Europarecht

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Umschreibung einer tschechischen Fahrerlaubnis, Hinweise aus dem Ausstellungsmitgliedstaat auf einen Wohnsitzverstoß, Obliegenheit des Fahrerlaubnisinhabers zu näheren Angaben hinsichtlich seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat

Aktenzeichen  11 CE 21.2489

Datum:
10.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1935
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7 Abs. 1, § 28 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
RL 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1, 7 Abs. 1, 12

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 19 E 21.3221 2021-09-02 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung des Antragsgegners, seine tschechische Fahrerlaubnis vorläufig in eine deutsche Fahrerlaubnis umzuschreiben.
Am 21. März 2011 stellte der Magistrat (Stadtverwaltung) der Stadt Děčín in der Tschechischen Republik dem Antragsteller einen bis zum 21. März 2021 befristeten Führerschein der Klasse B (Erteilungsdatum 11.10.2010) und C (Erteilungsdatum 21.3.2011) aus. Darin ist ein Wohnsitz in Č … … eingetragen.
Am 23. Januar 2021 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt B … die Umschreibung seiner tschechischen Fahrerlaubnis. Das Landratsamt ermittelte, dass der Antragsteller vom 15. Oktober 1992 bis zum 8. September 2011 mit Hauptwohnung in K … und seit dem 8. September 2011 mit alleiniger Wohnung in W … gemeldet war, und richtete daraufhin über das Kraftfahrt-Bundesamt ein Auskunftsersuchen an die tschechischen Behörden.
Mit Schreiben vom 25. März 2021 übersandte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Landratsamt die Antwort des tschechischen Verkehrsministeriums vom 15. März 2021. Auf dem beigefügten Formularfragebogen nahmen die Behörden der Stadt Děčín in der Rubrik „place of normal residence according to our information“ keine Eintragung vor, bejahten eine Unterkunft in Tschechien und beantworteten alle übrigen Fragen (place where person usually lives for at least 185 days each calendar year; place of close family members; place where business is conducted; place of property interests; place of administrative links to public authorities and social services) mit „unknown”.
Eine Anfrage bei der Kfz-Zulassungsstelle im Landratsamt ergab, dass der Antragsteller dort vom 8. Juni 2005 bis zum 12. Januar 2012 einen Lkw und vom 24. März bis zum 15. Dezember 2011 einen Pkw angemeldet hatte.
Mit Bescheid vom 23. April 2021 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Umschreibung der tschechischen Fahrerlaubnis nach vorheriger Anhörung ab und stellte unter Anordnung des Sofortvollzugs fest, dass die dem Antragsteller in Tschechien ausgestellte Fahrerlaubnis diesen nicht berechtige, fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen.
Daraufhin ließ der Antragsteller Klage auf Umschreibung seiner tschechischen Fahrerlaubnis (M 19 K 21.2827) erheben, über die das Verwaltungsgericht München noch nicht entschieden hat, sowie eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO beantragen. Zur Begründung wurde in tatsächlicher Hinsicht ergänzend vorgetragen, der Antragsteller habe vom 1. März 2010 bis zum 31. Dezember 2011 in Tschechien gewohnt, weil er bei der tschechischen Firma E* … mit Sitz in Kamenice angestellt gewesen sei. Für diese Zeit habe ihm die Firma dort eine Wohnung vermietet. Dazu legte der Antragsteller einen Mietvertrag in tschechischer Sprache – soweit ersichtlich über Räume in dem Anwesen D* … … … in Č* … … und mit der Mietdauer 1. März 2010 bis 31. Dezember 2011 – sowie zwei Nachträge zu einem Arbeitsvertrag mit der Firma E* … vom 1. März und vom 1. November 2010 vor. Diese Nachträge haben jeweils eine Laufzeit von sieben Monaten und benennen sowohl die tschechische als auch die deutsche Wohnanschrift des Antragstellers in K* … Weiter heißt es dort, der Antragsteller bestätige die Übernahme seiner Zahlungen u.a. für Sozialversicherung, Rentenversicherung und Unfallversicherung; die Firma E* … bezahle für die verkauften Materialien im In- und Ausland 10% Verkaufsprovision. Ferner verwies der Antragsteller auf eine „Potvrzení o přechodném pobytu na území“ (Bescheinigung des vorübergehenden Aufenthalts) vom 14. Juli 2010, in der die o.g. Adresse in Č* … … eingetragen ist. Als Zweck sei darin handschriftlich die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses vermerkt. Während dieses Aufenthalts in Tschechien habe der Antragsteller, der nie zuvor Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen sei, dort die Fahrerlaubnis erworben. In Deutschland habe er sich nicht abgemeldet, weil sein Aufenthalt in Tschechien von vornherein befristet gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht legte den Antrag nach § 123 VwGO dahin aus, dass der Antragsteller die – zeitlich befristete – Umschreibung seiner tschechischen Fahrerlaubnis, hilfsweise die – vorläufige – Feststellung begehre, dass seine tschechische EU-Fahrerlaubnis tatsächlich inlandsgültig sei, und lehnte ihn mit Beschluss vom 2. September 2021 ab. Der Antragsteller habe jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die tschechische Fahrerlaubnis sei nicht mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit anzuerkennen, denn der Antragsteller habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung keinen ordentlichen Wohnsitz in der Tschechischen Republik gehabt. Die Antwort der tschechischen Behörden auf das Auskunftsersuchen stelle einen Hinweis aus dem Ausstellermitgliedstaat Tschechien dafür dar, dass der Kläger dort keinen ordentlichen Wohnsitz begründet habe. Daher seien zur endgültigen Beurteilung dieser Frage auch Erkenntnisse aus dem Inland heranzuziehen. Als gewichtiger inländischer Umstand gegen einen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien spreche, dass der Antragsteller durchgehend mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet gewesen sei und in diesen Zeitraum sogar eine Ummeldung in Deutschland falle. Diesem Schluss sei der Antragsteller nicht durch substantiierte und verifizierbare Angaben zu seiner Wohnsitzbegründung in Tschechien entgegengetreten. Er trage zwar im Grundsatz glaubhaft vor, zumindest teilweise in Tschechien gelebt und gearbeitet zu haben, könne aber nicht glaubhaft machen, dass er sich dort überwiegend aufgehalten habe. U.a. lasse die Provisionsregelung in dem Nachtrag zum Arbeitsvertrag vermuten, dass er für diese Tätigkeit nicht nur in Tschechien, sondern auch im Ausland tätig gewesen sei. Den zugrunde liegenden Arbeitsvertrag sowie entsprechende Gehaltsnachweise habe er nicht vorgelegt. Ferner sei nicht nachvollziehbar, warum die tschechischen Behörden trotz der vorgetragenen Anstellung weder Angaben zu seinem Arbeitsplatz noch zu gezahlten Steuern und Sozialabgaben machen könnten.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Die Beantwortung der genannten Fragen mit „unknown“ stelle keine unbestreitbare Information aus dem Ausstellermitgliedstaat Tschechien dar, die beweise, dass der Antragsteller dort keine 185 Tage im Jahr anwesend gewesen sei. Aussagekräftige Indizien für einen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien seien die vorläufige Aufenthaltserlaubnis sowie die vorgelegten Zusätze zum Arbeitsvertrag. Zudem habe der Antragsteller seit 2008 eine tschechische Freundin gehabt; diese Beziehung habe auch während seines Aufenthalts in Tschechien bestanden. Der Sohn des damaligen Inhabers der Firma E* … könne bestätigen, dass der Antragsteller sich überwiegend in Tschechien aufgehalten habe. Vorgelegt wurde dazu eine eidesstaatliche Versicherung des Sohns des Inhabers. Dort heißt es u.a., dieser habe mitbekommen, dass sein Vater mit dem Antragsteller nach Tschechien gefahren und diese erst nach etwa einem Monat wieder in G* … erschienen seien; nach etwa einer Woche seien sie wieder zusammen nach Tschechien gefahren. Das habe sich während des Zeitraums vom 1. März 2010 bis zum 31. Dezember 2011 regelmäßig wiederholt. Er habe in Tschechien auch die Freundin des Antragstellers gesehen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
1. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts, wonach der Antrag nach § 123 VwGO in erster Linie auf eine Verpflichtung zur vorläufigen Umschreibung der tschechischen in eine deutsche Fahrerlaubnis zielt und hilfsweise auf eine vorläufige Feststellung, dass die tschechische Fahrerlaubnis inlandsgültig ist, erscheint interessengerecht und ist von der Beschwerde nicht beanstandet worden (vgl. zum Meinungsstand hinsichtlich der vorläufigen Erteilung einer Fahrerlaubnis im Wege der einstweiligen Anordnung Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 20 FeV Rn. 6; zur vorläufigen Feststellung BayVGH, B.v. 13.7.2012 – 11 AE 12.1311 – juris Rn. 16). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht für beide Begehren den Antrag nach § 123 VwGO als statthaft angesehen (vgl. auch BayVGH, B.v. 13.7.2012 a.a.O. Rn. 17).
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 = juris Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt und jedenfalls nicht dazu berechtigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2018 – 11 CE 18.1170 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20; s. auch Dauer, a.a.O. § 20 FeV Rn. 6).
3. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch das zum Teil zum 2. August 2021 in Kraft getretene Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), wird dem Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat, auf Antrag die Fahrerlaubnis für die entsprechende Klasse von Kraftfahrzeugen erteilt, ohne dass die in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 FeV genannten Vorschriften anzuwenden sind. Diese Bestimmung ist nach § 30 Abs. 2 Satz 1 FeV entsprechend anzuwenden, wenn die Geltungsdauer einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, BE oder B1, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt hat, nach Begründung des ordentlichen Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland abläuft.
Unter welchen Voraussetzungen eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt, ergibt sich aus § 28 FeV. Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Information zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV im Inland hatten. Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Eine Person, deren persönliche Bindungen im Inland liegen, die sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern sie regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sie sich zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der – hier zeitlich anwendbaren (vgl. deren Art. 18 Abs. 2) – RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl L 403 S.18 – RL 2006/126/EG), insbesondere mit der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine (mit der Folge der Anerkennung der dem Dokument zugrundeliegenden Fahrerlaubnis, vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 – 3 C 9.17 – BVerwGE 162, 308 = juris Rn. 28), in Einklang. Voraussetzung für die Ausstellung eines Führerscheins und für dessen Erneuerung bei Ablauf der Gültigkeitsdauer ist ein ordentlicher Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats im Sinne des Art. 12 der RL 2006/126/EG oder der Nachweis eines dortigen Studiums während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b der RL 2006/126/EG). Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen gemäß Art. 2 Abs. 1 der RL 2006/126/EG gilt nicht, wenn entweder Angaben im zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen vorliegen, nach denen das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10, Akyüz – NJW 2012, 1341 Rn. 62; B.v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217 Rn. 51). Solche Informationen können insbesondere Angaben einer Einwohnermeldebehörde des Ausstellungsmitgliedstaats sein (EuGH, B.v. 9.7.2009 a.a.O. Rn. 61).
Die Prüfung, ob Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 a.a.O. Rn. 73 f.; BVerwG, B.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – NJW 2020, 1600 = juris Rn. 25). Dabei muss ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits von vornherein abschließend erwiesen sein (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 21 m.w.N.). Vielmehr reicht es aus, dass diese Informationen darauf „hinweisen“, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats „alle Umstände des anhängigen Verfahrens“ (EuGH, U.v. 1.3.2012 a.a.O. Rn. 75), also auch inländische Umstände wie etwa Einlassungen des Betroffenen oder Erkenntnisse der Meldebehörden, zur Beurteilung der Frage heranziehen, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 25; BayVGH, B.v. 4.3.2019 a.a.O. Rn. 22). Es obliegt dann dem Inhaber der Fahrerlaubnis, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden. Dies gilt in besonderer Weise, wenn der Inhaber des Führerscheins gleichzeitig einen Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat (BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 28).
4. Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Klage und damit einen Anordnungsanspruch verneint, weil aus dem Ausstellungsmitgliedstaat Tschechien stammende Informationen auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Erteilung der Fahrerlaubnis hinweisen und die Zusammenschau mit den übrigen bekannten Umständen, insbesondere der durchgehenden Meldung des Antragstellers in Deutschland, auf einen Wohnsitzverstoß schließen lässt.
a) Allein durch den Eintrag eines Wohnsitzes in Tschechien im Führerschein des Antragstellers wird das tatsächliche Innehaben eines ordentlichen Wohnsitzes an diesem Ort nicht positiv bewiesen. Vielmehr dürfen Angaben im Führerschein selbst und andere vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen als Erkenntnisquellen gleichrangig herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 16).
b) Ein Hinweis auf einen Wohnsitzverstoß im o.g. Sinne ergibt sich aus der vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Auskunft der tschechischen Behörden.
Zwar beweist die Erklärung einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats, die Wohnsitzvoraussetzungen nicht geprüft zu haben, für sich betrachtet nicht unbedingt, dass der Inhaber seinen Wohnsitz nicht gleichwohl im Ausstellungsmitgliedstaat hatte (EuGH, B.v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217 Rn. 55). Auch lässt die Beantwortung von (einzelnen) Fragen zu den näheren persönlichen Umständen des Führerscheininhabers im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung durch die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats mit „unknown“ nicht zwangsläufig auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis schließen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 18; vgl. dazu auch BVerwG, U.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – NJW 2020, 1600 = juris Rn. 26). Sie kann aber durchaus darauf hinweisen (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2020 – 11 CS 20.2065 – juris Rn. 19 m.w.N.). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die seit der Erteilung der Fahrerlaubnis verstrichene Zeit Nachforschungen beträchtlich erschweren kann (vgl. EuGH, U.v. 10.7.2003 – C-246/00 – juris Rn. 74) und bei einzelnen Gegebenheiten zweifelhaft sein kann, inwieweit diese abgefragt und niedergelegt wurden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch OVG NW, B.v. 9.1.2018 – 16 B 534/17 – juris Rn. 22).
Hier lässt sich der Antwort der tschechischen Behörden unter den gegebenen Umständen ein hinreichender Hinweis auf das Fehlen eines ordentlichen Wohnsitzes entnehmen. In der Formularantwort findet sich in der Rubrik „place of normal residence according to our information“ keine Eintragung und sind die Fragen nach dem Ort, an dem sich der Antragsteller für mindestens 185 Kalendertage im Jahr aufgehalten hat und an dem nahe Familienangehörige leben, zu einer geschäftlichen oder beruflichen Betätigung, zu Vermögensinteressen sowie zu Kontakten zu Verwaltungsbehörden oder sozialen Diensten (Ort, an dem Steuern gezahlt, Sozialleistungen bezogen, ein Kfz angemeldet ist) mit „unknown“ beantwortet worden. Diese Auskunft, die sich der Natur der Sache nach auf den Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung bezieht (vgl. BayVGH, U.v. 1.4.2019 – 11 B 18.2100 – juris Rn. 28), kann nur so verstanden werden, dass die tschechischen Behörden sich nicht in der Lage sehen, zu bestätigen, dass der Antragsteller unter der im Führerschein genannten Anschrift, die in der Auskunft wiedergegeben ist, einen ordentlichen Wohnsitz begründet hat. Nach der Rechtsprechung des Senats kann ohne besonderen Anhalt nicht unterstellt werden, dass die Behörde eines EU-Mitgliedstaats die Fragen in einem auf europäischer Ebene abgestimmten Formular ohne Ermittlungen mit „unknown“ beantwortet und damit der Sache nach keine Auskünfte erteilt (BayVGH, B.v. 28.7.2021 – 11 CS 21.1395 u.a. – juris Rn. 19; B.v. 23.11.2020 – 11 CS 20.2065 – juris Rn. 19; U.v. 10.7.2020 – 11 ZB 20.88 – juris Rn. 22; B.v. 7.7.2020 – 11 ZB 19.2112 – juris Rn. 18; B.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 24). Insbesondere wäre angesichts der vom Antragsteller vorgetragenen abhängigen Beschäftigung in der Republik Tschechien zu erwarten gewesen, dass den tschechischen Behörden steuerliche Informationen sowie die Leistung von Sozialabgaben bekannt wären. Grundsätzlich muss jeder Arbeitnehmer in Tschechien Steuern und Sozialabgaben von seinem Bruttolohn abführen (vgl. den Beitrag „Lebens- und Arbeitsbedingungen: Tschechien“ auf der von der Europäischen Union betriebenen EURES-Website, https://ec.europa.eu/eures/public/living-and-working/living-and-working-conditions/living-and-working-conditions-czechia_de, abgerufen am 7.2.2022). Ein entsprechendes Besteuerungsrecht steht der Tschechischen Republik nach Art. 15 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschecheslowakischen Sozialistischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl 1982 II S. 1023; BGBl 1993 II S. 762) zu. Ferner ergibt sich aus Art. 6 des Abkommens zwischen der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit (BGBl 2002 II S. 1128), dass sich die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaats richtet, in dessen Hoheitsgebiet sie tätig sind – hier also denjenigen der Tschechischen Republik. Dass der Antragsteller und die Firma E* … von einer Verpflichtung zur Zahlung von Sozialabgaben in Tschechien ausgingen, folgt im Übrigen auch aus den vorgelegten Nachträgen zu den Arbeitsverträgen. Aufgrund der Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der RL 2006/126/EG) haben die zuständigen Stellen des Ausstellungsmitgliedstaats auf Ersuchen des Aufenthaltsmitgliedstaats einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2015 – 11 B 14.654 – juris Rn. 33 m.w.N.) Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Prüfung der Fragen, namentlich zur steuerlichen Veranlagung in Tschechien, nicht ohne Weiteres durch Abfrage in den einschlägigen Datenbanken bzw. einer Anfrage bei der zuständigen Behörde erledigen ließe (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018 – 11 CS 17.1257 – juris Rn. 11). Ebenso wenig ist nachvollziehbar, weshalb nicht auch noch nach etlichen Jahren eine zutreffende registergestützte Auskunft erteilt werden können sollte (BayVGH, B.v. 10.7.2020 – 11 ZB 20.88 – juris Rn. 22). So war offenkundig auch die 2010 erfasste Wohnanschrift des Antragstellers noch abrufbar. Somit ist nicht davon auszugehen, dass die tschechischen Behörden die vom Kraftfahrt-Bundesamt abgefragten Informationen nicht geprüft haben, sondern davon, dass trotz Abfrage der einschlägigen Register und Datenbanken keine weiteren Erkenntnisse bzw. Informationen zum Antragsteller vorliegen.
c) Nach den oben dargestellten Grundsätzen können somit auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Maßgeblich ist dabei nach den genannten Voraussetzungen eines ordentlichen Wohnsitzes zunächst, ob der Antragsteller wegen persönlicher und beruflicher Bindungen während mindestens 185 Tagen im Jahr in Tschechien gewohnt hat (§ 7 Abs. 1 Satz 2 FeV; vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 11 CS 20.2160 – juris Rn. 22). Sollte das 185-Tage-Kriterium erfüllt sein, wäre in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Antragsteller nicht gleichwohl nach § 7 Abs. 1 Satz 3 FeV seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland hatte, weil er sich zwar aus beruflichen Gründen in Tschechien aufhielt, seine persönliche Bindungen jedoch in Deutschland lagen und er regelmäßig hierher zurückkehrte. Sofern der Antragsteller persönliche Bindungen sowohl zu seinem Wohnort in Deutschland als auch zu seinem Wohnort in der Tschechischen Republik hatte, dürfte der Ort als ordentlicher Wohnsitz anzusehen sein, zu dem der Antragsteller bei einer Gesamtbetrachtung die überwiegenden persönlichen Beziehungen hatte (so auch Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Erkenntnis v. 6.7.2020 – Ra 2018/11/0122 – abrufbar unter www.ris.bka.gv.at; vgl. auch BayVGH, B.v. 3.6.2013 – 11 CE 13.738 – juris Rn. 13; aA Huppertz in MüKo StVR, 1. Aufl. 2016, § 7 FeV Rn. 10), bzw. dürften jedenfalls untergeordnete Bindungen außer Betracht bleiben.
Davon ausgehend spricht hier als gewichtiger inländischer Umstand gegen einen ordentlichen Wohnsitz des Antragstellers in Tschechien, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, die Tatsache, dass er dauerhaft mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Erteilung der Fahrerlaubnis in Tschechien erfolgte sogar die Ummeldung in die Wohnung in W* …, die der Antragsteller aktuell als alleinige Wohnung bewohnt. Für den Verbleib des ordentlichen Wohnsitzes in Deutschland streitet auch, dass der Antragsteller von vornherein beabsichtigte, nach Deutschland zurückzukehren, wie sich jedenfalls aus der Wertung des § 7 Abs. 1 Satz 4 FeV sowie einer lebensnahen Betrachtung ergibt. Ferner sticht ins Auge, dass der Antragsteller nach den Ermittlungen des Landratsamts im März 2011, also ebenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit der Erteilung der Fahrerlaubnis in Tschechien, einen Pkw bei der Zulassungsstelle seines deutschen Wohnsitzes angemeldet hat. Dies sind jedenfalls Anzeichen dafür, dass die stärkste persönliche Beziehung des Antragstellers auch im Zeitraum des vorgetragenen Aufenthalts in Tschechien zu seinem Wohnort in Deutschland – im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis K* … – bestand und er regelmäßig hierhin zurückgekehrt ist. In diese Richtung weist auch der Vortrag im Beschwerdeverfahren, der Antragsteller sei jeden Monat für etwa eine Woche nach Deutschland zurückgekehrt, was für einen ordentlichen Wohnsitz in K* … bzw. W* … nach der Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 3 FeV spricht.
Substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts in der Tschechischen Republik sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen, die zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden und welche die Annahme eines ordentlichen Wohnsitzes dort bestätigen könnten, hat der Antragsteller bislang nicht gemacht. Insbesondere hat er – trotz der zutreffenden Hinweise des Verwaltungsgerichts – auch im Beschwerdeverfahren nicht nachvollziehbar erklärt, welche konkrete Tätigkeit an welchem Ort er aufgrund seiner Anstellung bei der Firma E* … verrichtet hat, und den zu Grunde liegenden Arbeitsvertrag nicht vorgelegt. Er hat weder Steuererklärungen oder Nachweise über gezahlte Steuern und Sozialabgaben in Tschechien zur Verfügung gestellt noch glaubhaft vorgetragen, warum dies nicht möglich sein sollte. Schließlich fehlt es auch an einer nachvollziehbaren Erklärung dazu, wo sich der Schwerpunkt seiner persönlichen Bindungen befand und in welchem Umfang sowie zu welchem Zweck er seine Wohnungen in Deutschland während des vorgetragenen Aufenthalts in Tschechien genutzt hat. Dem wird im Hauptsacheverfahren ggf. weiter nachzugehen sein, sofern der Antragsteller seiner Mitwirkungsobliegenheit dort gerecht wird.
5. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3, 46.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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