Europarecht

Pflicht der Behörde zum Stempeln eines Fahrtenbuchs für einen Tiertransport

Aktenzeichen  23 CE 21.208

Datum:
20.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 333
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) Nr. 1/2005 Art. 2

 

Leitsatz

Unwägbarkeiten und Ungewissheiten rechtfertigen es nicht, den ungarischen Behörden zu unterstellen, dass diese als zuständige Behörde geltende EU-Vorgaben bei der Erteilung einer Genehmigung für den Weitertransport von Tieren nach Kasachstan (und Usbekistan) nicht beachten würden und deshalb deutsche Behörden ermächtigt sind, das Stempeln eines Fahrtenbuchs für Tiertransporte wegen befürchteter tierschutzrechtlicher Verstöße auf einer nicht vom Fahrtenbuchumfassten Strecke zu versagen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26b E 21.191 2021-01-18 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet.
Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Januar 2021. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsgegner vorbehaltlich der im Tenor des angefochtenen Beschlusses bestimmten Maßgaben verpflichtet ist, das Fahrtenbuch der Antragstellerin zu 2) für den am 21. Januar 2021 beantragten Transport von 31 trächtigen Rindern gemäß Art. 14 Abs. 1 lit.c Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004 über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinie 64/432/EWG und 93/199/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1255/97 (Abl. L 3 vom 5.1.2005, S. 1 ff.) (nachfolgend: TT-VO) zu stempeln.
Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Antragsstellers zu 2) auf Stempelung des Fahrtenbuchs Ungarn bejaht, da die zu transportierenden Rinder in Ungarn für einen Zeitraum von 30 Tagen quarantänisiert werden sollen, mithin länger als 48 Stunden vor ihrer Weiterbeförderung nach Kasachstan untergebracht werden sollen, so dass der Transport der Rinder von Miesbach nach Ungarn eine Beförderung und der Weitertransport der Rinder von Ungarn nach Kasachstan eine hiervon zu unterscheidende weitere, gesondert zu beurteilende Beförderung darstellt (BA S. 8 Absatz 2 Rn. 21). Dass der Europäische Gerichtshof (U. v. 23.4.2017 – C-424/13) entschieden hat, dass die TT-VO auch für in Drittländern liegende Beförderungsabschnitte gilt, steht diesem Verständnis nach den Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht entgegen, da der Transport der Rinder von Ungarn nach Kasachstan nicht einen Beförderungsabschnitt (einer einheitlich zu beurteilenden Beförderung von Miesbach nach Kasachstan) darstellt, sondern eine eigenständige Beförderung im Sinne der Verordnung ist (BA S. 8 Absatz 2). Im vorliegenden Fall erfüllt der Transport von Miesbach nach Ungarn nach der eindeutigen Definition des Art. 2 lit. s) TT-VO den Begriff der Beförderung. Allein dieser Transport ist nach den Ausführungen der Erstentscheidung Gegenstand der Beurteilung.
Dem hält der Antragsgegner entgegen, dem Beschluss des Verwaltungsgerichts sei nicht zu folgen, da die vorgesehene Beförderung der Tiere nach dem Sinn und Zweck der Verordnung (TT-VO), den Schutz von Tieren beim Transport zu gewährleisten, zuwiderlaufe, der Umgehung einschlägiger Vorschriften diene und deshalb insgesamt rechtsmissbräuchlich sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könne die Anwendung der Unionsvorschrften nicht so weit reichen, dass missbräuchliche Praktiken geschützt würden. Die Wahl der Transportroute mit Unterbrechung in Ungarn dürfte allein mit dem Ziel erfolgen, eine europarechtskonforme Unterbindung des Tiertransports durch den Antragsgegner zu umgehen. Auf der weiteren Transportroute von Ungarn nach Kasachstan sei, wie sich aus einer Vielzahl von Berichten über die maßgeblichen Transportrouten durch Russland nach Kasachstan (und Usbekistan) ergebe, mit Verstößen gegen die tierschutzrechtlichen Anforderungen der TT-VO zu rechnen. Aus den Berichten sei eindeutig zu entnehmen, dass auf den üblicherweise gefahrenen Routen durch Russland insbesondere nicht genügend adäquate Versorgungsstationen vorhanden seien, so dass die Tiere teilweise nicht abgeladen werden können. Ferner seien zum Zeitpunkt des geplanten Weitertransports in Russland und Kasachstan auch im März noch Minustemperaturen zu erwarten. Hierzu wurde auf zahlreiche Anlagen verwiesen, u.a. den Bericht der hessischen Landestierschutzbeauftragten zur Besichtigung von Entlade- und Versorgungsstationen in der Russischen Föderation, die in Transportplänen zu Langstreckentransportcn angegeben werden (9. bis 14. August 2019), eine Pressemitteilung der Landestierschutzbeauftragten Hessen zum „Verstoß gegen Tierschutz auf Tiertransporten durch Russland“ (https://tierschutz.hessen.de/verstoß-gegen-tierschutz-auf-tiertransportroutendurch-russland) ‚Veröffentlichungen von Animals‘ Angels e.V. vom 20. Februar 2019, 8. April 2019 und Juli 2020, Positionspapier VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz, Stand September 2020, „Lebendtiertransporte“. Im Hinblick auf diese zu erwartenden Verstöße wäre bei einem direkten Transport von Bayern nach Kasachstan das Stempeln des Fahrtenbuchs nach Art. 14 Abs. 1 lit, c) TT-VO grundsätzlich zu verweigern, wenn die Antragstellerin nicht im konkreten Einzelfall einen tierschutzkonformen Transport darlegen könne. Aufgrund der erheblichen Mängel auf den genannten Transportrouten habe das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) mit umweltministeriellem Schreiben (UMS) vom 13. März 2019 die nachgeordneten Behörden angewiesen, Tiertransporte in „gelistete/kritische Drittländer“ (u.a. Kasachstan) einer besonders sorgfältigen Prüfung zu unterziehen und nur noch abzufertigen, wenn zur Überzeugung der Behörde alle Voraussetzungen plausibel im Sinne der TT-VO vorgetragen würden. Daraufhin seien in Bayern keine direkten Transporte in diese Drittländer mehr beantragt worden, was auch durch den sprunghaften Anstieg der Transportbewegungen zwischen Bayern und Ungarn im Jahr 2020 belegt werde (vgl. Antwort der Staatsregierung zur Landagsanfrage vom 7.9.2020 zu Tiertransporten vom 27. November 2020, Drs. 18/10498). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestünden konkrete Anhaltspunkte, dass die ungarischen Behörden im Rahmen des Abfertigungsverfahrens nach TT-VO nicht denselben strengen Maßstab an die Einhaltung der unionsrechtlichen tierschutzrechtlichen Vorgaben, insbesondere der TT-VO stellen würden wie die bayerischen Behörden. Dies ergebe sich, wie dem Schreiben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 6. Oktober 2020 zu entnehmen sei, schon allein daraus, dass eine Vielzahl von Transporten von Ungarn in Drittländer, insbesondere nach Kasachstan, durch die ungarischen Behörden abgefertigt werde, obwohl auf den maßgeblichen Transportrouten durch Russland nach Kasachstan (und Usbekistan) mit Verstößen gegen die tierschutzrechtlichen Anforderungen der TT-VO zu rechnen sei. Folglich könne nicht zuverlässig davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen der europäischen TT-VO auf den maßgeblichen Transportrouten stets und voilumfänglich eingehalten würden. Die Antragstellerin zu 2) müsse daher im Rahmen des vorliegenden Abfertigungsverfahrens auch dazu Stellung nehmen, ob auf dem geplanten Weitertransport von Ungarn nach Kasachstan die europäischen Tierschutzvorschriften eingehalten würden. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Das Beschwerdevorbringen legt nicht dar, dass abweichend von den Ausführungen im angefochtenen Beschluss ein einheitlicher Transportvorgang von Deutschland (Miesbach) nach Kasachstan vorliegt. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auf den eindeutigen Wortlaut des Art: 2 (nicht 3) lit. s TT-VO abgestellt. Danach ist Bestimmungsort der Ort, an dem ein Tier von einem Transportmittel entladen und während mindestens 48 Stunden vor seiner Weiterbeförderung untergebracht wird oder geschlachtet wird. Da die zu transportierenden Rinder in Ungarn für einen Zeitraum von 30 Tagen, mithin länger als 48 Stunden vor ihrer Weiterbeförderung nach Kasachstan untergebracht werden sollen, stellt der Transport der Rinder von Miesbach nach Ungarn eine Beförderung dar. Der Weitertransport der Rinder von Ungarn nach Kasachstan stellt eine hiervon zu unterscheidende weitere, gesondert zu beurteilende Beförderung dar, die auch nach den Ausführungen des Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz im Schreiben vom 13. März 2019 und nach der Antwort der Staatsregierung zur Landtagsanfrage vom 7.9.2020 zu Tiertransporten vom 27. November 2020, Drs. 18/10498 unter Ziffer 5b) von der jeweils örtlich zuständigen Behörde zu beurteilen ist. Der Antragsgegner legt auch keine rechtsmissbräuchliche Umgehung der europarechtlichen Vorgaben, insbesondere der TT-VO dar. Allein der Umstand, dass die ungarischen Behörden Tiertransporte nach Kasachstan genehmigen, zeigt nicht substantiiert auf, dass dabei gegen geltendes Recht, insbesondere gegen die st-engen EU-rechtlichen Vorgaben der TT-VO durch die in Ungarn zuständigen Behörden verstoßen würde. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 6. Oktober 2020, das lediglich belegt, dass aus Ungarn zahlreiche Tiertransporte nach Kasachstan (und Usbekistan) weitergehen. Auch vermitteln die vorliegenden Erkenntnisse allenfalls ein generelles Bild vom Weitertransport in Kasachstan (und Usbekistan). Die danach verbleibenden Unwägbarkeiten und Ungewissheiten rechtfertigen es aber nicht, den ungarischen Behörden zu unterstellen, dass diese als zuständige Behörde geltende EU-Vorgaben bei der Erteilung einer Genehmigung für den Weitertransport nach Kasachstan (und Usbekistan) nicht beachten würden und deshalb deutsche Behörden ermächtigt waren, das Stempeln des Fahrtenbuchs wegen befürchteter tierschutzrechtliche Verstöße auf einer nicht vom Fahrtenbuch und daher vorliegend auch nicht vom Streitgegenstand umfassten Strecke zu versagen.
Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor, da die Eilbedürftigkeit aufgrund des am 21. Januar 2021 anstehenden Transports zur Erfüllung der Lieferverpflichtung glaubhaft gemacht ist (vgl. BA S. 12 f.).
Durch die Verhinderung des Transports würde die Antragstellerin zu 2 in ihrer Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) erheblich eingeschränkt. Aufgrund der üblichen Dauer eines Hauptsacheverfahrens ist es daher im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes vorliegend geboten (Art. 19 Abs. 4 GG), einstweiligen Rechtsschutz unter Vorwegnahme der Hauptsache zu gewähren.
Wenn der Antragsgegner berechtigte Tierschutzinteressen durchsetzen will, muss er – wie er in der Antwort der Staatsregierung zur Landtagsanfrage vom 7.9.2020 zu Tiertransporten vom 27. November 2020, Drs. 18/10498 unter Ziffer 8c) selbst betont – eine Änderung der geltenden Regelung auf EU-Ebene herbeiführen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs (wie Vorinstanz).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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