Europarecht

2 C 13/20

Aktenzeichen  2 C 13/20

Datum:
15.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:150421U2C13.20.0
Spruchkörper:
2. Senat

Leitsatz

1. Dienstreisen eines Richters bedürfen dann keiner Genehmigung, wenn sie im Rahmen richterlicher Amtstätigkeit erfolgen. Die Bestimmung darüber, ob eine genehmigungsfreie richterliche Dienstreise vorliegt, richtet sich nach objektiven Kriterien.
2. Die Prozessbeobachtung einer mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) durch einen Richter des vorlegenden Gerichts in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV ist kein richterliches Amtsgeschäft.
3. Der Anspruch eines Richters auf unmittelbare und genehmigungsfreie Kommunikation zwischen ihm als Mitglied des vorlegenden nationalen Gerichts und dem Gerichtshof der Europäischen Union ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf schriftlichen, digitalen und fernmündlichen Dialog angelegt. Reisetätigkeiten erfasst dieser Dialog nicht.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 4. Juni 2019, Az: 2 LC 138/18, Urteilvorgehend VG Bremen, 24. April 2018, Az: 6 K 1528/16, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 4. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger beansprucht von seinem Dienstherrn die Kostenerstattung für eine Reise zum Gerichtshof der Europäischen Union nach Luxemburg. Darüber hinaus erstrebt er Feststellungen zu den Bedingungen seiner Dienstausübung als Richter.
2
Der Kläger ist Vorsitzender Richter an einem Oberlandesgericht. Im Jahr 2015 setzte der vom Kläger geleitete Strafsenat des Oberlandesgerichts zwei Überstellungsverfahren zum Zwecke der Strafverfolgung nach Ungarn und Rumänien aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Nachdem der Gerichtshof dem Vorlagesenat des Oberlandesgerichts mitgeteilt hatte, dass Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden sei, entschloss sich der Kläger, nach Luxemburg zu reisen, um die mündliche Verhandlung zu besuchen.
3
Dies zeigte er der Beklagten über ein elektronisches Mitarbeiterportal zur Abrechnung von Dienstreisen mit dem Hinweis an, dass es sich um eine Reise im Rahmen richterlicher Spruchtätigkeit handele, die keiner Anordnung oder Genehmigung bedürfe. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts lehnte es ab, eine Dienstreise zu genehmigen. Zur Begründung führte sie aus, eine Anwesenheit des Klägers bei der mündlichen Verhandlung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei weder im Rahmen richterlicher Spruchtätigkeit noch aus sonstigen Gründen geboten. Es werde angeregt, Sonderurlaub zu beantragen. Der Kläger beantragte hilfsweise Sonderurlaub und reiste nach Luxemburg.
4
Sein anschließend gestellter Antrag auf Erstattung der Reisekosten in Höhe von rund 840 € wurde abgelehnt. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage auf Erstattung der Reisekosten und auf Feststellung, dass es sich bei der Reise zum Gerichtshof der Europäischen Union um eine genehmigungsfreie Dienstreise gehandelt habe, sowie auf weitere Feststellungen ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass es sich bei der Reise des Klägers nicht um ein dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit unterliegendes richterliches Amtsgeschäft gehandelt habe. Die Definitionshoheit darüber, ob es sich um eine richterliche Tätigkeit in diesem Sinne handele, liege nicht bei dem Richter selbst; dies sei vielmehr objektiv zu bestimmen. Bei der Beobachtung der mündlichen Verhandlung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch den Kläger handele es sich nicht um eine richterliche Handlung, die mit der Aufgabe des Richters, in einem konkreten Verfahren Recht zu finden, unmittelbar im Zusammenhang stehe.
5
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Senat zugelassenen Revision und beantragt,
das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 4. Juli 2019 aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Bremen vom 24. April 2018
1. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger auf seinen Antrag vom 29. Februar 2016 Reisekosten für die von ihm vom 14. Februar 2016 bis 16. Februar 2016 durchgeführte Reise zum Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg (…) in Höhe von 840,24 Euro zzgl. Auslandstagegelder in Höhe von 137,20 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. festzustellen,
a) dass es sich bei der Reise des Klägers zum Gerichtshof der Europäischen Union in dem Zeitraum vom 14. Februar 2016 bis zum 16. Februar 2016 um eine genehmigungsfreie Dienstreise i.S.d. Nr. 2.2.5 der BremRKGVwV handelt;
b) dass es der alleinigen Entscheidung des Klägers bzw. der von ihm geführten Spruchkörper obliegt, darüber zu befinden, welche Informationen für eine in seine/ihre Zuständigkeit fallende richterliche Entscheidung zu beschaffen sind, wie dies zu geschehen hat und dabei aus der alleinigen Sicht der zur Entscheidung berufenen Richter zu entscheiden ist, ob und welche Dienstreisen zur Beschaffung der Informationen durchgeführt werden sollen;
c) dass die Beklagte im Verfahren über die Abrechnung einer Dienstreise, an die Angaben des Klägers, dass es sich um eine genehmigungsfreie Dienstreise i.S.d. Nr. 2.2.5 der BremRKGVwV handelt, gebunden ist und die Voraussetzungen der Genehmigungsfreiheit keiner Überprüfung unterliegen;
d) dass jede Einflussnahme der Präsidentin des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen und aller sonstigen Stellen der Verwaltung der Beklagten auf die unter b) genannten Entscheidungen des Klägers oder der von ihm geführten Spruchkörper unzulässig ist;
e) dass der Kläger als Richter nicht verpflichtet ist, innerhalb oder außerhalb des Dienstgebäudes feste Dienstzeiten einzuhalten und ihm allein die Entscheidung obliegt, an welchen Tagen der Woche er zu welchen Tageszeiten seinen Dienstpflichten nachkommt;
f) dass er auch nicht für etwaige Fälle einer kurzfristigen Beratung oder Eilentscheidung ständig erreichbar oder herbeirufbar sein und sich dazu an allen Tagen der Woche oder auch nur an allen Werktagen am Gerichtsort oder in dessen Nähe aufhalten muss.
6
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Rechtsauffassung der Beklagten.


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