Arbeitsrecht

Vertragsauslegung – Verweisung auf Tarifvertrag

Aktenzeichen  4 AZR 151/15

Datum:
27.3.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2018:270318.U.4AZR151.15.0
Normen:
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 286 Abs 1 S 1 ZPO
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Münster, 8. Juli 2014, Az: 3 Ca 2246/13, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 18. Februar 2015, Az: 3 Sa 1092/14, Urteil

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. Februar 2015 – 3 Sa 1092/14 – wird zurückgewiesen.
2. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. Februar 2015 – 3 Sa 1092/14 – insoweit aufgehoben als es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 8. Juli 2014 – 3 Ca 2246/13 – zurückgewiesen hat. Insoweit wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Anwendung des Lohntarifvertrags für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen (LTV) auf ihr Arbeitsverhältnis sowie daraus resultierende Entgeltdifferenzansprüche des Klägers für den Zeitraum März 2013 bis November 2014.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten, die Möbelhäuser betreibt, aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 13. Februar 1995 seit dem 1. Juli 1995 als Haustechniker beschäftigt.
3
Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt (die unterstrichenen Passagen sind handschriftlich in das Formular eingefügt):
        
„§ 1   
Einstellung
        
        
1.    
Der/Die Arbeitnehmer/in wird ab 01.07.95 als Haustechniker (Elektriker) eingestellt.
        
        
2.    
Der/Die Arbeitnehmer/in wird als Vollzeitkraft/Teilzeitkraft mit 37,5 Stunden wöchentlich eingestellt. …
        
        
3.    
Die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgeverträge sind Bestandteil dieses Vertrages.
        
        
        
…       
        
§ 4     
Vergütung
        
        
1.    
Gemäß der in § 1 Ziffer 1 genannten Tätigkeit wird der/die Arbeitnehmer/in in die Gehalts-/Lohngruppe _______ [nicht ausgefüllt] des derzeit geltenden Gehalts-/Lohntarifvertrages für den Einzelhandel eingestuft.
        
        
2.    
Das vereinbarte Entgelt beträgt: DM 3.700,- je Monat.
        
        
…       
        
        
        
4.    
Die über das tarifliche Entgelt hinausgehenden Gehalts-/Lohnbestandteile … können jederzeit unter Einhaltung einer Frist von einem Monat gekürzt oder widerrufen werden. Sie können bei einer Erhöhung der Gehalts-/Lohntarife, bei Aufrücken in eine höhere Gehalts-/Lohngruppe/-stufe und bei Höhergruppierungen angerechnet werden.“
4
Die Beklagte ist Mitglied des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe e.V., der wiederum Mitglied im Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. ist. Sie war zunächst Mitglied mit Tarifgebundenheit. Auf ihren Antrag hin führt sie der Verband seit dem 1. November 2004 als Mitglied ohne Tarifgebundenheit („OT-Mitglied“). Die Verbandssatzung sieht eine derartige OT-Mitgliedschaft vor.
5
Bis zum Wechsel in die OT-Mitgliedschaft wurde der Lohn des Klägers regelmäßig entsprechend den Tarifabschlüssen im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen erhöht. Der zu dieser Zeit gültige LTV war zum 31. März 2005 gekündigt.
6
Im März 2005 schlossen die Parteien eine „Vereinbarung zur Änderung des Arbeitsvertrages“, die auszugsweise wie folgt lautet:
        
„Die Parteien sind sich darüber einig, dass der zwischen Ihnen bestehende Arbeitsvertrag mit Wirkung ab dem 01.04.2005 wie folgt geändert wird. Die dabei nicht genannten Regelungen gelten weiter. …
        
Arbeitszeit
        
Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden.
        
Zuschläge
        
Auf Spätöffnungs- und Mehrarbeitszuschläge besteht kein Anspruch.
        
Sonderzahlungen
        
…       
        
Urlaub
        
…“    
7
Jedenfalls nach Abschluss dieser Vereinbarung gab die Beklagte Tariflohnerhöhungen im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen nicht mehr an den Kläger weiter, zahlte aber eine „Ausgleichszahlung“ in Höhe von monatlich 50,00 Euro.
8
Zwischen Februar 2009 und Juli 2013 unterzeichneten der Kläger und ein „bisheriger Vorgesetzter“ bzw. ein „künftiger Vorgesetzter“ eine Reihe von jeweils mit „Personalveränderung“ überschriebenen Formularen, deren Rechtscharakter zwischen den Parteien streitig ist. Die jeweils dokumentierten Änderungen beziehen sich in den Formularen vom 17. Februar 2009 (zum 1. März 2009), 3. August 2009, 4. Februar 2010, 17. Februar „2009“ (zum 1. Februar 2011) und 18. Mai 2011 erkennbar vorwiegend auf eine jeweils befristete Änderung der wöchentlichen Arbeitszeit oder die – erneut befristete – „Verlängerung“ der bisher geltenden Arbeitszeitregelung. Abweichend hiervon hat die „Personalveränderung“ vom 19. Juli 2013 folgenden Wortlaut:
         
„Veränderung gültig ab
        
        
        
1.8.2013
        
        
        
        
        
        
        
        
bisher
künftig
        
Abteilung
Haustechnik
Haustechnik
        
        
        
        
        
Standort
Münster
Münster
        
        
        
        
        
Kostenstelle
4304   
4304   
        
        
        
        
        
Tätigkeit
Elektriker
Elektriker
        
        
        
        
        
Vergütungsgruppe
bekannt
IV, BS 4
        
        
        
        
        
Arbeitszeit
bekannt
Stundenzahl 35 Std./Woche// 7 Std./Tag
        
        
        
        
        
Fixum 
        
        
        
        
        
        
        
Lohn/ Gehalt/ Garantiegehalt
bekannt
2287,28 Euro
        
        
        
        
        
Zulagen zum Garantiegehalt:
        
        
        
Zulagen zum Fixum:
        
        
        
Summe Vergütung
        
        
        
Die Umgruppierung ist befristet bis zum 31.12.2013.
        
        
(Datum handschriftlich durchgestrichen, darunter ebenfalls handschriftlich: ‚31.07.14‘)
(Unterschrift, unleserlich, identisch mit unten)
        
Begründung: Wunsch des Mitarbeiters
        
        
        
        
        
Der / die Mitarbeiter(in) wurde über die Sach- und Rechtslage aufgeklärt, aus der sich die vorläufige Massnahme ergibt.
        
       
Die Zustimmung des Betriebsrates liegt vor
        
       
Die Zustimmung des Betriebsrates ist nicht erforderlich
        
       
Notwendige Informationen an die Controlling-Abteilung zwecks Aktualisierung der Stunden-Umsatz-Liste wurden weitergeleitet
        
       
Notwendige Informationen an das Call-Center zwecks Aktualisierung der Telefon-Liste wurden weitergeleitet
        
        
        
        
        
Datum 
        
Unterschrift Geschäftsleitung
        
19.07.2013
        
(leer)
        
        
        
        
        
Unterschrift Mitarbeiter(in)
Unterschrift bisheriger Vorgesetzter
Unterschrift künftiger Vorgesetzter
        
unleserlich
(unleserlich, identisch mit rechts und mit oben)
(unleserlich, identisch mit links und mit oben)“
9
Mit Schreiben vom 26. September 2013 machte der Kläger für die Monate März bis August 2013 vergeblich Entgeltdifferenzen zwischen der ihm gezahlten Vergütung und dem ihm seiner Meinung nach zustehenden Lohn der Lohngruppe III Lohnstaffel d des LTV geltend.
10
Mit seiner Klage und folgenden Klageerweiterungen hat der Kläger diesen Anspruch und darüber hinaus die Entgeltdifferenzen für den weiteren Zeitraum bis einschließlich November 2014 nebst Zinsen weiterverfolgt.
11
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der LTV sei in seiner jeweiligen Fassung auf sein Arbeitsverhältnis aufgrund der zeitdynamischen Verweisungsklausel in § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags anzuwenden. Diese sei im Änderungsvertrag vom März 2005 erneut vereinbart worden, weshalb sie nicht mehr als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden könne. Eine nachfolgende, von § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags abweichende Entgeltvereinbarung gebe es nicht, auch nicht aufgrund der „Personalveränderungen“. Diese beträfen lediglich eine Regelung der Arbeitszeit.
12
In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger zuletzt beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.239,96 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem jeweiligen Monatsersten in näher bestimmter Höhe und zeitlicher Staffelung zu zahlen.
13
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, schon der Arbeitsvertrag verweise hinsichtlich der Lohnhöhe nicht auf die Tarifverträge des Einzelhandels. Die Änderungsvereinbarung vom März 2005 sehe keinen Lohnausgleich vor, sondern betreffe allein die Arbeitszeit. Mit ihr sei im Übrigen die Klausel aus § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags nicht neu vereinbart worden. Ihr sei es bei Verwendung des Einleitungssatzes hinsichtlich der Weitergeltung von in der Änderungsvereinbarung nicht aufgeführten Regelungsgegenständen erkennbar nur darauf angekommen, keine redaktionell ganz neu verfassten Arbeitsverträge aufzusetzen. Zudem sei zu diesem Zeitpunkt klar erkennbar gewesen, dass sie sich von den tarifvertraglichen Regelungen zumindest hinsichtlich der Hauptleistungspflichten – wozu neben der ausdrücklich geänderten Arbeitszeit auch das Entgelt gehöre – habe lösen wollen. Deshalb sei nachfolgend in den „Personalveränderungen“ jeweils eine eigenständige Entgeltvereinbarung getroffen worden. Insbesondere die „Personalveränderung“ vom 19. Juli 2013 sehe eine neue Eingruppierung des Klägers in das neue betriebliche Entgeltschema vor. Im Übrigen seien Ansprüche des Klägers aufgrund der jahrelang unterbliebenen Geltendmachung und der insoweit anstandslosen Weiterarbeit zumindest verwirkt.
14
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der hiergegen gerichteten Berufung des Klägers teilweise stattgegeben und die Beklagte für den Zeitraum bis Ende Juli 2013 antragsgemäß verurteilt. Im Übrigen ist die Berufung zurückgewiesen worden. Mit den vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Parteien ihre bisherigen Klageziele weiter.
15
Der Nebenintervenient, der zunächst ebenfalls Revision gegen das Berufungsurteil eingelegt hatte, hat mit Schriftsatz vom 2. März 2016 seinen Rücktritt vom Beitritt erklärt.


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