Arbeitsrecht

Wählbarkeit zum Personalrat; 6-monatige Zugehörigkeit zum Geschäftsbereich der obersten Dienstbehörde

Aktenzeichen  6 PB 38/09

Datum:
4.2.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 6 Abs 1 BPersVG
§ 6 Abs 2 S 1 Halbs 2 BPersVG
§ 14 Abs 1 S 1 Nr 1 BPersVG
§ 44b Abs 1 S 1 SGB 2
§ 44b Abs 1 S 3 SGB 2
§ 44b Abs 2 SGB 2
§ 44b Abs 3 S 1 SGB 2
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

Das Wählbarkeitserfordernis, wonach der Wahlberechtigte am Wahltag 6 Monate dem Geschäftsbereich seiner obersten Dienstbehörde angehören muss, kann nicht durch eine langjährige Tätigkeit im Geschäftsbereich kompensiert werden, wenn diese unterbrochen war und seit ihrer Wiederaufnahme noch keine 6 Monate vergangen sind.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 16. September 2009, Az: 6 L 4/09, Beschlussvorgehend VG Halle (Saale), 11. März 2009, Az: 10 A 2/08 HAL

Gründe

1
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung.
2
1. Die Antragsteller wollen geklärt wissen, “ob denn die ARGE SGB II Weißenfels eine eigene Dienststelle im Sinne von § 6 Abs. 1 BPersVG bzw. § 6 Abs. 1 PersVG LSA ist und ob somit die zweijährige Tätigkeit in dieser zu einem Verlust der Wählbarkeit der Beschwerdeführer zu 1. – 4. geführt hat” (S. 4 der Beschwerdebegründung). Ihnen geht es dabei, wie die weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung zeigen, um die abstrakte Rechtsfrage, ob öffentlich-rechtlich organisierte Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II personalratsfähige Dienststellen sind. Diese Frage ist anhand der ständigen und gefestigten Senatsrechtsprechung zum personalvertretungsrechtlichen Dienststellenbegriff zu beantworten, ohne dass es dafür einer Klärung im Rechtsbeschwerdeverfahren bedarf.
3
a) Die Dienststelleneigenschaft nach § 6 Abs. 1 und 2 BPersVG verlangt, dass der Leiter der Einrichtung – in den Grenzen der für die öffentliche Verwaltung allgemein bestehenden Weisungsgebundenheit – bei den für eine Beteiligung der Personalvertretung in Betracht kommenden personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Angelegenheiten einen eigenen Entscheidungs- und Handlungsspielraum hat. Nur dann kann er dem Personalrat als verantwortlicher Partner gegenübertreten und dieser eigenständig Gespräche und Verhandlungen mit ihm führen. Die Dienststelleneigenschaft ist zu verneinen, wenn der Leiter der Einrichtung hinsichtlich der Mehrzahl der bedeutsamen Maßnahmen als verantwortlicher Partner einer Personalvertretung ausscheidet, weil er insoweit nicht selbstständig handeln darf (vgl. Beschlüsse vom 29. März 2001 – BVerwG 6 P 7.00 – Buchholz 250 § 6 BPersVG Nr. 15 S. 7 f. und vom 26. November 2008 – BVerwG 6 P 7.08 – BVerwGE 132, 276 = Buchholz 250 § 86 BPersVG Nr. 6 Rn. 32).
4
Ob der nach § 44b Abs. 2 SGB II bestellte Geschäftsführer über die vorbezeichneten Kompetenzen verfügt, ist daher maßgeblich dafür, ob die Arbeitsgemeinschaft eine personalratsfähige Dienststelle ist. Dies lässt sich nicht anhand der Vorgaben in § 44b SGB II bestimmen. Vielmehr kommt es dabei auf die organisationsrechtliche Ausgestaltung in der jeweiligen Vereinbarung zwischen der Bundesagentur und dem kommunalen Träger an (§ 44b Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II). Darauf hat bereits das Oberverwaltungsgericht zutreffend hingewiesen.
5
b) Im vorliegenden Zusammenhang hat die in der Beschwerdebegründung zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Bedeutung. Mit der dortigen Aussage, die nur organisatorische Wahrnehmungszuständigkeit der Arbeitsgemeinschaft lasse die Rechtsträgerschaft der hinter ihr stehenden Träger unberührt, sollte den verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt unzulässiger Mischverwaltung begegnet werden (vgl. Urteile vom 7. November 2006 – B 7b AS 6/06 R – BSGE 97, 211 Rn. 14 und vom 23. November 2006 – B 11b AS 1/06 R – BSGE 97, 265 Rn. 18). Dieser Ansatz zielt nicht auf den speziellen personalvertretungsrechtlichen Dienststellenbegriff und hindert folglich nicht, eine Arbeitsgemeinschaft als Dienststelle im Sinne von § 6 Abs. 1 BPersVG anzusehen, wenn ihr Geschäftsführer nach den oben genannten Kriterien als Partner einer Personalvertretung in Betracht kommt.
6
c) Aus der Regelung in § 44b SGB II herzuleiten, die Arbeitsgemeinschaft sei schon im Ansatz nicht im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BPersVG nach Aufgabenbereich und Organisation selbstständig, verbietet sich. Die Arbeitsgemeinschaften nehmen die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitssuchende wahr, sie erlassen Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide, und sie verfügen mit der Person des Geschäftsführers über eine einheitliche Leitung (§ 44b Abs. 2 und 3 SGB II). Es sind gerade diese unmissverständlichen Aussagen im Gesetz zum eigenständigen, von den Leistungsträgern unabhängigen Charakter der Arbeitsgemeinschaften, die das Bundesverfassungsgericht bewogen haben, § 44b SGB II wegen Verstoßes gegen das Verbot der Mischverwaltung für verfassungswidrig zu erklären (vgl. Urteil vom 20. Dezember 2007 – 2 BvR 2433, 2434/04 – BVerfGE 119, 331 ).
7
d) Andererseits folgt aus dieser Entscheidung gegenwärtig kein Verbot, § 44b SGB II im Rahmen des Personalvertretungsrechts zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Vorschrift bis zum 31. Dezember 2010 anwendbar bleibt, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor eine andere Regelung trifft (a.a.O. S. 331, 382 ff.). Aus dem Charakter des Personalvertretungsrechts als Organisationsfolgerecht ergibt sich daher, dass die Arbeitsgemeinschaften noch bis zum Ende des vorbezeichneten Übergangszeitraums in die personalvertretungsrechtliche Praxis einzubeziehen sind.
8
2. Soweit in der Beschwerdebegründung sinngemäß spezielle Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG angesprochen sind, rechtfertigen diese ebenfalls die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht. Diese Fragen haben keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in der Rechtsprechung geklärt sind oder sich ohne Weiteres anhand des Gesetzes beantworten lassen.
9
a) Die Antragsteller bezweifeln, ob die Wählbarkeit über den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG wegfällt, wenn der Beschäftigte vor der Unterbrechung jahrelang im Geschäftsbereich der obersten Dienstbehörde tätig war (vgl. S. 5 der Beschwerdebegründung). Diese Zweifel sind nicht begründet.
10
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG sind Wahlberechtigte nur wählbar, wenn sie am Wahltag seit 6 Monaten dem Geschäftsbereich ihrer obersten Dienstbehörde angehören. Fehlt es an diesem Erfordernis, so kann dies nicht durch eine langjährige Tätigkeit im Geschäftsbereich vor der Unterbrechung kompensiert werden. Dies verbietet der eindeutige und unmissverständliche Wortlaut der Vorschrift. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit stehen im Bereich des Wahlrechts einer Auslegung entgegen, die sich vom Gesetzeswortlaut entfernt (vgl. Beschlüsse vom 9. Oktober 1959 – BVerwG 7 P 17.58 – BVerwGE 9, 213 = Buchholz 238.3 § 10 PersVG Nr. 1 S. 4 und vom 23. Juni 1999 – BVerwG 6 P 6.98 – Buchholz 252 § 2 SGB Nr. 2 S. 6; Schlatmann, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, BPersVG, § 14 Rn. 16; Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 11. Aufl. 2008, § 14 Rn. 8; Fischer/Goeres/Gronimus, in: GKÖD Bd. V, K § 14 Rn. 8; Dörner, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 6; Altvater/Hamer/Kröll/Lemcke/Peiseler, BPersVG, 6. Aufl. 2008, § 14 Rn. 4).
11
b) Die Antragsteller meinen ferner, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG stehe der Wählbarkeit in einer Arbeitsagentur nicht entgegen, wenn die in den 6-Monatszeitraum hineinfallende Tätigkeit in einer Arbeitsgemeinschaft geleistet worden sei; denn eine Tätigkeit im Aufgabenkreis der Bundesagentur habe in jedem Fall vorgelegen (vgl. Beschwerdebegründung S. 5). Auch dieser Einwand trifft eindeutig nicht zu.
12
Nach der zwingenden Regelung in § 44b Abs. 3 Satz 1 SGB II nimmt die Arbeitsgemeinschaft diejenigen Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende wahr, welche auf die Agentur für Arbeit als Leistungsträger entfallen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch die Agentur für Arbeit selbst entfällt damit. Diese Aufgaben unterscheiden sich wesentlich von denjenigen auf dem Gebiet der Arbeitsförderung nach dem SGB III. Während hier die Bundesagentur als Selbstverwaltungskörperschaft handelt und ihre Zentrale als oberste Dienstbehörde die Tätigkeit der nachgeordneten Dienststellen steuert (§ 367 Abs. 1 und 2, § 393 Abs. 1 SGB III), sind die Arbeitsgemeinschaften nicht in den autonomen Dienststellenorganismus der Bundesagentur eingebunden (vgl. § 44b Abs. 3 Satz 4, § 47 SGB II). Der Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG durch das Oberverwaltungsgericht stehen daher weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Dass es zwischen der Grundsicherung für Arbeit und der Arbeitsförderung mannigfache sachliche Berührungspunkte gibt, ist wiederum ein Gesichtspunkt, der nach dem eindeutigen Wortlaut der wahlrechtlichen Vorschrift keine Bedeutung erlangen kann.
13
3. Unabhängig vom Vorstehenden haben die in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen deswegen keine grundsätzliche Bedeutung, weil nicht zu erwarten ist, dass eine Entscheidung des Senats über die Rechtsbeschwerde der Antragsteller einen nennenswerten Beitrag zur Rechtsfortbildung oder Rechtseinheit leisten wird. Dies hängt mit dem bereits erwähnten Umstand zusammen, dass § 44 SGB II längstens bis zum Ablauf dieses Jahres anwendbar bleibt. Auf die Arbeitsgemeinschaften nach dieser Vorschrift bezogene Rechtsfragen können daher nur noch für Personalratswahlen von Bedeutung sein, die in diesem Jahr stattfinden.
14
a) Reguläre Personalratswahlen im Bereich der Bundesagentur für Arbeit fallen nicht darunter; sie finden erst im Jahre 2012 wieder statt.
15
b) Die Antragsteller weisen auf die “spiegelbildliche” Problematik bei den Kommunen und auf die Personalratswahlen in 5 Bundesländern hin, deren Personalvertretungsgesetze eine § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG vergleichbare Regelung enthalten. Tatsächliche Auswirkungen der Senatsentscheidung auf einen größeren Teil der Allgemeinheit lassen sich daraus nicht herleiten.
16
aa) Die Personalratswahlen in den betreffenden Bundesländern müssen bis spätestens 31. Mai 2010 stattfinden. Die ordnungsgemäße Vorbereitung der Wahl durch die Wahlvorstände erfordert einen erheblichen zeitlichen Vorlauf. Dass eine Entscheidung des Senats über die Rechtsbeschwerde der Antragsteller zu einem Zeitpunkt ergeht, in welchem sie bei der Durchführung der Wahl noch berücksichtigt werden könnte, ist ausgeschlossen.
17
bb) Dass es im nennenswerten Umfang zu Wahlanfechtungen gerade aus denjenigen Gründen kommen wird, die für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts maßgeblich waren, ist höchst ungewiss. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Beschäftigten der Kommunen das rechtliche Risiko eingehen werden, in ihre Wahlvorschläge Kolleginnen und Kollegen aufzunehmen, die in den letzten 6 Monaten vor der Wahl aus einer Arbeitsgemeinschaft “zurückgekehrt” sind, in welcher ihnen eine Tätigkeit zugewiesen war.
18
cc) Zur Darstellung einer vergleichbaren Rechtslage nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz einerseits und den Personalvertretungsgesetzen der betreffenden Bundesländer andererseits genügt es nicht, sich auf die spezielle Wählbarkeitsvoraussetzung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG zu konzentrieren. Es müssen auch alle weiteren wahlrechtlichen Bestimmungen in den Blick genommen werden, die unter rechtssystematischen Gesichtspunkten für die Auslegung Bedeutung erlangen können. In dieser Hinsicht kommen insbesondere die Vorschriften über den Erwerb und Verlust der Wahlberechtigung in Betracht. Hier unterscheiden sich teilweise die Personalvertretungsgesetze der betreffenden Länder sowohl untereinander wie auch im Verhältnis zum Bundespersonalvertretungsgesetz. So findet sich z.B. in 3 Landespersonalvertretungsgesetzen keine Regelung über den Verlust des Wahlrechts bei Zuweisung (§ 13 BrbgPersVG, § 11 MVPersVG, § 13 SAPersVG; vgl. zur Verschiedenheit der Rechtslage in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern: Beschluss vom 15. Mai 2008 – BVerwG 6 PB 20.07 – Buchholz 251.21 § 13 BrbgPersVG Nr. 1 Rn. 2 ff.).
19
Hinzu kommt, dass die tarifvertraglichen Bestimmungen, welche als arbeitsrechtliche Grundlagen für die Tätigkeit von Arbeitnehmern der Bundesagentur und der Kommunen in einer Arbeitsgemeinschaft in Betracht kommen und für die personalvertretungsrechtliche Bewertung Bedeutung erlangen können, nicht übereinstimmen (vgl. § 4 TV-BA einerseits und § 4 TVöD andererseits).
20
dd) Nach alledem erschöpft sich die mögliche Bedeutung einer Senatsentscheidung für die Rechtsbeschwerde der Antragsteller darin, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Über die hier angefochtene Personalratswahl hinaus hätte die Entscheidung lediglich die Bedeutung eines Rechtsgutachtens zu einer vergangenen Rechtslage. Der Funktion des Rechtsbeschwerdegerichts wird damit nicht hinreichend Rechnung getragen.


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