Baurecht

Leistungsverzeichnis, Nachprüfungsverfahren, Vergabeverfahren, Vergabeunterlagen, Öffentlicher Auftraggeber, Preisangaben, Entscheidungen der Vergabekammer, Verfahren vor der Vergabekammer, Nachprüfungsantrag, Beteiligte Bieter, Anderer Bieter, Nachforderung, Verfahrensbevollmächtigter, Zulagen, Unternehmensbezogenheit, Unangemessen niedriger Preis, Sofortige Beschwerde, Angebotsausschluss, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung, Verdingungsunterlagen

Aktenzeichen  RMF-SG21-3194-5-11

Datum:
23.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfBR – 2020, 913
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Die Angabe von „0,00“ € ist eine Preisangabe. Die Prüfung des Angebots auf Vollständigkeit beschränkt sich auf die Feststellung, ob die vom Auftraggeber geforderten Unterlagen physisch beigebracht wurden. Eine darüber hinaus gehende inhaltliche Kontrolle, ob die Preisangaben des Bieters inhaltlich richtig sind, findet bei der formalen Prüfung nicht statt.
2. Sind für einen Auftraggeber Einzelpreiseintragungen nicht nachvollziehbar, darf er das Angebot nicht ohne weiteres ausschließen. Vielmehr ist dem Bieter Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit auszuräumen. Ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis darf grundsätzlich nur dann ausgeschlossen werden, wenn zuvor vom Bieter in Textform Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen verlangt worden ist und der Bieter nicht den Nachweis einer ordnungsgemäßen Kalkulation erbracht und damit die begründeten Zweifel, dass dieser Bieter den Auftrag vertragsgerecht erfüllen wird, nicht ausgeräumt hat.
3. Nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A sind Angebote nicht auszuschließen, bei denen lediglich in unwesentlichen Positionen die Angabe des Preises fehlt und sowohl durch die Außerachtlassung dieser Positionen der Wettbewerb und die Wertungsreihenfolge nicht beeinträchtigt werden als auch bei der Wertung dieser Positionen mit dem jeweils höchsten Wettbewerbspreis. Der öffentliche Auftraggeber fordert den Bieter auf, die fehlenden Preispositionen zu ergänzen.
4. Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Verdingungsunterlagen dann vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine unzulässige Änderung durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB festzustellen. Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Entscheidung der VSt, die ASt vom Vergabeverfahren auszuschließen, rechtswidrig ist.
2. Bei Fortbestehen der Vergabeabsicht hat die VSt das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen.
3. Die VSt und die BGI tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt je zur Hälfte.
4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die ASt war notwendig.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt …,- €.
Auslagen sind nicht angefallen.
6. Die VSt ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Gründe

Sachverhalt:
1. Die VSt hat den Einbau eines Edelstahlbeckens im Zuge der Generalsanierung des … schwimmbades als Los 2 im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Bauarbeiten wurden im Supplement zum Amtsblatt der EU am … veröffentlicht.
Nebenangebote waren nach Ziffer 11.2.10 der Bekanntmachung nicht zugelassen. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis (Ziffer 6 der Angebotsaufforderung).
2. Am Wettbewerb beteiligt haben sich 4 Bieter. Der Eröffnungstermin fand am … statt. Der Verhandlungsleitung lagen zur Eröffnung 4 Angebote vor. Laut Submissionsprotokoll liegt das Angebot der ASt mit … € Brutto an erster Stelle, das Angebot der BGI endet bei … € Brutto.
3. Mit Schreiben vom 21.04.2020 teilte die VSt mit, dass am 04.05.2020 beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der BGI zu erteilen. Das Angebot der ASt sei von der Wertung ausgeschlossen worden, weil es Preise nicht enthalte und weil geforderte Erklärungen oder Nachweise weder im Angebot enthalten waren noch entsprechend der Aufforderung rechtszeitig vorgelegt worden seien.
Im Absageschreiben heißt es dazu wörtlich:
„Erläuterung: ZAVs aus dem Leistungsverzeichnis fehlten. LV Pos. 5.04.01.002, – 006, 5.04.05.002, – 004, – 006, – 009 nicht ausgefüllt.“
4. Die ASt rügte am 28.04.2020 den Ausschluss ihres Angebots.
Die Angaben zu den Leistungsverzeichnis-Positionen 5.04.01.002, 5.04.01.006, 5.04.05.002, 5.04.05.004, 5.04.05.006, 5.04.05.009 seien keineswegs unvollständig. Die ASt habe hier jeweils als Einheitspreis einen Betrag von „0,00“ angegeben. Die Angabe von Einzelpreisen in Höhe von „0,00 €“ sei zulässig und rechtfertige nicht den Ausschluss des Angebots.
Durch die Neuregelung von § 16 a EU VOB/A im Zuge der VOB-Novelle 2019 sei neu festgelegt worden, dass auch mehrere fehlende unwesentliche Preisangaben nachzufordern seien. Vorliegend sei die Eintragung lediglich bei sechs Positionen von insgesamt fast 120 Positionen strittig. Es sei damit lediglich ein sehr geringer Teil der Positionen betroffen, die überdies im Hinblick auf den Gesamtangebotspreis von mehr als … Mio. € einen sehr geringfügigen wertmäßigen Anteil am Gesamtwert der Leistungen haben würden. Zudem seien keine Hauptpositionen betroffen, sondern „Zulage“-Positionen erfasst, welche weder die Hauptarbeitsleistung noch die wesentlichen Materialien bzw. Lieferposten betreffen würden. Der Wert dieser Positionen seien daher völlig untergeordnet.
Die Wertungsreihenfolge sowohl durch die Außerachtlassung dieser Positionen als auch bei Wertung dieser Positionen mit dem jeweils höchsten Wettbewerbspreis würde sich nicht verändern. Wie die Submission gezeigt habe, besteht zwischen dem Gesamtangebotspreis der ASt und dem des Zweitplatzierten eine Differenz von knapp … €. Aufgrund dieser Differenz nehme die ASt an, dass sich die Reihenfolge der Bieter im Hinblick auf den Preis weder dadurch verändert, dass bei allen anderen Bietern die Leistungsverzeichnis-Positionen 5.04.01.002, 5.04.01.006, 5.04.05.002, 5.04.05.004, 5.04.05.006, 5.04.05.009 auf „0,00 Euro“ gesetzt werden noch dadurch, dass im Angebot unserer Mandantin der höchste Einzel-Wettbewerbspreis bei diesen sechs Positionen eingetragen wird. Insoweit habe die VSt entsprechende Berechnungen vorzunehmen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem Ergebnis führen werden, dass das Angebot der ASt stets den niedrigsten Gesamtangebotspreis ausweise.
Das Angebot könne auch nicht wegen fehlender „ZAVs aus dem Leistungsverzeichnis“ ausgeschlossen werden. Die ASt habe die Zusätzlichen Allgemeinen Vertragsbedingungen (ZAV) eingereicht. Lediglich die auf den Seiten 4 und 5 darzustellenden Referenzanlagen seien – aus Platzgründen – in einem separaten Dokument erfasst. Die behauptete Unvollständigkeit liege daher nicht vor.
Selbst wenn man eine Unvollständigkeit unterstellen würde, müsse die VSt die fehlenden Unterlagen zwingend nachfordern. Dies gelte insbesondere für die Abnahme- und Färbeversuchprotokolle, die die ASt – mangels Aufforderung – bisher noch nicht eingereicht habe.
5. Mit Telefax vom 30.04.2020 stellt die ASt Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und beantragt
1. festzustellen, dass die Entscheidung der VSt, die ASt vom Vergabeverfahren auszuschließen, rechtswidrig war,
2. der VSt bei fortbestehendem Beschaffungsbedarf aufzugeben, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und die nachfolgend geltend gemachten Vergabefehler zu beseitigen,
3. der VSt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt,
4. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu erklären.
Weiter beantragt die ASt,
ihr Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren.
Zur Begründung wiederholt und vertieft die ASt die Ausführungen in ihrer Rüge.
6. Am 30.04.2020 übermittelte die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag an die VSt.
7. Mit Schreiben vom 06.05.2020 rügte die ASt, dass die Eignungskriterien nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden und somit unwirksam seien. In der Auftragsbekanntmachung sei anzugeben, mit welchen Unterlagen die Bieter ihre Eignung zu belegen haben. Entscheidend sei, dass die Angaben unmittelbar im Bekanntmachungstext enthalten sind (§ 122 Abs. 4 Satz 2 GWB).
Diesen Anforderungen würde die Auftragsbekanntmachung nicht genügen. In den Unterabschnitten III.1.2 und III.1.3 fänden sich lediglich die Angabe „Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen“. Es sei aus dem Bekanntmachungstext damit nicht ersichtlich, welche konkreten Eignungskriterien in Bezug auf wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die technisch berufliche Leistungsfähigkeit von Auftraggeberseite festgelegt worden seien. Somit könne der Ausschluss eines Bieters nicht auf ungenügende unternehmensbezogene Unterlagen gestützt werden.
8. Die VSt hat die Vergabeakte vorgelegt und beantragt mit Schreiben vom 22.05.2020,
1. den Nachprüfungsantrag in Gestalt der mit Schriftsatz vom 30.04.2020 gestellten Anträge zu 1) bis zu 3) als unbegründet abzulehnen;
2. den Antrag auf Akteneinsicht abzulehnen;
3. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der VSt für notwendig zu erklären;
4. der ASt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zweckentsprechenden Kosten der Rechtsverteidigung der VSt aufzuerlegen.
Der Nachprüfungsantrag sei nicht begründet.
Gemäß § 16 EU Nr. 2, § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A seien Angebote auszuschließen, welche die geforderten Preise nicht enthalten.
Die ASt habe in den Positionen
5.04.01002
Zulage Rinnenabschlussprofil gerade
264,00 lfm
5.04.01.006
Bodeneinsteckwinkel Wand unten gerade
270,00 lfm
5.04.05.002
Zulage Rinnenrost gerade Breite bis 450 mm, verstärkte Ausführung
235,00 lfm
5.04.05.004
Zulage Rinnenrost gerade Breite bis 250 mm, verstärkte Ausführung
29,00 lfm
5.04.05.006
Zulage Rinnenrost halbkreisförmig Breite bis 450 mm, verstärkte Ausführung
13,30 Ifm
5.04.05.009
Zulage Sicherheitsfarbe
31,00 Ifm
keinen Preis eingetragen, sondern die Felder leer gelassen. Die Preisangaben seien auch wesentlich. Eine Nachforderung sei daher gem. § 16 a EU Abs. 2 S. 1 VOB/A nicht zulässig gewesen.
Im Angebot der ASt würden die mit Angebotsabgabe geforderten Nachweise der Abnahme- und Färbeversuchsprotokolle zu den angeführten Referenzen fehlen.
Weiter sei unklar der Eintrag in FB 235. Dort habe die ASt angegeben, dass sie die Leistung 05.04.01 Beizreinigung weitervergeben wolle. Im LV sei jedoch mit 05.04.01 der Beckenkörper bezeichnet. Die Beizreinigung beziehe sich auf Pos. 05.02.01.002 auf die Endreinigung nach Fertigstellung. Deswegen müsse wegen widersprüchlichen Angaben im Formblatt 235 das Angebot der ASt ausgeschlossen werden. Es sei nicht ersichtlich, für welche LV-Positionen die ASt einen Subunternehmer einsetzen wolle.
Die ASt habe auch den geforderten Nachweis eines firmeneigenen Schweißfachingenieurs nicht erbracht. Die ASt habe Herrn … für die Schweißaufsicht benannt. Wegen dessen Alter bezweifele die VSt, dass Her… bei der Baustelle involviert sei.
9. Mit Schreiben vom 27.05.2020 lässt die ASt unter Verweis auf ihre Rüge vom 06.05.2020 vortragen, dass ein Ausschluss ihres Angebotes nicht auf fehlende unternehmensbezogene Unterlagen gestützt werden könne.
Selbst bei Unvollständigkeit des Angebots der ASt, sei die VSt verpflichtet die Angaben nachzufordern.
Dies gelte auch für die sechs streitigen Einzelpositionen. In der Neuregelung von § 16 a EU VOB/A sei festgelegt, dass auch mehrere fehlende Einzelpreise nachzufordern seien. Relevant sei, ob es sich um unwesentliche Preisangaben handle.
Dies sei vorliegend gegeben. Die fehlenden Einzelpreise seien im Hinblick auf ihre Höhe und ihrer Einzelleistungen als unwesentlich einzuordnen. Die VSt habe selbst ausgeführt, dass die fehlenden Preise sich bei Berücksichtigung der jeweiligen Höchstpreise der weiteren Bieter auf lediglich ca. … € belaufen würden. Angesichts der Preisdifferenz vor € zwischen dem günstigsten und dem zweitgünstigsten Angebot könne der Betrag von ca. … € bereits mathematisch gesehen die Reihenfolge zwischen Erst- und Zweitplatzierten nicht verändern.
Die ASt habe auch die Zulage-Leistungen nicht in die Hauptpositionen eingepreist. Sie habe jeweils Produkte angeboten, welche die in der Grundposition umschriebenen Eigenschaften und die in der Zulage-Position genannten Merkmale füllen würden. So werde bspw. die in der Zulage-Position 5.04.05.002 enthaltene Eigenschaft („Zulage für die Ausführung von verstärkten Rinnenrosten, Bruchlast Punktbelastung > 200 kp“) bereits durch den von der ASt standardmäßig angebotenen Rinnenrost erfüllt (siehe Produktblatt, welches eine Bruchlast von > 300 kp ausweist). Die ASt erwerbe diese Produkte standardmäßig mit diesen Merkmalen und zahle hierfür einen Preis. Sie habe folgerichtig damit auch in ihrem Angebot für das jeweilige Produkt nur einen Preis angegeben.
Die VSt moniere, dass die Abnahme- und Färbeversuchsprotokolle nicht vorgelegt worden seien. Die Vorlage der Abnahme- und Färbeversuchsprotokolle sei in der Auftragsbekanntmachung nicht als Vorgabe gesetzt worden, deshalb könne ein Ausschluss des Angebots nicht auf das Fehlen dieser Unterlagen gestützt werden.
Auch wegen den Eintragung im Formblatt 235 könne das Angebot der ASt nicht ausgeschlossen werden. Bei den Angaben auf dem Formblatt – „Position 05.04.01“ und „Beizreinigung“ handele es sich um eine offensichtliche Fehleintragung. Offensichtliche Fehleintragungen sollen nach den Grundgedanken des Vergaberechts nicht zum Ausschluss eines Angebots fuhren. Vielmehr ist der Auftraggeber in diesen Fällen dazu verpflichtet, dem Bieter die Möglichkeit zu geben, den inhaltlichen Fehler zu korrigieren. Ein öffentlicher Auftraggeber dürfe ein Angebot wegen widersprüchlicher Angaben nicht ohne Weiteres von der Wertung ausnehmen, ohne den von einem Ausschluss bedrohten Bieter zuvor zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert und ihm Gelegenheit gegeben zu haben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen. Diese zwingend notwendige Aufklärung durch den Antragsgegner sei bisher nicht erfolgt.
Die VSt habe auch nicht das Angebot wegen des angegebenen Schweißfach-Ingenieurs Herrn … ausschließen können.
10. Der Vorsitzende hat am 28.05.2020 die Entscheidungsfrist bis einschließlich 10.07.2020 verlängert.
11. Am 04.06.2020 wurde die Fa. zum Verfahren beigeladen.
12. Am 09.06.2020 schließt sich die BGI
den Anträgen aus Ziffer 1-3 der VSt aus dem Schriftsatz vom 22.05.2020 im vollen Umfang an und beantragt zusätzlich,
der ASt die notwendigen Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zweckentsprechenden Kosten der BGI aufzulegen.
13. Am 9.6.2020 nimmt die VSt zum Schriftsatz der ASt vom 25.5.2020 Stellung:
Die ASt habe das Leistungsverzeichnis lediglich als GAEB Datei abgegeben. In dieser GAEB Datei seien die strittigen Positionen mit keinerlei Preisangabe (auch nicht mit 0,00) versehen.
Technisch seien insbesondere die Positionen
a)
5.04.01.002
Zulage Rinnenabschlussprofilgerade
b)
5.04.01.006
Bodeneinsteckwinkel Wand unten gerade
c)
5.04.05.009
Zulage Sicherheitsfarbe
von wesentlicher Bedeutung, unabhängig vom Preis der Leistung. Auf die technischen Ausführungen im Schriftsatz wird verwiesen.
Die ASt habe in den Positionen
Pos. 5.04.05.002
Zulage Rinnenrost
Pos. 5.04.05.009
Zulage Sicherheitsfarbe
Pos. 5.04.01.002
Zulage Rinnenabschlussprofil gerade
eine Mischkalkulation angeboten, weil sie nicht die Preise – so wie gefordert – als Zulage zur Standardausführung angegeben habe. Auf die umfangreichen Ausführungen der ASt hierzu im Schriftsatz wird verwiesen.
Bei der Pos. 5.04.01.006 Bodeneinsteckwinkel Wand unten gerade, biete die ASt erkennbar aus beigelegten Zeichnungen
-Wand 1, selbsttr. K.str., Standard
-Wand 2, schlaffe Auskl., Standard
-Wand 3, selbsttragend, Standard
eine technische Änderung zum LV an. So heiße es in Pos. 5.04.01.006 „Das Auflegen der Bodenbleche auf die Wandumkantung ist nicht akzeptabel und wird nicht zur Ausführung freigegeben“.
Die ASt würde hier die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses ändern. Die beigelegten Konstruktionszeichnungen der ASt würden belegen, dass das Bodenblech ohne unteren Winkel auf die Wandblechaufkantung aufliege.
14. In ihrer Stellungnahme vom 19.06.2020 bleibt die ASt dabei, dass der Nachprüfungsantrag begründet sei, da die VSt die ASt zu Unrecht aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen habe.
Insbesondere habe die ASt sämtliche Einzelpreise in einem Kurz-Leistungsverzeichnis angeboten. Das Kurz-LV sei bei der Angebotsabgabe aus Versehen in das Dokument „Nachweise zur Beckenkonstruktion“ gerutscht.
Auf die weiteren Ausführungen im Schriftsatz wird verwiesen.
15. In der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 hatten die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Auf das diesbezügliche Protokoll wird verwiesen.
Die ASt bekräftigt Ihre Anträge aus dem Nachprüfungsantrag vom 30.04.2020.
Die VSt und die BGI bleiben bei ihren schriftsätzlich vorgetragen Anträgen vom 22.05.2020 und 09.06.2020.
Bebründung:
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Bei dem ausgeschriebenen Vertrag handelt es sich um einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB.
c) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
d) Die Gesamtkosten des Vorhabens übersteigen den Schwellenwert nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB)
Die hier streitgegenständlichen Edelstahlbecken mit einem Auftragswert von > 1 Mio. € sind ein Teillos dieser Maßnahme. Dementsprechend hat die VSt die Ausschreibung als Offenes Verfahren im Amtsblatt der EU bekannt gemacht.
Damit ist der rechtliche Rahmen für eine Nachprüfung nach §§ 115 ff GWB festgelegt.
e) Der Zuschlag an die BGI wurde noch nicht erteilt (§ 168 Abs. 2 GWB).
f) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hat als beteiligte Bieterin ein Interesse am Auftrag und schlüssig dargetan, dass ihr durch die behauptete Rechtsverletzung ein Schaden entsteht bzw. zu entstehen droht (§ 160 Abs. 2 GWB).
g) Die ASt hat am 28.04.2020 den Ausschluss ihres Angebotes rechtzeitig gerügt, nachdem ihr das Absageschreiben vom 21.04.2020 zugegangen war.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet
Die VSt hat das Angebot der ASt zu Unrecht ausgeschlossen. Der Vorwurf der VSt, im Angebot der ASt hätten Preise gefehlt und das Angebot habe das Leistungsverzeichnis technisch geändert, ist unzutreffend. Es ist der VSt deshalb aufzuerlegen, die Angebotswertung unter Berücksichtigung des Angebots der ASt durchzuführen.
a) Nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A sind Angebote auszuschließen, die nicht die geforderten Preise enthalten. Das Angebot der ASt enthält alle geforderten Preisangaben
aa) Ausweislich der Vergabeunterlagen, hat die ASt ein Kurz LV ihrem Angebot beigefügt. Dort sind in den Positionen 5.04.01.002, 5.04.01.006, 5.04.05.002, 5.04.05.004, 5.04.05.006 und 5.04.05.009 jeweils die Preise mit „0.00“ angegeben.
bb) Die VSt kann diese Eintragungen nicht mit dem Argument unberücksichtigt lassen, in der von ihr kontrollierten GAEB-Datei hätten die Preise gefehlt. Das Kurz-LV hat dem Angebot der ASt als pdf-Datei beigelegen. Diese Datei darf die VSt bei der Prüfung der Vollständigkeit der Angebote nicht unberücksichtigt lassen.
Bieter können für die Angebotsabgabe eine Kurzfassung des Leistungsverzeichnisses benutzen, wenn sie den vom Auftraggeber verfassten Wortlaut des Leistungsverzeichnisses im Angebot als allein verbindlich anerkennen (§ 13 EU Abs. 1 Nr. 6 VOB/A). In Ziffer 3.3 der Teilnahmebedingungen für die Vergabe von Bauleistungen hat die VSt Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses zugelassen.
cc) Die Angabe von „0,00“ Euro ist eine Preisangabe. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung genügt die Preisangabe „0.00“ der Forderung eines Preises. Die Prüfung des Angebots auf Vollständigkeit beschränkt sich auf die Feststellung, ob die vom Auftraggeber geforderten Unterlagen physisch beigebracht wurden. Eine darüber hinaus gehende inhaltliche Kontrolle, ob die Preisangaben des Bieters inhaltlich richtig sind, findet bei der formalen Prüfung nicht statt.
dd) Sind für einen Auftraggeber Einzelpreiseintragungen nicht nachvollziehbar, darf der Auftraggeber nicht ohne weiteres das Angebot ausschließen. Vielmehr ist dem Bieter Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit auszuräumen. Ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis darf grundsätzlich nur dann ausgeschlossen werden, wenn zuvor vom Bieter in Textform Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen verlangt worden ist und der Bieter nicht den Nachweis einer ordnungsgemäßen Kalkulation erbracht und damit die begründeten Zweifel, dass dieser Bieter den Auftrag vertragsgerecht erfüllen wird, nicht ausgeräumt hat (VHB Bund, Ausgabe 2017 Stand 2019 Richtlinie zu 321 Ziffer 5.3). Das Ergebnis der Aufklärung ist im Vergabevermerk festzuhalten.
Zwischen den Streitparteien hat eine Preisaufklärung unstreitig nicht stattgefunden. Der im Nachprüfungsverfahren erstmals von der VSt erhobene Vorwurf einer Mischkalkulation geht deshalb ins Leere.
ee) Da die Preisangaben im Angebot der ASt nicht fehlten, kann dahinstehen, ob die Preisangaben nachgefordert hätten werden müssen.
Nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A sind Angebote nicht auszuschließen, bei denen lediglich in unwesentlichen Positionen die Angabe des Preises fehlt und sowohl durch die Außerachtlassung dieser Positionen der Wettbewerb und die Wertungsreihenfolge nicht beeinträchtigt werden als auch bei Wertung dieser Positionen mit dem jeweils höchsten Wettbewerbspreis. Der öffentliche Auftraggeber fordert den Bieter auf, die fehlenden Preispositionen zu ergänzen.
Vor dem Hintergrund des durch die VOB/A 2009 angestoßenen Regelungsprogramms zur Dezimierung der Angebotsausschlüsse ist es angezeigt, Fälle mit fehlenden Preisangaben genauso zu behandeln wie geringfügige Mängel in Gestalt fehlender Erklärungen oder Nachweise. Deren Fehlen gilt seither als wettbewerblich zu marginal für einen Ausschluss wegen vermeintlich nicht mehr gewährleisteter Vergleichbarkeit mit anderen Angeboten, weshalb ein Nachreichen gestattet wird. Das Fehlen einzelner Preise ist so lange reparabel, wie der Rang des Angebots bei Einsetzung des höchsten Vergleichspreises unverändert bleibt (Jochem Gröning: Grenzen des Angebotsausschlusses wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen, NZ Bau 5/2020 Seiten 275 ff).
b) Die ASt ist nicht von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abgewichen. Nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A ist das Angebot auf der Grundlage der Vergabeunterlagen zu erstellen. Änderungen an den Vergabeunterlagen sind unzulässig.
Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Verdingungsunterlagen dann vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (OLG München v. 20.01.2020 – Verg 17//19 unter Verweis auf OLG Düsseldorf v. 22.03.2017 – Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB festzustellen. Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der VSt das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte (OLG München v. 20.01.2020 – Verg 17/19). Es müssen sämtliche eingereichten Pläne, die von der ASt als „Nachweise zur Beckenkonstruktion“ beigefügt wurden, als Teil des Angebotes der ASt angesehen werden. Somit muss auch die Detailzeichnung zum Boden-Wand-Anschluss dem Angebot zugerechnet werden. Sollte die Auslegung ergeben – wovon die Vergabekammer nicht ausgeht -, dass die Pläne, die als „Nachweise zur Beckenkonstruktion“ beigefügt wurden, als informell angesehen werden, dann wären diese insgesamt irrelevant und könnten ebenfalls nicht zum Ausschluss der ASt herangezogen werden. Ein „Rosinenpicken“, d.h. es werden nur bestimmte Pläne (die zur Begründung des Ausschlusses maßgeblich wären) herangezogen, ist nicht zulässig.
Die ASt ist nicht von den Festlegungen des Leistungsverzeichnisses abgewichen.
Die ASt hat mit ihrem Angebot ein Dokument „Nachweise zur Beckenkonstruktion“ abgegeben. Darin sind auf den Seiten 3-5 Konstruktionszeichnungen Wandschnitte, Maßstab 1:10, dargestellt. Eine detaillierte Darstellung der Konstruktion des Boden-Wand-Anschlusses, Maßstab 1:2, findet sich auf Seite 12 des Dokuments.
Die VSt kann das Detail Boden-Wand-Anschluss nicht mit der Begründung ablehnen, der 135° Winkel des Wandbleches sei nicht gewünscht und es fehle an der Bezeichnung „Standard“.
In den technischen Vorbemerkungen zur Konstruktion des Edelstahlbeckens heißt es: „Die Bodenbleche sind mit mindestens 20 mm Überlappung zu verlegen und zu verschweißen. Der Beckenboden ist in optisch schöner, gleichmäßiger Form vor zu verlegen. Das Bodenblech darf nicht auf dem umgekanteten Wandblech aufgelagert werden. Es sind dafür eigene Auflagewinkel unterhalb der Seitenwandumkantung vorzusehen“. In der strittigen Position 5.04.01.006 findet sich folgender Hinweistext: „Bodeneinsteckprofil unten zum Einstecken und verschweißen der Bodenbleche mit der Wand. Das Auflegen der Bodenbleche auf die Wandumrandung ist nicht akzeptabel und wird nicht zur Ausführung freigegeben“. Der dargestellte Boden-Wand-Anschluss ist keine Änderung zum Leistungsverzeichnis, denn er erfüllt alle im Leistungsverzeichnis aufgestellten verbindlichen Vorgaben.
Auch wegen der fehlenden Bezeichnung „Standard“ darf das Angebot der ASt nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr wäre die VSt bei einer Unklarheit verpflichtet gewesen aufzuklären, was die ASt unter der Bezeichnung „Bsp. … – Freibad“ meinte. Eine Aufklärung ist dann geboten, wenn das Angebot keinen von den Vergabeunterlagen abweichenden Inhalt hat, sondern lediglich nicht eindeutig oder widersprüchlich ist (OLG München a.a.O.)
c) Die VSt hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die ASt nicht wegen mangelnder Eignung ausgeschlossen worden sei.
Deshalb braucht in diesem Nachprüfungsverfahren auf die schriftsätzlichen Einlassungen hierzu nicht weiter eingegangen werden.
d) Soweit die VSt eine Wertung des Angebotes der ASt von ordnungsgemäß bekanntgemachten Unterlagen abhängig gemacht hat, sind diese nach § 26 a EU Abs. 1 VOB/A nachzufordern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt und die BGI tragen die Verfahrenskosten je zur Hälfte, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen sind, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, sodass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von … €.
Die VSt ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG in der am 14.08.2013 geltenden Fassung von der Zahlung der Gebühr befreit.
Die Kostenrechnung in Höhe von … € für die BGI wird nachgereicht.
e) Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,- € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.


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