Europarecht

Annahme vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt aufgrund Fluchtversuchs

Aktenzeichen  2 Ss OWi 1379/18

Datum:
23.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28060
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 24a Abs. 1, Abs. 3, § 25 Abs. 2, Abs. 2 Buchst. a
StGB § 316
OWiG § 79 Abs. 6
BKatV § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
BKat Nr. 241

 

Leitsatz

Die Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung nach § 24a I StVG setzt eine umfassende Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten Umstände des Einzelfalles voraus. Zwar kann insoweit auch ein bestimmtes Nachtatverhalten von Bedeutung sein, jedoch darf allein aus einem selbst mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit unternommenen Versuch, sich einer drohenden Polizeikontrolle zu entziehen, noch nicht auf ein (bedingt) vorsätzliches Handeln des Betroffenen geschlossen werden. (Rn. 4)

Gründe

1. Soweit das AG […] von einer (bedingt) vorsätzlichen Verwirklichung des Verstoßes gegen § 24a I StVG ausgeht und dies allein mit dem Versuch des Betr. begründet, sich der Polizeikontrolle zu entziehen, kann der Schuldspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben.
a) Zutreffend hat das AG zwar erkannt, dass Bezugspunkt der Schuld bei § 24a I StVG das bloße Erreichen der darin genannten Grenzwerte ist und Vorsatz voraussetzt, dass der Betr. zumindest mit einer Atem- bzw. Blutalkoholkonzentration in der in § 24a I StVG genannten Höhe rechnet und diese, für den Fall, dass sie vorliegt, billigend in Kauf nimmt (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.01.1989 – 1 Ss 275/88 = VRS 76 [1989], 453 = DAR 1989, 310; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. § 24a Rn. 25, 25a und 26). Auch ist das AG zutreffend davon ausgegangen, dass allein aus der Höhe der festgestellten AAK nicht auf Vorsatz geschlossen werden kann; insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 316 StGB (Burhoff [Hrsg.]/Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 5. Aufl. Rn. 3595 f. unter Hinweis insbesondere auf BGHSt 60, 227 sowie die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte; vgl. zuletzt etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.06.2018 – 1 RVs 18/17 = ZfS 2017, 590 = BA 54 [2017], 382 = StV 2018, 445). Danach hat die Vorsatzbeurteilung, wenn es an einem Geständnis fehlt, auf der Grundlage einer Feststellung und Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs wie auch dessen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Fahrt zu erfolgen. Von Bedeutung können hier etwa einschlägige Vorverurteilungen sein, desgleichen dem Täter bewusst gewordene Ausfallerscheinungen während der Fahrt bzw. grobe Fahrfehler, die Flucht vor einer Polizeikontrolle sowie Verschleierungsversuche wie beispielsweise das Nutzen von „Schleichwegen“ (Freymann/Wellner/Görlinger jurisPK-Straßenverkehrsrecht [2016] § 316 StGB Rn. 49; König a.a.O. Rn. 26 mit krit. Hinweis auf OLG Celle NZV 1997, 320; umfassend zu möglichen Beweisanzeichen und deren Gewichtung LK/König StGB 12. Aufl. § 316 Rn. 190 ff.; Hentschel DAR 1993, 449 ff.; vgl. auch OLG Hamm ZfS 1999, 217; BA 37 [2000], 116; BA 41 [2004], 538).
b) Soweit jedoch das AG die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung allein darauf gestützt hat, dass sich der Betr. bei zunächst unauffälligem Fahrverhalten innerorts auf einer Strecke von etwa 2 km zwischen dem ersten polizeilichen Anhalteversuch und der letztendlich erfolgreichen Anhaltung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der polizeilichen Kontrolle zu entziehen versuchte, tragen diese Feststellungen nicht hinreichend den vom AG gezogenen Schluss, dass der Betr. zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass er nach dem Alkoholkonsum den in § 24a I StVG genannten Grenzwert überschreiten würde, und daher eine mögliche Überprüfung der Blut- oder Atemalkoholkonzentration im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle gefürchtet hat. Denn auch in Fällen bewusster Fahrlässigkeit hat der Täter die Möglichkeit der Überschreitung des gesetzlichen Grenzwertes erkannt, aber zu Unrecht darauf vertraut, einen solchen Zustand noch nicht erreicht zu haben. Dass ihm bei einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Verkehrskontrolle insoweit erneut Zweifel kommen, die ihn zu einem Fluchtversuch veranlassen, erscheint jedenfalls nicht fernliegend (Hentschel a.a.O. S. 452). Mag ein solches Verhalten damit auch von schlechtem Gewissen zeugen und dahinter die Befürchtung stehen, den gesetzlichen Grenzwert überschritten zu haben, so genügt dies aber für die Annahme von Vorsatz bei Fahrtantritt oder während der Fahrt in der Regel noch nicht. Der von dem AG festgestellte Fluchtversuch lässt damit für sich allein noch keinen tragfähigen Rückschluss auf den Vorsatz des Betr. zu.
c) Dass noch weitere erhebliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen werden können, welche die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise hinreichend rechtfertigen könnten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betr. in einer neuen Hauptverhandlung dazu erstmals (für ihn rechtlich nachteilige) Angaben machen könnte. Der Senat kann daher in der Sache […] selbst entscheiden, sodass es einer Zurückverweisung an das AG nicht mehr bedarf (§ 79 VI OWiG).
2. Auch wegen des Rechtsfolgenausspruchs ist eine Zurückverweisung an das AG entbehrlich. Hinsichtlich der Höhe der festzusetzenden Geldbuße für die nunmehr (nur noch) fahrlässige Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes des § 24a I StVG rechtfertigen die im Übrigen rechtsfehlerfreien Zumessungserwägungen des AG neben dem verwirkten einmonatigen und überdies mit der Vollstreckungserleichterung des § 25 IIa StVG versehenen Regelfahrverbot entsprechend dem Bußgeldbescheid vom 09.12.2014 ohne Weiteres die Verhängung der gemäß §§ 1 I 1, II, 3 I BKatV i.V.m. Nr. 241 BKat vorgesehenen Regelgeldbuße von 500 EUR. Anhaltspunkte für die Annahme, der Zweck des Fahrverbotes könne allein mit einer erhöhten Geldbuße erreicht werden, sind nicht ersichtlich. […]


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