Europarecht

Gesamteindruck, Bekanntheit, Unlauterkeit, Nachahmung, Verkehrskreise, Wechselwirkung, Anspruch, Unternehmer, Herkunft, Leistungsschutz, Eigenart, Abgabe, Nachahmungsschutz, Anforderungen, wettbewerbliche Eigenart, wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz, Art und Weise

Aktenzeichen  37 O 5029/22

Datum:
13.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2022, 18456
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 29.04.2022 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin zu 1) ist eine Weinproduzentin mit Sitz in Argentinien, die seit März 2021 unter der Bezeichnung „C Garden Spritz“ einen Schaumwein mit Bitterorange, Kräutern und Gewürzen herstellt. Die Antragstellerin zu 2) vertreibt das Produkt in der EU. Die Antragstellerinnen gehören zur …-Gruppe.
Der Schaumwein „C Garden Spritz“ der Antragstellerinnen wird unter der nachfolgend abgebildeten Aufmachung vertrieben:
Die Antragsgegnerin zu 1) ist Teil der M.-Gruppe und betreibt im Großraum München M.- Filialen, u.a. … Die Antragsgegnerin zu 2) ist Herstellerin des Produkts „Premium Spritz“, das seit dem 04.04.2022 in M.-Filialen verkauft wird.
Die Antragsstellerinnen erlangten am 31.03.2022 Kenntnis von dem geplanten Verkaufsstart des „Premium Spritz“ und tätigten am 04.04.2022 einen Testkauf in der M.-Filiale Antragsgegnerin zu 1) am xxplatz. Das Produkt der Antragsgegnerinnen ist wie folgt aufgemacht:
Die Antragstellerinnen ließen die Antragsgegnerinnen durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.04.22 abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern (Anlagenkonvolut ASt 18).
Die Antragsgegnerinnen wiesen die geltend gemachten Ansprüche mit Schreiben vom 27.02.2022 zurück (Anlagen ASt 19 und ASt 20). Die Antragstellerinnen meinen, der „C Garden Spritz“ verfüge über einen hohen Grad an wettbewerblicher Eigenart. Dies folge daraus, dass es sich als schaumwein- (nicht weißwein-) basierter Spritz um eine innovative Produktneuheit handele, die sich zudem in ihrer Aufmachung deutlich vom Marktumfeld – sowohl von anderen Schaumweinen als auch von bisher existierenden Spritz-Produkten abhebe. Sie sind der Auffassung, dass der „Premium Spritz“ der Antragsgegnerinnen eine unlautere Nachahmung des „C Garden Spritz“ der Antragstellerinnen darstelle, das sämtliche prägenden Elemente der Aufmachung des „C Garden Spritz“ übernehme:
– die dunkle Schaumweinflasche mit Korken
– die beigefarbenen und mit orangen Elementen versehene Banderole am Flaschenhals
– die Gestaltung des Frontetiketts in beiger Farbe mit orangefarbener Umrandung
– die mittige Abbildung einer Orange mit Blatt
– den mittig vertikal verlaufenden gelben, in Teilen transparent wirkenden Streifen, auf dem ein reliefartig angebrachter, dreidimensional anmutender und haptisch hervorgehobener Schriftzug mit der Produktkennzeichnung in goldener Farbe aufgebracht ist.
Diese Gestaltung führe eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft des Produktes herbei (§ 4 Nr. 3 a) UWG). Hierzu behaupten die Antragstellerinnen, dass die Einführung ihres Produkts von einer intensiven Werbekampagne begleitet wurde und im ersten Jahr nach Markteinführung über 175.000 Flaschen an Kunden in Deutschland vertrieben worden seien. Sie meinen daher, dass die für eine Herkunftstäuschung erforderliche Bekanntheit ihres Produkts vorliege. Weiter nutzten die Antragsgegnerinnen die Wertschätzung des „C Garden Spritz“ unangemessen aus und beeinträchtige diese (§ 4 Nr. 3 b) UWG). Darüber hinaus begründe das Produkt der Antragsgegnerinnen die Gefahr von Verwechslungen und verstoße daher auch gegen § 5 Abs. 2 UWG.
Die Antragstellerinnen beantragen,
I. Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft jeweils an den Mitgliedern der Geschäftsführung der Antragsgegnerinnen zu vollziehen ist, zu unterlassen in der Bundesrepublik Deutschland im geschäftlichen Verkehr schaumweinhaltige Getränke anzubieten, zu bewerben und zu vertreiben und/oder die vorgenannten Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen, wenn diese wie nachfolgend abgebildet aufgemacht sind:
Die Antragsgegnerinnen haben eine Schutzschrift hinterlegt (Schutzschrift vom 27.04.2022), die bei der Entscheidung berücksichtigt wurde. Sie meinen insbesondere, dass die Produktidee der Antragstellerinnen als solche keinen Nachahmungsschutz genießt, da es sich hierbei lediglich um eine Variante der langen norditalienischen Tradition des „Spritz“ handele (vgl. Anlage AG 2). Auch wahre die Gestaltung ihres Produktes einen ausreichenden Abstand zur Aufmachung des Produktes der Antragstellerinnen, so dass ein Anspruch aus § 4 Nr. 3 UWG nicht in Betracht komme.
Wegen des weiteren Parteivortrags wird ergänzend auf die Schriftsätze der Antragstellerinnen vom 29.04.2022 und vom 11.05.2022 sowie auf die Schutzschrift vom 27.04.2022 Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, da die Antragsstellerinnen keinen Verfügungsanspruch haben. Der „Premium Spritz“ der Antragsgegnerinnen stellt keine unlautere Nachahmung des „C Garden Spritz“ der Antragstellerinnen im Sinne des § 4 Nr. 3 UWG dar.
1. Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz besteht, wenn ein Unternehmer das Leistungsergebnis eines Mitbewerbers nachahmt und auf dem Markt anbietet, das über wettbewerbliche Eigenart verfügt, sofern besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. So verhält es sich, wenn die Nachahmung geeignet ist, eine Herkunftstäuschung hervorzurufen, und der Nachahmer geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die die Unlauterkeit begründende Herkunftstäuschung und ihre Vermeidbarkeit zu stellen und umgekehrt. Weitere Voraussetzung wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes wegen vermeidbarer Herkunftstäuschung ist, sofern nicht Original und Nachahmung nebeneinander vertrieben werden und der Verkehr damit beide unmittelbar miteinander vergleichen kann, dass das nachgeahmte Erzeugnis eine gewisse Bekanntheit bei erheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise erlangt hat (BGH, Urteil v. 02.12.2015 – I ZR 176/14 – Herrnhuter Stern, Rn. 31, juris).
2. Vorliegend fehlt es bereits an einer Nachahmung des Produkts der Antragstellerinnen durch die Antragsgegnerinnen.
Gegenstand der Nachahmung kann hier – was sich bereits eindeutig aus der Formulierung des Verfügungsantrags ergibt – allein die Aufmachung der beiden Produkte sein.
Aus dem Vortrag der Antragsstellerinnen ergibt sich nicht, dass sie wettbewerblichen Leistungsschutz für ihr Produkt als solches geltend machen wollen, auch wenn sie dieses als Innovation bezeichnen und eine Übernahme der Produktidee geltend machen. Gleichzeitig räumen sie jedoch selbst ein, dass es mindestens drei servierfertige Spritz-Getränke aus Schaumwein am Markt gibt. Dass das Produkt der Antragstellerinnen – und nicht lediglich seine Aufmachung und Vermarktung – neu ist, erschließt sich daher nicht. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des Hinweises auf die lange norditalienische Tradition des „Spritz“ (Anlage AG 2), dem die Antragstellerinnen in ihrer Stellungnahme auf die Schutzschrift nicht entgegentreten.
a) Aus der Gestaltung der Flasche des „C Garden Spritz“ ergibt sich zwar eine wettbewerbliche Eigenart des Produkts aufgrund seiner ästhetischen Merkmale. Wettbewerbliche Eigenart liegt vor, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (stRspr; vgl. BGH GRUR 2010, 80 Rn. 23 – LIKEaBIKE; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.24). Für die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart ist auf den Gesamteindruck des nachgeahmten Erzeugnisses abzustellen (BGH, Urteil v. 02.12.2015 – I ZR 176/14 – Herrnhuter Stern, Rn. 33, juris).
Vorliegend gründet sich die Eigenart maßgeblich auf den vertikalen orange/gelben Streifen mit der reliefartigen goldenen Schrift, der sich bei dem Produkt der Antragstellerinnen längs über den gesamten Bauch der Flasche legt. Diese hat deutlichen Einfluss auf den Gesamteindruck der Aufmachung und ist nach den von den Parteien vorgelegten Gestaltungen im Marktumfeld von Schaumweinen und „Spritz“ Getränken unüblich. Elemente wie die dunkle Schaumweinflasche, die goldene Flaschenhalsverkleidung sowie die Anbringung einer Banderole nebst Etikett haben zwar Einfluss auf den Gesamteindruck, sind dem Verkehr bei Schaumweinen aber so geläufig sind, dass sie nicht auf eine betriebliche Herkunft hinweisen. Eine untergeordnete Rolle spielen auch die orangene Farbgebung und die Abbildung von Orangen auf dem Etikett, da beides bei einem nach Orange schmeckenden Getränk so naheliegt, dass diesen Elementen kaum eine herkunftshinweisende Funktion zukommen dürfte. Insgesamt ist aufgrund des Gesamteindrucks daher von einer durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart des „C Garden Spritz“ auszugehen.
b) Das Produkt der Antragsgegnerinnen weist keine für eine Nachahmung ausreichende Ähnlichkeit zu dem Produkt der Antragstellerinnen auf.
Das angegriffene Produkt (oder ein Teil davon) müsste für die Annahme einer Nachahmung mit dem Originalprodukt übereinstimmen oder ihm zumindest so ähnlich sein, dass es sich in ihm wiedererkennen lässt. Die Ähnlichkeit beurteilt sich nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.34 m.w.N.).
Vorliegend unterscheidet sich der Gesamteindruck der beiden Erzeugnisse derart deutlich, dass von einer Nachahmung nicht ausgegangen werden kann.
Zwar weist die Flaschengestaltung der Antragsgegnerinnen auch einen vertikalen gelben, teils transparenten Streifen mit reliefartiger goldener Schrift auf. Dieser ist jedoch viel weniger auffällig als bei dem Originalprodukt und prägt den Gesamteindruck nicht in gleichem Maße, da er heller (bzw. eher gelb als orange) ist und lediglich über das Etikett gelegt ist. Zudem tritt durch die Begrenzung des vertikalen Streifens auf das Etikett bei dem Produkt der Antragsgegnerinnen die oben und unten spitz zulaufende Form des Etiketts hervor, die das Originalprodukt mit seinem ovalen Etikett gerade nicht aufweist. Bei einem Vergleich des Gesamteindrucks überwiegen daher die Unterschiede. Insbesondere die Verkleidung des Flaschenhalses mit einer goldenen Folie und rotem Stern gegenüber dem weitgehend nackten Flaschenhals mit sichtbarem Korken und Drahteinfassung bei dem Produkt der Antragsgegnerinnen führt dazu, dass von dem Originalprodukt der Eindruck eines hochwertigen, eleganten und eher teureren Getränks ausgeht, während der „Premium Spritz“ der Antragsgegnerinnen deutlich rustikaler und einfacher wirkt. Dass beide Getränke in einer dunklen Schaumweinflasche mit Korken angeboten werden, ist der Art des Produkts geschuldet und – wie die Antragstellerinnen selbst vortragen – bei Schaumweinen typisch, so dass es sich, wie bereits dargelegt, auch bei einem mit Zusätzen versehenen Schaumwein nicht um herkunftshinweisende Elemente handelt, die hier übernommen wurden. Die auf beiden Etiketten abgebildeten Orangen deuten ebenfalls auf den Geschmack des Produkts hin und damit weniger auf die betriebliche Herkunft. Im Gesamteindruck sticht das Etikett des Originalprodukts zudem durch seine kräftige Farbgebung hervor, während die aufgeschnittenen Orangen auf dem Produkt der Antragsgegnerinnen eher dezent gezeichnet sind und daher im Gesamtbild zurücktreten. Dies gilt auch wenn man den Erfahrungssatz zugrunde legt, dass die Verbraucher beide Produkte in der Regel nicht gleichzeitig wahrnehmen und miteinander vergleichen (vgl. BGH, Urteil v. 11.01.2007 – I ZR 198/04 – Handtaschen, Rn. 34, juris). Die festgestellten Abweichungen sind hier in ihrer Summe und ihrem Einfluss auf den Gesamteindruck jedoch so erheblich, dass sie – auch angesichts der eher durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart des „C Garden Spritz“ – ausreichen, um eine Nachahmung auszuschließen.
3. Da es bereits an einer Nachahmung fehlt, kommt es auf das Vorliegen eines Unlauterkeitsmoments nicht an. Die Frage, ob das Produkt der Antragsstellerinnen bereits eine gewisse Bekanntheit am Markt erlangt hat, ist daher für die Entscheidung nicht maßgeblich. Es kann darüber hinaus dahinstehen, ob die Antragstellerinnen für die geltend gemachten Ansprüche aktivlegitimiert sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.


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