Baurecht

9 C 1/19

Aktenzeichen  9 C 1/19

Datum:
25.1.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:250121U9C1.19.0
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

1. Eine Revision, die im Übrigen den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügt, ist nicht allein deshalb unzulässig, weil die Revisionsbegründung sich mit der Frage, auf der die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung beruht, nicht auseinandersetzt.
2. Ein Durchführungsvertrag im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezieht sich anders als ein Erschließungsvertrag nicht auf eine gebietsbezogene Erschließung, sondern auf die Einzelerschließung eines Vorhabens im Sinne von § 30 BauGB im Rahmen eines Vorhaben- und Erschließungsplans. Er ist in § 12 BauGB spezialgesetzlich ausgestaltet.
3. Für eine auf Grund eines Durchführungsvertrags im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans hergestellte öffentliche Straße können nach § 12 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB keine Erschließungsbeiträge erhoben werden. Eine solche Straße stellt unabhängig von dem durch die tatsächlichen Verhältnisse vermittelten Gesamteindruck eine selbständige Erschließungsanlage dar.
4. Ein Privatweg kann nur dann als nächste von einem Grundstück aus erreichbare selbständige Straße die maßgebliche Erschließungsanlage sein, wenn er zum Anbau bestimmt und zur verkehrsmäßigen Erschließung der an ihn grenzenden Grundstücke geeignet ist. Dies setzt voraus, dass er diesen Grundstücken die wegemäßige Erschließung verschaffen kann, die für ihre zulässige bauliche oder gewerbliche Nutzung erforderlich ist.
5. Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Grundstück im Hinblick auf ein gemeindliches Verkehrskonzept ausnahmsweise auch durch eine Straße erschlossen sein kann, die ihm für sich genommen nicht die erforderliche wegemäßige Erschließung vermittelt.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 21. November 2018, Az: 15 A 78/16, Urteilvorgehend VG Köln, 10. November 2015, Az: 17 K 7898/13, Urteil

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. November 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die Grootestraße im Ortsteil Dransdorf der Beklagten.
2
Sie ist Eigentümerin von vier Flurstücken in der Gemarkung Bonn mit einer Gesamtgröße von 10 268 m². Auf ihnen befindet sich ein Nahversorgungszentrum mit einem Lebensmittelmarkt, einem Lebensmitteldiscounter und einem Drogeriemarkt. Das Nahversorgungszentrum liegt im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 7323-14, der für die Grundstücke der Klägerin ein Sondergebiet Nahversorgungszentrum festsetzt.
3
Nach Osten ist das Nahversorgungszentrum mit der Grootestraße über den als öffentliche Straße gewidmeten Vorgebirgsbahnweg verbunden, der eine Länge von 67 m hat und parallel zu einer südlich angrenzenden Straßenbahntrasse auf Höhe des Bendenwegs in die Grootestraße einmündet. Nach Norden besteht zur Grootestraße eine Verbindung über eine circa 100 m lange Zuwegung, die zum größten Teil auf dem weiteren der Klägerin gehörenden Flurstück Fl.Nr. …, Flur … der Gemarkung Bonn liegt. Lediglich an ihrem nördlichen Ende verläuft sie auf einer kurzen Strecke von der Grenze des Wegegrundstücks bis zum Geh- und Radweg der Grootestraße auf dem Straßengrundstück der Grootestraße.
4
Die Grootestraße hat eine Länge von 450 m und erstreckt sich von der Siemensstraße im Süden bis zur Justus-von-Liebig-Straße im Norden. Nördlich der Einmündung des Vorgebirgsbahnweges schwenkt sie im Bereich des Hauses Nr. 37 nach Nordwesten. Kurz vor ihrer Einmündung in die Justus-von-Liebig-Straße wendet sie sich in einer Rechtskurve wieder nach Norden. Im Bereich der Kurve befindet sich eine Linksabbiegespur, über die in die nördliche Zuwegung zum Nahversorgungszentrum und in eine nach Nordwesten abzweigende Stichstraße eingefahren werden kann.
5
Das Nahversorgungszentrum wurde ebenso wie der Vorgebirgsbahnweg und die nördliche Zuwegung von der Rechtsvorgängerin der Klägerin auf der Grundlage eines Vorhaben- und Erschließungsplans und eines darauf bezogenen Durchführungsvertrags vom 16. und 18. Februar 2010 errichtet. Der Vorhaben- und Erschließungsplan ist Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 7323-14, der am 18. Februar 2010 beschlossen und am 10. März 2010 bekannt gemacht wurde. Der Bebauungsplan setzt für den Bereich des Vorgebirgsbahnwegs eine öffentliche Verkehrsfläche und für den Bereich der nördlichen Zuwegung eine Fläche für Geh-, Fahr- und Leitungsrechte mit einer Beschränkung auf Kraftfahrzeuge mit einem Eigengewicht bis 3,5 t fest.
6
Mit Bescheiden vom 27. November 2013 zog die Beklagte die Klägerin zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für den Bereich der Grootestraße zwischen Haus Nr. 37 und der Justus-von-Liebig-Straße (einschließlich Stichstraße) in Höhe von insgesamt mehr als 95 000 € für ihre vier Flurstücke heran.
7
Auf die dagegen erhobene Anfechtungsklage hin hat das Verwaltungsgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen die Vorausleistungsbescheide aufgehoben, soweit für die vier Flurstücke eine höhere Vorausleistung als insgesamt 67 010,82 € festgesetzt ist. Zwar würden die Grundstücke der Klägerin durch die Grootestraße über die private Zuwegung erschlossen. Beitragsfähige Erschließungsanlage sei aber nicht die Teilstrecke der Grootestraße zwischen dem Haus Nr. 37 und der Justus-von-Liebig-Straße, sondern die Grootestraße in ihrer gesamten Länge von der Siemensstraße bis zur Justus-von-Liebig-Straße einschließlich der Stichstraße. Die Vorausleistungen seien daher zu hoch festgesetzt.
8
Das Oberverwaltungsgericht hat der von ihm zugelassenen Berufung der Klägerin stattgegeben, das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Vorausleistungsbescheide in vollem Umfang aufgehoben. Die Grundstücke der Klägerin seien durch die Grootestraße weder über die private Zuwegung noch über den Vorgebirgsbahnweg erschlossen. Die private Zuwegung über das Flurstück … sei mit einer Länge von 100,85 m unter Einbeziehung der Teilstrecke auf dem nördlich an das private Wegegrundstück angrenzenden Straßengrundstück der Grootestraße nach natürlicher Betrachtungsweise eine selbständige Erschließungsanlage. Der Vorgebirgsbahnweg sei unabhängig von dem Gesamteindruck, der sich aus den tatsächlichen Verhältnissen ergebe, eine selbständige Erschließungsanlage, weil er Gegenstand des mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin abgeschlossenen Erschließungsvertrags sei. Dieser beinhalte eine Regimeentscheidung, die die Anwendbarkeit des Erschließungsbeitragsrechts für die vom Erschließungsträger hergestellte Erschließungsanlage ausschließe.
9
Zur Begründung ihrer Revision, die das Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der erschließungsbeitragsrechtlichen Selbständigkeit einer auf Grund eines Erschließungsvertrags errichteten Teilstrecke einer Erschließungsanlage zugelassen hat, macht die Beklagte geltend: Die private Zuwegung sei keine eigenständige Erschließungsanlage. Soweit sie in die Grootestraße hineinreiche, handele es sich um eine Teilfläche der öffentlichen Verkehrsfläche, die ihr nicht zugerechnet werden könne. Sie sei deshalb nicht 100,85 m, sondern nur 96,63 m lang und vermittle auch im Übrigen nicht den Eindruck einer selbständigen Erschließungsanlage. Das hohe Verkehrsaufkommen begründe die schutzwürdige Erwartung der Anlieger, dass die Grundstücke der Klägerin in die Verteilung des Erschließungsaufwands für die Grootestraße einbezogen würden.
10
Im Hinblick auf entsprechende richterliche Hinweise führt die Beklagte ergänzend aus: Der Vorgebirgsbahnweg sei zwar rechtlich selbständig, weil er auf Grund eines Erschließungsvertrags hergestellt worden sei; Erschließungsbeiträge könnten für die Herstellung dieser Anlage nicht erhoben werden. Er stelle sich aber als unselbständige Stichstraße dar, die im Falle ihrer Herstellung durch die Beklagte als Bestandteil der Grootestraße anzusehen gewesen wäre. Aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit seien alle Grundstücke, die an eine unselbständige Stichstraße angrenzten, am Aufwand für die Straße zu beteiligen, von der die Stichstraße abzweige. Deren Anlieger dürften dies schutzwürdig erwarten. Die Grundstücke der Klägerin seien daher in die Verteilung des Aufwands für die Grootestraße einzubeziehen.
11
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. November 2018 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 10. November 2015 zurückzuweisen.
12
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
13
Sie hält die Revision für unzulässig, weil die Revisionsbegründung sich nicht mit der Rechtsfrage befasse, deretwegen die Revision zugelassen worden sei. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil.
14
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.


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