Baurecht

Abweichung von einer Satzung hinsichtlich der Farbe der Dacheindeckung

Aktenzeichen  M 9 K 15.5779

Datum:
27.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 63 Abs. 1, Abs. 3, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Wenn eine beabsichtigte Dacheindeckung mit ihrem dunklen Erscheinungsbild deutlich von dem nach einer Gestaltungssatzung gewollten Erscheinungsbild abweicht und in einer durch Rottöne geprägten Dachlandschaft als Fremdkörper wahrgenommen wird, liegt keine atypische Fallgestaltung vor, die eine Abweichung rechtfertigt.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer isolierten Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BayBO. Der Bescheid der Beklagten vom … November 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die hier in Streit stehenden Bestimmungen B.6.2 OGS und B.8.1 OGS sind wirksam (1.). Die von den Klägern gewählte Dacheindeckung sowie die Fassadenfarbe bedürfen einer Abweichung von der OGS (2.). Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung sind nicht gegeben, da keine atypischen Verhältnisse vorliegen (3.).
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere haben die Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung über die begehrte isolierte Abweichung, da B.6.2 OGS und B.8.1 OGS eine wirksame Rechtsgrundlage für die von der Beklagten geforderte Dach- und Fassadengestaltung darstellen.
Gemäß B.6.2 OGS sind bei geneigten Dächern Eindeckungen mit dem Erscheinungsbild von naturroten bis rotbraunen Tonziegeln oder Betondachsteinen zu verwenden. Dies gilt nicht für untergeordnete Bauteile gemäß Art. 6 Abs. 8 BayBO. Unzulässig sind hochglänzend beschichtete Eindeckungen. Gemäß B.8.1 OGS sind Putzflächen „in Weißtönen zu streichen.“
Die Beklagte konnte diese Regelungen auch bei Berücksichtigung des im Ortsteil … vorhandenen Baubestands treffen, ohne den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage in Art. 81 BayBO zu überschreiten. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO gestattet den Gemeinden, im eigenen Wirkungskreis örtliche Vorschriften über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern zu erlassen. Die Gemeinden sind deshalb nicht auf die Abwehr verunstaltender Anlagen beschränkt, sondern haben darüber hinaus die Möglichkeit, positive Gestaltungspflege zu betreiben (BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14.170 – juris Rn. 20). Sie haben einen beträchtlichen gestalterischen Spielraum und dürfen im Rahmen der positiven Pflege der Baukultur auch einen strengen ästhetischen Maßstab anlegen (BayVGH a.a.O.). Auch wenn im Ortsteil … bereits eine größere Zahl von Gebäuden mit dunkler Dacheindeckung und farbigen Fassaden vorhanden sind, hindert das die Beklagte somit nicht daran, im Rahmen dieses Gestaltungsspielraums auch auf eine positive Gestaltung durch eine sukzessive Herstellung der Einheitlichkeit der Dachlandschaft und der Fassaden hinzuwirken (BayVGH, B.v. 10.11.2014 – 2 ZB 13.2429 – juris Rn. 3). Dies gilt hier umso mehr, als die Dachlandschaft nach dem dem Gericht vorliegenden aktuellen Luftbild eindeutig durch ziegelrote Dächer geprägt wird und eine Entwicklung zu einer einheitlichen Dachlandschaft angesichts des geringen Anteils dunkler Dacheindeckungen ohne weiteres möglich ist.
Gleiches gilt für die Fassadenfarbe. Beim gerichtlichen Augenschein war festzustellen, dass Fassaden mit weißen Putzflächen deutlich überwiegen. Die von den Klägern dargelegten Fälle, bei denen eine abweichende Gestaltung im Bestand festzustellen ist, stehen der Verwirklichung der Satzungsregelung nicht entgegen, da eine sukzessive Veränderung und Vereinheitlichung der Gestaltung absehbar und möglich ist.
Die Bestimmung B.6.2 OGS ist auch nicht aufgrund der für die Farbgebung gewählten Formulierung unbestimmt und damit unwirksam. Durch die Regelung „ziegelrot bis rotbraun“ hat die Beklagte ein Spektrum an Farbtönen vorgeben wollen, in denen der Rotanteil mitprägend in Erscheinung tritt. In dieser Form trägt die Formulierung dem Bestimmtheitsgrundsatz ausreichend Rechnung. Der Wille des Normgebers ist bei Berücksichtigung der Verkehrsauffassung ohne weiteres zu erschließen (BayVGH, U.v. 12.5.2005 – 26 B 03.2454 – juris Rn. 29). Auch die farbliche Gestaltung von Putzflächen mit „Weißtönen“ ist hinreichend bestimmt in diesem Sinne.
2. Nach dem Ergebnis des Augenscheins widersprechen die von den Klägern gewählten Farben B.6.2 OGS und B.8.1 OGS. Zur unveränderten Beibehaltung des Farbtons der Dacheindeckung der Kläger ist eine Abweichung von der OGS gemäß Art. 63 BayBO i.V.m. B.15.1 OGS erforderlich. Wie die Kläger selbst mit ihrer Antragstellung einräumen, ist die bestehende Dacheindeckung dunkelbraun. Die Putzfassade ist nach dem Ergebnis des Augenscheins in einem kräftigem Gelb gestrichen.
3. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung von B.6.2 OGS und B.8.1 OGS. Der Bescheid der Beklagten vom … November 2015 ist rechtmäßig.
Nach Art. 63 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BayBO kann die Gemeinde Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Eine Abweichung verlangt einen von der Regel abweichenden Sonderfall und eine atypische Situation (VG München, U.v. 8.8.2012 – M 9 K 10.5497 – juris Rn. 32). Eine solche Atypik setzt einen Unterschied des zu entscheidenden Falles vom normativen Regelfall voraus (BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris). Demgegenüber kann sich die Atypik nicht aus vergleichbaren Fällen in der Umgebung ergeben (BayVGH a.a.O.).
Eine atypische Fallgestaltung in diesem Sinne liegt hier nicht vor. Vielmehr handelt es sich um den normativen Regelfall. Die Dacheindeckung des klägerischen Anwesens weicht mit ihrem dunklen Erscheinungsbild deutlich von dem nach der Satzung gewollten Erscheinungsbild ab. In einer durch Rottöne geprägten Dachlandschaft wird das Dach als Fremdkörper wahrgenommen. Selbst in dem Luftbild, das dem Gericht vorliegt, ist die Dachfläche des klägerischen Hauses aufgrund seiner abweichenden Dacheindeckung deutlich zu erkennen, obwohl der gesamte Ortsteil abgebildet ist. Dies gilt umso mehr, als die Dachgestalt für das Ortsbild von besonderer Bedeutung ist. Die Dachfarbe ist wegen der geringen Höhe des Hauses der Kläger und aufgrund seiner Lage an einer größeren Straße im Umfeld besonders deutlich wahrzunehmen. Aufgrund der großen Fläche von Dächern wirkt die Farbgebung dort besonders stark auf das Ortsbild.
Ähnliches gilt auch für die Fassadenfarbe. Die gewählte Farbgebung ist der gewünschten weißen Außenwandgestaltung diametral entgegengesetzt. Eine atypische Fallgestaltung liegt nicht vor. Die Farbgebung wirkt wegen der Lage an der Straße auf ein weites Umfeld.
Das Fehlen atypischer Verhältnisse lässt sich nicht durch den Verweis auf bestehende Gebäude ähnlicher Gestaltung begründen. Wie unter 1. bereits ausgeführt, wird der Ortsteil durch rote Dächer und weiße Fassaden geprägt. Das Vorhandensein älterer Gebäude, für die die heutigen Gestaltungsanforderungen bei Errichtung nicht galten, zwingt die Beklagte nicht, durch Erteilung von Abweichungen faktisch auf die ihr durch Art. 81 BayBO zugestandene positive Gestaltungspflege zu verzichten. Würde die Beklagte im Fall der Kläger von der Anforderung einer rötlich geprägten Dacheindeckung oder einer weißen Fassade abweichen, so wäre sie gezwungen, dies in jedem beliebigen anderen Fall ebenso zu tun. Die Einhaltung der Bestimmungen könnte nicht mehr durchgesetzt werden.
In gleicher Weise können die den Klägern für die Umgestaltung des Gebäudes möglicherweise entstehenden Kosten nicht zur Begründung atypischer Verhältnisse herangezogen werden. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist allein die Zulassung einer abweichenden Gestaltung, nicht die erst noch zu erwartende Beseitigungsanordnung. Selbst bei der Beseitigungsanordnung können die Kosten derselben nicht zu einer ermessensbindenden Unverhältnismäßigkeit führen (Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2016, Art. 76 Rn. 245 mit zahlreichen Nachweisen). Erst recht lässt sich aus diesem Umstand kein Anspruch auf Gewährung einer Abweichung ableiten.
Die Möglichkeit, eine in Teilen dunkle Dacheindeckung durch die Installation einer Solaranlage entsprechend B.14.1 OGS zu realisieren, bleibt den Klägern unbenommen, zwingt die Beklagte indes nicht, gleichsam vorauseilend eine dunkle Dacheindeckung zuzulassen. Die angesichts der Dachausrichtung wenig nachvollziehbare Behauptung des Klägers zu 1. in der mündlichen Verhandlung, er werde 70% des Daches mit Solaranlagen versehen, kann im Rahmen der Ausnahmeregelung des B.14.1 OGS berücksichtigt werden. Die Beklagte ist wegen der Möglichkeit von Ausnahmen nicht gezwungen, von einer regelmäßigen Dachfarbgebung abzuweichen.
Die von den Klägern genannten Bezugsfälle können den geltend gemachten Anspruch ebenfalls nicht begründen. Die Kläger können insoweit keine Gleichbehandlung beanspruchen. Es handelt sich nach der unwidersprochenen Darstellung der Beklagten um Häuser, die nicht durch die Erteilung einer Abweichung entstanden sind.
Ebensowenig lässt sich mit der behaupteten Unkenntnis der Kläger über die Bestimmungen der OGS ein Anspruch auf Abweichung begründen. Selbst für einen juristischen Laien dürfte nachvollziehbar sein, dass die Unkenntnis einer Vorschrift nicht zu einem Anspruch auf Suspendierung von derselben führen kann.
Die Beklagte hat die Erteilung einer Abweichung zu Recht wegen des Fehlens besonderer atypischer Umstände abgelehnt.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kläger haben gemäß § 154 Abs. 1, § 159 VwGO die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
Der Beigeladene trägt gemäß § 162 Abs. 3 VwGO seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er sich nicht durch die Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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