Arbeitsrecht

Zeitverlängerung bei Prüfungsarbeiten als Nachteilsausgleich aufgrund Lese- und Rechtschreibschwäche

Aktenzeichen  7 B 16.2604

Datum:
19.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30683
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayRaPO § 5 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Nachteilsausgleich aufgrund einer Lese- und Rechtschreibstörung darf nicht zu einer Überkompensierung von Prüfungsbehinderungen und damit zu einer Verletzung der Chancengleichheit der anderen Prüfungsteilnehmer führen. Die Maßnahmen des Nachteilsausgleichs haben sich an der konkreten Behinderung und der jeweiligen Prüfung zu orientieren.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 K 15.3025 2015-11-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 24. November 2015 wird abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für die Dauer seines Studiums im Studiengang Informatik (Bachelor) für sämtliche schriftlichen Prüfungsarbeiten und Klausuren als Nachteilsausgleich für die bei ihm vorliegende Lese- und Rechtschreibstörung eine Verlängerung der Bearbeitungszeit von 40% zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen trägt der Kläger ein Viertel und die Beklagte drei Viertel.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung.
Auf die zulässige Berufung hin war das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 24. November 2015 abzuändern. Die zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache teilweise Erfolg. Der Kläger hat wegen der Lese- und Rechtschreibstörung, unter der er leidet, einen Anspruch auf Nachteilsausgleich in Form der Verlängerung der Bearbeitungszeit für die bei sämtlichen schriftlichen Prüfungen und Klausuren gestellten Aufgaben in Höhe von 40%.
Der Kläger hat wegen der Lese- und Rechtschreibstörung, die ihm in dem im ersten Rechtszug eingeholten Sachverständigen-Gutachten attestiert worden ist, gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 der Rahmenprüfungsordnung für die Fachhochschulen (RaPO) vom 17. Oktober 2001 (GVBl S. 686, BayRS 2210-4-1-4-1-WFK), zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. August 2010 (GVBl S. 688), Anspruch auf Gewährung von Nachteilsausgleich, soweit dies zur Herstellung der Chancengleichheit erforderlich ist. Der Nachteilsausgleich darf jedoch nicht zu einer Überkompensierung von Prüfungsbehinderungen und damit zu einer Verletzung der Chancengleichheit der anderen Prüfungsteilnehmer führen. Die Maßnahmen des Nachteilsausgleichs haben sich an der konkreten Behinderung und der jeweiligen Prüfung zu orientieren (BayVGH, B.v. 28.6.2012 – 7 CE 12.1324 – juris Rn. 25).
Aufgrund der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 2. Oktober 2018 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass zum Ausgleich der beim Kläger bestehenden Lese- und Rechtschreibstörung eine Verlängerung der Bearbeitungszeit von schriftlichen Prüfungen und Klausuren von 40% erforderlich, aber auch ausreichend ist. Dies trifft auf alle Prüfungs- und Klausurtypen zu, unabhängig von weiteren Maßnahmen zum Ausgleich des Nachteils. In der Antwort auf Frage Nr. 4 führt der Sachverständige aus, dass andere Ausgleichsmaßnahmen die Verlängerung der Bearbeitungszeit nicht kompensieren könnten.
Die Erhöhung der Bearbeitungszeit um 40% ist aber auch hinreichend.
Auf die Frage des Senats, ob eine Bearbeitungszeitverlängerung von 50% unabdingbar zum Ausgleich des Nachteils erforderlich ist, ist der Sachverständige bei seiner Empfehlung in der ergänzenden Stellungnahme vom 19. Oktober 2017, die Bearbeitungszeit um mindestens 40% zu verlängern, geblieben. Auch wenn er meint, dass eine höhere Verlängerung in Betracht zu ziehen sei, hat er die Frage des Senats, ob die beantragte Prüfungszeitverlängerung von 50% erforderlich sei, nicht bejahen können, auch nicht im Hinblick auf Besonderheiten der Aufgabenstellung. Auf weitere Frage, ob eine geringere (als 50%) Verlängerung der Bearbeitungszeit gegebenenfalls in Verbindung mit anderen Maßnahmen unabdingbar erforderlich ist, hat er ausgeführt, dass eine geringere Verlängerung der Arbeitszeit als 40% in keinem Fall gerechtfertigt sei. Er hat aber auch keine höhere Verlängerung der Bearbeitungszeit gefordert.
Auch seine Antwort auf Frage Nr. 4 in der ergänzenden Stellungnahme vom 2. Oktober 2018, dass andere Ausgleichsmaßnahmen die Verlängerung der Bearbeitungszeit von mindestens 40% bzw. wie beantragt 50% nicht zu kompensieren vermögen, lässt nicht darauf schließen, dass eine höhere Arbeitszeitverlängerung als 40% erforderlich ist. Die Erwähnung der 50%igen Bearbeitungszeitverlängerung ist der Fragestellung geschuldet, die dahin ging, ob alternativ zu der beantragten Verlängerung der Bearbeitungszeit von 50% oder ggf. einer geringeren Bearbeitungszeitverlängerung andere Ausgleichsmaßnahmen hinreichend sein könnten. Indem er auch hier auf seinen Vorschlag einer Verlängerung um 40% Bezug nimmt und nur im Hinblick auf die Fragestellung die vom Kläger beantragte Verlängerung um 50% erwähnt, zeigt sich, dass er eine Bearbeitungszeitverlängerung von 40% für die geeignete Ausgleichsmaßnahme hält.
Insgesamt lässt sich der Stellungnahme entnehmen, dass eine Arbeitszeitverlängerung um 50% nicht erforderlich ist, vielmehr eine wie vom Sachverständigen schon früher vorgeschlagene Verlängerung der Bearbeitungszeit um 40% ausreicht. Eine für alle Fälle exakt zutreffende Verlängerung der Bearbeitungszeit lässt sich nicht bestimmen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in Einzelfällen bestehende Kompensationsdefizite ebenso wie Überkompensationen möglich sind. In Anbetracht der unterschiedlichen Aufgabenstellungen werden sie sich jedoch ausgleichen und sind hinzunehmen.
Weil der Klageantrag allein auf eine Verlängerung der Bearbeitungszeit um 50% gerichtet ist, war auf weitere Maßnahmen zum Nachteilsausgleich nicht einzugehen. Insoweit ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Abhilfebescheid vom 9. Dezember 2015 mit Ausnahme der dort gewährten Verlängerung der Bearbeitungszeit um 25% weiter in Kraft ist und dem Kläger eine klare Gliederung und Strukturierung der Aufgabentexte auf weißem Papier mit der Schriftgröße 16 Pt. zugesteht sowie, dass er jeweils in einem gesonderten Raum die Prüfung ablegen kann.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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