Europarecht

Patentnichtigkeitssache betreffend ein Europäisches Patent: Abgrenzung einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands von einem Aliud bei Hinzufügung eines Merkmals – Zigarettenpackung

Aktenzeichen  X ZR 158/18

Datum:
20.10.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:201020UXZR158.18.0
Normen:
Art 87 Abs 1 EuPatÜbk
Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk
Art 2 § 6 Abs 2 IntPatÜbkG
Spruchkörper:
10. Zivilsenat

Leitsatz

Zigarettenpackung
Von der Nichtigerklärung eines Patents ist abzusehen, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Keine bloße Einschränkung in diesem Sinne, sondern ein Aliud liegt vor, wenn das hinzugefügte Merkmal einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch zumindest in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (Bestätigung von BGH, Urteil vom 21. Juni 2011 – X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 – Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 – X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 – Tintenstrahldrucker und Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 = GRUR 2015, 573 – Wundbehandlungsvorrichtung).

Verfahrensgang

vorgehend BPatG München, 22. August 2018, Az: 4 Ni 10/17 (EP), Urteil

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 22. August 2018 abgeändert.
Das europäische Patent 942 880 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 942 880 (Streitpatents), welches am 19. November 1997 unter Inanspruchnahme britischer Prioritäten vom 21. November 1996, 6. August 1997 und 3. Oktober 1997 angemeldet worden ist und eine Verpackung für Rauchwaren betrifft. Patentanspruch 1, auf den sich sechzehn weitere Ansprüche zurückbeziehen, lautet in der Verfahrenssprache:
A pack of smoking articles having a frame (10, 10´, 101) with a major panel (11, 11´, 102), two side wings (12, 104) and at least a partial end flap (21/22, 21´/22´, 108, 112) placed adjacent a face, sides and at least part of at least one end, respectively, of a charge (15) of smoking articles, and a flexible barrier sheet (24, 200, 229, 258, 259) wrapping the charge and frame and forming a sealed enclosure around them by virtue of sealed seams characterized in that all of the sealed seams overlie at least partly a part (12, 21/22, 21´/22´, 104, 112) of the frame.
2
Patentanspruch 18, auf den sich ein weiterer Anspruch zurückbezieht, schützt sinngemäß ein Verfahren zur Herstellung eines solchen Erzeugnisses.
3
Die Klägerin, die wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat das Streitpatent wegen unzulässiger Erweiterung und mangelnder Patentfähigkeit angegriffen. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in zwanzig geänderten Fassungen (Hilfsanträge 1 bis 5C) verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit Hilfsantrag 3 verteidigte Fassung hinausgeht, und die weitergehende Klage mit der Maßgabe abgewiesen, dass aus dem Merkmal “that all of the sealed seams overlie at least partly a part of the frame” keine Rechte hergeleitet werden können. Hiergegen wenden sich die Berufungen beider Parteien, die ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe

5
Beide Berufungen sind statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nur das Rechtsmittel der Klägerin ist begründet.
6
I. Das Streitpatent betrifft eine Verpackung für Rauchwaren.
7
1. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, im Stand der Technik seien sowohl Verpackungen aus weichen, blattartigen Materialien als auch starre Verpackungen mit einem äußeren Gehäuse aus Karton oder Pappe bekannt. Starre Verpackungen schützten zwar die Rauchwaren und weitere abdichtende Umhüllungen gut. Sie seien jedoch in der Herstellung schwierig und teuer. Demgegenüber seien weiche Verpackungen einfach und kostengünstig herzustellen, schützten den Inhalt der Verpackung aber nicht so gut.
8
2. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Verpackung für Rauchwaren bereitzustellen, die einen möglichst guten Schutz bietet und zugleich möglichst einfach und kostengünstig herzustellen ist.
9
3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1.A     
A pack of smoking articles
Ein Rauchwarenpäckchen,
1.B     
having a frame (10, 10‘, 101)
welches eine Zarge (10, 10‘, 101) hat,
1.B.i 
with a major panel (11, 11’, 102),
mit einer Hauptfläche (11, 11’, 102),
1.B.ii
two side wings (12, 104)
zwei Seitenflügeln (12, 104)
1.B.iii
and at least a partial end flap (21/22, 21´/22’, 108, 112)
und wenigstens einer teilweisen Endlasche (21/22, 21´/22’, 108, 112),
1.B.iv
placed adjacent a face, sides and at least part of at least one end, respectively, of a charge (15) of smoking articles,
angeordnet jeweils angrenzend an eine Fläche, Seiten und wenigstens einen Teil wenigstens eines Endes einer Rauchwarenfüllung (15),
1.C     
and a flexible barrier sheet (24, 200, 229, 258, 259) wrapping the charge and frame
und ein flexibles Sperrblatt (24, 200, 229, 258, 259), das die Füllung und die Zarge umwickelt
1.D     
and forming a sealed enclosure around them by virtue of sealed seams
und mittels versiegelter Nähte eine abgedichtete Umhüllung um sie bildet,
1.E     
characterized in that all of the sealed seams overlie at least partly a part (12, 21/22, 21´/22’, 104, 112) of the frame.
dadurch gekennzeichnet, dass alle versiegelten Nähte wenigstens teilweise einen Teil (12, 21/22, 21´/22’, 104, 112) der Zarge überliegen.
10
4. Einige dieser Merkmale bedürfen der Erläuterung.
11
a) Zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass die in Merkmal 1.B vorgesehene Zarge eine gewisse Festigkeit aufweisen muss, Patentanspruch 1 aber kein bestimmtes Material vorgibt.
12
Dass die Zarge eine gewisse Festigkeit haben muss, ergibt sich aus der in der Verfahrenssprache verwendeten Bezeichnung “frame” und aus der Gegenüberstellung dieses Bestandteils mit dem in Merkmal 1.C vorgesehenen flexiblen Sperrblatt. Bestätigt wird dies, wie das Patentgericht zu Recht ausgeführt hat, durch den Umstand, dass die Zarge gemäß Merkmal 1.E zumindest einem Teil der versiegelten Nähte unterliegt und dieses Merkmal die Funktion hat, eine Verteilung des beim Siegeln auftretenden Drucks zu ermöglichen.
13
b) Aus Merkmal 1.B.iv, wonach die einzelnen Teile der Zarge an eine Fläche, an Seiten und an wenigstens einen Teil eines (oberen oder unteren) Endes der Rauchwaren angrenzen müssen, ergibt sich nicht, dass die jeweiligen Seiten des Packungsinhalts vollständig von der Zarge bedeckt sein müssen.
14
aa) Für die Endlasche sieht Merkmal 1.B.iii ausdrücklich vor, dass diese (nur) wenigstens teilweise ausgebildet ist.
15
bb) Für die Hauptfläche bezeichnet es die Beschreibung als vorzugswürdig, sie nicht als vollständiges Rechteck auszuführen, sondern an der Oberseite eine Aussparung vorzusehen (Abs. 27). Eine solche Aussparung ist unter anderem in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 13 und 14 dargestellt.
16
cc) Hinsichtlich der Seitenflügel gilt vor diesem Hintergrund nichts anderes.
17
In den Figuren des Streitpatents bedecken die Seitenflügel die Seitenflächen zwar jeweils vollständig. Merkmal 1.B.iv sieht insoweit aber keine Differenzierung zwischen den einzelnen Teilen der Zarge vor. Damit bleibt es dem Fachmann unbenommen, auch die Seitenflügel mit Aussparungen zu versehen.
18
Aus der Funktion der Seitenflügel als bevorzugte Auflagefläche für die Siegelnähte ergibt sich nichts Abweichendes. Nach Merkmal 1.E genügt es, wenn die Nähte teilweise einen Teil der Zarge überliegen. Dies lässt die Möglichkeit offen, dass auch die Seitenflügel Aussparungen aufweisen und die Nähte in diesem Bereich nicht auf der Zarge aufliegen.
19
c) Hinsichtlich des in Merkmal 1.C vorgesehenen flexiblen Sperrblatts gibt Patentanspruch 1 ebenfalls kein bestimmtes Material vor.
20
Nach der Beschreibung kann das Sperrblatt aus einer Metallfolie, einem Kunststoff-Laminat oder einem metallisierten Kunststofffilm bestehen. Diese Aufzählung ist nicht abschließend. In Betracht kommt grundsätzlich jedes Material, das flexibel ist und die Eignung aufweist, die Zarge und den Packungsinhalt in einer für praktische Bedürfnisse ausreichenden Weise abzudichten (Abs. 13).
21
d) Zutreffend hat das Patentgericht ferner angenommen, dass es zur Verwirklichung von Merkmal 1.E nicht genügt, wenn einzelne der versiegelten Nähte des Sperrblatts die Zarge überliegen, sondern dass jede Naht zumindest über einen Teil ihres Verlaufs hinweg über einem Teil der Zarge liegen muss.
22
Merkmal 1.E lässt zwar ein nur teilweises Überliegen genügen, stellt dieses Erfordernis aber für alle versiegelten Nähte auf. Dies steht in Einklang mit der Beschreibung, die die Erfindung gegenüber einer aus dem Stand der Technik bekannten Ausführungsform dadurch abgrenzt, dass alle Nähte zumindest teilweise die Zarge überliegen (Abs. 11), und mit den Ausführungsbeispielen, die in den Figuren 13 und 14 sowie 27 bis 29 dargestellt sind und deren Bezugszeichen Patentanspruch 1 verwendet.
23
Dass damit die in den Figuren 6 und 7 bzw. 8 und 9 dargestellten Ausführungsbeispiele nicht erfindungsgemäß sind, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Diese Ausführungsbeispiele beruhen insoweit auf einem anderen Bauprinzip, das Merkmal 1.E nicht aufgreift. Bezeichnenderweise finden sich die in diesen Figuren verwendeten Bezugszeichen im Patentanspruch nicht wieder.
24
Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass dieser Widerspruch nicht dadurch aufgelöst werden kann, dass die Nähte an der Oberseite nicht als versiegelte Nähte im Sinne von Merkmal 1.E angesehen werden. Wie bereits oben dargelegt wurde, hebt die Beschreibung hervor, dass alle Nähte zumindest einen Teil der Zarge überliegen. Sie unterscheidet dabei nicht zwischen Nähten an verschiedenen Seiten.
25
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:
26
Merkmal 1.E sei in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Dies führe jedoch nicht zur Nichtigerklärung, sondern nur dazu, dass aus diesem Merkmal keine Rechte hergeleitet werden könnten. Der Gegenstand des Streitpatents stelle im Vergleich zur ursprünglich offenbarten Lehre kein Aliud dar, sondern nur eine Konkretisierung.
27
III. Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.
28
1. Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass Merkmal 1.E den ursprünglich eingereichten Unterlagen, deren Inhalt mit der Offenlegungsschrift (NK2) übereinstimmt, nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist.
29
a) Der Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Entscheidend ist, was der Fachmann diesen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGH, Urteil vom 15. September 2015 – X ZR 112/13, GRUR 2016, 50 Rn. 24 – Teilreflektierende Folie; Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12, GRUR 2015, 573 Rn. 21 – Wundbehandlungsvorrichtung). Zu berücksichtigen ist allerdings nur das, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung selbst ergibt, nicht hingegen weitergehende Erkenntnisse, zu denen der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann (BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 – Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 Rn. 62 – Fälschungssicheres Dokument).
30
b) Im Streitfall fehlt es danach an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung von Merkmal 1.E.
31
aa) In der Beschreibung von NK2 wird (insoweit übereinstimmend mit Abs. 13 der Beschreibung des Streitpatents) ausgeführt, die Ausgestaltung von abgedichteten Nähten in einer Umhüllung oder einer Sperrschicht, insbesondere an den Seiten einer Verpackung, werde durch das Vorhandensein der seitlichen Flächen der inneren Zarge unterstützt, die gegen die Zigaretten der Füllung anliege und den Druck, der durch die Versiegelungsvorrichtung auf sie ausgeübt werde, verteile bzw. ausbreite. Dies sei insbesondere dann sinnvoll, wenn die Füllung unterschiedliche Mengen an Zigaretten in unterschiedlichen Reihen aufweise, wie beispielsweise in einer 7-6-7-Anordnung, bei der sonst ein Kanal in den Seiten ausgebildet werden könnte (S. 2 Z. 27 bis S. 3 Z. 5).
32
bb) Daraus geht unmittelbar und eindeutig hervor, dass die Seitenwände der Zarge die Anbringung versiegelter Nähte in der beschriebenen Weise unterstützen können, nicht aber, dass Entsprechendes auch für andere Bestandteile der Zarge gilt.
33
Der Angabe, dass die Unterstützungswirkung durch eine Druckverteilung erzielt werden kann, ist zu entnehmen, dass es vorteilhaft ist, die Nähte so anzubringen, dass sie oberhalb der Seitenwände liegen. Ob dieser Angabe ohne Zuziehung von Fachwissen darüber hinaus entnommen werden kann, dass eine Druckverteilung auch auf andere Weise herbeigeführt werden kann, etwa dadurch, dass die Nähte auf der Stirnseite der Seitenwände aufliegen, bedarf in diesem Zusammenhang keiner abschließenden Entscheidung. Als Mittel, um die angestrebte Wirkung zu erzielen, werden jedenfalls nur die Seitenwände benannt, nicht aber andere Teile der Zarge.
34
Den Ausführungen zur Druckverteilung mag darüber hinaus zu entnehmen sein, dass eine vergleichbare Wirkung auch an anderen Stellen von Vorteil sein kann. Hieraus ergibt sich als unmittelbare und eindeutige Schlussfolgerung jedoch allenfalls, dass eine vergleichbare Ausgestaltung an Stellen in Betracht kommt, an denen eine solche Druckverteilung erforderlich ist. Dass die Ober- und die Unterseite der Verpackung zu diesen Stellen gehören könnte, ist vor dem Hintergrund der in NK2 offenbarten Ausführungsbeispiele demgegenüber nicht klar ersichtlich. An diesen Seiten bilden die Rauchwaren – anders als an den Seiten – eine im Wesentlichen ebene Fläche, die nur durch kleine Zwischenräume unterbrochen wird. Dass eine zusätzliche Druckverteilung mit Hilfe von Teilen der Zarge auch an diesen Stellen vorteilhaft sein kann, ergibt sich danach allenfalls aufgrund weitergehender, auf Fachkenntnissen beruhender Überlegungen. Dies reicht für eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung nicht aus.
35
cc) Ebenfalls nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist, dass es für die genannte Unterstützungswirkung ausreicht, wenn die versiegelten Nähte über nur einem kleinen Teil der Zarge angebracht werden.
36
Die Ausführungsbeispiele und die zugehörigen Figuren der NK2 zeigen nur Seitenwände, welche die Seiten der innenliegenden Rauchwarenanordnung vollständig bedecken.
37
Aus der Beschreibung der in den Figuren 13 und 14 dargestellten Ausführungsform in NK2 ergibt sich kein weitergehender Offenbarungsgehalt. Diese Ausführungsform kann zwar insofern unter das Merkmal 1.E subsumiert werden, als die Naht an der Oberseite des Päckchens über den in den Randbereichen ausgebildeten Endlaschen 112 und damit teilweise über einem Teil der Zarge verläuft. Aus der Anmeldung geht aber nicht hervor, dass diese Ausgestaltung dieselbe Funktion hat wie die ebenfalls gezeigte Anordnung der Nähte über den Seitenwänden. Als Funktion der Endlaschen 112 wird angegeben, diese bildeten eine Gegenfläche für eine mit Klebstoff versehene Abdeckung der Sperrschicht, um eine gute Versiegelung beim Wiederverschließen der geöffneten Packung zu gewährleisten (NK2 S. 14 Z. 26-30). Dass auch hier ein Schutz der innenliegenden Rauchwaren sinnvoll ist und dieser auch durch lediglich teilweise unterliegende Laschen geleistet werden kann, ergibt sich für den Fachmann allenfalls unter Heranziehung seines Fachwissens. Die oben aufgezeigten Ausführungen zur Wirkung der Seitenwände ermöglichen für sich gesehen eine solche Schlussfolgerung nicht, zumal die Endlaschen 112 aufgrund ihrer im Vergleich zur Gesamtbreite des Päckchens eher geringen Länge allenfalls eine geringe Verteilungswirkung entfalten können.
38
2. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts hat die unzureichende ursprüngliche Offenbarung die Nichtigerklärung des Streitpatents zur Folge.
39
a) Nach der Rechtsprechung des Senats führt die Einfügung eines Merkmals, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, allerdings nicht zwingend zur vollständigen Nichtigerklärung des Patents.
40
Sofern das nicht offenbarte Merkmal zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands, nicht aber zu einem Aliud führt, ist den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit schon dann Genüge getan, wenn das Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür Sorge getragen wird, dass im Übrigen, also was die Entstehung von Patentrechten anbelangt, keine Rechte aus der Änderung hergeleitet werden können (BGH, Beschluss vom 6. August 2013 – X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 – Tintenstrahldrucker). Dies gilt auch für europäische Patente, weil die Voraussetzungen einer Nichtigerklärung im nationalen Recht geregelt sind, die dafür maßgebliche Regelung in Art. II § 6 Abs. 2 IntPatÜbkG mit der für deutsche Patente geltenden Vorschriften (§ 22 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 Satz 1 PatG) übereinstimmt und nicht in Widerspruch zu den Vorgaben des Europäischen Patentübereinkommens steht (BGH, Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 = GRUR 2015, 573 Rn. 47 ff. – Wundbehandlungsvorrichtung).
41
b) Ein Aliud, das zwingend zur Nichtigerklärung führt, liegt nicht nur dann vor, wenn der Gegenstand des Streitpatents zum ursprünglich offenbarten Gegenstand in einem Ausschließlichkeitsverhältnis steht, sondern auch dann, wenn das hinzugefügte Merkmal einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch zumindest in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, Urteil vom 21. Juni 2011 – X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 Rn. 28 f. – Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 – X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 Rn. 27 – Tintenstrahldrucker; Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 = GRUR 2015, 573 Rn. 53 – Wundbehandlungsvorrichtung).
42
c) Das Hinzufügen von Merkmal 1.E führt nicht lediglich zu einer Konkretisierung im vorgenannten Sinne, sondern zu einem Aliud.
43
Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Anmeldung nicht die allgemeine Lehre zu entnehmen, dass die Zarge insgesamt die Ausbildung der Siegelnähte unterstützt. Eine solche Unterstützungswirkung ist vielmehr nur für die Seitenwände offenbart. Der bereits oben erwähnte Ausdruck “especially” deutet zwar an, dass diese Unterstützungswirkung auch an anderen Stellen der Packung von Vorteil sein kann. Auch insoweit werden als Mittel, um diese Wirkung zu erzielen, aber lediglich die Seitenwände angeführt, nicht hingegen andere Teile der Zarge.
44
Merkmal 1.E, das eine Unterstützungswirkung auch durch andere Teile der Zarge vorsieht, führt deshalb nicht nur zu einer Konkretisierung dahin, dass die Zarge den Inhalt der Verpackung auch während des Herstellungsprozesses vor äußeren Einwirkungen schützt. Vielmehr führt es auch zu einer Verallgemeinerung dahin, dass die Druckverteilung nicht nur durch die Seitenwände bewirkt werden kann, sondern durch jedes Teil der Zarge. Darin liegt keine Konkretisierung, sondern die Erweiterung um einen neuen technischen Aspekt, der in den ursprünglich eingereichten Unterlagen auch nicht in abstrakter Form offenbart ist.
45
3. Der Offenbarungsmangel betrifft das Streitpatent nicht nur in der erteilten Fassung, sondern auch in allen mit den Hilfsanträgen beanspruchten Fassungen.
46
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG sowie § 97 Abs. 1 und § 91 Abs. 1 ZPO.
Bacher     
      
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