

 

Leitsatz

1 Auch ein in einem Krankenhaus angestellter Chefarzt, der gleichzeitig mit einem hälftigen Versorgungsauftrag an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, ist grundsätzlich verpflichtet, am allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Befreiungstatbestände von der Verpflichtung zur Teilnahme am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst sind restriktiv auszulegen, da anderenfalls eine ausreichende Versorgung der Versicherten nicht gewährleistet ist. Eine stationäre Tätigkeit außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung ist insoweit nicht zu berücksichtigen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 38 KA 360/17 2018-06-20 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. Juni 2018, S 38 KA 360/17, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst aufgrund seiner als Chefarzt der Klinik M-Stadt zu leistenden Rufbereitschaftsdienste. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung ausgeführt. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist, § 153 Abs. 2 SGG.
Auch die in der Berufung vorgetragenen Argumente führen zu keiner anderen Beurteilung. Die Teilnahmeverpflichtung des Klägers am ärztlichen Bereitschaftsdienst ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr.1 BDO-KVB nF. Danach sind auch Vertragsärzte mit hälftigem Versorgungsauftrag zur Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung nach § 14 BDO-KVB, denn er kann keinen schwerwiegenden Grund hierfür geltend machen. Soweit der Kläger noch im erstinstanzlichen Verfahren ausgeführt hat, er erfülle einen besonderen Versorgungsauftrag im Rahmen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, wird dieser Vortrag im Berufungsverfahren nicht aufgegriffen. Zudem enthält die für die Entscheidung maßgebende Bereitschaftsdienstordnung in der Fassung vom 10.03.2018 den Befreiungstatbestand des besonderen Versorgungsauftrages (§ 14 Abs. 1 Satz 2 lit. d BDO-KVB aF) nicht mehr.
Der Kläger ist auch kein Belegarzt, auch eine analoge Anwendung der Befreiungsmöglichkeit nach § 14 Abs. 1 Satz 2 lit. d) BDO-KVB nF kommt nicht in Betracht. Der Kläger hat vielmehr seine stationäre Tätigkeit so zu organisieren und zu beschränken, dass er seiner Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst nachkommen kann. Seine Tätigkeit als Chefarzt ist nicht mit der eines Belegarztes zu vergleichen. Anders als der Chefarzt ist der Belegarzt niedergelassener Vertragsarzt und gerade nicht am Krankenhaus angestellt (§ 121 Abs. 2 SGB V). Der Belegarzt wird ausschließlich im vertragsärztlichen System tätig. Belegärztliche Leistungen gehören grundsätzlich zur vertragsärztlichen Versorgung der GKV, weshalb die belegärztlichen Tätigkeiten auch nach § 121 Abs. 3 Satz 1 SGB V aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung finanziert werden. Für den Gesetzgeber ist das Belegarztwesen eine wichtige Nahtstelle zwischen der ambulanten und stationären Versorgung. Der Belegarzt stellt ein Mittel zur Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung durch Fortführung der ambulanten ärztlichen Tätigkeit im stationären Bereich dar (Köhler-Hohmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 121 SGB V, RdNr. 18).
Sinn und Zweck der in § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB V aufgeführten Regelbeispiele ist es, denjenigen Vertragsarzt zu entlasten, der aufgrund in seiner Person liegender Umstände (Krankheit oder Schwangerschaft) oder aufgrund seiner besonderen familiären Situation nicht in der Lage ist, die Belastungen des Bereitschaftsdienstes zu tragen. Damit sollen persönliche Härtefälle vermieden werden. In Bezug auf den Belegarzt gründet sich die Ausnahmeregelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 lit. d) BDO-KVB darauf, dass dieser als Vertragsarzt eine besondere Aufgabe erfüllt und mit seiner belegärztlichen Tätigkeit im vertragsärztlichen System eine Ausnahmestellung einnimmt. Mit der Befreiungsmöglichkeit wollte der Normgeber das zusätzliche Engagement der Belegärzte am Krankenhaus und damit den ambulanten, vertragsärztlichen Versorgungsbereich fördern. Nur wegen der Tätigkeit des Belegarztes im vertragsärztlich ambulanten System und damit einer Doppelbelastung aus diesem Bereich war der Normgeber der BDO-KVB bereit, den Vertragsarzt von den Belastungen des Bereitschaftsdienstes zu entlasten. Demgegenüber ist der Kläger als angestellter Chefarzt an der Klinik gerade nicht im ambulanten vertragsärztlichen System, sondern in der stationären Versorgung tätig. Zudem geht auch nicht automatisch mit der Tätigkeit als Belegarzt die Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst einher, vielmehr bedarf es auch hier weiterer Voraussetzungen, die eine unzumutbare Doppelbelastung durch die Belegarzttätigkeit belegen.
Eine analoge Anwendung kommt bereits mangels Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht. Denn eine Berücksichtigung stationärer Tätigkeit außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung ist aufgrund von Sinn und Zweck der Bereitschaftsdienstordnung nicht vom Regelungsbereich der BDO erfasst. Mit seiner Zulassung als Vertragsarzt hat sich der Kläger freiwillig einer Reihe von Einschränkungen seiner ärztlichen Berufsausübung unterworfen, die mit der Einbeziehung in ein öffentlich-rechtliches Versorgungssystem notwendig verbunden sind. Hierzu gehört auch die Pflicht zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst, ohne den eine ausreichende Versorgung der Versicherten nicht gewährleistet ist. (BSG, Urteil vom 11.12.2013, Az.: B 6 KA 39/12 R, Juris). Die Befreiungstatbestände sind daher restriktiv auszulegen, worauf bereits das SG hingewiesen hat.
Im Übrigen ist die (zusätzliche) Belastung dem Kläger auch zuzumuten. Aus den im Berufungsverfahren eingereichten Dienstplänen ergibt sich, dass der Kläger in der Klinik im Zeitraum Januar bis November 2018 monatlich zwischen zwei (September) und 14 (August) Bereitschaftsdienste ableisten musste, wobei diese Dienste als Rufbereitschaftsdienste ausgestaltet sind. Die Bereitschaftsdienste in der Klinik werden von insgesamt drei Ärzten (Kläger, ein weiterer Chefarzt sowie ein Oberarzt) wahrgenommen.
Die Doppelbelastung stellte sich für den Zeitraum Januar bis November 2018 wie folgt dar:
Monat 2018: Januar; Anzahl Dienste Klinik: 12 (davon 2-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 0; Überschneidungen: 0
Monat 2018: Februar; Anzahl Dienste Klinik: 9 (davon 2-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 0; Überschneidungen: 0
Monat 2018: März; Anzahl Dienste Klinik: 9 (davon 3-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 1 mal 3 Stunden; Überschneidungen: 8.3.
Monat 2018: April; Anzahl Dienste Klinik: 9/10 (davon 4-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 1 mal 9 Stunden; Überschneidungen: 0
Monat 2018: Mai; Anzahl Dienste Klinik: 12 (davon 2-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 1 mal 6 Stunden; Überschneidungen: 0
Monat 2018: Juni; Anzahl Dienste Klinik: 7 (davon 2-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 0; Überschneidungen: 0
Monat 2018: Juli; Anzahl Dienste Klinik: 11 (davon 2-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 1 mal 5 Stunden; Überschneidungen: 0
Monat 2018: August; Anzahl Dienste Klinik: 14 (davon 4-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 0; Überschneidungen: 0
Monat 2018: September; Anzahl Dienste Klinik: 2 (davon 0-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 0; Überschneidungen: 0
Monat 2018: Oktober; Anzahl Dienste Klinik: 11 (davon 4-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 2 mal ( 1mal 3 Stunden, einmal 6 Stunden); Überschneidungen:0
Monat 2018: November; Anzahl Dienste Klinik: 10 (davon 2-mal Sa o. So); Anzahl Dienste BD-Gruppe: 1 mal 10 Stunden; Überschneidungen: 16.11.
Anzahl Dienste BD-Gruppe: = insgesamt 42 Stunden
Die Überschneidungen (2018 an zwei Tagen) sind mehr als moderat und zumutbar, zumal die Einteilung in der Bereitschaftsdienstgruppe mit einem großen Vorlauf erfolgt und so eine frühe Planung möglich macht. Dem Kläger bleibt es unbenommen, sich im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst durch andere Ärzte bzw. Poolärzte vertreten zu lassen. Von dieser Möglichkeit hat er nach Auskunft der Beklagten bislang auch Gebrauch gemacht und auch die noch ausstehenden Bereitschaftsdienste in die Bereitschaftsdiensttauschbörse eingestellt bzw. bis auf einen Dienst bereits an andere Ärzte abgegeben.
Dem Kläger ist zuzugeben, dass seine in der Klinik zu leistenden Bereitschaftsdienste unter Umständen auch den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst entlasten. Dies führt aber nicht dazu, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger vollständig oder teilweise vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst zu entlasten.
Die Berufung hat daher keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG iVm. § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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