Aktenzeichen M 9 K 16.1968
Leitsatz
Ein Bebauungszusammenhang iSd § 34 Abs. 1 BauGB liegt nur dann vor, wenn eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener unbebauter, aber bebauungsfähiger Grundstücke oder freier Flächen den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Ablehnungsentscheidung des Landratsamts war rechtmäßig, die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des von ihr beantragten Vorbescheids, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das im Außenbereich gelegene (1.) Vorhaben ist nach § 35 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig (2).
1. Das geplante Vorhaben liegt im Außenbereich.
Ein Außenbereich liegt vor, wenn ein Grundstück weder qualifiziert i. S. d. § 30 Abs. 1 BauGB beplant ist noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i. S. v. § 34 Abs. 1 BauGB liegt.
Strittig ist im vorliegenden Fall allein, ob der zu bebauende Bereich noch einem Bebauungszusammenhang i. S. v. § 34 Abs. 1 BauGB zuzurechnen ist. Dies ist nicht der Fall. Ein Bebauungszusammenhang i. S. d. § 34 Abs. 1 BauGB liegt nur dann vor, wenn eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener unbebauter, aber bebauungsfähiger Grundstücke oder freier Flächen den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (BVerwG, U. v. 19.4.2012 – 4 C 10/11 – juris). Wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BayVGH, B. v. 24.6.2014 – 2 ZB 12.2632 – juris).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat der gerichtliche Augenschein am 12. Oktober 2016 ergeben, dass der zur Bebauung vorgesehene Bereich, der in einer sich von FlNr. … aus gesehen nach Osten und Norden öffnenden Freifläche liegt, nicht mehr von der umliegenden Bebauung geprägt wird, sondern den Bebauungszusammenhang unterbricht. Das Vorhabensgrundstück ist nicht von drei Seiten von Bebauung umgeben. Der Bereich, in dem es liegt, wird als eine zusammenhängende und eigenständig genutzte Freifläche wahrgenommen, die sich von der umliegenden bebauten Fläche scharf abgrenzt. Dass die Freifläche nicht nur eine Baulücke im Bebauungszusammenhang darstellt, ergibt sich schon allein aus ihrer Größe. Der unbebaute Bereich umfasst im Gesamten eine Fläche von ca. 18.000 m². Unter Außerachtlassung des Teilstücks, das sich an die östlich der …-Straße gelegene Bebauung anschließt, bildet die Freifläche zudem nahezu ein Rechteck und liegt nicht etwa verschachtelt zwischen den Gebäuden. Auf Höhe des klägerischen Grundstücks erstreckt sich die Freifläche von Ost nach West mit ca. 90 m; die Breite des Rechtecks erweitert sich nach Norden hin auf ca. 110 m. Angesichts dessen besteht für den unbefangenen Betrachter nicht der Eindruck, dass es sich um eine bloße Unterbrechung einer vorhandenen Bauzeile handelt. Von Nord nach Süd erstreckt sich die Freifläche vom Baugrundstück aus gesehen über ca. 190 m. Die Freifläche weist keine deutlichen Engstellen oder topographischen Besonderheiten auf, die Teile der Fläche vom Gesamtareal trennen könnten. Insbesondere stellt der auf FlNr. … anstehende Bewuchs – eine Hecke aus Bäumen und Sträuchern -, wie wiederholt in der obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden wurde, keine derartige topographische Besonderheit dar (z. B. BayVGH, B. v. 10.1.2013 – 1 ZB 12.24 – juris). Dies gilt umso mehr, da er für sich steht und nicht Teil eines Waldrandes o.Ä. ist, der u.U. als Grenze zwischen Innen- und Außenbereich angesehen werden kann (nicht: muss, vgl. BVerwG, B. v. 8.10.2015 – 4 B 28/15 – juris). Auch der Umstand, dass sich der Garten des Wohnhauses auf FlNr. … östlich des Baugrundstücks weit in die Freifläche erstreckt, verhilft der Klage nicht zum Erfolg, da das Baugrundstück wegen dieser Gartenfläche nicht etwa dem sich im Westen an das Vorhaben anschließenden Innenbereich zugeschlagen werden kann. Ein Gartengrundstück, das unmittelbar in den Außenbereich übergeht, kann einen Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 BauGB von vornherein nicht vermitteln (BayVGH, B. v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris). Maßgeblich ist die vorhandene maßstabsbildende Bebauung. Ein Hinausschieben des regelmäßig nach dem letzten Gebäude am Ortsrand endenden Bebauungszusammenhangs durch eine linienförmige Verbindung von Gartenbereichen würde ein unzulässiges Ausufern des Bebauungszusammenhangs in den Außenbereich darstellen (BayVGH, B. v. 10.1.2013 – 1 ZB 12.24 – juris). Dies kann bereits deswegen nicht gerechtfertigt sein, weil es sonst möglich wäre, durch geschickte Parzellierung der Freifläche und Bildung von „Gartenhandtuchgrundstücken“ Innenbereich und Bauland zu schaffen, die formalen Grundstücksgrenzen im Innenbereich aber nicht maßgeblich sind (Battis u. a., BauGB, Stand: 13. Auflage 2016, § 34 Rn. 8). Die umgebende Bebauung ist auch nicht durch einzelne Häuser mit großen Freiflächen, sondern durch eine fortlaufende, relativ dicht gestaffelte Bebauung geprägt. Der Bebauungszusammenhang endet nach alledem im Süden und Westen des Baugrundstücks am letzten mit den übrigen Häusern in Zusammenhang stehenden Baukörper (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BayVGH, B. v. 27.1.2010 – 9 ZB 08.37 – juris); eine Bebauung der Freifläche würde keine zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung darstellen.
2. Das Vorhaben ist nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB zu beurteilen. Eine Privilegierung des geplanten Mehrfamilienhauses nach § 35 Abs. 1 BauGB ist nicht ersichtlich. Im Rahmen des § 35 Abs. 3 BauGB reicht bereits die Beeinträchtigung eines dort – nicht abschließend – genannten Belangs aus, um die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens zu begründen (BVerwG, U. v. 8.11.1999 – 4 B 85/99 – juris). Jeder einzelne dieser öffentlichen Belange ist, unabhängig davon, ob er durch andere noch verstärkt wird, für sich genommen geeignet, eine Zulassung zu verhindern. Die Beeinträchtigung eines Belangs lässt sich nicht dadurch kompensieren, dass bestimmte öffentliche Belange mit dem Vorhaben vereinbar sind (BVerwG, U. v. 8.11.1999 – 4 B 85/99 – juris). Das Vorhaben beeinträchtigt vorliegend die natürliche Eigenart der Landschaft, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (a), und lässt die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB (b). Ihm steht zudem der ungeschriebene Belang des Planungsbedürfnisses entgegen (c).
a) Das Vorhaben beeinträchtigt den Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Durch die beabsichtigte Bebauung werden die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert beeinträchtigt.
Der Belang des Schutzes der natürlichen Eigenart der Landschaft verfolgt den Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung für die Allgemeinheit zu erhalten. Die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und in ihrer Eigenart bewahrt bleiben. Eine Beeinträchtigung dieses Belangs setzt nicht voraus, dass es sich um eine besonders hochwertige oder naturschutzfachlich bedeutsame Landschaft handelt. Vielmehr wird die natürliche Eigenart der Landschaft durch ein Bauvorhaben regelmäßig beeinträchtigt, wenn die im Außenbereich naturgegebene Bodennutzung in Form der Landwirtschaft bzw. als Erholungsfläche stattfindet (BVerwG, U. v. 25.1.1985 – 4 C 29/81 – juris; BayVGH, B. v. 4.9.2009 – 1 ZB 08.967 – juris).
Der Augenschein hat ergeben, dass die aus den FlNrn. …, …, … und … bestehende Freifläche teilweise landwirtschaftlich – als Ackergrasfläche – genutzt wird. Im Übrigen kann sie wegen ihrer zentralen Lage eine Erholungsfunktion für die Bevölkerung ausüben. Gerade wegen der Ortsnähe ist die Freifläche für die Naherholung der Bewohner von besonderer Bedeutung. Der Umstand, dass es sich um eine sog. „Außenbereichsinsel“ handelt, lässt eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft nicht entfallen. Einen eigenständig zu beurteilenden Rechtsbegriff des „Außenbereichs im Innenbereich“ gibt es nicht (BVerwG, B. v. 15.9.2005 – 4 BN 37/05 – juris). Ein solcher Bereich ist nicht per se weniger schutzwürdig als eine andere Außenbereichsfläche. Die Fläche wurde auch nicht verändert, wie etwa durch eine Asphaltierung, Aufkiesung oder ähnliche Oberflächennutzung – eine Vorbelastung, die die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft entfallen lassen würde, ist nicht gegeben.
b) Die geplante Bebauung beeinträchtigt zudem den Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB.
Danach liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere vor, wenn das Vorhaben die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Eine derartige unerwünschte Erweiterung einer Splittersiedlung würde durch die geplante Bebauung eingeleitet. Eine Beeinträchtigung dieses Belangs liegt auch dann vor, wenn ein unorganisches Ausufern der bebauten Ortslage in den Außenbereich hinein zu befürchten ist (BVerwG, U. v. 25.1.1985 – 4 C 29/81 – juris). „Zu befürchten“ ist die Entstehung, Erweiterung oder Verfestigung einer Splittersiedlung nur, wenn das Vorhaben zu einer „unerwünschten“ Splittersiedlung führt. Unerwünscht in diesem Sinne ist eine Splittersiedlung, wenn mit ihr ein Vorgang der Zersiedelung eingeleitet oder gar schon vollzogen wird. Dies ist bei einem Hinausgreifen über die bebaute Ortsrandlage in der Regel anzunehmen (BVerwG, U. v. 19.4.2012 – 4 C 10/11 – juris). Die Unerwünschtheit ergibt sich regelmäßig aus der negativen Vorbildwirkung der Bebauung für eine weitere Bebauung in den Außenbereich hinein (BVerwG, B. v. 8.4.2014 – 4 B 5/14 – juris). In solchen Fällen reicht es für den Tatbestand des „Befürchtens“ aus, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das jetzt beantragte Vorhaben nicht aus eben den Gründen versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Bezugsfall geschaffen würde (BVerwG, B. v. 8.4.2014 a. a. O. – juris).
Ein solcher Fall wäre hier gegeben. Würde das streitgegenständliche Vorhaben zugelassen, so ließe sich mit der gleichen Begründung auch jede weitere bauliche Entwicklung auf der gesamten Freifläche rechtfertigen. Bei Nichtberücksichtigung des Belangs des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB würde sich somit eine unorganische Weiterentwicklung der Bebauung über die gesamte Freifläche ergeben, die zum Verlust des Außenbereichscharakters derselben führen würde. Eine Entstehung der Bebauung allein durch die Genehmigung von Einzelbauvorhaben stellt ein Ausufern der bestehenden Bebauung ohne planerisches Konzept dar (BVerwG, B. v. 8.4.2014 – 4 B 5/14 – juris; BayVGH, B. v. 4.9.2009 – 1 ZB 08.967 – juris).
c) Dem Vorhaben kann auch entgegengehalten werden, dass es ein Planungsbedürfnis auslöst. Die öffentlichen Belange, die der Gesetzgeber in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufzählt, haben nur beispielhaften Charakter („insbesondere“). Zu den nicht genannten öffentlichen Belangen gehört das Erfordernis einer förmlichen Planung (BVerwG, U. v. 1.8.2002 – 4 C 5/01 – juris). Ein solches Planungsbedürfnis, also die Notwendigkeit einer planerischen Koordination von Bebauung, wird zwar nicht schon allein durch das streitgegenständliche Vorhaben ausgelöst, jedoch durch die im Anschluss an die Realisierung der streitgegenständlichen Planung zu erwartenden berechtigten Bezugnahmen. Im Rahmen eines förmlichen Planungsverfahrens wäre insbesondere die Frage der Binnenerschließung des Baugebiets zu klären. Dass das Baugrundstück selbst durch die …-Straße erschlossen wird, ändert daran nichts. Für eine Bebauung der gesamten Fläche ist die Erschließungsfrage gerade mit Blick auf die Hinterliegerbebauung ungelöst. Die Bebauung müsste mit der Regelung der öffentlichen Verkehrsflächen im Rahmen einer Bauleitplanung geordnet werden (zum Ganzen bspw. VG München, U. v. 31.10.2012 – M 9 K 11.2616 – juris Rn. 32).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich damit nicht in ein Kostenrisiko begeben; es entspricht deswegen der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten nicht der Klägerin aufzuerlegen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.