Arbeitsrecht

Vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge; prognostizierte Dienstentfernung

Aktenzeichen  15 B 2/22 MD

Datum:
21.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 15. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0221.15B2.22MD.00
Normen:
§ 38 Abs 1 DG ST 2006
§ 38 Abs 2 DG ST 2006
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge setzen eine behördliche Prognose der späteren Entfernung voraus.(Rn.6)
(Rn.10)

Tenor

Die Verfügung der Antragsgegnerin vom 14.12.2021 zur vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung von Dienstbezügen wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Mit der streitbefangenen Verfügung der Antragsgegnerin vom 14.12.2021 enthob die Antragsgegnerin den Antragsteller vorläufig des Dienstes und ordnete die Einbehaltung von 30 % der monatlichen Dienstbezüge an. Die Verfügung lautet:
„[…] nach § 38 Abs. 2 Disziplinargesetz des Landes Sachsen-Anhalt […] kann ich Sie vorläufig des Dienstes entheben, da der Verdacht eines sehr schweren Dienstvergehens besteht (hier Arbeitszeitbetrug). Von dieser Möglichkeit mache ich Gebrauch und suspendiere Sie mit sofortiger Wirkung vom Dienst.
Gleichzeitig mache ich nach § 38 Abs. 2 DG LSA vor meinem Recht Gebrauch, dass mit der vorläufigen Dienstenthebung 30 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden. Während der Dauer der vorläufigen Dienstenthebung ruht Ihr Anspruch auf das Aufsteigen in Erfahrungsstufen. Zudem entfällt auch der Anspruch auf Gewährung der Feuerwehrzulage und einer Erschwerniszulage. Ferner besteht auch kein Anspruch auf die Gewährung der jährlichen Sonderzahlung.“
II.
Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist begründet. Die vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige disziplinarrechtliche Dienstenthebung und die Einbehaltung von Dienstbezügen aufzuheben sind. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit.
Gemäß § 38 Abs. 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig oder nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben und nach § 38 Abs. 2 DG LSA gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung bis zu 50 % der Dienstbezüge des Beamten einbehalten, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (oder Aberkennung des Ruhegehalts) erkannt werden wird.
Nach § 61 Abs. 2 DG LSA sind die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Dienstbezügen dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Disziplinargerichts (vgl. nur zuletzt: Beschl. v. 29.07.2020, 15 B 7/20; juris) ist dies der Fall, wenn sich die Entscheidungen nach § 38 DG LSA dem Grunde nach als rechtswidrig erweisen, weil die tatbestandlich geforderte Prognoseentscheidung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der späteren voraussichtlichen Entfernung aus dem Dienst (oder der wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes) nicht – oder nicht sorgfältig – vorgenommen wird oder sich diese nicht bestätigt. Ebenso wenn sich die Ermessensentscheidung des Dienstherrn hinsichtlich der Höhe des Einbehaltungssatzes nach § 38 Abs. 2 DG LSA nicht (mehr) an dem Grundsatz der angemessenen Alimentation des Beamten ausrichtet (vgl. VG Magdeburg, B. v. 05.11.2020 – 15 B 10/20 -, juris, Rdnr. 16).
Das für das gesamte Land Sachsen-Anhalt zuständige Disziplinargericht (bis 31.12.2015, 8. Kammer; ab 01.01.2016, 15. Kammer) weist in seiner ständigen Rechtsprechung stets darauf hin, dass die notwendige Prüfung und Prognoseentscheidung zum voraussichtlichen Ausgang des noch anhängigen und weiter zu ermittelten behördlichen Disziplinarverfahrens als Tatbestandsvoraussetzung der Entscheidungen nach § 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 DG LSA in dem jeweiligen Bescheid selbst vorzunehmen ist; oder – soweit diese Prüfung in einem vorausgegangenen Bescheid nach diesen Vorschriften bereits vorgenommen wurde – durch Verweis darauf zu erkennen gegeben wird, dass sich der zuständige Entscheidungsträger über die Reichweite seiner Anordnung hinreichend Gedanken gemacht hat (vgl. VG Magdeburg, B. v. 05.11.2020 – 15 B 10/20 -, juris, Rdnr. 27 m. w. N.).
Vorliegend fehlt es bereits an der Benennung der zutreffenden Rechtsgrundlage für die vorläufige Dienstenthebung. Denn dies ergibt sich aus § 38 Abs. 1 Satz 1 und/oder Satz 2 DG LSA und nicht nach § 38 Abs. 2 DG LSA. Dementsprechend ist nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin überhaupt der Tragweite ihrer Entscheidung und deren rechtlichen Voraussetzungen bewusst war. Schließlich ist die Antragsgegnerin auch mit richterlicher Verfügung vom 18.01.2022 auf die mangelnde Begründung hingewiesen worden, was jedoch unbeantwortet blieb.
Die gesetzlich gebotene Prognose durch die Behörde erfordert auch die Konkretisierung des als Dienstvergehen gewerteten Sachverhaltes. Hierbei handelt es sich auch nicht um eine bloße Formalie, sondern um eine materielle Tatbestandsvoraussetzung der Suspendierung sowie der Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge. Denn wenn der Gesetzgeber der zuständigen Behörde bei einem Eingriff in die Rechte des Bürgers einen Spielraum einräumt, ist die betroffene Behörde in besonderer Weise verpflichtet, der ihr vom Gesetzgeber eingeräumten Verantwortung gerecht zu werden, und den Eingriff in die Rechte des Bürgers zu rechtfertigen. Sie ist gehalten, ihre für den Eingriff maßgeblichen Erwägungen gegenüber dem betroffenen Bürger darzulegen. Weil Ermessens- und Prognoseentscheidungen ohne eine hinreichende Darlegung des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts nicht möglich sind, gehört hierzu auch die Offenlegung des Sachverhaltes, auf den die Behörde ihre Prognose stützt. Demzufolge führt die unzureichende Konkretisierung des als Dienstvergehen gewerteten Fehlverhaltens des Beamten nicht nur zur unzureichenden Begründung des Bescheides (§ 3 DG LSA i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i. V. m. § 39 Abs. 1 VwVfG), sondern auch zur fehlerhaften Prognose der Wahrscheinlichkeit der Entfernung des Beamten aus dem Dienst und zur materiellen Rechtswidrigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltungsverfügung (VG Magdeburg, B. v. 05.11.2020 – 15 B 10/20 -, juris, Rdnr. 33).
Die Begründung des disziplinarrechtlichen Suspendierungsbescheides enthält keine ausreichende Prognose im Sinne der vorstehenden Voraussetzungen. Insbesondere lässt der Bescheid die für eine sachgerechte Prognose hinreichende Konkretisierung des dem Beamten vorgeworfenen Dienstvergehens vermissen. Die Begründung erschöpft sich in der Mitteilung, dass gegen den Beamten wegen eines „Arbeitszeitbetruges“ der Verdacht eines schweren Dienstvergehens bestünde. Durch welche Verhaltensverweisen der Antragsteller einen „Arbeitszeitbetrug“ begangen haben soll, hat die Antragsgegnerin damit jedoch nicht „beschrieben“. Bei einer auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützten vorläufigen Dienstenthebung, weil im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird, setzt die hierbei zu treffende Prognose zwingend eine möglichst konkrete Beschreibung des Verhaltens des Beamten voraus, das die zuständige Behörde als Dienstvergehen ansieht. Sie hat dabei den als Dienstvergehen gewerteten Sachverhalt soweit wie möglich nach Zeit, Ort und Umfang des vorgeworfenen Verhaltens inhaltlich zu bestimmen und zu konkretisieren (vgl. BVerwG, B. v. 22.02.1992 – 1 DB 5/92 -, juris, Rdnr. 8; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 18.08.2005 – OVG 80 SN 1.05 -, juris, Rdnr. 8; VG Magdeburg, B. v. 27.08.2014 – 8 B 13/14 -, juris, Rdnr. 10 m. w. N.). Denn ohne eine solche Konkretisierung kann die Wahrscheinlichkeit einer Entfernung des Beamten aus dem Dienst nicht beurteilt werden (vgl. VG Magdeburg, B. v. 05.11.2020 – 15 B 10/20 -, juris, Rdnr. 34).
Die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Einbehaltung der Dienstbezüge ist auch deshalb rechtswidrig, weil dem Bescheid vom 14.12.2021 keine Erwägungen zur Höhe des Einbehaltungssatzes der Dienstbezüge zu entnehmen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


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