Europarecht

1 WRB 1/21

Aktenzeichen  1 WRB 1/21

Datum:
29.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:290421B1WRB1.21.0
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat

Leitsatz

1. Der Anspruch der militärischen Gleichstellungsbeauftragten auf unverzügliche und umfassende Unterrichtung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGleiG) ist darauf gerichtet, sie zur Durchführung ihrer Aufgaben in zeitlicher und sachlicher Hinsicht auf dem gleichen Informationsstand wie die Dienststellenleitung zu halten, um ihr eine sachgerechte und aktive Mitwirkung im Entscheidungsprozess zu ermöglichen.
2. Der Antrag, bei einer Personalmaßnahme nach § 19 Abs. 1 Satz 4 SGleiG beteiligt zu werden, unterliegt keinem Formerfordernis. Wird die Gleichstellungsbeauftragte im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung nicht darüber informiert, dass eine solche Personalmaßnahme beabsichtigt ist, so kann ihr das Fehlen eines Antrags nicht entgegengehalten werden.
3. Zu den erforderlichen Unterlagen, die der Gleichstellungsbeauftragten zur Verfügung zu stellen sind (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGleiG), kann auch die Anschuldigungsschrift aus einem Disziplinarverfahren gehören.

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 27. Mai 2020, Az: S 4 SL 1/19 und S 4 RL 2/20, Beschluss

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 27. Mai 2020 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Amt für Heeresentwicklung bei der Entscheidung über die Abstellung von Oberst i.G. A für die Besetzung des Dienstpostens Nr. … den Informationsanspruch der Antragstellerin verletzt hat.
Die der Antragstellerin im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und vor dem Truppendienstgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Tatbestand

1
Die Antragstellerin ist militärische Gleichstellungsbeauftragte beim Amt für Heeresentwicklung. Sie beanstandet, bei der Besetzung eines Auslandsdienstpostens nicht rechtzeitig und umfassend informiert worden zu sein.
2
Im September 2018 beauftragte das Kommando Heer das Amt für Heeresentwicklung, geeignetes Personal für die Besetzung des Auslandsdienstpostens eines höchsten Beraters des Kommandeurs … zu benennen. Hierüber wurde die Antragstellerin mit E-Mail vom 10. September 2018 informiert.
3
Unter dem 26. September 2018 fertigte die S 1-Abteilung des Amts für Heeresentwicklung eine Entscheidungsvorlage für den Chef des Stabes. Darin heißt es, von den ursprünglich betrachteten 23 Personen kämen nur fünf namentlich genannte Oberste in Frage. Aktuell erfülle von diesen keiner die Besetzungsvoraussetzungen. Diese Entscheidungsvorlage zeichnete die Antragstellerin mit.
4
Daraufhin beantragte das Amt für Heeresentwicklung beim Kommando Heer eine Terminverlängerung bis Mitte/Ende Oktober 2018; auch hierüber wurde die Antragstellerin informiert. Nicht in Kenntnis gesetzt wurde sie über die anschließende Überlegung, für den Dienstposten den bislang nicht als Bewerber genannten Oberst i.G. A auszuwählen, gegen den zum damaligen Zeitpunkt ein gerichtliches Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs sexistischer Äußerungen anhängig war.
5
Über die beabsichtigte Auswahl von Oberst i.G. A wurde die Antragstellerin nach ihren Angaben auf ihre Nachfrage hin erst am 30. November 2018 mündlich durch den Leiter der S 1-Abteilung des Amts für Heeresentwicklung informiert. Dieser bestätigte, dass gegen Oberst i.G. A ein Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs verbaler sexueller Belästigung anhängig sei.
6
In der Entscheidungsvorlage für den Chef des Stabes vom 30. November 2018 wird Oberst i.G. A als einziger Kandidat für die Besetzung des Dienstpostens genannt. Er sei zwar wegen eines laufenden truppendienstlichen Ermittlungsverfahrens bisher nicht mitbetrachtet, ein Ausnahmeantrag vom Kommando Heer sei jedoch bereits genehmigt worden. Die Entscheidungsvorlage ist von der Antragstellerin nicht mitgezeichnet. Auf dem Vorblatt notierte der Leiter der Abteilung S 1, die Antragstellerin sei durch ihn “ins Boot geholt”.
7
Am 30. November 2018 meldete das Amt für Heeresentwicklung Oberst i.G. A für die Teilnahme an der Führereinweisung und am 4. Dezember 2018 für die Besetzung des Dienstpostens. Diese Meldungen erhielt die Antragstellerin nachrichtlich.
8
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2018 legte die Antragstellerin beim Dienststellenleiter des Amts für Heeresentwicklung Einspruch gegen die “Personalmaßnahme Oberst i.G. A” ein. Sie sei in dieser Angelegenheit nicht umfassend informiert worden. Sie habe Anspruch darauf, sich auf der gleichen Materialgrundlage wie die Dienststellenleitung eine Meinung zu bilden. Die Einbindung zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Entscheidung bereits verfestigt habe oder sogar leitungsgebilligt sei, werde dem nicht gerecht. Dies gelte insbesondere, wenn Beförderungshemmnisse vorlägen, die zum Beispiel auf einer sexuellen Belästigung beruhten.
9
Mit Bescheid vom 31. März 2019, zugestellt am 15. April 2019, wies der Inspekteur des Heeres den Einspruch zurück. Das Amt für Heeresentwicklung habe die Antragstellerin in den Entscheidungsprozess zur Besetzung des Dienstpostens umfassend und rechtzeitig eingebunden und sie an dem relevanten Schriftverkehr beteiligt. Der Antragstellerin stehe kein Anspruch auf Mitteilung der gegen Oberst i.G. A bestehenden Verdachtsmomente zu. Ihr Informationsanspruch im Hinblick auf Disziplinarverfahren sei in Nr. 4173 ZDv A-1442/1 abschließend geregelt. Danach sei der Gleichstellungsbeauftragten von der Dienststelle nur quartalsweise eine Übersicht zur disziplinaren Lage in ihrem Zuständigkeitsbereich in anonymisierter Form zur Verfügung zu stellen.
10
Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 14. Mai 2019 die Entscheidung des Truppendienstgerichts beantragt. Ihr Anspruch auf umfassende Unterrichtung sei verletzt, weil sie ausschließlich mündlich, nicht anhand der einschlägigen Unterlagen und zudem zu spät informiert worden sei. Wegen des schwebenden Disziplinarverfahrens habe der Einplanung von Oberst i.G. A ein Hindernis entgegengestanden. Sie sei weder über den Antrag auf Ausnahmegenehmigung noch über die Stellungnahme des Kommandos Heer hierzu informiert worden. Eine sachgerechte Ermessungsausübung, warum die Dienststelle insoweit eine Ausnahme angenommen habe, sei nicht kommuniziert worden. Ihr Aufgabenbereich sei betroffen, weil insbesondere der Schutz anderer Teilnehmer an Auslandseinsätzen Aufgabe der Gleichstellungsbeauftragten sei. In der Quartalsübersicht über die Disziplinarlage vom Januar 2019 sei der Fall nur als das “persönliche Verhalten” eines Obersten skizziert worden, ohne dass Angaben zum Geschlecht des Opfers oder andere Erläuterungen gemacht worden seien. Dass es sich um den Fall einer verbalen sexuellen Belästigung gehandelt habe, habe sie nur auf Nachfrage von dem S 1-Offizier erfahren. Dieser habe sie nicht frühzeitig, sondern erst zu einem Zeitpunkt informiert, als die Entscheidung bereits unterschriftsreif gewesen sei. Sie beantrage die Einführung der Anschuldigungsschrift und des zu erwartenden Urteils gegen Oberst i.G. A, weil sie die gleichstellungsrelevanten Aspekte des Verfahrens andernfalls nicht beurteilen könne.
11
Mit Beschluss vom 27. Mai 2020 hat das Truppendienstgericht Süd den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Der Informationsanspruch der Antragstellerin sei nicht verletzt. Sie sei über den Auftrag zur Besetzung des Dienstpostens informiert worden und habe die Vorlage vom 26. September 2018 mitgezeichnet. Damit sei die Dienststelle bereits über ihre gesetzliche Verpflichtung hinausgegangen. Bei Kommandierungen stehe der militärischen Gleichstellungsbeauftragten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 4 SGleiG nur auf ihren Antrag ein Rechtsanspruch auf Beteiligung zu. Einen solchen Antrag habe sie nicht gestellt. Zudem habe sie der S 1-Abteilungsleiter am 30. November 2018 zumindest mündlich über den Sachstand und die Ergebnisse der Prüfungen informiert, bevor die Entscheidungsvorlage dem Chef des Stabes vorgelegt worden sei. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Information über die Hintergründe des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen Oberst i.G. A. Der Informationsanspruch aus § 20 SGleiG sei auf die zur Erfüllung der Aufgaben der militärischen Gleichstellungsbeauftragten erforderlichen Informationen begrenzt. Ihr Aufgabenbereich ergebe sich aus § 19 Abs. 1 SGleiG, wonach auch der Beschäftigtenschutz vor sexueller Belästigung im Dienst erfasst sei. Nach der Gesetzesbegründung seien damit in erster Linie Maßnahmen der Prävention gemeint. Eine Mitwirkung im repressiven Bereich, also im Disziplinarverfahren, sei nicht vorgesehen. Hierfür bedürfe es einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage, weil § 9 WDO enge Grenzen für eine Auskunftserteilung setze. Dementsprechend seien in der ZDv A-1442/1 stark eingeschränkte Regelungen zur Information über Disziplinarverfahren getroffen worden. Ob die vorgeschriebene Quartalsunterrichtung fehlerhaft gewesen sei, sei unerheblich, weil insoweit zunächst ein eigenes Einspruchsverfahren erforderlich sei. Schließlich bezögen sich die Vorwürfe gegen Oberst i.G. A. auf Ereignisse in seiner Vorverwendung, so dass allenfalls die militärische Gleichstellungsbeauftragte dieser Dienststelle zuständig sei.
12
Auf die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 6. Januar 2021, zugestellt am 18. Januar 2021, zugelassen.
13
In ihrer am 18. Februar 2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingegangenen Begründung macht die Antragstellerin geltend, dass sie unzureichend beteiligt worden sei. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der allgemeine Unterrichtungsanspruch der Vertrauensperson über die Fälle der förmlichen Beteiligung hinaus nach § 20 Abs. 1 SBG für die allgemeinen Aufgaben der Vertretung greife, sei auf den Unterrichtungsanspruch aus § 20 SGleiG zu übertragen. Ihr Aufgabenbereich sei in mehrfacher Hinsicht betroffen. Werde ihr – wie hier – eine für die fragliche Maßnahme relevante Information über anhängige Disziplinarverfahren verschwiegen, könne sich die Dienststelle auf einen fehlenden Antrag nach § 19 Abs. 1 Satz 4 SGleiG nicht berufen, weil sie die Antragstellung in unzulässiger Weise behindert und vereitelt habe. Im Übrigen sei der Antrag auf Beteiligung nicht formgebunden. Es stelle sich auch die Frage, ob Disziplinarverfahren mit Bezug zu den Tätigkeitsfeldern der Gleichstellungsbeauftragten zu den personellen Maßnahmen nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGleiG zählten. Sie begehre zudem keine Mitwirkung im Verfahren nach der Wehrdisziplinarordnung, sondern eine Unterrichtung über eine Personalmaßnahme, für deren Beurteilung das Disziplinarverfahren von entscheidender Bedeutung sei. Im Übrigen beziehe sie sich auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, in der sie Mängel der Sachverhaltsaufklärung geltend gemacht habe. So habe das Truppendienstgericht der Frage nachgehen müssen, ob ihre mündliche Nachfrage vom 30. November 2018 einen Antrag auf Mitwirkung darstelle. Außerdem habe es aufklären müssen, ob Gegenstand des Disziplinarverfahrens der Verdacht gleichstellungsrelevanter Dienstvergehen gewesen sei, und ggf. die dortigen Vorgänge beiziehen müssen. Ferner sei das rechtliche Gehör verletzt, weil ein rechtlicher Hinweis des Gerichts zu den Gesichtspunkten erforderlich gewesen sei, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtige.
14
Das Bundesministerium der Verteidigung und der Bundeswehrdisziplinaranwalt unterstützen die Rechtsbeschwerde. Das Truppendienstgericht verkenne die Beteiligungstatbestände nach §§ 19, 20 SGleiG, wenn es annehme, dass die Dienststelle bereits über die ihr gesetzlich obliegende Pflicht zur Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten hinausgegangen sei. Bei der Vorlage vom 30. November 2018 habe die Antragstellerin – wie bei der Vorlage vom 26. September 2018 – beteiligt werden müssen, da es sich um eine Personalangelegenheit handele. Mit dieser Vorlage sei das Lagebild, wie es in der ersten Vorlage dargestellt worden sei, korrigiert worden. Der Vorschlag, Oberst i.G. A für den Dienstposten abzustellen, sei nur möglich gewesen, weil dieser aufgrund einer Ausnahmegenehmigung trotz des laufenden Disziplinarverfahrens habe berücksichtigt werden können. Das Truppendienstgericht gehe außerdem rechtsfehlerhaft davon aus, dass die mündliche Information über den Sachstand dem Beteiligungsanspruch der Gleichstellungsbeauftragten genüge. Auch sei die Information zu einem Zeitpunkt erfolgt, die dem Anspruch auf frühzeitige und umfassende Unterrichtung nicht gerecht werde. Das Truppendienstgericht setze sich auch nicht mit der Frage auseinander, ob die Antragstellerin allein deshalb habe beteiligt werden müssen, weil sie bereits bei der Vorlage vom 26. September 2018 beteiligt und diese Vorlage abgeändert worden sei. Auch bei dem Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung für die Mitbetrachtung von Oberst i.G. A handele es sich um eine beteiligungspflichtige Personalangelegenheit. Eine Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten an einem laufenden Disziplinarverfahren sei nicht Gegenstand des Verfahrens.
15
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt widerspricht der Beiziehung der Akten des gerichtlichen Disziplinarverfahrens und schließt sich im Übrigen der Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung an.
16
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verfahrensakten des Truppendienstgerichts haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.


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